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Timo sah seinem Freund ungläubig nach. So langsam schien ihm der Umgang, den er in letzter Zeit pflegte, schlecht zu bekommen. Timo kannte Johns neue Freunde nicht. Er legte auch keinen besonderen Wert darauf. Das wenige, was er ihm über sie erzählte hatte, reichte ihm schon zur Genüge. Anscheinend nahmen sie es weder mit der Wahrheit noch mit dem Gesetz so genau. Timo bekam es ernsthaft mit der Angst zu tun. Bisher hielt er Johns Verhalten für eine Rebellion gegen seinen fordernden Vater und seine strenge Erziehung. Mittlerweile konnte man die Entwicklung eher als Abrutschen ins kriminelle Milieu bezeichnen. John war noch nie gegen einen Menschen gegangen, obwohl schon mehr als einmal der Grund bestand auszurasten. Er verlor die Kontrolle über seine Handlungen.


Timo ging zurück zur Theke und widmete sich seinen eigentlichen Aufgaben, denn Servieren gehörte garantiert nicht dazu. Timo koordinierte die Partys für seinen Chef. Dafür war er durch die sprichwörtliche Hölle gegangen, denn keiner der Kollegen gönnte ihm diesen Job wirklich. Er war als Letzter zu der Truppe gestoßen, war aber durch Fließ und vollen Arbeitseinsatz schnell an seinen Kollegen vorbeigezogen und war jetzt stellvertretender Geschäftsführer.


Er hatte John den Job beschafft, als der sich von seinem Vater abgewendet und nicht wusste, wo er wohnen sollte. Ein eigenes Einkommen war nicht vorhanden. John bekam alles von seinen wohlhabenden Eltern zugesteckt. Jetzt, wo diese Quelle von heute auf morgen versiegt war, fiel John erst auf, wie gut er es bis dahin hatte. Doch ein so harter Kerl wie er konnte das natürlich nicht zugeben. Niemals Schwäche zeigen, das war auch das Lebensmotto seines Vaters. So ganz unähnlich waren sich die beiden nicht. Doch John hasste diese Eigenschaften an seinem Vater, obwohl er in seinem tiefsten Inneren nicht anders war. Mittlerweile sprach John nur noch von seinem Vater als Erzeuger. Seine Mutter vermisste er unendlich. Wenn er sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb er auch dabei. Also schloss er auch seine Mutter aus seinem Leben aus, weil er wusste, dass sie doch nur versuchen würde, zwischen Vater und Sohn zu vermitteln. Und wo das hinführte, konnte man gerade in diesem Augenblick erleben. Timo suchte vergeblich nach seinem Freund. Das Tablett mit den Gläsern stand noch an der gleichen Stelle. Unauffällig lief er hin und räumte es weg. Johns Probleme waren schon groß genug. Stress mit dem Boss war fehl am Platz.


John lief ziellos durch den großen Saal. Noch immer gab es keine Spur von der schönen Frau, für die er mehr fühlte als jemals zuvor. Jede Faser seines Körpers sehnte sich nach ihr. Der Schmerz fraß sich durch seinen ganzen Körper. Die Sehnsucht nach ihr ließ ihn fast verrückt werden. Als er an den Garderoben vorbei kam, fiel ihm etwas ein.

„Hallo Helen!“, rief er zuckersüß.

„Hi John. Wie läuft die Party?“

„Wie immer. Jede Menge Snobs und solche, die es werden möchten.“

Helen lächelte. John sah heute Abend gut aus, aber in seinen Augen war Panik zu sehen.

„Ist irgendetwas?“

„Was soll denn sein?“, fragte John gespielt ahnungslos.

„Und warum bist du dann nicht im Service?“

„Pause!“

„Ach so nennt man das heute!“, lachte sie.

„Genau. War gerade nötig.“

„Sind noch viele Leute da? Werde nämlich langsam müde.“

Sie gähnte herzhaft und sah auf die Uhr. Es war schon nach 3 Uhr in der Nacht.

„Die Hälfte ist schon gegangen“, erzählte John.

Und wahrscheinlich auch meine Angebetete, von der ich nicht einmal den Namen weiß.

„Kannst du den Rest nach Hause schicken?“, kicherte sie.

„Würde ich ja gerne, aber dann…“

John stoppte mitten im Satz, stattdessen biss er sich auf die Lippen. Sein loses Mundwerk brachte ihn ständig in Schwierigkeiten.

„Was dann?“, bohrte Helen.

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten? Obwohl ich gar nicht weiß, ob es wirklich eines ist.“

„Ich kann schweigen wie ein Grab. Das scheint ja ganz schön ernst zu sein, wenn man sich deinen Gesichtsausdruck anschaut.“

„Es geht um einen Gast.“

„Habe ich gehört. Warst du das etwa?“

„Was?“, fragte John ängstlich.

Wenn der Vorfall schon bei Helen angekommen war, dann würde es früher oder später sein Chef erfahren. Und was das für ihn bedeutete, war klar.

Helen nahm ihre Hände und legte sie um ihren Hals. John sah schuldbewusst nach unten.

„Hat Antoine schon Wind davon bekommen?“

„Er ist schon nach Hause gefahren. Kopfschmerzen.“

„Die werden bestimmt noch größer!“

„Was hast du dir dabei gedacht?“, platzte es aus Helen heraus.

„Gar nichts. Der Kerl hat seine Freundin verprügelt.“

„Hast du das etwa gesehen?“

John schüttelte mit dem Kopf. Eigentlich hatte er gar nichts gesehen, doch dieser Arsch brachte ihn nur durch seine bloße Anwesenheit auf die Palme.

„Dann verstehe ich deinen Ausraster nicht.“

„Er war in Begleitung einer Frau und nachdem ich mich mit ihr unterhalten habe, war sie wie vom Erdboden verschwunden.“

„Und da hast du gleich den Unbekannten in Verdacht?“

John konnte schon ein komischer Vogel sein.

„Wen denn sonst?“

„Schon mal auf die Idee gekommen, dass sie deinetwegen getürmt ist? Ich habe von der Nummer auf der Tanzfläche gehört.“

John lief knallrot an.

„Timo?“, fragte er atemlos.

„Klar! Wer sonst? Er macht sich ernsthafte Sorgen um dich. Was ist mit dir los?“

„Das Mädchen geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich glaube, ich habe mich das erste Mal so richtig verliebt.“

„Du arme Sau!“, rief Helen und schlug sich die Hände vor den Mund.

„Warum das? Es ist ein schönes Gefühl. Wer ist sie?“

„Den willst du gar nicht wissen.“

„Was weißt du? Los rücke mit der Wahrheit raus.“

„Du stürzt dich in dein eigenes Unglück. Vergiss die Frau schnell wieder.“

„Warum sollte ich das?“

„Weil es für deine Gesundheit besser ist!“

„Und du meinst, damit gebe ich mich zufrieden?“

„Wirst du müssen!“

„Was ist mit ihr?“, bohrte John weiter.

„Die Frau ist fünf Nummern zu groß für dich! Ganz einfach.“

„Du weißt doch was. Und ich will es wissen! Sonst schaue ich dich mit meinem Arsch nicht mehr an.“

„Du wirst als Leiche enden!“

„Deine Sprüche machen mich nur neugieriger. Deine Taktik geht nicht wirklich auf.“

Helen schwieg. John hatte Recht. Statt ihn von seiner fixen Idee abzubringen, setzte sie ihm nur noch mehr Flöhe ins Ohr.

„Ich warte!“, rief John ungeduldig.

„Die Frau heißt Isabella Gomez, 27, Tochter aus reichem Haus. Und der Typ ist ihr zukünftiger Ehemann Marcel Baumann. Von Beruf Sohn.“

„Na und? Wo ist das Problem?“

„Er ist der Sohn des Veranstalters. Er kann sehr unangenehm werden, wenn er möchte.“

„Autsch!“, lachte John und legte den Kopf schief. „Da hab ich mich ja ganz schön in die Scheiße geritten, was?“

„Das wäre noch milde ausgedrückt. Wenn der Typ will, nimmt er dich vollkommen auseinander.“

„Der wird schon den Mund halten. Schließlich weiß er, was ich ihm angedroht habe.“

„Und ich wette mit dir, das hat ihn keinen Millimeter beeindruckt!“

„Mir egal. Der Typ ist ein Arschloch. Und er hat die Abreibung verdient. Aus, Ende, Basta.“

„Das mag sein. Aber er kann dir von heute auf morgen alles nehmen. Und unser Chef verliert seine Firma. Und in diesem Beruf kann ein schlechter Ruf das Ende bedeuten.“

John sah ziemlich zerknirscht aus. Er war zu weit gegangen. Aber die Zeit konnte man nun mal nicht zurückdrehen. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass der Kerl seine Schnauze hielt und das Ganze auf sich beruhen ließ.

„Ist diese Isabella eigentlich noch da?“

„Ja, warum?“

„Weil sie verschwunden ist.“

„Sie ist in der VIP Lounge. Und da haben solche wie wir keinen Zutritt!“

Könnte ich haben, wenn ich wollte, dachte John frustriert. Aber außer Timo wusste niemand in der Firma von seinem Familienhintergrund oder deren Finanzen. Und das war auch gut so.

„Wie schade!“

„Das Leben ist hart“, lächelte Helen.

„Aber ohne Harten kein Leben“, vervollständigte John den angefangenen Satz.

„Du solltest zurück an die Arbeit, bevor jemand Verdacht schöpft.“

„Ist wohl besser so.“

John lächelte Helen an.

„Was ist jetzt noch?“

Wenn John sie so anlachte, wollte er etwas von ihr. Aber nicht das Gleiche, was sie sich wünschte. Zu einer emotionalen Annäherung war es leider nie gekommen. Leider!

„Du könntest mir einen Gefallen tun!“

„Und welchen? Ist das illegal?“

„Nicht unbedingt!“, lachte John.

Er riss einen Zettel vom Notizblock, der auf dem Garderobentisch lag und schrieb etwas darauf.

„Kannst du den unauffällig in eine gewisse Jacke schmuggeln?“

„Hast du sie nicht mehr alle? Dafür fliege ich achtkantig raus.“

„Dann können wir gemeinsam beim Arbeitsamt sitzen.“

„Du glaubst mit deiner umwerfenden Art alles erreichen zu können! Was?“

Funktioniert doch!“, lachte John und gab Helen einen Kuss auf die Wange. Danach war er verschwunden.


Wieso kannst du mir nicht mal einen Zettel in die Jacke stecken?, dachte Helen sauer. War sie etwa Luft für ihn? Er behandelte sie wie seine kleine Schwester. Küsschen hier, Küsschen da. Das Einzige was sie jemals zusammen unternahmen, war ein Kinobesuch. Als sie dort ankamen wäre Sie am liebsten im nächsten Schlagloch versunken, denn die ganze Belegschaft war dabei. Das zum Thema Romantik unter Kollegen. Die nächste Einladung hatte sie mit einem fadenscheinigen Grund abgesagt.

Ständig verliebte er sich in die falschen Weiber. Keines der Mädels wollte mit einem armen Schlucker ausgehen, der Abendessen in einem Fast - Food - Restaurant für das Maß aller Dinge hielt. Welches Date schlürfte gerne Cola aus dem Pappbecher? Sie überlegte kurz, ob sie den Zettel nicht einfach in den Papiereimer werfen sollte, als sie es sich anders überlegte. John war doch eh nicht ihr Typ. Isabella Gomez war eine junge selbstbewusste Frau. Sie spielte in einer anderen Liga. John würde sie allenfalls amüsieren. Mehr nicht. Danach ließ sie ihn wie eine heiße Kartoffel fallen. Und dann konnte er mit dem Thema Isabella abschließen. Das sollte höchstens eine Sache von zwei oder drei Wochen sein, dann konnte die Trauerarbeit beginnen.

Aber wie sollte sie Isabella dazu bringen, ihn zurückzurufen? Sie war mit dem reichsten Junggesellen der Stadt verlobt. Dazu sah er noch unverschämt gut aus, auch wenn John anderer Meinung war. Man konnte in dieser Situation nicht von neutraler Objektivität ausgehen. Und wenn sich Isabella bei seinem Chef beschweren würde, könnte sie die Ausrede von vertauschten Jacken benutzen.

Helen steckte den Zettel mit der Telefonnummer in Isabellas Mantel. Jetzt hieß es abwarten und Tee trinken.


Timo sah John entgeistert an. Dieser stand neben ihm, hielt das Tablett und grinste zufrieden.

„Wo warst du?“

„Hatte ein paar Dinge zu erledigen!“

„Und die wären?“, fragte Timo sauer.

„Der Chef hat nach dir gefragt. Ich hab ihm erzählt, dass ich dich zum Servieren nach nebenan geschickt habe.“

„Und das hat er dir abgekauft?“

„Muss er ja wohl. Außerdem weiß ich mittlerweile, mit wem du dich angelegt hast.“

„Er ist der reichste Junggeselle. Kein Thema. Habe alles im Griff!“

„Dann hoffe ich das Beste für dich. Keiner bezahlt so gut wie Antoine. Und ich brauche dich nicht daran zu erinnern, dass deine Goldgrube versiegt ist. Oder?“

„Das brauchst du mir nicht ständig unter die Nase zu reiben.“

„Anscheinend schon. Ich hab zwar einen guten Draht zum Chef. Aber ob ich dir nach der Sache von vorhin helfen kann steht noch in den Sternen.“

„Warten wir es doch erst einmal ab.“

„Du solltest den Service übernehmen. Deine Angebetete ist in der VIP Lounge. Und der wird von den Oberkellnern betreut. Du kannst jetzt mal ans Arbeiten denken, ohne dir den Hals zu verrenken.“

„Habe schon verstanden. Wann ist denn Schluss hier?“

„In einer Stunde. So steht es im Vertrag“, rief Timo nach einem Blick auf die Uhr.

„Das ist gut. Meine motorischen Fähigkeiten lassen langsam nach.“

„Meine auch! Ich wollte vorhin schon in den Martini Zitronenscheiben legen“, lachte Timo.

„Ich gehe jetzt mal an die Arbeit!“

John und verschwand in der Menge.

Timo schüttelte den Kopf und ging zurück an die Bar. Sein Freund brachte ihn noch um den Verstand. Er konnte es selbst nicht verstehen, warum er die Freundschaft nicht schon längst im Sand verlaufen ließ. John hing ständig mit zwielichtigen Typen ab, die schon am Tag zum Fürchten waren.

Timo sah John nach. Ob das ein gutes Ende nehmen würde?


Kater sucht Kätzchen

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