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17. Mai

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Ich habe eine Reihe von Bekanntschaften gemacht, eine nähere Beziehung hat sich noch nicht eingestellt. Es scheint, als wirke ich besonders anziehend auf meine jeweilige Umgebung, so viele mögen mich und suchen meine Gesellschaft. Umso schmerzhafter empfinde ich, dass der gemeinsame Weg dann nur kurz ist. Wenn du mich fragst, wie die Menschen hier sind: wie überall. Irgendwie ist Monotonie das wesentliche Kennzeichen der Menschheit. Die meisten verwenden den größten Teil ihrer Zeit für die grundsätzlichen Anforderungen des Lebens, und das Wenige, das ihnen an Freiheit bleibt, versetzt sie in derartige Angst, dass sie es mit allen Mitteln los werden wollen. Das soll die Bestimmung des Menschen sein?

Aber es sind gute Leute. Manchmal, wenn ich mich vergesse und mit ihnen die Freuden teile, die sie noch haben, am gut gedeckten Tisch in aller Unbefangenheit herumzualbern beispielsweise, eine Spazierfahrt, ein guter Tanz zur rechten Zeit und was nicht noch alles, tut mir das recht gut – zumindest, so lange ich mir nicht bewusst mache, dass so viele andere Kräfte in mir ruhen, die veröden, wenn sie nicht genutzt werden, und die ich sorgfältig verbergen muss. Das ist beklemmend, aber andererseits: Missverstanden zu werden, ist wohl das Schicksal von Menschen wie mir.

Und nun wieder die Erinnerung an die Liebe meiner Jugend, an das Privileg, sie gekannt zu haben! Ich könnte mir sagen, dass ich ein Dummkopf bin, auf der Suche nach dem Unerreichbaren. Aber ich hatte es ja gefunden! Ich hatte das Herz gefühlt, die Größe einer Seele, in deren Dunstkreis ich mehr zu sein schien als ich war, denn ich war alles, was ich sein konnte. O Gott, keine Energiefaser meiner Seele blieb ungenutzt! In ihrer Anwesenheit konnte ich das unerhörte, wundervolle Gefühl entwickeln, das die Natur in mir erblühen lässt. Unsere Beziehung war ein ständiges Arbeiten an einem Gewebe aus Feinfühligkeit und dem scharfsinnigen Witz, den wir bis ins Abartige steigerten, und dem dennoch der Hauch des Genies anhaftete. Es ist schwer, daran zu denken. Die Jahre, die sie mir voraus hatte, die sie vor mir ins Grab brachten ... Sie wird immer in mir leben. Ihre Unerschütterlichkeit und ihre gottgleiche Duldsamkeit werde ich nie vergessen.

Vor einigen Tagen lief mir der junge V. über den Weg, ein offenherziger Junge mit einem mehr als erfreulichen Aussehen. Frisch von den Akademien abgegangen, hält er sich zwar nicht für weise, sein Wissen aber doch für überdurchschnittlich. Er war wohl auch ziemlich fleißig, wie man an den unterschiedlichsten Anzeichen erkennen kann. Mit einem Wort: Seine Kenntnisse sind nicht zu verachten. Als er hörte, dass ich viel zeichne und Griechisch kann (hierzulande zwei Attraktionen), suchte er meine Gesellschaft und schüttete sein Wissen aus, von Batteux bis zu Wood, von de Piles bis zu Winckelmann. Es verkündete, dass er Sulzers Theorie – den ersten Teil – ganz durchgelesen habe und ein Manuskript von Heynen über das Studium der Antike besitze. Ich nahm das alles hin.

Noch einen wackeren Zeitgenossen habe ich kennen gelernt: den fürstlichen Amtmann, einen offenen, treuherzigen Menschen. Die Leute sagen, es sei eine reine Freude, ihn mit seinen Kindern zu sehen, von denen er neun hat. Viel Anerkennendes hört man von seiner ältesten Tochter. Er hat mich eingeladen, ich werde ihn in den nächsten Tagen besuchen. Er wohnt auf einem fürstlichen Jagdhof, anderthalb Stunden von hier. Nach dem Tod seiner Frau erhielt er die Genehmigung, dorthin zu ziehen, denn der weitere Aufenthalt in der Stadt und im Amtshaus verursachte ihm zu große Schmerzen.

Ansonsten sind mir noch einige skurrile Gestalten begegnet, an denen alles unerträglich ist, vor allem aber ihre Freundschaftsbezeigungen.

So viel für heute. Dieser Text wird dir wahrscheinlich gefallen, er ist so historisch.

Werthers Leiden

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