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4. Mai

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Froh bin ich, fort zu sein, und gleichzeitig: verwirrt. Alter Freund, wie soll es mir gelingen, dich zurück zu lassen, dich, den ich, ja, liebe, mit dem ich unzertrennlich war, und gleichzeitig froh sein – was für ein Widerspruch der Gefühle! Ich weiß, du wirst es mir verzeihen, denn du weißt, was mich treibt. Du weißt alles über meine übrigen Beziehungen, vom Schicksal ausgesucht, mir Furcht einzujagen. Arme Eleonore! Aber war es meine Schuld? Was kann ich für die penetranten Reize ihrer Schwester und die angenehmen Gefühle, die sie bei mir auslösten? Was kann ich für die Leidenschaft, die daraus erwuchs, zwangsläufig?

Bin ich unschuldig? Nein, nicht völlig. Ich habe ihre Empfindungen genährt, habe mich an ihrem Körper erfreut, oft, so oft. Wir haben gemeinsam viel gelacht darüber, aber eigentlich gab es nichts zu lachen.

Schluss damit. Dieses dröhnende Selbstmitleid, du kennst das ja von mir. Ich will mich bessern, alter Freund. Das Winseln über ein bisschen eigenes Unglück wird ein Ende haben. Ich werde die Gegenwart genießen, das Vergangene vergangen sein lassen. Du hast natürlich recht, Freund, so ist der Mensch, das macht ihn aus: sich mit vergangenem Leiden zu beschäftigen, immer und immer wieder, statt die nackte Gegenwart zu akzeptieren. Wie viele Schmerzen könnten wir uns sparen, wären wir nicht, wie wir sind, Gott weiß warum.

Sei so gut, mein Freund, meiner Mutter auszurichten, dass ich mich bestens um ihr Geschäft kümmern werde, und dass sie bald aktuelle Nachrichten darüber erhalten wird. Auch meine Tante habe ich schon getroffen. Sie ist bei weitem nicht das böse Weib, als das sie bei uns gilt. Im Gegenteil, sie ist eine lebhafte, energische Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat. Ich erzählte ihr von den Klagen meiner Mutter über den zurückgehaltenen Erbschaftsanteil. Darauf eröffnete sie mir ihre Beweggründe und nannte die Bedingungen, unter denen sie bereit wäre, alles herauszugeben – sogar mehr als wir verlangen. Wie dem auch sei, ich möchte an dieser Stelle nicht ins Detail gehen. Bitte sage meiner Mutter, dass alles gut wird. Der kleine Konflikt hat mir wieder einmal bestätigt, dass Missverständnisse und Trägheit vielleicht mehr Schaden in der Welt anrichten als List und Bosheit, zumindest kommen diese seltener vor.

Übrigens: Mir geht es hervorragend hier. Die Einsamkeit wirkt wie Balsam auf meine Seele in dieser paradiesischen Gegend, und das Frühjahr, diese Jahreszeit der Jugend, mit all ihrer Pracht und Fülle, wärmt mein Herz. Dieses Herz, das sich oft so kalt anfühlt. Jeder Baum und jede Hecke wird zum Blütenstrauß. Man möchte zum Marienkäfer werden, in einem Ozean an Wohlgerüchen herumschwebend und nach Nahrung suchend.

Was für ein Kontrast: Hier die Stadt, in ihrer Art eher unangenehm, und sie umgebend die überwältigende Schönheit der Natur. Sie hat den verstorbenen Grafen von M. veranlasst, auf einem der Hügel einen Garten anzulegen, über den anmutigen Tälern, die von den sich vielfach kreuzenden Hügeln eingefasst werden. Es ist ein einfacher Garten, man spürt sofort, dass der Entwurf aus dem Herzen kommt und nicht aus dem wissenschaftlichen Geist, und dass der Erbauer ihn zum eigenen Genuss angelegt hat. In dem verfallenen, kleinen Kabinett, das sein Lieblingsplatz war und jetzt der meine ist, habe ich die eine oder andere Stunde verbracht und im Gedenken an den Verstorbenen auch die eine oder andere Träne vergossen. Bald wird es mein Garten sein, mit dem Gärtner verstehe ich mich gut, und auch er hat es mit mir wohl nicht schlecht getroffen.

Werthers Leiden

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