Читать книгу Arkadien - Emmanuelle Bayamack-Tam - Страница 23

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Da manche Zusagen leichter einzuhalten sind als andere, bringt mich Arkady wie versprochen zum Frauenarzt. Sollte er aber glauben, mich deswegen nicht mehr entjungfern zu müssen, täuscht er sich gewaltig – so leicht kommt er mir nicht davon. Der Frauenarzt heißt Madame Tourteau, und ich ahne zwar, dass in diesem Namen eine geheime Anspielung auf deren Fachgebiet steckt, bin jedoch viel zu gestresst, um zu erraten, was ein Taschenkrebs mit Gynäkologie zu tun hat. Ohne genau zu wissen, was mich erwartet, fürchte ich mich vor der Untersuchung meiner Geschlechtsorgane und dem Durchkneten meiner unterentwickelten Brustdrüse. Meine Angst erweist sich als unbegründet, denn Madame Tourteau ist reizend und zeigt sich kein bisschen überrascht, dass ich von meinem geistigen Führer begleitet werde. Der gibt sich allerdings als mein Vater aus und wedelt mit dessen elektronischer Gesundheitskarte vor der Nase der netten Ärztin herum.

»Und was führt dich hierher, Farah?«

»Na ja, ich hab meine Regel nicht.«

»Aha. Seit wann?«

»Wie, seit wann?«

Sie sieht mich ebenso müde wie geduldig an:

»Deine Regel. Wie lange hast du sie schon nicht mehr? Du hast wohl Angst, schwanger zu sein?«

»Das ganz sicher nicht: Ich bin Jungfrau!«

Unwillkürlich blicke ich aus dem Augenwinkel zu Arkady, um mich zu vergewissern, wie diese Mitteilung auf ihn wirkt, aber er behält seinen väterlich zufriedenen Blick bei, während Madame Tourteau ihre Sonntagsrede über die Unregelmäßigkeiten des Menstruationszyklus bei sehr jungen Mädchen hält:

»Es besteht wirklich kein Anlass zur Sorge. Erst recht nicht, wenn du noch keinen Geschlechtsverkehr hattest.«

Jetzt blickt sie Arkady aus dem Augenwinkel an. Vermutlich fragt sie sich, inwiefern ich im Beisein meines Vaters die Wahrheit sagen kann. Dieser legt eine schützende Hand auf mein Schlüsselbein und beeilt sich, das Missverständnis aufzuklären:

»Farah hat noch nie ihre Regel gehabt. Kein einziges Mal. Darum sind wir hier. Normalerweise ist es mit fünfzehn …«

Madame Tourteau macht sich schwungvoll daran, uns zu beruhigen:

»In Frankreich beträgt das Durchschnittsalter für die erste Regelblutung zwölfeinhalb Jahre! Das heißt, manche Mädchen bekommen sie mit acht und andere mit sechzehn. So ist das nun mal.«

»Ja, aber die Mädchen in meiner Klasse …«

»Tss, tss, ich werde dich trotzdem untersuchen, aber ich beharre darauf: Es ist durchaus nicht unnormal, mit fünfzehn noch keine Regel zu haben. Zieh dich aus. Soll dein Papa so lange rausgehen?«

Auf keinen Fall will ich mit Madame Tourteau allein sein. Sie macht zwar einen netten Eindruck, aber man weiß ja nie, genauer, man weiß nur allzu gut Bescheid. Ich für meinen Teil weiß aus Erfahrung, dass ich bei anderen das Schlimmste zu wecken vermag, sadistische Triebe und wahnhafte Anfälle. Papa soll bleiben.

Mit den Füßen in den Steigbügeln erdulde ich stumm, dass Madame Tourteau ein Metallobjekt in meine Scheide einführt und schonungslos, wenn auch mit nachlassendem Eifer darin herumwühlt. Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit, doch irgendwann zieht sie ihr Folterwerkzeug wieder raus und wirft die gepuderten Latexhandschuhe beiseite.

Arkady hüstelt höflich:

»Ob das ratsam ist, so ein Spekulum bei einer Jungfrau?«

Sie blickt ihn entrüstet an und entgegnet:

»Monsieur, um die Vagina und den Gebärmutterhals zu untersuchen, hat man bis dato nichts Besseres gefunden als das Spekulum. Mit dem man überdies alle möglichen Proben entnehmen kann. Im Fall Ihrer Tochter ist das allerdings …« Sie hält inne, damit er sich selbst ausmalen kann, warum der Fall seiner Tochter so viel heikler ist als das Gros ihrer gynäkologischen Praxis.

»Ich werde eine Echografie vornehmen. Wissen Sie, was das ist?«

Ich stelle fest, dass sich mittlerweile alles zwischen Arkady und Madame Tourteau abspielt, als läge ich nicht mitten im Raum auf dem Rücken, so nackt wie am Tag meiner Geburt. Offenbar kennt sich Arkady mit bildgebenden Verfahren in der Medizin bestens aus, keine Ahnung, wie er dazu kommt, sodass er mit der Ärztin über Wellen, Ultraschall und Piezoeffekt plaudert, während sie ihre Sonde über meinen gelverklebten Bauch führt und bläulich pulsierende Bilder uns ihr rätselhaftes Signal senden. Fast rechne ich damit, dass auf dem Bildschirm ein Fötus in 3D erscheint, doch nichts erscheint, natürlich nicht. Es vergeht Zeit. Madame Tourteau scheint immer mehr Aufnahmen zu machen und Maße zu nehmen, wobei sie die Abzüge mit gestrichelten Linien versieht, die genauso mysteriös anmuten wie alles andere, wie diese Lichttrichter, in denen dunkle, kaum konturierte Gebilde treiben.

»Gut …«

Offensichtlich ist es alles andere als gut, trotzdem wische ich mir den Bauch ab und ziehe mich rasch wieder an, damit die Diagnose mich nicht in hilfloser Rückenlage erwischt. Die Mühe hätte ich mir auch sparen können, da die Ärztin mich keines Blickes würdigt: Wenn sie nicht gerade ihre Aufnahmen durchsieht, fingert sie an ihrem Montblanc herum oder wendet sich an Arkady, wobei sie aus lauter Verlegenheit jeweils beim Satzanfang hängenbleibt:

»Das ist recht eigenartig, denn normalerweise … Ich mag mich ja … Und trotzdem sollte man annehmen … Tja, mal sehen, ob … Wir werden also …«

Auch Satzanfänge nehmen mal ein Ende, sodass ihr die rhetorischen Vorsichtsfloskeln ausgehen und sie mit ihrem Kugelschreiber in meine Richtung deutet:

»Allem Anschein nach hat Farah keine Gebärmutter. Und auch keine richtige Vagina.«

Niemand weiß besser als ich, dass ich eine habe, sie selbst hat ihre Nase und ihr Spekulum gute zehn Minuten lang reingesteckt, was soll also dieser Zirkus?

»Das heißt, sie hat nur eine drei Zentimeter große cupula. Grob gesagt fehlen ihr die zwei oberen Drittel der Vagina. Meiner Ansicht nach haben wir es hier mit dem MRKHS zu tun, dem Küster-Hauser-Syndrom, wenn Ihnen diese Bezeichnung lieber ist.«

Mir ist gar nichts lieber, und die Bezeichnungen sind mir schnurz. Ich will nur meine Gebärmutter wiederhaben und auch die zwei fehlenden Drittel meiner Vagina. Man wird mir nämlich nicht ausreden können, dass ich sie vor meinem Eintreten in die Praxis von Madame Tourteau noch hatte, zumindest lebte ich in dieser Vorstellung, was aufs Gleiche hinausläuft, wenn man bedenkt, wie wenig ein fünfzehnjähriges Mädchen von beidem Gebrauch macht. Natürlich hatte ich schon mal den Finger in meine Scheidenhöhle gesteckt und festgestellt, dass es dort nicht viel zu erkunden gab, weil ich aber keine Ahnung hatte, wie sie bei anderen beschaffen war, hielt ich mich einfach an die klitorale Befriedigung.

Inzwischen ist Madame Tourteau nicht mehr zu bremsen. Von ihrer Diagnose berauscht, erzählt sie uns jetzt voller Überschwang von den Fehlbildungen, die mit meiner utero-vaginalen Aplasie einhergehen.

»Hören Sie gut?«

»Äh … ja.«

»Sind Sie sich da wirklich sicher? Und was ist mit Ihrem Rücken? Keine Beschwerden? Keine Verkrümmung der Wirbelsäule? Keine Skoliose?«

»Ich habe eine Hyperkyphose.«

»Da haben wir’s! Das passt ins Bild! MRKHS-Patientinnen haben oft Probleme mit dem Knochenwachstum. Ihre Nieren sollte man auch überprüfen, am besten durch eine Magnetresonanztomografie

»Wann bekomme ich denn meine Regel?«

»Niemals. Ihre Eierstöcke wirken zwar funktionstüchtig, aber Sie werden keine Regel haben.«

Arkady wacht allmählich aus der Benommenheit auf, die ihn befallen hatte, als er von meiner seltenen Krankheit erfuhr – offenkundig ist sie so selten, dass Madame Tourteau zum ersten Mal eine solche Patientin in ihrer heimeligen Praxis empfängt, die sich bisher Verhütungsmethoden, Schwangerschaftsbegleitungen und Hormonersatztherapien widmete, möglicherweise auch dem einen oder anderen Fall von Brustkrebs, wenn überhaupt.

»Wird sie Kinder haben können?«

»Ohne Gebärmutter und ohne Gebärmutterhals? Unmöglich. Es wäre ja schon ein Glück, wenn sie Geschlechtsverkehr haben kann!«

»Wieso?«

»Ihre Tochter kann nicht penetriert werden. Bei einer Vagina von drei Zentimetern, wo denken Sie hin!«

An diesem Punkt scheint ihr endlich aufzugehen, wie grausam ihre Aussagen sind, sie wird rot und will uns nur noch schleunigst loswerden, kritzelt in Windeseile Briefe an andere Ärzte, die in Sachen MRKHS-Syndrom versierter sind als sie, und wirft mit Beschwichtigungen um sich:

»Man kann wunderbar ohne Gebärmutter leben. Und die Regel ist vor allem eine Unannehmlichkeit. Manche meiner Patientinnen würden alles darum geben, sie nicht mehr zu haben.«

Als sie uns – mit allerlei Überweisungsscheinen und Rezepten versehen – zur Tür bringt, wird sie von ihrem Diagnosedämon eingeholt und greift mit inquisitorischer Hand nach meinem Kiefer, um ihn ins Licht zu halten.

»Was mir allerdings zu denken gibt, ist dieser Hirsutismus. Normalerweise haben MRKHS-Patientinnen einen weiblichen Phänotyp. Ihr Äußeres ist normal, mit Brüsten und schwacher Behaarung, in der Schamgegend, unter den Achseln – mehr nicht. Farah scheint jedoch einen Schnurrbart zu bekommen …«

Arkady schiebt mich eilends hinaus, bevor Madame Tourteau uns schlankweg erklärt, dass ich dabei bin, von innen wie von außen zu vermännlichen, doch das Unheil ist bereits angerichtet und so schleichen wir bedrückt zurück zum Auto.

»Sollen wir noch eine Runde drehen? Magst du zum Hafen?«

Im Gegensatz zu meinen Eltern, die nicht das Geringste von meinem Leben außerhalb des Liberty House ahnen, weiß Arkady über meine städtischen Eskapaden bestens Bescheid.

»Nein. Ich will nach Hause.«

»Komm schon, Farah, wir gehen was trinken. Bei den Sablettes gibt es ein tolles Café. Ich kenne die Kellnerin, außerdem haben sie dort einen unglaublich guten Prosecco. Du wirst begeistert sein.«

Ich bezweifle nicht, dass er die Kellnerin dieses Cafés kennt und noch viele andere, dank seiner Neigung, allerorten mit aller Welt ins Gespräch zu kommen, aber ich habe keine Lust, meinen Kummer im Spumante zu ertränken, und wäre er noch so hervorragend. Nein, meinen Kummer möchte ich durchleiden, ich möchte ihn gründlich unter die Lupe nehmen, ehe ich ihn in die Knie zwinge. Nur dass Arkady anderes im Sinn hat.

»Wir gehen da jetzt hin.«

Pech gehabt, es ist Anfang Dezember und sein tolles Café in der Nachsaison geschlossen, wie alle Cafés entlang des Strandes. Wir treten wie zwei Deppen auf den Sand ein und lassen uns von der trostlosen Atmosphäre um uns herum durchdringen.

»Ist doch egal, dass du keine Gebärmutter hast, Farah. Ich habe schließlich auch keine.«

»Ja, aber du bist ein Mann. Während ich mich immer für ein Mädchen gehalten habe. Bis heute jedenfalls.«

»Bist du ja auch!«

»Bin ich nicht! Ich habe weder Gebärmutter noch Vagina.«

»Das ist doch alles Quatsch. Sieh dir mal Daniel an.«

»Was ist mit Daniel?«

»Er hat weder Behaarung noch Adamsapfel und ist trotzdem ein Junge!«

»Entschuldige mal, Daniel ist ein ganz schlechtes Beispiel!«

»Warum?«

»Weil er genauso ist wie ich: weder Junge noch Mädchen!«

Wir setzen uns auf einen Wall aus feuchtem Sand, gegenüber einem grauen, reizlosen, aufgebrachten Meer – meilenweit entfernt von dem, wie es sein kann, wenn die Sonne es zum Spiegel ihrer Pracht kürt.

»Wo liegt denn der Unterschied, ob du nun eine Gebärmutter hast oder nicht?«

»Ich hab auch keine Vagina.«

»Gehen wir die Probleme einzeln durch. Wozu überhaupt braucht man eine Gebärmutter?«

Ich weiß nicht mehr, welcher Idiot Gesundheit als das Schweigen der Organe definiert hat, doch eins steht für mich fest: Gesundheit ist in erster Linie das Vorhandensein dieser Organe, seien sie noch so laut und schmerzanfällig. Mir fehlt die Gebärmutter, ich leide am Küster-Hauser-Syndrom. So. Das ist meine Krankheit. Sie mag selten sein, mich aber macht sie voll und ganz aus. Während ich vom Leder ziehe, hört mir Arkady mit großen Augen zu.

»Ist das wirklich dein Ernst?«

»Mein voller Ernst. Siehst du, wie recht du hattest, als du meintest, meine Eltern hätten mich verpfuscht? Bei meiner Embryogenese ist was schiefgelaufen.«

»Es läuft doch immer irgendwas schief. Bei der Embryogenese oder sonst danach.«

»Aber ich habe nun mal keine Gebärmutter. Und die braucht man, um Kinder zu kriegen, da hast du die Antwort auf deine Frage.«

»Du bist fünfzehn! Du willst Kinder? Du bist selbst noch ein Kind!«

»Jetzt will ich keins, aber was, wenn ich später eins will?«

»Dann lässt du dir eine Gebärmutter implantieren. Deine Mutter kann dir ja ihre überlassen, sie braucht sie nicht mehr.«

»Und was ist mit meiner Vagina?«

»Die braucht auch kein Mensch!«

»Das sagst du!«

»Eben, und ich spreche aus Erfahrung: Sexualität beschränkt sich bekanntlich nicht auf den Vaginalverkehr.«

»Hast du nicht gehört, was Madame Tourteau gesagt hat, Arkady? Ich habe eine cupula! Cupula

»Wie nennst du sie?«

»Cupula.«

»Nein, die Gyn!«

»Madame Tourteau?«

»Madame Toretto, nicht Tourteau, mein Gott. Weißt du überhaupt, was das ist? Apropos Taschenkrebs, wie wär’s mit ’nem Teller Meeresfrüchte am Hafen?«

»Du bist doch Vegetarier, oder?«

»Klar, doch um dich aufzuheitern, würde ich so viele Taschenkrebse, Strandschnecken und Garnelen kaltmachen wie nötig.«

Ich weiß zu schätzen, dass er sich redlich um einen Themenwechsel bemüht; und auch, dass er bereit ist, gegen sämtliche Speisegebote zu verstoßen, die er unserer kleinen Gemeinschaft höchstpersönlich verkündet hat, dennoch finde ich, meine anatomischen Fehlbildungen verdienten etwas mehr Aufmerksamkeit.

»Weißt du überhaupt, was eine Cupula ist? Ich kenne nur eine, und zwar die der Eicheln. Ist dir klar, wie die aussieht, die Eichelcupula?«

Arkadien

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