Читать книгу Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau - Emmy Ball-Hennings - Страница 7

Helga ist ein aufgehender Stern. Sie braucht keinen dramatischen Unterricht. Herrn Skule wird ein Heiratsantrag gemacht, der leider abgelehnt wird

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Achtzehn Jahre war ich alt, und ich glaubte zu wissen, was ich wollte. Das aber, was ich wollte, nämlich Schauspielerin werden, war nicht durchzusetzen. Eine Achtung vor den Widerständen des Lebens war mir frühzeitig eigen, eine gewisse Ahnung, als gehörten auch Hindernisse zum Geschick des Menschen, denen man sich nicht gewaltsam widersetzen dürfe.

Mein Vater, der Seemann, war in meinem sechzehnten Lebensjahre gestorben, meine Schwester war verheiratet, und so lebte ich mit meiner Mutter beisammen, der ich in ihrem Alter Trost und Stütze werden sollte. Meine Mutter hätte wohl am liebsten gesehen, wenn ich mich zeitig verheiratet hätte. Sie wäre dann bei mir geblieben, um sich an meinem Eheglück zu erfreuen, aber davon konnte nicht die Rede sein, eben, weil mir eine ganz andere Laufbahn vorschwebte. Meine Mutter und ich hegten also recht verschiedenartige Wünsche, die meiner Meinung nach, wenn das Glück es wollte, beide zugleich in Erfüllung gehen konnten. Man konnte ja das eine tun und brauchte das andere nicht zu lassen. Ich konnte Künstlerin sein, und mich zugleich verheiraten.

Schauspielerin sein, das bedeutete für meine Mutter beinahe dasselbe als Zigeunerin werden wollen, doch hielt sie meinen Plan für eine verrückte Laune, die nur zeitig bekämpft werden mußte, um zu verschwinden. Mutter sprach gehörig auf mich ein. «Sind wir vielleicht die Leute, die sich verstellen, wie die Schauspieler es machen müssen? Das schickt sich doch nicht für uns.»

Mutter sagte immer «wir», wenn es sich um mich handelte, und in diesem Falle tat sie noch, als wäre sie die Hauptsache. Ich war es ja. Ich war die Hauptsache. Ich wollte mich meiner Mutter fügen, aber sie mußte sich auch mir fügen. So verlangte es meine Jugend. Ob ich nicht wenigstens in den Abendstunden etwas dramatischen Unterricht nehmen dürfe, damit es sich herausstelle, ob ich Talent habe oder nicht.

Da saß ich also in der Abendstunde am Tisch unter der traulichen Hängelampe, meiner Mutter gegenüber, und kam ich auf mein schauspielerisches Talent zu sprechen, das beunruhigenderweise brachlag, bot sie mir ein Stück eingemachten Kürbis an, als wäre das ein Trost für die Lorbeeren, die vielleicht schon irgendwo auf mich warteten. So um acht Uhr herum flogen so viele Vorhänge in die Höhe, und es gab so viele Bühnen, auf denen ich nicht spielen konnte. Noch nicht, noch nicht, aber es konnte werden, wenn Mutter nur so vernünftig sein wollte, mich prüfen zu lassen. Leider war sie nicht so vernünftig und mußte immer wieder aufs neue «bearbeitet» werden. Sie leistete Widerstand wie eine solide Festung, die aber doch zum Fallen, zum Erobern bestimmt war. Man durfte nur nicht nachgeben.

Mutter war zu begreifen, sie konnte nicht wissen, was in mir steckte. Ich dagegen glaubte viel zu wissen. Junge Menschen müssen viel wissen, müssen sich der Illusion des Wissens hingeben, um ihre große Unerfahrenheit, ihr Nichtwissen zu verbergen. Sie würden ja erschrecken, wenn sie eine Ahnung von ihrer wahren Ahnungslosigkeit hätten. Nun ja, von der eigenen Mutter verkannt werden, das war ein Los, das man hinnehmen mußte. Mein Talent hatte ich doch schon etwas bewiesen, da ich in verschiedenen Dilettantenaufführungen als «Venus im Grünen» bejubelt worden war, aber solche Erfolge imponierten meiner Mutter wenig. Der berühmte Schauspieler unseres Stadttheaters Alexander Valentin würde mir wahrscheinlich umsonst dramatischen Unterricht erteilen, aus purer Liebe zur Kunst. Schon hatte er meine melodische weiche Stimme, mein zierliches Figürchen, mein volles blondes Haar, meine großen blauen Augen und sonst noch manches an mir entdeckt. Er erklärte mich schlankweg als kommenden allerliebsten Stern am Bühnenhimmel und auch sonst. Ich wähnte mich im Aufgang, wollte gerne steigen, hervortreten und leuchten so gut ich konnte.

Doch möchte ich an dieser Stelle einfügen, wie ich meinen «Entdecker» kennenlernte. Ich sah ihn zunächst im Stadttheater als «Hamlet», wo die herrliche Rolle vielleicht mehr ihn trug als umgekehrt, und es kann sein, daß es eigentlich die Dichtung, daß es Hamlet war, der mir näher stand als der Schauspieler Valentin.

Ich war im photographischen Atelier von Hollesen als Kopiererin angestellt, hatte eines Tages die Bilder von Herrn Valentin, prächtige Aufnahmen, die ihn in den verschiedensten Rollen zeigten, ihm mitsamt der Rechnung ins Haus zu bringen. Da ich das Glück hatte, Herrn Valentin persönlich anzutreffen, benutzte ich die Gelegenheit, ihm mein Kompliment für seinen Hamlet zu sagen, das er sich recht erfreut anhörte. Dann sprachen wir ein paar Worte über verschiedene Schauspiele, und unversehens hatte ich Herrn Valentin anvertraut, daß ich schon die «Venus im Grünen» gespielt, daß aber die «Ophelia» eine Lieblingsrolle von mir sei. Herr Valentin staunte mich lächelnd an, und forderte mich auf, ihm eine kleine Szene vorzuspielen. Völlig unbefangen begann ich, mitten im Zimmer stehend, mich in den alten dänischen Schloßpark zu versetzen, wo im Teich unter Wasserrosen Ophelias verlorenes Leben flüstern würde. Ich sprach und sang die Worte von ihrem Liebestod, wo noch so viele blumenhafte Anmut durch den Wahnsinn schimmert.

Die lobenden Worte, die mir der Schauspieler sagte, blieben nicht ohne Eindruck auf mich. Freilich betonte er auch, daß ich noch viel zu lernen habe, wenn ich auf der Bühne spielen wolle, doch meine er, daß ich meiner Begabung sicher sein dürfe. Durfte ich das wirklich? Ich kannte nur meine jugendlich-ernsthafte Lust zu spielen und trug, wie schon erwähnt, immer wieder das Verlangen, mein Talent prüfen zu lassen, doch sollte sich dieser Wunsch nicht erfüllen. Lag ich meiner Mutter mit Bitten in den Ohren, lehnte sie ab:

«Wozu brauchst du dramatischen Unterricht? Den wirst du noch genug im Leben bekommen. Verlaß dich drauf.»

Dann schwieg ich endlich.

Ich wohnte mit meiner Mutter zusammen in der Dorotheenstraße, die nahe der Kaserne lag, an der ich täglich auf dem Wege zu meiner Arbeitsstätte mehrmals vorbeigehen mußte. Hier erinnere ich mich an etwas, das vielleicht gar keine Begebenheit von Belang ist, sondern mehr das Bewußtsein eines erstmaligen Gefühles, das ich nennen möchte. Ich hörte in der Abendstunde die Soldaten singen und stand eine Weile lauschend vor dem hohen Gitter, das die Kaserne einfriedete. Ich vernahm das bekannte Kaiserlied, auf dessen Text ich weniger achtete als auf die frischen Stimmen der Sänger. Dann aber bewegten mich urplötzlich die wenigen Worte «Liebling des Volkes zu sein» so sehr, daß ich darüber völlig vergaß, wo ich mich befand. Es war jenes unbestimmte, starke Sehnen, von dem junge Menschen manchmal befallen werden, wenn sie mit ihrem Leben noch nicht wissen, wohin es strömen soll. Ich spürte das Blut in meinen Adern rauschen wie in einem breiteren Flußbett. Es war ein Aufruhr in mir, der Lust und Schmerz zugleich war. Ich ahnte Taumel und Winde, die ich würde leben müssen. Vor dem mächtigen Überfall, der mir wie etwas völlig Fremdes vorkam, wähnte ich in weite Fernen zu vergehen. In ein Unabsehbares schien ich zu gleiten, und fand weder Ferne noch Ziel. Einer Ohnmacht nahe, schloß ich die Augen, um mich allmählich wieder zu finden. Von dieser Zeit an hatte ich oft solche Entrückungen, die aber stets wie begleitet waren von den Worten des Liedes: Liebling des Volkes zu sein. Dies vielleicht, weil ich die Worte zufällig singen hörte, als mich der erste Anfall überraschte.

Mir scheint, daß ich in dieser Zeit auffallend wenig Phantasie besaß. Da meine Mutter mir nicht erlaubte, mich der Bühne zu widmen, hielt ich mein Leben nahezu für ein verlorenes. Es war eine tiefe Enttäuschung in mir, die zu überwinden ich mich fortwährend bemühte. Ich dachte nicht daran, konnte mir offenbar nicht vorstellen, daß sich etwas in meinem Schicksal würde sonderlich ändern können.

Meine Mutter sprach oft den Wunsch aus, ich möge mich bald verheiraten. Dies empfand ich, nicht gerade stark, aber doch manchmal, mit einem kleinen Unbehagen, als eine leise Nötigung, die abzuschütteln mir nicht völlig gelang.

Nun machte ich eines Tages einem gewissen Herrn Skule einen Heiratsantrag, der zwar höflich, aber immerhin recht energisch abgelehnt wurde. Herr Skule, ein junger Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, war Musiker, hatte ein möbliertes Zimmer gemietet im Hause meiner Freundin, durch welche ich ihn kennengelernt hatte. Ich hatte ihn mehrmals wunderschön Klavier spielen hören, wußte aber sonst nicht viel von ihm. Nun hatte Herr Skule das Unglück gehabt, in kürzester Zeit zu erblinden, und darüber war er nahezu verzweifelt. Eines Sonntags morgens suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, wo er mich freundlich empfing. Er machte mir zwar einen niedergeschlagenen, doch keineswegs hoffnungslosen Eindruck. Er versuchte sogar, mir etwas auf dem Klavier vorzuspielen, doch tastete er mehrmals, sogar schlimm, daneben. Da blieb er sinnend vor dem Klavier sitzen, schien wieder über sein Unglück nachzudenken und mich völlig vergessen zu haben. Sein nicht gerade schönes, doch kluges, interessantes Gesicht gefiel mir recht gut, obwohl seine erloschenen, matten Augen, gleich silbrigen Monden, mir ein gewisses Grauen verursachten. Ich überlegte mir, ob ich mich würde daran gewöhnen können, an diese erloschenen, silbrigen Monde, und mir war, als könnte ich die Frage mit «Ja» beantworten. Warum sollte ich nicht aus Dankbarkeit für meine gesunden Augen einen Blinden heiraten? Immer würde ich ihn führen, an der Hand, am Arm. Ganz zart würde ich ihm den Himmel beschreiben, eine Blumenwiese, viele schöne Bilder. Würde nicht mein Leben durch die Verbindung mit dem Blinden einen neuen Sinn bekommen? Wie notwendig, wie wichtig konnte ich diesem Manne sein.

Während ich dieses dachte, sah er mit seinen toten Augen noch immer auf die Tasten, auf sein geliebtes Instrument. Dann streckte er plötzlich die Hand nach mir, und ich reichte ihm in einer Aufwallung von Zärtlichkeit beide Hände, die er heftig umspannt hielt. So stand ich vor ihm, und er sah mich nicht, als ich ihn leise fragte:

«Herr Skule, möchten Sie nicht meine Hände behalten?»

Er hatte eine eigentümlich schwere, langsame Sprechweise, beinahe wie ein alter Mann.

«Ihre Hände? Behalten? Wie meinen Sie das, Fräulein Helga. . .?»

«Für immer, meine ich es, Herr Skule. Darf ich nicht bei Ihnen bleiben, immer, immer?»

«Immer?» Er hob sein bleiches Gesicht, und wie sich die Augenlider senkten, war er wunderbar anzusehen. Sein Mund war so schön, und ich hätte ihn küssen mögen, ganz leicht.

«Immer? Ja. . . wie könnten Sie bei mir bleiben, Fräulein Helga? Das geht doch nicht.»

«Warum nicht? Ich könnte Ihnen doch, wenn ich so sagen darf, meine Augen leihen, und wird es sein, als würden Sie selbst sehen. Sie würden mir alles glauben, weil Sie nicht sehen können, aber ich würde Ihnen nur die Wahrheit sagen. Wenn wir einander heiraten, würde ich mein ganzes Leben lang nie mehr lügen können, und daran hätten nur Sie die Schuld oder die Unschuld. Wie schön wäre das, Herr Skule. . . Wollen Sie? Sagen Sie, Ja‘.»

Er stand auf, behielt aber meine Hand in der seinen, und tastete mit der andern Hand nach dem Tisch und dann nach der Lehne des Sofas. Wir setzten uns nebeneinander, blieben so eine Weile still, Hand in Hand. Ich wartete auf eine Antwort.

«Wie alt sind Sie, Fräulein, Helga?»

«Ich bin achtzehn Jahre alt.»

Er lächelte, zog mich sanft an sich, indem er seinen Arm um meine Schulter legte:

«Was sind Sie für ein Kind. Wie kommen Sie nur dazu, mir dies alles zu sagen?»

«Weil ich Sie liebe.»

«Wie einfach Sie das sagen.»

«Wie ließe sich das wohl anders sagen?»

«Ja, darin haben Sie ja recht. Und glauben Sie denn, daß ich. . . nun ja. . . daß ich Sie liebe, Helga?»

«Ich hoffe es. Ich möchte es annehmen.»

«Wirklich?»

«Das ist doch wohl selbstverständlich, Herr Skule.»

Da nahm er seine Hand fort, packte mich mit beiden Händen fest an den Schultern, und sagte scharf und rauh:

«Sie irren sich. Ich kann Sie nicht lieben, und ich will Sie nicht zur Frau.»

«Weil Sie mich nicht lieben?»

«Der Grund ist meine Sache. . . Nun ja, weil ich Sie nicht lieben kann.»

«Das wäre gar nicht nötig. Es kommt darauf an, daß ich liebe.»

«Wie? Was sagten Sie da?»

«Nichts, gar nichts. Warum werden Sie so heftig? Ich habe Sie doch nicht kränken wollen, Herr Skule, oder habe ich es dennoch getan? Sind Sie mir etwa böse?»

«Um Himmels willen, auch das noch!» schrie er erregt.

Da sprang ich auf und war nun meinerseits recht schroff: «Gut. Ich gehe.»

Wieder griff er nach meinen Händen, preßte sie an sich, daß sie mich schmerzten, stieß mich von sich:

«Ja, gehen Sie nur, ich bitte Sie dringend darum. Ich muß allein sein.»

«Adieu, Herr Skule.»

«Wann kommen Sie wieder?»

«Niemals! Sie können vollständig beruhigt sein.»

«Beruhigt soll ich sein! Aber das ist ja zum Verrücktwerden. Bleiben Sie doch, ich flehe Sie an. . . Nein, gehen Sie nur. Es ist besser, wenn Sie gehen, aber wollen Sie mir nicht wenigstens die Hand zum Abschied geben?»

«Die habe ich Ihnen zur Genüge angeboten.»

Ich stand an der Tür, aber Herr Skule kam mit auffallend sicheren Schritten zur Tür geeilt und versperrte mir den Weg. Er sprach unheimlich leise: «So, die Hand haben Sie mir angeboten. Und wie ist es mit Ihrem Mund?»

«Den kann ich schließen, Herr Skule:»

«Das kann ich auch, Helga.»

«Lassen Sie mich gehen.»

«So, und da soll ich an Ihre Liebe glauben, wenn Sie mir nicht einmal einen Kuß geben können? Nun, Sie hätten mich ja schön belogen, wenn. . . nun ja.»

«Hier ist mein Mund. Bitte. Ich kann nicht lügen.»

Ich hielt mein Gesicht ganz nahe dem seinen. Dann ließ ich mich in den Arm nehmen und schloß die Augen.

«Ich bin nicht so blind, wie Sie meinen, kleines Mädchen, und ich sehe viel weiter, als Sie ahnen können.» Und dann küßte er mich lange, aber ganz leise und zart. Es war der erste Kuß, den ich empfing.

Zu unerfahren war ich, um seine Ablehnung zu begreifen. Fünf Jahre später begegneten wir einander in einer andern Stadt. Er war in Begleitung eines Freundes, der ihn führte. Dieser Freund nun machte mir in etwas auffälliger Weise den Hof, worüber. Herr Skule so wütend wurde, daß er seinem Führer eine Ohrfeige geben wollte, was ich noch rechtzeitig verhindern konnte. Die beiden Freunde gingen im Streit auseinander, und ich war schon aus diesem Grunde genötigt, mich um Skule anzunehmen. Wir blieben, bis ich den Freund wieder ausgesöhnt und über das bedauerliche Vorkommnis genügend aufgeklärt hatte, eine volle Woche beisammen. Als wir wieder auseinandergingen, klagte er in rührender Weise: «Ach, Helga, jetzt wär’s an der Zeit, daß wir einander heirateten.» Diesmal aber konnte ich nicht «Ja» sagen, doch blieben wir einander gute Freunde.

Daß ich Skule mir einmal zum Manne wünschte, geschah vielleicht aus einer unbewußten Gefälligkeit meiner Mutter gegenüber. Allerdings bezweifle ich, ob sie von einer Verbindung mit einem blinden Manne, der doch dazu in dürftigen Verhältnissen lebte, entzückt gewesen wäre.

Weil Skule mich nicht zur Frau wollte, hielt ich nicht viel von meiner weiblichen Anziehungskraft auf Männer. Das war indessen ein Trugschluß, wie sich sehr bald herausstellte.

Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau

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