Читать книгу Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau - Emmy Ball-Hennings - Страница 9
Der retuschierte Bürgermeister
ОглавлениеVielleicht weil ich selbst in bescheidenen Verhältnissen lebte und aufgewachsen war, hatte ich einen besonders stark ausgeprägten Sinn für die Verlegenheiten und Nöte meiner Umgebung. Wohl jeder Mensch neigt dazu, dem Nächsten Gefälligkeiten zu erweisen, wo es gerade nötig ist. Bei mir jedoch führte diese Eigenschaft, die, an sich betrachtet, eine Zierde des menschlichen Wesens ist, zu ganz wunderlichen Übertreibungen. So kam zum Beispiel eines Tages der Bürgermeister der Stadt in unser Atelier, schon ein älterer Mann mit großen, scharfen Gesichtszügen und, was wahrlich nicht zu übersehen war, mit einer beträchtlich großen Warze am linken Nasenflügel. Der Herr Bürgermeister sollte nun zu einem bevorstehenden Dienstjubiläum photographiert werden. Bei der Aufnahme durfte ich assistieren, das heißt, einen Tisch oder einen Stuhl herbeiholen, einen Hintergrund zur Aufnahme beschaffen, meinem Chef die Kassetten mit den Platten reichen und dergleichen.
Der Herr Bürgermeister hatte seinen Spaß an meiner Dienstbeflissenheit und sagte nebenbei in scherzendem Ton: «Ich hoffe, daß Sie mein Bild recht schön machen, ich hab’s ein bißchen nötig. Das Bild soll in der Zeitung erscheinen, und man muß doch repräsentieren.»
Daß das Bild des Bürgermeisters in die Zeitung kommen sollte, das hatte bereits etwas außerordentlich Verlockendes, und es stand gleich bei mir fest, daß ich und niemand anders die Platte retuschieren müsse. Gleichsam eine Arbeit von mir öffentlich abgedruckt zu sehen, schwarz auf weiß, was man stolz überall herumzeigen konnte, o ja, das war etwas für mich. Ich mag nur sagen, daß der Bürgermeister nach meiner Retusche sein eigenes Bild nicht wieder erkannte. In meiner Zuvorkommenheit, ihn möglichst «schön» zu machen, hatte ich alle interessanten Merkmale seines Gesichtes, Falten, Doppelkinn, Warze, aufs säuberlichste vertuscht.
Ich mußte eigens zum Bürgermeister, um diesen vielbeschäftigten Mann nochmals zur Aufnahme zu bewegen. Mit verweintem Gesicht kam ich bei ihm an und klagte ihm mein Mißgeschick. Ein Glück, daß dieser liebe Herr Sinn für Humor hatte.
Er sah sich das Bild lachend an: «Na, ein Adonis ist ja ein Waisenkind dagegen. Dafür muß ich Ihnen eine ganz feine Tafel Schokolade offerieren. Oder essen Sie vielleicht keine Schokolade?»
Sogar sehr gerne. O, das war noch ein Vater unserer Stadt! Ich war des Dankes voll, als er mir versprach, nochmals zur Aufnahme zu kommen unter der Bedingung, daß ich meine gefälligen Hände von der Platte lassen wolle.