Читать книгу Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau - Emmy Ball-Hennings - Страница 8
Es wird um den Glasbläser Mommsen geworben und was das mit sich bringt
ОглавлениеMan möge nicht meinen, daß meine Werbung um Skule ein Einzelfall geblieben ist. Nur Beharrlichkeit führt zum Ziele, aber auch nicht immer. Als Eheopfer hatte ich mir diesmal den Glashüttenarbeiter Mommsen ausgesucht, der sechs verlauste und zerzauste Kinder sein eigen nannte und sonst nicht viel. Seine Frau war ihm durchgebrannt, und ich hielt, es für das Gegebene, mich um den freigewordenen Posten zu bemühen.
Es fiel mir bedeutend leichter als bei Skule, auch ging ich auf eine Weise vorsichtiger zu Werke. Mommsen war ein Nachbar von uns, und von ihm empfangen zu werden, bedurfte es weder Einführung noch vorheriger Anmeldung. Da brauchte ich nur in der Abendstunde um die Ecke zu biegen, Vereinsstraße, das zweite Haus gleich links, und ich hatte meinen Mann vor mir, in Lebensgröße und inmitten seiner Kinderschar, die allerdings während unserer Unterredung weggeschickt wurde.
In der verwahrlosten Wohnung sah ich auf den ersten Blick, daß sich mir hier ein lohnendes Tätigkeitsfeld bieten würde. Es konnte sich um eine Vernunftehe handeln. Daß Mommsen gleich zu Anfang die vielen Kinder hatte, das war ja ein Glücksfall, mit dem ich in meinen kühnsten Träumen nie würde gerechnet haben. Was konnte es Dankbareres geben als Stiefmutter werden?
Wir sprachen langsam das schwerfällige Niederdeutsch miteinander. Was brauchte ich überhaupt noch hochdeutsch zu sprechen? Schauspielerin wurde ich jetzt nicht mehr. Das heißt, ganz genau wissen konnte man es nicht. Hier bei Mommsen gab es vielleicht unmögliche Möglichkeiten.
Mommsen war alles andere als blind. Er hatte große, fast zu große schwarze Augen, die ringsum sehr dunkel beschattet waren, das kam vielleicht vom Rauch des Feuers beim Flaschenschwingen. Er sah, wie fast alle Glasbläser, die es leicht auf der Lunge bekamen, etwas hager und leidend im Gesichte aus. Ein einfacher, netter Arbeiter, den man zunächst diskret bemitleiden mußte, daß er eine so zerstreute Frau hatte, die von sechs Kindern weg das Weite suchte, in der Welt spazierenfuhr und das Heimkommen offenbar vergaß.
Ja, es sei eine Schande, murrte Mommsen verdrießlich. Schande, das sei vielleicht zuviel gesagt, Frau Mommsen hätte ihm doch wenigstens die Kinder dagelassen. Also konnte sie doch wohl nicht ganz und gar ein verkommenes Geschöpf sein.
Mommsen starrte mich an, als wäre ich eine Erscheinung aus einer anderen Welt.
Was er dann mit den Kindern machen solle, schrie er erregt und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die unabgeräumten Teller nur so klirrten.
«Man immer sachte. Bliewen Se mal sühnig. Ja?»
Energisch, wie es sich für eine künftige Mutter von sechs Kindern gehörte, legte ich über den Tisch hinweg meine Hand fest auf seine geballte Faust, um mir Ruhe zu verschaffen.
«Nu seggen mal blots, wat wöll’n Se denn von mi? Wat schall ik maken ohne Fru?»
«Aver Mommsen, kieken Se mi an. Bin ik viellicht en Katt? Bin ik nich ok ne Fru? Ik kann et warn, verlaten Se sek darup. Ich blieb hier un holl den Krom für Se uprecht.»
«Aver Fröken, nix för ungod. Sind Se nich doch en beten appeldwatsch?»
«Wenn Se dat meenen, laat wi de Sak unnerwegs.»
«Ik wull Se nich too neeg kaam. Da nu ok nich. Möten Se sek denn verännern? Wat is blots los mit Se? Viellicht möten Se sek verännern und denken nu, ik bin de Richtige für Se.»
«Dat sünd Se ok.»
Nach und nach kam ihm mein Vorschlag nicht so uneben vor, zumal ich mich damit begnügen wollte, bei ihm Haushälterin auf Lebenszeit zu werden. Das war immerhin etwas, wenn auch nicht das Ganze.
Was mich zu solchen Unternehmungen trieb? Ich trug ein starkes Verlangen, mich zu verpflichten, an einer verantwortungsvollen Stelle mich für immer zu binden. Hätte ich vom Wesen der Liebe zwischen Mann und Frau etwas verstanden, wäre es mir wohl kaum eingefallen, mich ohne weiteres einem Manne anzubieten. Die Liebe hielt ich für eine Sache des Willens. Eine Ehe schließen war eine Angelegenheit der Vernunft. Man heiratete aus Mitleid. oder aus sonst einem praktischen Grund. Ich sah die Ehe daraufhin an, wie groß das Wirkungsfeld war, das sich mir bieten würde, und insofern hatte ich recht, wenn ich mir Mommsen aussuchte.
Er indessen hegte nur ein Bedenken, und dies war mehr eine Hoffnung als eine Sorge: seine Frau könne zurückkommen. Das wäre ihm, trotz seines großen Ärgers über ihr Davonlaufen, nur recht gewesen. Es war die Mutter seiner Kinder, die er zurückwünschte. Daß die Kinder eine Mutter brauchten, verstand ich gut. Meine eigene Mutter hatte einen Witwer mit einem Kind geheiratet, und ich wünschte es ähnlich zu machen wie sie.
Nun begann ich abends nach Geschäftsschluß zu Mommsen hinüberzugehen, um ein bißchen Ordnung in seinem Haushalt zu machen, was wirklich dringend nötig war. Meine Mutter hatte gegen diese kleine Gefälligkeit, die ich dem verlassenen Manne und den Kindern erwies, nichts einzuwenden. Vielmehr freute sie sich über meine Hilfsbereitschaft, mehr noch, sie unterstützte mich darin. Sie half sogar persönlich die Wäsche von Mommsen in Ordnung bringen, flickte die Hemden für den Mann und für die Kinder. Sie besorgte eine Salbe gegen das Ungeziefer im Haar der Kinder, denen wir gemeinsam bei uns in der Küche die Haare wuschen und die wir ein wenig pflegten. Es war dies eine wunderschöne Zeit, die ich mit Mutter zusammen verbrachte. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß Mommsen sich nicht nur mit mir, sondern auch mit meiner Mutter sehr gut stand. Er war uns beiden in rührender Dankbarkeit ergeben. Ich erinnere mich nur, daß er uns eines Tages ein reizendes Geschenk machte. Mein seliger Vater, der Seemann, der in seinen Freistunden kleine Schiffe baute, hatte ein allerliebstes Schifflein hinterlassen, das am Bug sogar mit einer winzigen Gallione verziert war, ein Figürchen, das Vater selbst geschnitzt hatte. Das zierliche Takelzeug war ganz richtig angebracht, und die kleinen Segel hatte ich selbst als Kind einmal umsäumt. Ja, und dieses hübsche Andenken hatte Mommsen in ein meergrünes Glas gebracht, in eine Flasche, die er uns, umwunden mit einem farbigen Seidenband, ins Haus brachte. O wie sehr begann ich den Glasbläser Mommsen zu lieben!
Dieses feine Geschenk enthüllte mir das vornehme Herz dieses einfachen Mannes. Dürfte ich ihn nur mein ganzes Leben lang lieben und noch weit darüber hinaus bis in eine weiße Ewigkeit hinein. Aber wir mußten ja auf Frau Mommsen warten.
Frau Mommsen war weit vom Schuß. Sie schrieb und schrieb nicht. War das wirklich so beklagenswert für Mommsen? Wie lange wollte er auf die Frau warten? Zwei Monate noch oder zwei Jahre? Die unwiederbringliche Zeit ging dahin, und es geschah nichts. Die Geschichte mit Mommsen und mir kam und kam nicht ins Lot. Jetzt war ich bald achtzehn Jahre alt und immer noch nicht verheiratet. Nun gab es zwar bei uns viele Mädchen, die erst mit fünfundzwanzig, ja erst mit dreißig Jahren sich verehelichten. Aber eines schickt sich nicht für alle, und mir war, als müßte ich etwas rascher leben als andere Sterbliche, sozusagen mit offenen Segeln. Immer noch befand ich mich im Hafen, und dabei reizte mich eine Küstenfahrt nicht sonderlich. Man mußte das Land aus den Augen verlieren, nur Wasser und Himmel sehen, um in ein unbekanntes zu gleiten. Solche Vorstellungen waren herrlich, doch konnte ich das Leben nicht nur durch Träume berühren.
Ich stellte mir die Zukunft in einer kinderreichen Familie, und dies gewiß nicht zu Unrecht, nicht nur höchst anregend, sondern abenteuerlich vor. Und so ist es in der Tat. Innerhalb des Familienkreises läßt sich alles das erleben an Schönem und Gefährlichem, was der Mensch losgelöst und einsam unter ungünstigen Umständen in der Fremde vergeblich sucht. Es kommt darauf an, wie stark und ob ein Mensch überhaupt erleben kann. Irgendwie erlebt man ja überall nur das, was man erleben will, und nichts anderes.
Doch zurückzukehren zu meiner Geschichte. Frau Mommsen tat ihr Möglichstes, indem sie monatelang nichts von sich hören ließ, und mehr konnte man von ihr nicht verlangen. Sie stand dem Glück ihres Mannes und dem meinen nicht im mindesten im Wege. Während ich dieses Verhalten zu schätzen wußte, war Mommsen leider weit davon entfernt, sich über die Abwesenheit seiner Frau zu freuen. Vielmehr wurde er von Tag zu Tag kopfhängerischer, was doch beinahe eine Kränkung für mich war. Die Herzen der Kinder eroberte ich sofort, da ich selbst Kind genug war, um an freien Sonntagen lustig mit ihnen zu spielen. Wie sehr gefiel es mir, die Kinder am Sonntagmorgen nett anzukleiden, eines nach dem andern, ihnen zu essen zu geben, kurzum mich als Ersatzmütterchen zu fühlen. Das war reizend, und dieser kleine Posten als Fürsorgerin hätte mir genügen dürfen, aber ich wollte «höher» hinaus, ich wollte nicht nur die Kinder, ich wollte den Mann dazu, und zwar den ganzen Mann. Der aber neigte offenbar zur Schwermut, dachte an eine andere, die nicht kam. Und sowas konnte ich nicht brauchen. Oder konnte ich es vielleicht doch brauchen? Wenn ich da war, war ich da und keine andere. Konnte man sich vielleicht an einen Mann mit einem ewigen Liebeskummer gewöhnen? Ich besorgte, dies könne mir auf die Dauer langweilig werden. Wenn ich zum Beispiel den Glasbläser heiratete und er fortwährend einer anderen Frau nachweinen würde, dann konnte es doch leicht vorkommen, daß ich mich in einen andern Mann verliebte, und wenn ich es dann genau so machte wie die erste Frau Mommsen, dann fing das Drama am Ende wieder von vorne an. Man wird einsehen, daß es hier mancherlei für mich zu überlegen gab. So vollends blind konnte man weder ins Glück noch ins Unglück rennen.
Mommsen mochte mich ja sehr gern, aber er war doch noch nicht richtig bei mir auf den Geschmack gekommen. Nun ja, er hatte sechs Kinder von der anderen Frau, ein Umstand, der nicht unterschätzt werden durfte. Sechs Kinder, nun ja, das war etwas Schönes, aber mit solchen Leistungen konnte doch vielleicht auch ich imponieren. Warum denn nicht?
Schön war es, Kinder zu haben und Kinder zu bekommen, möglichst viele. Es war ja das erste Gebot des lieben Gottes: seid fruchtbar und mehret euch. Erfüllet die Erde und machet sie euch untertan. O ja, ich war bereit, die Erde zu erfüllen. Nur mit Mommsen haperte es, doch war ich schließlich nicht dazu da, jemanden mit Gewalt ins Paradies zu treiben. Nein, das nun auch nicht. Es kam auch nicht soweit.
Eines schönen Tages schrieb Frau Mommsen. Das war also die richtige Frau Mommsen, die sage und schreibe in Gumbinnen gelandet und gestrandet war. Sie verlangte, der Mann solle die Kleider schicken, zurückkommen könne sie nicht, aber im übrigen hoffe sie, daß es ihm und den Kindern wohlergehe, und so halt. Jetzt mußte der Wendepunkt kommen. Ich fragte Mommsen diskret, ob ich die Kleider einpacken solle. Nein, danke, noch nicht. Frau Mommsen konnte doch nicht ohne Kleider bleiben, die arme Frau Mommsen. Sie war beinahe zu bedauern. Aber schließlich, wenn sie mit aller Macht in Gumbinnen bleiben wollte, blieb sie dort wohl auch ohne Kleider. Sie hatte in Gumbinnen einen andern gefunden, und Liebe verpflichtete wahrscheinlich zu manchem. Da mußte man zur Not auf Blusen und Röcke, auf Hut und Wäsche verzichten. Wenn man gehörig liebte, war das alles egal, wie man daherkam. Dein die Tage, dein die Nächte, hier Haut und Haar und Bein, und über alles andere mußte Frau Mommsen einen kühnen Strich schlagen. Eine forsche Person, eine interessante Frau, die da in Gumbinnen, schon beinahe im Ausland, saß und so schlankweg auf Mann und sechs Kinder verzichten konnte um eines einzelnen willen.
Also die Kleider bekam sie nicht. Da konnte sie alt werden, wenn sie auf die Kleider warten wollte. Mommsen hatte keine Lust, auch noch dazu beizutragen, damit seine Frau einem andern besser gefiel. Wie begreiflich mir das war. Und doch, sie tat mir auch wiederum leid, die flüchtige Frau Mommsen, die sich offenbar nicht gut gesetzt hatte, in Gumbinnen. Ich war drauf und dran, ihr mein zweithübschestes blaues Kattunkleid zu schicken, heimlich, denn Liebende mußte man unterstützen, wo immer man sie antraf. Das war klar. Obzwar ich selbst nicht den blassesten Schimmer von der Liebe hatte, war ich dennoch insofern Anfängerin, da ich die Liebe liebte, die kein flüchtiges Spiel war, sondern etwas Allmächtiges, etwas für immer.
Der trübe Mommsen begann zu weinen, weil die Frau wiederkam. Dabei hatte er voller Verachtung von ihr gesprochen. Was war das nur? Wie ging das zusammen? Lieben und schimpfen, das paßte doch nicht recht. Doch, ich kam dahinter, daß es gut zusammen ging. Man konnte lieben, was man verachtete. Verrückt genug, aber es stimmte. Diese Einsicht veränderte schlagartig mein Verhalten.
Seht, da saß der arme Kerl, zog allabendlich den zerknüllten Brief aus der Tasche hervor, gab ihn mir zur Beurteilung wohl an die zehnmal zum Lesen. Was aber drin stand, das war und blieb eindeutig. Frau Mommsen war bei einem andern Mann gelandet und wollte nicht zurück. Mommsen weinte, er weinte buchstäblich. Da begannen auch die Kinder zu weinen. War das ein Zustand! Soviel Elend war nicht ruhig mitanzusehen. Es war klar, daß hier etwas geschehen mußte.
Ich ging also nach Hause, schrieb an Frau Mommsen, wie das alles hier stünde. Die Schilderung der weinenden Familie nahm wenigstens vier engbeschriebene Bogen in Anspruch. Bann kramte ich sämtliche Lebenserfahrungen vor, von denen ich je gehört und gelesen hatte. Ich sprach der Frau ins Gewissen, wie es kein Pastor hätte besser machen können. Nebenbei, und so manchmal zwischenhinein, drohte ich leise aber unheimlich mit der Konkurrenz, mit der sie zu rechnen habe, wobei ich noch hinzufügte, daß es doch himmeltraurig wäre, wenn die Kinder eine vielleicht schlechte Stiefmutter bekommen würden. Mir war, als könne der Brief nicht lang genug werden, und ich war nach dieser Leistung recht erschöpft. Ich las nochmals das Geschriebene durch, strich das mit der Rivalin weg, und war im übrigen zufrieden. Ich war völlig davon überzeugt, daß der Brief seine Wirkung nicht verfehlen würde, fügte nur noch am Rande mit großen Buchstaben, unterstrichen und mit drei Ausrufungszeichen versehen, hinzu: «Ich will kein Wort umsonst geschrieben haben.» Basta. Bann ging der Brief, eingeschrieben und mit Doppelporto versehen, nach Gumbinnen ab.
Keine acht Tage später kam Frau Mommsen deund wehmütig angerückt, aber sie brauchte, so denke ich, ihren Mann nicht lange um Verzeihung zu bitten. Er war glücklich, sie wieder zu haben, und ich mußte verzichten.
Es blieb selbstverständlich nicht ganz aus, daß ich die nähere Bekanntschaft mit Frau Mommsen machte. Mit begreiflicher Verlegenheit dankte sie mir, daß ich in ihrer Abwesenheit so hilfsbereit nach Mann und Kindern gesehen hätte.
O, das gehörte sich ja unter Nachbarn, sei nicht der Erwähnung wert.
«O doch», sagte sie. Sie sah mich errötend und leicht lächelnd ein wenig von der Seite an.
Nach diesem schlief mein Verkehr mit der Familie Mommsen ein bißchen ein.