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Ich hatte grade zum ersten Mal Urlaub, als ich mich entschied, mir einen Hausarzt zu suchen. Erst vor wenigen Wochen hatte ich eine neue Ausbildung begonnen, war zu diesem Zweck in eine andere Stadt gezogen.Ich war dabei, mich zum Elektroniker ausbilden zu lassen. Der Beruf war zwar nicht sonderlich gut bezahlt, aber Technik faszinierte mich schon immer. Zudem arbeitete ich in der Industrie, da stimmte das Geld halbwegs.

Schon kurz nach Beginn stellte sich eine hartnäckige Erkältung bei mir ein, die ich einfach nicht losgeworden bin. Obwohl es mir phasenweise alles andere als gut ging und mein Husten so manchem Kollegen einen Schrecken einjagte, habe ich die Erkältung zuvor wochenlang verschleppt und bin erst viel später zum Arzt. Man kennt das ja, man fängt irgendwo neu an und will nicht sofort negativ auffallen, deshalb nimmt man schon mal gesundheitliche Risiken in Kauf.

Ich war an diesem Tag schon früh aufgestanden, um mich in die Praxis von Dr. Ulbrich – so lautete der Name meines zukünftigen Hausarztes – zu begeben. Ich hasste es zu Warten und wäre an diesem Tag gern der erste Patient des Doktors gewesen. Leider ging dieser Plan nicht so ganz auf, denn ich teilte die Idee offenbar mit einer ganzen Reihe von Leuten, deren Wecker wohl noch eher klingelte.

Mit Beginn der Sprechstunde war nahezu jeder Stuhl im Wartezimmer besetzt. Doch Dr. Ulbrich behandelte Patienten im Akkord, sodass jeder das Behandlungszimmer recht schnell wieder verließ.

»Herr Kellner, bitte in Zimmer zwei!«, tönte es dann aus der Sprechanlage, die über der Tür hing. Ich stand auf und verließ das Wartezimmer.

»Einfach geradeaus und dann die vorletzte Tür!«, ich wandte meinen Blick kurz zu meiner Linken und begegnete der Sprechstundenhilfe mit einem dezenten Lächeln. Genau danach hätte ich sie im nächsten Augenblick gefragt: Nach dem Weg, aber sie war mir zuvorgekommen.

»Danke!«, antwortete ich nach einer kurzen Pause. Ich folgte dem Flur entlang bis zur vorletzten Tür. In dem Moment, als ich die Klinke fassen wollte, wurde die Tür von innen geöffnet und eine Schwester trat hervor. Sie musste trotz meiner eher durchschnittlichen Größe zu mir aufschauen. Hinter ihren schmalen Brillengläsern, deren Gestell sich farblich gut mit ihren nussbraunen Augen ergänzte, zogen sich Falten durch ihre Augenpartie. Keine Schande, denn sie hatte sicher längst die Fünfzig hinter sich gelassen. Ihr Blick verriet mir, dass sie mich niemandem zuordnen konnte.

»Sind Sie Herr Kellner?«, erkundigte sie sich.

»Ja, der bin ich!«, entgegnete ich direkt.

»Gut, dann nehmen Sie kurz Platz. Der Doktor kommt gleich«, sagte sie, während sie mir mit der einen Hand die Tür aufhielt und mit ihrem noch freien Arm zu verstehen gab, ich solle mich auf den Stuhl links neben einem großen Schreibtisch setzen. Ich stand noch kurz in der Tür und warf einen Blick in das recht kleine Behandlungszimmer, ehe ich eine Weile allein im Raum saß. Hinter mir befand sich eine weitere Tür, die sich nach einigen Minuten auftat.

Ein groß gewachsener, schmaler Mann, in weißer Jeans und Kittel gekleidet, trat hervor. Er hatte ein hageres Gesicht, dessen Ausdruck ihn müde und gestresst wirken ließ. Neben zwei Brillengläsern, vermutlich Kassengestell, wurde es von einem graubraunen Dreitagebart dekoriert, der ihm mäßig schmeichelte. Sein überwiegend braunes Haar war kurz geschnitten und von der Stirn an nach hinten gekämmt. Es war ebenfalls leicht meliert. Nachdem er die Tür hinter sich etwas unsanft schloss, trat er an mich heran, gab mir die Hand und sprach:

»Hallo, mein Name ist Dr. Ulbrich. Wie kann ich Ihnen helfen?« Unvorsichtig … Mir einfach so die Hand zu geben, wollte er sich bei mir und meinem Infekt anstecken? Er und sein Auftreten erschienen mir schon jetzt ein wenig suspekt.

Er ging um mich herum zu seinem Bürostuhl und setzte sich, dann starrte er mich verdutzt an. Natürlich, ich hatte ihm noch keinerlei Antwort gegeben, da ich gedanklich noch bei seiner Begrüßung hing. Mit einem leicht verwirrten Kopfschütteln riss ich mich davon los und bat ihn, seine Frage noch einmal zu wiederholen.

»Ich habe Sie gefragt, was ich für Sie tun kann«, antwortete er. Ein dezentes Grinsen konnte er sich wohl nicht so recht verkneifen.

»Ach so, natürlich!«, ich sammelte mich, dann fuhr ich fort:

»Ich habe seit einigen Wochen eine Erkältung, die ich einfach nicht loswerde.«

»Welche Beschwerden haben Sie denn?«

»Na ja, anfangs hatte ich vor allem Kopf- und Halsschmerzen, dazu einen Schnupfen und einen ziemlichen Husten. Den Kopf merke ich nicht mehr so, aber den Hals jeden Morgen. Dazu der Husten, der ist eigentlich am schlimmsten …«

Ich könnte jetzt den kompletten Arztbesuch aufrollen, aber ich schätze, dass genügt. Jeder war schon mal beim Arzt. Mein allererstes Zusammentreffen mit Dr. Ulbrich war überhaupt nichts Außergewöhnliches. Er horchte mich ab, dann zwang er mich unter Verwendung eines dieser Holzstäbchen »Ahh« zu sagen, damit er mir den Rachen ausleuchten konnte. Mein Fall schien der normalste der Welt zu sein. Am Schluss verschrieb er mir ein Antibiotikum, weil ich den Husten schon so lange mit mir herumtrug. Sieben Tage lang nahm ich jeden Tag eine Tablette. Es half, eine Zeitlang. Damals dachte ich, damit wäre alles erledigt. War es aber nicht.

Warum sollte es anders sein?

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