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ERSTES KAPITEL

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Anfang nach einem traurigen Ende

Leiser Wind fächelte die Palmen der Insel. Die Sonne begann ihre Wanderung über einen tiefblauen südlichen Himmel. Unendlich weit breitete sich das Meer. In der Bucht lag es glatt wie ein Spiegel.

Das Wrack hinter dem weißen Schaumstreifen der Brandung schien eine hässliche Erinnerung zu sein, wie der Streifen geknickter Palmen, der die Richtung anzeigte, den die äußeren Ausläufer des Orkans genommen hatten.

Der einsame Mann betrachtete kritisch den Verband um seine Wade. Prüfend tat er einige Schritte und fluchte leise. Der Schmerz zwang ihn, leicht zu lahmen. Aus einem Haufen Treibholz suchte er sich einen passenden Stecken. Dann pfiff er dem Hund.

"Komm, Prinz, mal sehen, ob wir jemand finden."

Der Hund winselte, als habe er verstanden. Er lief dem Hinkenden zu stürmisch. Sein unruhiges Gebaren zeigte, dass er etwas gewittert haben musste. Als sie, immer dem Strand folgend, eine Bodenerhöhung hinaufstiegen, riss sich Prinz los und stürmte davon. Er verschwand hinter der Anhöhe, und von dort ertönte freudiges Gejaule. Der Mann schlug eine raschere Gangart an und musste darüber lächeln, wie wenig ihn die Wunde jetzt behinderte, da er erregt war. Als er oben ankam, bot sich ihm ein eigenartiges Bild. Einige Leute waren damit beschäftigt, sich gegenseitig Pflaster aufzulegen. Im Augenblick war die Aufmerksamkeit aller vom Hund in Anspruch genommen.

"Prinz! Da bist du ja! Haben dich die Haie nicht gefressen?" Eine junge Dame schlang beide Arme um den Hals des Hundes und gab ihn auch dann nicht frei, als er aufgeregt zum nächsten springen wollte.

"Rätselhaft", der korpulente Herr, der sich eine Schramme am Unterarm behandeln ließ, wunderte sich, "wie mag Prinz hierhergekommen sein?"

"Mit mir, wenn's recht ist, bitte!" rief von oben der so plötzlich Aufgetauchte. Mit wenigen Schritten stand er in der Mitte des Lagerplatzes.

"Sundström ist mein Name, Knut Sundström." Belustigt über die offenen Münder und erstaunten Augen, setzte er hinzu: "Ein bisschen überraschend mein Auftritt, aber das gehört wohl hier zur Landschaft. Dessen ungeachtet geben Sie bitte Prinz endlich frei, Miss Ellen, sonst wäre ich gezwungen, ihn das zweite Mal zu retten."

"Sagen Sie mal, junger Mann, wollen Sie uns nicht sagen, wer Sie sind und wo Sie herkommen?", rügte der Korpulente.

"Bitte nicht junger Mann, Mister Knatchbull, das klingt so - überheblich."

"Wollen Sie sich lustig über uns machen?"

"Nicht im geringsten. Aber einen Bärenhunger hab' ich. Ich muss unbedingt etwas Essbares auftreiben. Deshalb bis nachher, dann werde ich Ihnen alles erklären!" Sundström hinkte wieder nach oben. Dort stieß er einen gellenden Pfiff aus. "Komm, Prinz, wir gehen gemeinsam auf die Jagd!" Er winkte dem Hund, als sei er seit Menschengedenken dessen Herr.

"Prinz, hierher!" Mister Knatchbull stampfte mit dem Fuß auf.

"Prinz wird Ihnen die letzte Nacht nicht so schnell vergessen. Und mir nicht, dass ich an ihn dachte."

Sundström schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Tatsächlich kam die Dogge dem Befehl Knatchbulls nicht nach. Sie drückte sich winselnd, den Bauch am Erdboden, immer weiter von ihm fort. Sundström wiederholte den Pfiff, dann waren Mann und Hund hinter dem Hügel verschwunden.

Außer dem Matrosen Pete Hawk, der sich in stummer Augensprache mit dem Freund Sundström verständigt hatte, erging sich die Gesellschaft in erstaunten Äußerungen über den überraschenden Besuch.

Knatchbull schimpfte:

"Dieser Bursche wird Zwiespalt unter uns säen." Er hütete sich, hinzuzusetzen: Und einen nach dem andern auf seine Seite ziehen.

"Du misst den burschikosen Reden dieses jungen Menschen zu viel Bedeutung bei, Phil, Ich finde, er ist ein ganz herzhafter Bursche. Wenn er nur nicht so furchtbar laut und schrill pfeifen würde." Mit diesen Worten charakterisierte Joan Knatchbull, die Gattin, mehr sich selbst als den, über den sie sprach.

"Wer weiß, warum uns Gott diesen Mann gesandt hat. Wahrscheinlich sollen wir uns an seinen Ecken abschleifen oder …"

"Tu mir den Gefallen, Lionel, und lass den lieben Gott aus dem Spiel." Knatchbull sagte es ziemlich grob. Als er Lionel Strongs, des Reverend, bekümmerte Miene gewahrte, setzte er hinzu: "Nichts für ungut; aber du weißt, dass wir nie Freunde geworden wären, wenn ich dich als Frömmler kennengelernt hätte."

"Trotzdem tust du Lionel Unrecht, Pap." Ellen Knatchbull konnte es sich erlauben, ihrem Vater das zu sagen, was den andern schwer oder gar nicht über die Zunge ging.

Ihre Mutter versuchte wie meist zu vermitteln, ohne dabei ihren Standpunkt aufzugeben. "Selbstverständlich hat Papa recht, Ellen. Sundström ist ein bisschen sehr salopp, aber das wird sich schon im Verkehr mit uns geben. Phil, bemühst du dich bitte um eine weniger feindselige Haltung?"

"Vielleicht sage ich Danke schön für seine Frechheiten?"

"Mister Knatchbull hat recht. Man muss Flegeleien energisch entgegentreten." Dass Maud Downburn für Knatchbull Partei ergriff, wurde von den anderen als selbstverständlich hingenommen. Es war ihr zur zweiten Natur geworden. Knatchbull war der erfolgreiche Mann. Man brauchte beispielsweise nur sein Einkommen gegen die Pension ihres Gatten Malcolm Downburn zu halten. Das Erfreulichste, das Colm bisher im Leben erreicht hatte, war die Freundschaft mit Knatchbull, dem Präsidenten der "United Steel and Iron Company" und Aufsichtsratsmitglied in einigen anderen, ebenfalls nicht kleinen Unternehmen. Diese Freundschaft hatte ihnen auch die mehrmonatige Ferien-Weltreise eingebracht, gegen keine andere Gegenleistung als die, Knatchbull Gesellschaft zu leisten. Dass man dabei in die augenblicklich nicht beneidenswerte Lage gekommen war, dafür konnte man auf keinen Fall Knatchbull verantwortlich machen. So jedenfalls dachte Maud Downburn.

"Das Auftreten dieses Mr. Sundström ist umso herausfordernder, als es sich um einen blinden Passagier des 'Delphin' handeln muss. Ich habe den Verdacht, der ehrenwerte Herr Pete Hawk ist daran nicht unbeteiligt. Wollen Sie uns nicht aufklären, Herr Hawk?" In Knatchbulls Worten war Genugtuung.

Doch Hawk war verschwunden.

"Robert", Knatchbull wandte sich an seinen Butler Emerson, der auf der Jacht als Steward und Kammerdiener fungiert hatte, "wussten Sie von der Anwesenheit Sundströms?"

"Nein, Sir. Wenn ich meine bescheidene Meinung äußern darf, so muss ich sagen, dass ich über den Ton dieses - dieses jungen Menschen erstaunt bin." Das Gesicht Emersons blieb bei diesen Worten unbeweglich.

"Interessant, dass während der Abwesenheit des Herrn Sundström so viel und dabei so wenig Gutes über ihn gesprochen wird", stellte Rose Taylor fest. Sie sagte öfter Dinge, die andere vorsichtiger ausgedrückt hätten. Sie war ja Ellens Freundin.

Sundström kam vom Hügel, Hawk folgte ihm mit Prinz. Sundström warf seine Jacke voller Para-Nüsse in die Mitte des Lagerplatzes. Hawk brachte Muscheln und legte seine Mütze voller gesprenkelter Vogeleier dazu.

"Bitte, meine Herrschaften, bedienen Sie sich." Sundström machte eine einladende Geste. Geschickt öffnete er die Früchte mit einem scharfen Stein und begann munter zu kauen. Dabei legte er geöffnete Nüsse auf mehrere große Blätter. Alle, außer Pete Hawk, taten, als seien sie satt.

Nachdem Sundström sich an einigen Eiern gütlich getan hatte, begann er mit der versprochenen Erklärung. "Ich bin ein Meter zweiundachtzig groß, wiege hundertundsechzig Pfund und werde neunundzwanzig Jahre alt. Geboren im Staate Maine, also USA-Bürger. Vater Däne, Mutter Deutsche. Ich habe mehrere Colleges absolviert und vor sechs Jahren meinen Ingenieur gemacht. Bald spezialisierte ich mich auf die Taucherei, zuletzt auf Tieftauchen mit Panzeranzug - zusammen mit einem Freund, einem Arzt und Chemiker. Wir erreichten ganz ansehnliche Resultate. Radioreportagen aus achtzig Meter Seetiefe und Ähnliches. Immer auf der Jagd nach Aufträgen. Das zermürbt mehr als Jagd auf Seeungeheuer. - Nun kabelt uns da vor drei Monaten ein Kaffeepflanzer aus Brasilien. Seine Luxusjacht sei abgesackt, wir sollten die Kostbarkeiten rausholen. Wir suchen unsere letzten Dollars zusammen, und ich fliege von San Francisco direkt nach Rio. Komme gerade noch zurecht, eine tolle Pleite zu erleben. Der Coffeeman ist bankrott. Nicht mal einen Peso Flugspesen konnte ich ergattern. Ich war blank wie ein Tramp. Keinen Cent zum Zurückfahren. Was bleibt einem da andres übrig, als eine günstige Gelegenheit abzuwarten? - Ich habe knapp eine Woche in Rio gestreunt; wer legt da am Kai an? Ihr schmucker 'Delphin', Mister Knatchbull. Feines Schiffchen, denke ich, da kommt jemand übers Fallreep gestolpert und haut mir seine Seemannspranken auf die Schulter: Pete Hawk. Vor fünf Jahren waren wir bei der Bergung der 'Castel Dunbar' zusammen gewesen. Er war Vollmatrose, ich als Taucherbaby. Und so eine Seemannsfreundschaft, die verfliegt nicht wie Gischt vor 'ner Brise. Ich wünsche Pete Glück und sage, dass ich mir das Schmuckstück auch gern mal von innen ansehen würde. Als Sie dann alle an Land waren, hat mir Pete Hawk den Wunsch erfüllt. Dann habe ich ganz vergessen, das Fallreep wieder in entgegengesetzter Richtung zu betreten. Erstens hatte ich mich in den 'Delphin' verliebt, zweitens fuhr er meinen Kurs, und drittens hatte ich mich mit Prinz angefreundet. Da muss uns nun dieser Hurrikan in die Quere kommen, oder besser gesagt, wir ihm. Möchte bloß wissen, Mister Knatchbull, warum Sie den Umweg über diese Inselgruppe gewählt haben? Denn wenn Sie in Frisco anlegen wollten, ist das ein Umweg."

"Erstens scheinen Sie zu vergessen, dass der 'Delphin' ein Vergnügungsschiff ist und …"

"War, Mister Knatchbull, war!"

"Also gut, war .... und kein Petroleumtanker mit fester Route. Zweitens sehe ich keine Veranlassung, Sie in meine Pläne und Absichten einzuweihen, zumal Sie Ihre neugierige Nase auf durchaus nicht übliche Weise in unsere Angelegenheiten gesteckt haben. Was die Dienstverfehlung Herrn Hawks anbelangt, so darf er sich schon heute als fristlos entlassen betrachten."

Auf den Gesichtern der Zuhörenden drückte sich Unbehagen aus, nur Pete Hawk machte ein Gesicht, als belustige ihn diese Eröffnung. In den Mundwinkeln des Ingenieurs zuckte es vor Spott. "Diese fristlose Entlassung ist der bisher beste Witz auf unserem Eiland, Mister Knatchbull. Sie scheinen sich in der Hoffnung zu wiegen, dass Sie nur mit dem Taschentuch zu winken brauchen, und schon eilen die Bergungsdampfer herbei."

"Allerdings. Aber nicht in der naiven Art, wie Sie es eben zu schildern beliebten. Ich werde jetzt Wachen einteilen, die von den höchsten Punkten der Insel Zeichen an vorüberfahrende Schiffe geben."

"Ihrem Organisationstalent alle Ehre, Sir. Aber so wäre es halber Selbstmord!" Sundström wandte sich an die andern: "Was sagen Sie dazu, meine Herrschaften?"

Die Gesellschaft hatte dem Wortgefecht teils verlegen, teils mit Interesse zugehört. Das Gesicht des Butlers Emersen war undurchdringlich wie immer.

"Ich sehe nichts Falsches am Vorschlag meines Vaters. Hilfe herbeizurufen, ist doch das dringlichste." Ellen Knatchbull bemühte sich, im Gegensatz zum kampflustigen Ton der Männer, sachlich zu sprechen.

Sundström lächelte nachsichtig, "Kennen Sie die Geschichte vom Mann, der im tiefen Walde verunglückte? Er kam um, weil er seine Kraft nur mit Hilferufen verbrauchte, anstatt sich zu bemühen, in die Nähe von Menschen zu kommen."

"Ich kann mir denken, was Herr Sundström damit meint. Herr Hawk, Sie sind doch ein alter Fahrensmann. Liegt unsere Insel im Bereich von Dampferrouten?" Rose Taylor hielt es für richtig, auch den anderen Fachmann zu Wort kommen zu lassen.

Pete Hawk schmunzelte. "Ich bin zwar gekündigt, aber nicht von Ihnen, Fräulein Rose. Ihnen werde ich's verraten. Wenn hier nicht mal ein Fangschiff von den englischen, norwegischen oder russischen Walfangflotten anlegt, um Süßwasser einzunehmen, werden wir lange Zeichen geben können."

"Nicht sehr ermunternd, Herr Hawk, aber was halten Sie nun für das Richtige?" Rose Taylor war sichtlich gespannt auf die Antwort Hawks, und nicht nur sie. Doch der Seemann enttäuschte alle. Mit dem Schmunzeln, mit dem er geboren zu sein schien, wies er auf Sundström. "Lassen Sie das ihn auseinanderklamüsern."

"Das Wichtigste ist jetzt, vom 'Delphin' zu holen, was immer wir holen können. Wer weiß, wie lange er uns noch den Gefallen tut, sich auf dem Riff zu schaukeln." Sundströms Stimme klang das erste Mal ernst. Dann wandte er sich mit gewinnendem Lächeln an Knatchbull: "Vielleicht übernehmen Sie einen Teil Ihres Planes und pflanzen dort oben auf der Klippe eine Notfahne auf. Es ist dies wohl der höchste Punkt am Strand. Das ist eine Arbeit für einen Mann. Inzwischen könnten die Damen unter Anleitung Hawks Laubhütten für die Nacht bauen, während die übrigen Männer mit mir die Schaluppe instand setzen."

"Die Fahne hätte ich auch ohne Ihren väterlichen Ratschlag aufgestellt, Herr Ingenieur." Knatchbull wandte sich hochmütig ab und stöberte in einem Haufen Treibholz nach einem passenden Fahnenmast. Bald darauf rief er: "Bringen Sie aus dem Boot Beil und Handspaten, dann das Notfahnentuch, Robert, und kommen Sie hinauf zur Klippe!"

"Jawohl; Sir!"

Sundström befand sich schon an der Schaluppe und hatte zu seiner Freude einiges Handwerkszeug gefunden.

"Nun kommen Sie schon, meine Herren!", rief er, "wir müssen das Boot auf die Seite legen, das schaffe ich allein nicht!"

Oberst Downburn und Reverend Strong waren froh, aus der peinlichen Situation erlöst zu sein. Sie packten mit an. Doch ihre Kraft reichte nicht aus.

"Mister Sundström, Mister Knatchbull möchte Beil, Spaten und Tuch haben." Emerson stand da mit einem Gesicht, als hätte er gesagt: Die Herrschaften lassen zum Tee bitten!

"Ihr Mister kann einen Augenblick warten. Fassen Sie mit zu, Sie sehen doch, dass hier noch ein Mann fehlt."

Den vier Männern brach der Schweiß aus, doch ihre Kraft reichte noch immer nicht. Sundström fluchte innerlich, denn er hatte das Gefühl, mit Pete allein würde er es schaffen. Der Reverend jammerte: "Wenn ich nur nicht meine Brille bei der Strandung verloren hätte!"

Knatchbulls Leibdiener machte eine Figur bei der Arbeit, als halte er eine kostbare große Vase, die ein anderer abstaubt.

"Es nützt nichts, wir müssen Hawk noch hinzuholen." Sundström hatte den Gedanken ausgesprochen und lief selbst zum Lagerplatz. Die Damen saßen umgeben von Haufen eines binsenartigen Grases, wie es an verschiedenen Stellen des Strandes wuchs. Pete in ihrer Mitte erteilte Unterricht im Flechten, Drehen und Spleißen.

"Ich muss Ihnen Ihren Lehrer für kurze Zeit entführen, meine Damen." Sundström griente schadenfroh, als er feststellte, dass von den Nüssen, Muscheln und Eiern gegessen worden war.

"Gut, dass Sie kommen, Herr Sundström", Rose Taylor tat, als schmolle sie, "Herr Hawk will uns nicht verraten, wozu so viel Tauzeug gebraucht wird."

Es steht ihr gut, dieses Schmollen, dachte Sundström und fragte: "Und Sie glauben wirklich, ich werde es Ihnen verraten?"

"Bitte, ja?"

Sundström musterte verstohlen ihr frisches Gesicht mit den Sommersprossen auf der Stupsnase und fand, dass man Rose Taylor leicht gern haben könnte. Vielleicht gerade darum blieb er bockbeinig. "Auf keinen Fall werde ich Pete den Spaß verderben. Außerdem hieße das, Ihre Intelligenz unterschätzen."

"Sie freuen sich wohl, dass wir nun doch etwas gegessen haben?" Der Ingenieur überlegte, warum Ellen Knatchbull dem Gespräch diese Wendung gab. Auf jeden Fall musste sie seine Genugtuung bemerkt haben.

"Offen gestanden, ja. Es beweist mir, dass Hunger sogar Standesschranken hinwegräumt."

"Sie werden langweilig mit Ihren Anspielungen, Herr Ingenieur." Ellen Knatchbulls Stimme klang kampflustig.

"Wenn ich dazu herausgefordert werde!" Sundström ging mit Pete Hawk zum Strand.

Emerson war inzwischen verschwunden, um endlich seinem Herrn dienen zu können.

Trotzdem bewältigte man jetzt die Arbeit. Nachdem das Boot umgedreht war, eilte der Matrose wieder zu seinem "Kindergarten", wie er verschmitzt sagte.

Sundström hämmerte und werkelte, als ginge es ums Leben. Strong verdeckte sein So-tun-als-ob mit dem Lamentieren über seine verlorene Brille.

Nach einem Blick zur Sonne stieß Sundström den Stoßseufzer aus: "Damned, habe ich einen Hunger!"

"Schon im zweiten Buch Mose steht", bemerkte Strong melancholisch, "wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben, durch des Herrn Hand, da wir bei den Fleischtöpfen saßen."

"Die Fleischtöpfe Ägyptens wären mir zwar auch lieber, aber jetzt bin ich sogar bereit, von Ihrer Jagdbeute zu essen", bekannte der Oberst.

Strong nahm das als Kommando zu mahlzeiten und begab sich spornstreichs zum Lager. Die drei Männer machten sich heißhungrig über den Rest her.

Die Männer: hatten die letzten Nüsse und Muscheln verzehrt. Sundström erhob sich voller Unrast. "Pete, hilf rasch das Boot umdrehen und zu Wasser bringen."

Als die Schaluppe dann im seichten Wasser schaukelte, kam Emerson und verlangte einige Nägel. Man sah Knatchbull hoch oben auf der Klippe stehen und warten.

"Der König von Thule", spottete Sundström.

Die andern blickten hinüber. Man musste scharf hinsehen, um den Einsamen zu erkennen. Wieder ein Grund mehr für Strong, um seine verlorene Brille zu trauern.

Die Männer gingen zum Lagerplatz, um den Frauen zu helfen.

Sundström war missgestimmt. Er hatte gehofft, weiterzukommen.

"Oh, mein Rücken", stöhnte Joan Knatchbull.

"Aber meine Hände erst", klagte die Gattin Downburns.

"Alles nichts gegen meinen Hunger", sagte Ellen Knatchbull und sah Sundström herausfordernd an.

"Richtig", erinnerte sich der, "das Abendessen muss ja auch noch beschafft werden. Ich denke, das sollte diesmal unser Reverend besorgen, dann haben wir hier den kleinsten Ausfall."

Strong reagierte wie die Sanftmut selbst. "Gern, ich werde mein möglichstes tun." Alle in der kleinen Gesellschaft hatten den Eindruck, dass Strong froh war, von der unangenehmen Arbeit fortzukommen. Der Ingenieur gab ihm noch einige Ratschläge und schickte vorsichtshalber den Hund mit. "Geh, Prinz, mit Mister Strong Futter suchen!"

"Der Reverend ist wohl nicht Ihr Fall?" fragte Ellen Knatchbull den Ingenieur, als Mann und Hund verschwunden waren.

Sundström lachte grimmig. "Es gibt Arbeiter und Drückeberger. Ein Arbeiter ist Strong nicht."

"Sie glauben nicht, dass es mit seiner Kurzsichtigkeit zusammenhängt?"

"Nicht so recht."

"Sie täuschen sich."

"Kann man einen Menschen besser kennenlernen als bei gemeinsamer Arbeit?"

"Ist ein Tag dazu nicht ein bisschen wenig?"

"Manchmal genügt eine Stunde."

"Ihre Behauptungen sind kühn."

"Sehen Sie, Ihre Frau Mutter, die hat gearbeitet, dass ihr der Rücken schmerzt, ebenso Mistress Downburn und Miss Rose. Sie selbst haben auch nicht gefaulenzt."

"Sie versuchen, uns gegeneinander auszuspielen."

"Das ist meine ehrliche Überzeugung und kein diplomatischer Schachzug."

"Mich kann der Herr Ingenieur mit seinem Lob nicht beirren, da müsste er sich erst andere Manieren angewöhnen." Maud Downburn machte ihr blasiertestes Gesicht ...

Sundströms steile Stirnfalte verschwand. Maud Downburn war schwer ernst zu nehmen. "Bin ich Ihnen zu nahe getreten?"

"Das spielt keine Rolle. Aber Mister Knatchbull gegenüber treten Sie sehr ungehobelt auf, anstatt gerade ihm dankbar zu sein, denn wenn der Orkan nicht gekommen wäre, säßen Sie sicher und warm auf seiner Jacht." Sie war zutiefst überzeugt, die ideellen Interessen ihres abwesenden Idols vertreten und den hergelaufenen Tramp in seine Schranken gewiesen zu haben.

"Moment mal, verehrte Frau Oberst, ich ..."

"Sehen Sie, schon wieder diese Art, als ob Sie mit einem Kohlentrimmer ein Gespräch beginnen." Downburns Gattin richtete sich selbstbewusst auf. "Sie dürfen trotz unserer derangierten Kleidung niemals vergessen, Herr Ingenieur, dass Sie Damen und Herren der Gesellschaft vor sich haben."

"Durchaus nicht, gerade darum sprach ich mich ja so anerkennend über Ihren guten Willen und die geleistete Arbeit aus."

"Ach, das ist ja furchtbar großmütig von Ihnen." Joan Knatchbull hatte die Ironie Sundströms am schnellsten begriffen.

"Durch Ihren dauernden Ruf nach Formalitäten kommen wir immer wieder vom Kern der Sache ab, darum ..."

"Was Sie mit Formalitäten bezeichnen, kann einem andern Lebensbedürfnis sein." Joan Knatchbull sagte es mit Nachdruck; aber man spürte die Sympathie für Sundström in ihrem Einwurf.

"Man kann seine Lebensbedürfnisse umstellen und - eventuell sogar einschränken, Mylady." Sundström war um Versöhnlichkeit bemüht, wollte sich aber ein wenig Spott nicht versagen. "Mein Gewissen gegenüber Mister Knatchbull ist absolut unbelastet. Denn so selbstverständlich, wie mich mein Kollege Hawk auf dem 'Delphin' einschmuggelte, genau so selbstverständlich hätte mich Ihr Gatte abgewiesen. Wenn ich also jemandem zu besonderem Dank verpflichtet bin, dann nur Pete Hawk."

Ellen Knatchbull war jetzt ganz die Tochter ihres Vaters. "Wie können Sie einfach behaupten, mein Vater hätte Sie nicht mitgenommen, wenn ..."

"Tschaaa, wenn ... Wenn wir in einem mondänen Vergnügungsetablissement in Rio zusammengetroffen wären, wenn ich einen tadellosen Frack angehabt hätte, wenn ich mit Ihnen einige Tänze absolviert hätte, wenn Sie dann geschwärmt hätten, wie nett der junge Mann plaudere und wie fesch er tanze, und wenn man dann darauf zu sprechen gekommen wäre, dass dieser junge Mann nicht abgeneigt sei, einen Trip auf dem 'Delphin' nach Frisco mitzumachen, tschaaa, dann vielleicht ..."

"Ich gebe schon zu, dass die Umstände manchmal eine Rolle spielen, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."

"Und weil mein Wille, nach Frisco zu kommen, groß war, bin ich den einzig möglichen Weg gegangen."

Ellen Knatchbulls Entgegnung wurde unterbunden durch den Einzug einer kleinen Kavalkade: vornweg Prinz, dann Strong und Emerson, ihre Jacken voller Früchte. Als Letzter stapfte Knatchbull heran, in der Hand einen fasanenartigen Vogel, den Prinz erlegt hatte.

"Schade, schade", seufzte Hawk, "dass wir nichts haben, um ein Feuer zu machen. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich an geröstete Hühnerbrust denke." Er nahm einen Stock und schlug auf einen Wasserkanister. "Arbeit beenden!"

"Behalte mal deinen Gongschlag bei, du kannst uns ein bisschen den Takt angeben zur Ausgleichsgymnastik." Sundström schlug einen heiteren Kommandoton an: "Aufstellung nehmen, Dauerlauf, eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Hier im Sand bitte, Halbkreis, jawohl, recht so, auf der Stelle, eins-zwei, eins-zwei, hoch die Beine, hoch, hoooch, immer höher. Sooo, langsamer werden, ausatmen, tief einatmen, tiiiief, recht tief!" Er machte Reck- und Streckübungen, verbunden mit tiefem Ein- und Ausatmen, und man glaubte, plötzlich einen Sportlehrer vor sich zu haben, so flüssig, locker und suggestiv leitete er an. Wie man unter Lachen auf einen Scherz eingeht, hatten alle außer Knatchbull und Emerson mitgemacht und waren dankbar für die wohltuende Körperbewegung.

Glutrot tauchte die Sonne in das Meer, das jetzt wie schwarze Tinte aussah. Die schnaufenden Sportler hatten sich niedergelassen und ruhten sich aus. Als sie zurückkamen, saß Knatchbull bereits und schmauste.

"Jeden Unfug dieses Jünglings macht ihr mit", raunte er seiner Gattin zu, sodass es die andern nicht hören konnten.

Die Gerügte machte ein gequältes Gesicht. Dann stieg Trotz in ihr auf, ein Trotz, den sie oft genug als wohlerzogene Präsidentengattin hinuntergeschluckt hatte. "Wenn man den ganzen Tag spazieren geht und aufs Meer guckt, dann braucht man seine Glieder abends nicht zu schütteln. Ich hatte das Bedürfnis dazu, denn ich habe heute gearbeitet wie selten im Leben."

Knatchbull war erschrocken über diese unerwartete Abfuhr und blieb den übrigen Teil des Abends verschlossen und unnahbar. Die Gesellschaft war darüber eher zufrieden als ärgerlich. Schnell war die Dunkelheit gekommen, bald die Nacht. Einer nach dem andern verschwand, um sich auf einem kargen Lager, so gut es ging, einzurichten. Als Letzter blieb Pete Hawk draußen. Er hatte den von Knatchbull achtlos hingeworfenen Vogel gefunden und nahm ihn nun kunstgerecht aus. Neben ihm saß Prinz. In dessen unersättlichen Magen wanderten die Eingeweide des Geflügels. "Hier, Prinz, Achtung!" In elegantem Bogen sauste Stück um Stück durch die Luft, bis die Arbeit getan war. Dann ging Pete Hawk und vergrub die Delikatesse, die er in einen Persenningfetzen gehüllt hatte, im kühlen Sand des Strandes.

Am zweiten Tag gleich Hühnerbraten, nicht übel, dachte der Matrose beim Einschlafen und hatte schon einen angenehmen Geschmack auf der Zunge.


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