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I.

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„Von wem sprecht ihr denn überhaupt?“ fragte Premierleutnant Graf Storkow, der eben erst gekommen war.

„Na — von der schönen Jenny!“

Die Unterhaltung der fünf jungen Offiziere — Premierleutnants vom Ersten Garde-Dragoner-Regiment — ging weiter. Sie sassen in der Habelschen Weinstube, waren in Zivil und jetzt schon bei der letzten der fünf Flaschen Champagner angelangt, die einer von ihnen — Otto von Plesser — für eine verlorene Wette zu zahlen hatte.

Ja, — dass sie heute hier einmal schlemmen konnten, verdankten sie im Grunde genommen nur der Tugendhaftigkeit der schönen Operettensängerin Eugenie Erdösy, von der Leutnant von Plesser behauptet hatte, dass sie, ebensogern wie die andern Damen vom Walhalla-Operetten-Theater in der Charlottenstrasse, jede Einladung der Offiziere zum Souper annähme — man brauche ihr nur durch den Logenschliesser die Visitenkarte in die Garderobe zu schicken.

Er hatte die Wette verloren, die „Jenny“ — wie man sie kurz nannte — hatte die Einladung nicht angenommen, obwohl die Visitenkarte an einem wundervollen Rosenstrauss befestigt war.

„Ich wusste es, lieber Plesser, wir hätten die Wette eigentlich gar nicht eingehen sollen“, sagte Leutnant von Strehlen, „ja, du musstest verlieren, denn alle sind bis jetzt ebenso abgeblitzt!“

„Ich nicht!“ sagte Graf Storkow, der jüngste von den fünf Offizieren.

Die andern lachten laut auf: „Willst du etwa behaupten —?“

„Gar nichts will ich behaupten — gar nichts, als dass es mir nicht so ergangen ist!“

„Das heisst dann also?“

„Das heisst nichts anderes, als dass ich’s überhaupt noch nicht probiert habe. Ich kenne ja eure Jenny gar nicht, wundere mich bloss, dass das ganze Regiment in sie verschossen ist — in die Chansonette aus so einem Stullentheater!“

„Man merkt’s, du warst auf Urlaub“, sagte Leutnant v. Plesser. „Stullentheater — früher mal, gewiss! Seitdem der Sohn vom alten Direktor Grosskopf die Sache in die Hand genommen hat, ist das ‚Walhall‘ kein Stullentheater mehr. Im Gegenteil — die alte Bude ist gründlich umgekrempelt — zum Operettentheater geworden! Piko bello, kann ich dir sagen.“

Die andern stimmten zu. „Gastspiele erster Kräfte aus dem Auslande! Zum Beispiel die Jenny stammt aus Ungarn, ist über die Wiener Oper zu uns nach Berlin gekommen!“

„Behauptet sie — und kommt in Wahrheit aus der Ackerstrasse!“

Die andern schwiegen verstimmt. Storkow sah betroffen von einem zum andern, schüttelte den Kopf. Das alte neumärkische Grafengeschlecht, dem er entstammte, und der reiche Vater — ein Oberst a. D. des Ersten Garde-Dragoner-Regiments — hatten ihm von Anfang an eine Vorzugsstellung unter seinen Kameraden verschafft.

„Ich möchte eure Gefühle nicht noch mehr verletzen, wenn ich zu fragen wage: Spricht sie denn deutsch — die schöne Jenny?“

„Ja!“

„Und tritt sie jeden Abend auf?“

„Sie singt doch die Nanon in der Genéeschen Operette — ist dadurch zum Liebling von ganz Berlin geworden!“

„Wann fängt die Vorstellung an?“

„Na — um acht Uhr!“

Storkow zog die Uhr. „Jetzt ist es halb — trinken wir aus, fahren wir hin, ich lade euch ein. Habt ihr Lust? — Gut! Kellner — eine Droschke!“

Die gute Stimmung war sofort wiederhergestellt.

„Ja — wie setzen wir uns nun, die Arche hat doch nur für vier Platz?“ fragte Storkow, als sie in die vorgefahrene Droschke steigen wollten.

„Ich setze mich neben den Kutscher — Schwäche aus meiner Jugendzeit“, sagte Hans v. Eschendorff und kletterte schon auf den Bock. Er war den ganzen Abend am stillsten gewesen, stiller noch als sonst, denn ihn drückten „Familiensorgen“, wie Leutnant von Strehlen die Alimentationsverpflichtungen Eschendorffs nannte. Heute hatte er wohl wieder einen Mahnbrief bekommen und wusste, bei dem knappen Wechsel von daheim, nicht, woher er das Geld nehmen sollte, falls ihm der beabsichtigte Pump bei Storkow missglückte.

„Los, Kutscher — nach dem Walhall!“

Es war ein schöner Spätsommerabend und die Strasse Unter den Linden stark belebt von Spaziergängern, die aus dem Tiergarten kamen, aus den Zelten oder dem Krollgarten.

Doch nur einen Augenblick bot sich dieses Bild, denn schon lenkte der Kutscher in die Charlottenstrasse ein, und das Pferd — feuriger als sonst Droschkenpferde zu sein pflegten — setzte sich in Trab und verlor erst seinen Ehrgeiz, als es sich hinter der Zimmerstrasse jenem stillen Teil näherte, der als Encke-Platz durch die Sternwarte die Charlottenstrasse abschloss.

Kurz davor lag das Walhalla-Operettentheater. Der Eingang war hell erleuchtet, die Leute drängten sich an der Kasse.

„Alles ausverkauft!“ sagte der Mann hinter dem Schiebefenster.

Storkow wandte sich um. „Da habt ihr die Bescherung!“

Aber Leutnant v. Plesser sagte: „Lass mich mal ran. Und im Leutnantston fragte er dann: „Die Fremdenloge ist doch noch frei? — Schön, wir nehmen sie — Storkow, bleche!“

Durch den schmalen Seitengang führte der Theaterdiener die Herren nach der Fremdenloge.

Schon stimmte die Kapelle ihre Instrumente, die Ouvertüre konnte jeden Augenblick beginnen. Storkow sah sich verwundert um.

„Donnerwettstein“, sagte er anerkennend, „das Ding hat sich ja mächtig verändert — auch das Publikum sieht besser aus als früher. Aber — Kinder — Vorsicht! Halten wir uns im Hintergrund, dass uns keiner erkennt. Der Deibel kann sein Spiel haben — einer in Zivil ginge hier noch an — aber gleich fünfe auf einen Schlag —“

„Ruhe!“

Die Musik hatte begonnen — es war finster und still im Raum geworden. Als dann aber die Melodie: „Ach, Anna, zu dir ist mein liebster Gang!“ schmeichlerisch erklang, hörte man das Publikum mitsummen — die Bäcker- und Schusterjungen pfiffen ja das Lied in aller Herrgottsfrühe schon auf den Strassen — es gab keinen in Berlin, der es nicht kannte.

Da rollte der Vorhang in die Höhe, die Szenerie zeigte das Wirtshaus „Zum goldenen Lamm“, und Nanon, die schöne Wirtin — Fräulein Eugenie Erdösy — begann auf die Frage der ländlichen Gäste zu singen:

„Was ich mir wünsche, fragt ihr?

Mein freundliches Wirtshaus —

Umrankt ist’s vom Wein —

Die Trauben, sie reifen im Sonnenschein,

Gefüllt ist’s von Gästen im frohen Verein —

Was kann da der Wirtin zu wünschen wohl sein? “

Aber nicht lange, da kam Grignan, der „schlichte Bursche aus dem Volk“, in Wahrheit aber der Marquis Henri d’Aubigné, und als sie sich beide leidenschaftlich küssten, gab Leutnant v. Plesser dem Grafen Storkow einen leichten Rippenstoss und fragte:

„Na, wie ist dir?“

Doch der wehrte unwillig ab, starrte wieder auf die Bühne. Die andern sahen sich bedeutungsvoll an und lächelten.

In der Pause dann sagte Storkow: „Ja — entzückend, namentlich die Augen und die Figur. Aber ich möchte wissen, wie sie ohne Schminke und Kostüm aussieht!“

„Ich auch —“, sagte Leutnant von Brandt.

Alle lachten, aber Storkow fuhr sie ärgerlich an: „Ich meine doch, wie sie in Zivil wirkt.“

„Pscht! Nicht so laut“, warnte v. Eschendorff, „das Publikum wird schon aufmerksam auf uns.“

Ein Weilchen blieben sie auch still, aber da fragte Storkow plötzlich: „Vis-à-vis — in der Loge — ist der Herr dort nicht Direktor Grosskopf?“

„Der mit der weissen Weste?“

„Ja — ist er!“ bestätigte von Plesser.

Das Spiel nahm seinen Fortgang. Doch kurz vor Schluss des zweiten Aktes erhob sich, den Kameraden beruhigend zunickend, Graf Storkow und verliess die Loge.

„Ich hab’ mir’s gedacht“, flüsterte v. Plesser spöttisch. „Na — schadet ihm nichts, wenn er auch mal ganz gehörig abblitzt!“

„Ssssst!“ klang’s aus dem Publikum.

Draussen auf dem Gange entnahm Storkow einem Täschchen seine Visitenkarte, winkte dem Theaterdiener und sagte: „Hier — geben Sie das Herrn Grosskopf — ich lasse um eine kurze Unterredung bitten. Er sitzt in der Loge vis-à-vis — soll ich hier warten oder gleich mitkommen?“

Der Diener hatte sich einen Zwicker aufgesetzt, studierte die Karte und fragte devot: „Wenn ich den Herrn Grafen gleich führen darf ...“

Und auf der anderen Seite angelangt: „Einen Augenblick bitte zu warten, ich bringe sofort Bescheid!“

Damit verschwand er in der Direktionsloge. Gleich darauf erschien Herr Grosskopf selbst. „Ergebenster Diener, Herr Premierleutnant — was verschafft mir die ausserordentliche Ehre — wenn Sie wünschen, gehen wir in mein Büro.“

„Sehr liebenswürdig, Herr Direktor — aber Fräulein Erdösy muss doch jeden Augenblick von der Bühne kommen — ich möchte nicht versäumen, ihr mein Kompliment zu machen. Auch Ihnen, Herr Direktor — das Walhall ist ja kaum wiederzuerkennen — ein Genuss, diese Nanon-Aufführung!“

Der plötzlich einsetzende, aussergewöhnlich langanhaltende Beifallssturm verriet, dass der Vorhang gefallen war.

„Also — Herr Direktor — eine grosse Bitte: Darf ich der Künstlerin nicht meine Bewunderung aussprechen — auch im Namen meiner Kameraden drüben in der Loge?“

Der Direktor wiegte den Kopf hin und her. „Eigentlich nicht, Herr Graf! Na — vielleicht mal eine Ausnahme, und noch dazu in meiner Gegenwart — ich will es jedenfalls versuchen. Aber dann, bitte, wollen wir uns beeilen! Darf ich vorangehen?“

Sie kamen nach der Garderobe — Grosskopf klopfte an. Eine ältliche Person steckte den Kopf durch die Türspalte. „Nanu — wat is denn — ach, der Herr Direktor!“ sagte sie erschrocken.

„Herr Direktor — Sie wünschen?“ kam die Frage aus dem Zimmer, und gleich darauf trat die Künstlerin auf den Gang.

„Fräulein Erdösy — gestatten Sie, Herr Premierleutnant Graf Storkow wollte Ihnen — —“

„Gnädiges Fräulein — Sie sehen, ich bin ohne die üblichen Rosen — also ganz spontaner Einfall — nur aufrichtigste Bewunderung Ihres Künstlertums veranlasste mich, den Herrn Direktor zu bitten, Ihnen —“

Er kam nicht weiter, verhaspelte sich, denn der ernste Blick ihrer dunklen, schönen Augen verwirrte ihn. Aber als er nun stockte, reichte sie ihm die Hand und sagte: „Sie beschämen mich! Ich bin dem Herrn Direktor zu grossem Dank verpflichtet, dass er mich an sein Theater nach Berlin engagierte.“

„Ich weiss, welches Glück mir zuteil wird! Meine Kameraden hatten mir schon erzählt, dass Sie unnahbar seien —“

Sie sagte: „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Premierleutnant, wenn Sie Ihre Kameraden bitten wollten, derartige Einladungen mir nicht mehr zu schicken ...!“

Er verbeugte sich. „Nichts ist mir lieber, gnädiges Fräulein, aber darf ich mir nicht erlauben, ein paar Rosen —“

Jetzt lächelte sie. „Keine Ausnahme!“

„Doch“, sagte er wie ein trotziger Junge, „ich tue es doch — und wenn Sie die Blumen auch unbeachtet verwelken lassen.“

Ein Klingelzeichen — sie wandte sich hastig ab. „Ich muss weg — adieu!“

Einen Augenblick fühlte er ihre Fingerspitzen in seiner Hand, dann war sie in ihrer Garderobe verschwunden.

„Eine Künstlerin“, sagte Herr Grosskopf, „hat eine grosse Zukunft!“

„Ich danke Ihnen, Herr Direktor — aber nun will ich auch rasch hinüber, man wird sich ja wundern, wo ich stecke.“

Als er zurück in die Loge kam, ging gerade der Vorhang wieder auf. Trotzdem kam von Plesser das erwartungsvolle: „Na?“

Storkow schüttelte den Kopf. „Später!“

Und in diesem letzten Akt sang Fräulein Erdösy dann ihr berühmtes Couplet:

„Ich brauche keine Professoren,

Liebe ist uns angeboren.

Ich weiss, was dazu gehört,

Wie man schmachtet und gewährt,

Kokettiert und Grüsse schickt,

Wie man seufzt und Hände drückt

Bei verliebten Neckerei’n.

Doch wozu? ’s muss ja nicht sein!

’s muss ja nicht sein!“

Sie musste eine Pause machen, so stark war der Beifall, doch dann trat Stille ein, und sie sang weiter:

„Weiss auch, wie mit Feuerblicken

Solchen Kopf man kann verrücken,

Weiss, dass, wenn es kommt zum Küssen,

Sich die Lippen spitzen müssen,

Drücke zu die Äugelein,

Wenn es wirklich müsste sein,

Halt auch still dann ohne Schrei’n.

Doch wozu? ’s muss ja nicht sein!

’s muss ja nicht sein!“

Hatte sie diesen Vers nicht nach der Loge der jungen Offiziere hin gesungen?

„Donnerwetter“, flüsterte Plesser, „es muss doch sein!“

Als der Vorhang zum letztenmal gefallen, man draussen auf der Strasse war, sagte Storkow: „Sie lässt euch bitten, sie künftighin mit euren Einladungen zu verschonen — sie ist doch nicht irgendein Ballettmädel!“

„Hoho — hat sie dir das aufgetragen?“

„Ja!“

Die andern lächelten, und Hans v. Eschendorff summte: „Es muss ja nicht sein!“

„Nein — und deshalb bitte ich euch darum, es zu unterlassen, damit sie merkt, dass ich’s auch ausgerichtet habe!“

Eugenie Erdözy

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