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IV.

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Als Jenny im dritten Akt auf der Bühne erschien, hielt sie drei rote Rosen in der Hand, und als sie dann wieder ihr berühmtes Couplet sang, ja — hatte sie da nicht bei den Worten:

„Weiss, dass, wenn es kommt zum Küssen,

Sich die Lippen spitzen müssen ...“

zu der Fremdenloge gewandt? Unwillkürlich richteten sich die Blicke des Parketts ebenfalls dorthin — gewiss, da sass jemand im Hintergrund, aber in der Dunkelheit des Zuschauerraums war nichts deutlich zu unterscheiden.

Als dann der Vorhang gefallen, das Theater wieder hell wurde, war die Loge schon leer.

Endlich verebbte der Strom der Besucher, verliefen sich auch die, die noch draussen vor dem Eingang gewartet. Aber Storkow, der in der dunklen Haustornische gegenüber stand, hielt geduldig weiter aus. Endlich kamen auch die Künstler — und da war sie, mit dem grossen Rosenstrauss, den er ihr in die Garderobe geschickt.

Mit raschen Schritten ging Jenny dem Enckeplatz zu — aber plötzlich war Storkow neben ihr, den Hut in der Hand, und sagte flehend: „Gnädigstes Fräulein — verzeihen Sie mir — aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich habe Sie erschreckt — das wollte ich nicht, wie kann ich es wieder gutmachen?“

Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen, ging noch schneller als vorhin, blieb stumm. Aber er wich nicht von ihrer Seite.

„Gnädigstes Fräulein — Sie sehen doch, wie es um mich steht — geben Sie mir die Möglichkeit —“

Da sagte sie: „Ein paar Häuser weiter und ich bin am Ziel — ich danke Ihnen für Ihre überraschende Begleitung, aber jetzt möchte ich Sie bitten, nicht weiter mitzukommen.“

„Ich gehorche — aber gibt es keine Möglichkeit, Sie ausserhalb des Theaters wiederzusehen?“

„Ich sehe keine!“

„Sie gehen doch spazieren —“

„Nur mit meiner Freundin!“

„Der Dame, mit der ich Sie heute traf?“

„Ja — sie ist meine Lehrerin, der ich meine Ausbildung verdanke!“

„Wie glücklich wäre ich, wenn Sie mir etwas verdankten!“

„Diese schönen Rosen doch!“

„Gnädigstes Fräulein — ich will mich nicht aufdrängen — nie in meinem Leben habe ich das getan. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass meine Bitte um ein Wiedersehen hoffnungslos ist, dann werde ich nie wieder wagen, Ihnen in den Weg zu treten!“

„Hoffnungslos!“ sagte sie.

Erschreckt beugte er sich vor, suchte ihren Blick. Da sah er, dass sie lächelte, sich in die Lippen biss.

Mit veränderter Stimme, ganz leise, sagte er: „Wenn es Ihr Ernst gewesen wäre — ich weiss nicht, was ich dann getan hätte!“

Jäh wandte sie sich zu ihm und sagte scharf: „Nein — Herr Graf, dieses ‚entweder du liebst mich, oder ich schiesse mich tot’ lasse ich nicht gelten. Mich darf niemand zwingen — durch einen Druck, der mir Gewissensbisse bringen soll, wenn ich nicht nachgebe. Solche Alternative — das sei ein für allemal festgestellt — lehne ich ganz entschieden ab. Die Freiheit meiner Entschliessungen gebe ich nicht auf!“

Er hatte ihr unverwandt in die Augen gesehen, jetzt sagte er, als hätte er ihre Worte gar nicht gehört: „Wie schön sind Sie — wie entzückend schön!“

Da spürte sie mit einem Erschauern, dass dieser Mann ihr unrettbar verfallen war, aber etwas bäumte sich in ihrem Herzen auf, dass er deshalb auch ihr Schicksal sein sollte. „Ich muss nach Hause — man erwartet mich — adieu!“

Um ihn zu versöhnen, reichte sie ihm die Hand, die er küsste. Dann war sie die wenigen Schritte bis zu ihrem Hause gegangen, schloss auf, ehe sie aber eintrat, nickte sie ihm noch zu.

Oben, in ihrem dunklen Zimmer, trat sie an das Fenster. Durch die Gardine sah sie, dass er auf der andern Seite stand und alle Fenster des Hauses mit seinen Blicken absuchte.

Ohne Licht zu machen, ging sie zurück in den Korridor, legte ab. Sie hörte im Esszimmer sprechen, erkannte Herrn von Hilkens Stimme — also war er gekommen.

Wie aus Versehen stiess sie mit der Fussspitze erst gegen die Tür, ehe sie öffnete, trat ein und legte den Rosenbusch auf ein Tischchen. „Da“ — sagte sie — „guten Abend, Blanka — guten Abend, Herr Justizrat!“

„Von wem?“ fragte Blanka, „das sind ja wunderbare Blumen!“ Sie hatte schon geklingelt. „Lina — die grosse Vase — aber unten die Stengel abschneiden und einen Löffel Salz ins Wasser!“

Und jetzt fragte sie wieder: „Von wem?“

„Von dem Offizier, den wir heute trafen.“

„Ja — wieso?“

„Das frage ich mich auch! Und das Komischste — ich glaube, er steht noch immer unten auf der Strasse und starrt herauf. Plötzlich war er neben mir und liess sich nicht abschrecken — ist beinahe bis zum Haus mitgekommen!“

„Na — na!“ sagte der Justizrat, eine elegante Erscheinung mit ergrautem Haar, aber jugendlich-scharfen Augen. „Eine Eroberung also!“

„Nein — ich lasse mich nicht erobern — ’s muss ja nicht sein. Aber ich wollte ihn nicht durch eine Zurückweisung auf der Strasse blamieren; denn wir sind sicherlich beobachtet worden!“

„Und an dich selbst dachtest du nicht!“

„O doch, Blanka.“

„Wissen Sie denn, wer er war?“

„Gewiss doch, der Direktor hatte ihn mir vorgestellt — ein Premierleutnant vom Ersten Garde-Dragoner-Regiment — Graf Storkow.“

Der Justizrat blickte interessiert auf. „Der Name ist mir sehr geläufig — eine Gräfin Storkow gehört zu meinen Klientinnen — wahrscheinlich eine Verwandte von ihm!“

„Jung oder alt?“ fragte Jenny.

Herr von Hilken verkniff sich ein Lächeln. „Jung natürlich, aber nach ihrem Taufschein ist sie nicht mehr ganz so jung!“

„Also eine Matrone“, sagte Blanka.

„Na — das ist ein Superlativ — sie wird etwa fünfzig sein, soviel ich mich erinnere.“

„Sind Sie ihr Anwalt in einem Prozess?“

„Nein — sie braucht mich in notariellen Sachen.“

Lina brachte die Blumen herein, stellte sie auf den Tisch. Als sie wieder draussen war, sagte Blanka: „Erinnerst du dich, wie sie heute gesungen hat? ‚Ja, treu ist die Soldatenliebe — von hier bis an die Stubentüre!‘ Nimm es als Warnung, Jenny!“

„Mach’ dir keine Gedanken, du weisst, wie ich über solche — solche — na ja, denke!“

„Ehe du kamst“, sagte Fräulein Mertini, „hatte ich Franz gefragt, ob es nicht gut wäre, wenn du dein Geld hier auf einer Berliner Bank hättest — ich denke mir, du wirst nach den Erfolgen in Berlin jetzt in Deutschland bleiben?“

„Das weiss ich nicht — meine Gage ist ja doch so, dass ich das ungarische Geld nicht brauche. Und dann — ich denke doch später an Gastspielreisen — sehr glücklich fühle ich mich im ‚Walhall‘ nicht!“

„Warum nicht?“ fragte der Justizrat verwundert.

„Ja, warum nicht? Als ich noch bei Steiner war, am Theater in Wien — nun ja, Theater ist eben Theater —, da war doch eine ganz andere Luft. Das ‚Walhall‘ aber wird seine Vergangenheit unter dem alten Direktor Grosskopf nicht los, und der junge muss immer Konzessionen an den Geschmack des früheren Publikums machen. Aber natürlich schätzt man danach auch die Künstlerinnen ein. Einigen von den Kolleginnen tut man ja kein Unrecht damit — aber wir anderen müssen darunter leiden. Sieh mal, wie mir die Friseurin erzählte — es fiel doch auf, dass Fräulein Malbruch Abend für Abend Einladungen erhielt — aber keine andere, die ebenso gern soupiert hätten. Jetzt ist es herausgekommen, der Logendiener Neumann hat es schliesslich zu ungeschickt gemacht. Wenn ihm die Herren — die jungen Offiziere — ihre Karten gaben, hat er sie stets der Malbruch gebracht, die ihn dafür mit Trinkgeldern spickte. Das ist nicht nur Theaterklatsch, und das hat böses Blut gemacht — unter denen natürlich, die Wert auf solche Einladungen legen. Mich würde die ganze Sache gar nicht interessieren, wenn man nicht auch meinen Namen dabei genannt hätte. Die Offiziere sollen Wetten abgeschlossen haben, dass auch ich auf solche Einladungen wartete, und behaupten nun, ich hätte sie nur deshalb nicht angenommen, weil ich die für mich bestimmten Karten gar nicht bekommen hätte. Jetzt protestieren einige gegen die verlorenen Wetten!“

Fräulein Mertini fuhr empört auf: „Und das wusstest du und hast die Rosen diesem Menschen nicht an den Kopf geworfen — man wollte dir doch bloss eine Falle stellen.“

Der Justizrat machte sich mit seiner Zigarre zu schaffen, peinlich berührt von diesem Temperamentsausbruch. Und vermittelnd sagte er: „Klatsch und Intrige gibt’s an jedem Theater. Denk’ doch an den Stich-Crelingerschen Skandal!“

„Ja — damals!“

„Was mich so kränkt“, sagte Jenny, „dass durch das Verhalten der Malbruch das Vorurteil gegen uns Sängerinnen immer wieder aufs neue entsteht, als wären wir alle eine sittenlose Gesellschaft.“

„Es ist ja wie ein Verhängnis, dass ich gerade heute nicht mitkommen konnte — wäre ich dabei gewesen, hätte er gewiss nicht gewagt, dich zu attackieren. Wahrscheinlich hat er schon tagelang auf solche günstige Gelegenheit gelauert!“

„Ach — Blanka — ich lasse mich nicht attackieren und verstehe auch, mich zu wehren!“

„Wie denn?“ fragte der Justizrat mit gutmütigem Spott. „Wollen Sie kratzen — mit Ihren weichen Pfötchen?“

„Ja — aber nicht mit den Fingernägeln — hiermit!“ Sie hatte in die Kleidertasche gefasst und hielt einen kleinen Revolver in der Hand.

„Du meine Güte — ein Theaterspielzeug — eine Knallpistole — wenn Sie nur rasch genug das Zündhütchen auflegen können, ehe sie Ihnen entwunden wird!“

Da hob sie jäh die Waffe, drückte ab, und in demselben Augenblick krachte die Blumenvase zusammen, das Wasser lief über die Decke.

„Um Gottes willen — bist du wahnsinnig geworden, Jenny?“ schrie Fräulein Mertini auf.

„Wir sind doch hier nicht in der Pussta — sehen Sie sich vor, dass Sie sich durch das Ding nicht Unannehmlichkeiten zuziehen — mit dem Strafgesetz nicht in Konftikt kommen“, sagte Herr von Hilken.

Lina kam hereingestürzt. „Hier hat’s ja so jeknallt — is was kaput jejangen?“

„Ja — die Vase ist zersprungen — räumen Sie den Tisch ab, und die Blumen bleiben draussen — ich will sie nicht mehr sehen“, sagte Fräulein Mertini.

„Und ich möchte mich nun empfehlen“, sagte der Justizrat, „ist ja später geworden als sonst. Lina — Sie müssen mir dann die Treppe herunterleuchten, ich habe meine Wachstreichhölzer nicht bei mir.“

„Nun habe ich Sie vertrieben, Herr Justizrat — es tut mir sehr leid!“

Er schüttelte den Kopf. „Es ist höchste Zeit — ich habe morgen früh schon um neun Uhr den ersten Termin und heute noch viel Arbeit vor mir. Aber“, er legte Jenny freundschaftlich die Hand auf die Schulter, „tragen Sie das Ding nicht mit sich herum. Es verleitet zu etwas, das man nachher bereut!“

Wie ein schuldbewusstes Schulmädchen sagte sie: „Ich werde den Revolver einschliessen!“

„Wollen Sie mir das versprechen?“

„Ja!“

„Dann bin ich beruhigt — aber Hand darauf!“

Sie gab ihm die Hand. Dann wandte er sich zu Fräulein Mertini, die abgewandt mit finsterem Gesicht dagestanden, im Spiegel die beiden beobachtet hatte.

„Also — adieu — Blanka, es bleibt bei unserer Verabredung. Hab’ Dank für den schönen Abend, er hatte ja einen sehr effektvollen Abschluss.“

Eugenie Erdözy

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