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III.

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Die Kameraden vom Regiment wunderten sich über das stille, verschlossene Wesen Storkows. Da er auf Fragen nur abweisende Antworten gab, drangen sie nicht weiter in ihn. Geldsorgen wie sie hatte er jedenfalls nicht — also konnte es nur eine Mädelgeschichte sein.

„Die Jenny hat ihn abblitzen lassen“, das war wohl die einzige Erklärung. „Und dass er an dem Theaterabend Feuer gefangen, war ja nicht zu verheimlichen gewesen.

Die nächsten Tage brachten dann ein Ereignis, das alle mit grösster Teilnahme erfüllte. Eines Vormittags war Leutnant v. Eschendorff zum Obersten befohlen worden, und als er zurückkam, sahen sie an seinem blassen Gesicht und dem verzerrten Lächeln, dass die Katastrophe eingetreten war: Geschasst — wegen Schulden — Wechselschulden.

Es war das zweitemal, dass er es wegen eines nicht eingelösten Wechsels hatte zur Klage kommen lassen — und da gab’s keine Schonung. In einer Ansprache an die jungen Offiziere hatte der Oberst erst kürzlich in der eindringlichsten Weise diese ermahnt, keine Schulden zu machen, äusserste Sparsamkeit zu üben, ein Ausgabenbuch zu führen, sich nach der Decke zu strecken. „Dazu gehört nur Charakterfestigkeit — und wer die nicht besitzt, ist unwürdig, des Königs Rock zu tragen!“

Leutnant v. Eschendorff hatte diese Charakterfestigkeit nicht bewiesen und war daher nicht zum Offizier geeignet.

„Ich hätte ihm ja gerne auch diesmal aus der Klemme geholfen“, sagte Storkow, „wenn er mir eine Andeutung gemacht hätte. Treu und brav hat er mir den Rest von einem Blauen gleich am nächsten Tage zurückgegeben — hätte ich ihm doch die fünfzig Mark gelassen!“

„Es handelte sich um viel mehr — und wenn wir alle zusammengelegt hätten, hätte es ihm wahrscheinlich auch nichts genützt“, meinte v. Plesser.

„Was wird er nun machen? Weinreisender, denn als Lotteriekollekteur kommt er nicht mehr in Frage.“

Premierleutnant v. Strehlen, der am bekümmertsten dagesessen, sagte: „Was wird aus uns allen mal, wenn wir nicht Karriere machen und kein Geld wie Storkow haben. Die Aussichten auf einen Zivilberuf für einen verabschiedeten Offizier sind ja minimal. Nach zehnbis zwölfjähriger Dienstzeit müssten wir die Möglichkeit haben, in für uns reservierte Zivilstellungen überzugehen, in Stellen, für die wir durch die lange Militärzeit als besonders geeignet gelten können. Glaubt mir, dann wäre vieles besser!“

Die andern schwiegen — Strehlen hatte ja immer besondere Ansichten. „Für mich“, sagte er jetzt, „ist die Geschichte mit Eschendorff ein Menetekel. Ich versage mir jetzt alles — aber auch alles — schaffe mir nichts Neues an, bis mir der Bursche sagt, dass eine Reparatur nicht mehr möglich ist.“

„Eschendorff war der Sparsamste von uns allen“, sagte Plesser, „er ist nur durch seine Fanny in Schwulitäten geraten. Er wollte an dem Mädel gutmachen, was er ihm angetan, und hat sich dabei übernommen!“

Der Mittagstisch war beendet; sie standen auf und verabschiedeten sich.

Storkow überlegte: Sollte er an diesem klaren, sonnigen Tage noch einen Ritt durch den Tiergarten machen? Aber — es war ja auch so herrlich zu gehen, sich die Ladenschaufenster anzusehen. Vielleicht, dass er für Bruder Fritz ein hübsches Geburtstagsgeschenk fand.

So ging er vom Belle-Alliance-Platz durch die Friedrichstrasse, immer weiter und weiter, bis grössere Geschäfte kamen. An der Kreuzung mit der Leipziger Strasse zögerte er. Sollte er noch zum Waffengeschäft von Hypolit Mehles? — der Kerl machte ja solch eine wahnsinnige Reklame für seine Waren, dass es eigentlich genierlich war, dort zu kaufen. Aber — man konnte ja einmal sehen, was er für Auslagen hatte.

Plötzlich kniff er die Augen zusammen — die eine von den beiden Damen, die ihm da entgegenkamen — ja, war das nicht die Erdösy — die schöne Jenny?

Sie war es. Er salutierte mit leichter Verbeugung. Auch sie musste ihn erkannt haben, sonst hätte sie nicht so freundlich gelächelt. Rasch trat er an das nächste Schaufenster, blickte ihr noch so lange nach, wie er sie sehen konnte.

Eins stand für ihn fest: Heute abend würde er im Theater sein. An der nächsten Litfasssäule suchte er den Anschlagzettel. „Walhalla-Operetten-Theater“, Direktor Grosskopf. „Nanon“, Operette in drei Akten. Frei nach einem Lustspiel der Herren Théauson und d’Artoil von F. Zell und Richard Genée. Nanon Patin, Wirtin vom ‚Goldenen Lamm‘ ... Fräulein Eugenie Erdösy.“

*

„Wer war denn das nun wieder?“ hatte die Begleiterin gefragt, und Jenny hatte lächelnd gesagt: „Einer von den vielen, die mich jetzt grüssen!“

„Aber — du schienst ihn doch zu kennen?“

„Der Direktor hat ihn mir neulich in der Pause vorgestellt — ich glaube, ein Graf Storkow.“

„Kein Adonis!“

„Nein — dabei sah er heute besser aus als neulich in Zivil!“

„Wie alle Männer in Uniform!“

Die Friedrichstrasse war um diese Nachmittagsstunde zu belebt, um eine Unterhaltung führen zu können, und so fiel nur ab und zu eine Bemerkung, wenn die beiden Damen die Auslagen eines Schaufensters musterten. Aber als sie dann in die Leipziger Strasse einbogen, nach dem Tore blickten, unwillkürlich, weil dort der westliche Himmel im Schein der sinkenden Sonne eine wundervolle Sinfonie in Rot und Gelb bot, sagte Jenny: „Ach, Blanka — jetzt frei sein, jetzt da draussen irgendwo diesen herrlichen Tag auskosten können! Da sind dunkle Wälder, man riecht das welke Laub und die Erde. Da ist Stille und Einsamkeit. Ich fühle mich fremd hier in dieser lauten, unruhigen Stadt — wenn ich noch einmal dort sein könnte, wo ich als Kind so glücklich war!“

„Schäfchen — sentimentales! Der Herbst macht dich elegisch! So etwas ist himmlisch einen Nachmittag, wenn man in der Kutsche sitzt und man Distanz zu allem bewahrt. Weisst du, wonach ich mich eben sehnte? Dass wir schon zu Hause wären, Lina den starken Kaffee in der Silberkanne hereinbrächte — auf den Tisch neben die Blumenvase stellte und ich Kuchen essen könnte, ich habe Heisshunger auf unsern Königskuchen!“

„Wir hätten vorhin zu Kranzler gehen sollen.“

„Nein, schrecklich, dieses Angestarrtwerden — wie klebrige Fliegenbeine klettern die Blicke der Männer auf einem herum. Menschen — gewiss, aber nicht nur solche, die man zur Not noch gerade ertragen kann, sondern die in Nuancen sprechen und nuanciertes Sprechen verstehen — mit denen man auch stumm sein kann!“

„Ich wundere mich, dass du mich dann ertragen kannst!“

„Sei nicht empfindlich, Jenny. Ich kann stundenlang schwätzen, wenn ich dadurch eine gesellschaftliche Pflicht erfülle, um den Stumpfsinn der anderen zu retouchieren, aber da opfere ich mich — und ich will mich nicht opfern, habe dazu nicht die geringste Veranlagung.“

„Und doch opferst du dich für mich — und ich hab’ mich oft gewundert, warum?“

„Ich opfere mich nicht — du bist eine Seltenheit —“

Jenny lächelte. „Du täuschst dich! Aber, was ich mich schon oft gefragt habe: wie du dein Leben ertragen würdest, wenn du arm wärest?“

„Ich würde meine Armut stilisieren — dann würde ich sie ebenso ertragen. Kein Bett mit muffigen Federn, sondern einen wirklichen Strohsack, kein Kellerloch, aber eine Mansarde, keine Pferdewurst, aber Pellkartoffeln mit Hering und die Pellkartoffeln schön aufgeplatzt, in einer braunen Schüssel aus Velten. Keinen abgetragenen Mantel von einer Gnädigen, sondern einen Friesrock und ein dickes Umschlagetuch. Natürlich auch Holzpantoffeln — Holzpantoffeln gehören —

„Gehören zu der Komödie!“

Blanka beachtete den Einwurf nicht. „Und dann würde ich singen gehen auf die Höfe, Gitarre dazu spielen.“ Und sie summte halblaut:

„Disteln und Dornen stechen sehr,

Falsche Zungen noch viel mehr.

So ist’s besser, in Dornen zu sterben,

Als durch falsche Zungen verderben.“

Sie kamen in der Charlottenstrasse am Theater vorüber, das noch finster und still war, und standen dann in dem grünen Winkel des Enckeplatzes mit dem Garten der Sternwarte. In dem letzten Hause, das mit seinen Fenstern freie Aussicht auf die Baumwipfel hatte, lag im zweiten Stock die Wohnung. „Blanka Mertini, Gesangspädagogin“, war in das Messingschild an der Tür eingraviert.

„Ssst — hörst du — Lina singt“, sagte Jenny und hielt Fräulein Mertini zurück, die eben den Schlüssel ins Schloss stecken wollte. Sie lauschten beide.

„Ja, treu ist die Soldatenliebe

Von hier bis an die Stubentiere ...“

„Was kann man dagegen tun?“ fragte Fräulein Mertini.

„Nichts — sie muss sich Luft machen — ihr Grenadier ist ihr wahrscheinlich untreu geworden.“

„Wieviele Grenadiere gibt’s!“ Blanka schloss auf, und in demselben Augenblick verstummte der gellende Gesang. Lina kam ihnen entgegen, nahm Schirme und Hüte in Empfang.

Auf der Marmorkonsole, die den grossen goldgerahmten Spiegel stützte, stand ein silbernes Schälchen für die Besucherkarten. Es war leer, trotzdem fragte Fräulein Mertini: „Niemand hier gewesen? Also, schnell den Kaffee, Lina!“

Das Mädchen hatte die Tür zum nächsten Zimmer geöffnet und schloss sie nun hinter den Damen. Hier stand in der Mitte der Flügel, auf dem eine Gitarre lag; an der einen Wand eine Reihe hochlehniger Rohrstühle, an der anderen ein niedriger, langgestreckter Notenschrank mit Glastüren. Darüber ein gerahmter Stich der Jenny Lind. Aber auch hier, zwischen den beiden Fenstern, ein grosser Spiegel, der die Gestalt von Kopf bis zu Fuss wiedergab.

Beide hatten zu gleicher Zeit hineingesehen und ihre Erscheinung gemustert. Jetzt lächelten sie sich im Spiegel an — aber Blanka seufzte:

„Noch einmal so jung sein können wie du, Jenny!“

Ja, der Hut hatte Blanka jugendlicher gemacht, als sie war, und so Kopf an Kopf sah man den Altersunterschied. Trotzdem — sie war ein Frauentypus, der gerade erst in diesem nicht mehr jugendlichen Alter seinen höchsten Reiz auf Männer ausüben musste — und das wusste sie!

Im Nebenzimmer, mit der Aussicht auf den Garten der Sternwarte, war schon der Kaffeetisch gedeckt — in der Mitte, zwischen dem Kopenhagener Porzellan, ein Asternstrauss in weisser Vase.

Und da kam Lina auch schon mit der silbernen Kanne, und während sie in die Tassen eingoss, sagte sie: „Hier jewesen is doch jemand, aber man bloss Herr v. Hilken. Is jleich an die Türe wieder jejangen, als er hörte, dass jnädiges Fräulein spazieren sind!“

Fräulein Mertini nahm diese Mitteilung schweigend hin, aber Jenny sagte, als das Mädchen draussen war: „Er wird am Abend wiederkommen!“

„Jedenfalls will ich ihn erwarten, denn zum zweitenmal an der Tür umzudrehen, verträgt seine Empfindlichkeit nicht. Ich kann dich heute also nicht ins Theater begleiten!“

„Nein — schade! Und wenn Hilken nicht kommt, wirst du dich zermartern bei diesem Warten!“

„Auch das gehört dazu!“

„Ich weiss nicht, Blanka! Wo ist das Glück, wenn ihr euch nur gegenseitig quält!“

In das feine, schmale Gesicht der Freundin kam etwas Müdes. Sie antwortete nicht, und Jenny fühlte sich plötzlich etwas befangen, wie so oft der Freundin und Lehrerin gegenüber — trotz der Freundschaft.

„Bloss Herr v. Hilken —“, wiederholte Fräulein Mertini des Mädchens Worte.

„Und du hast vorhin gefragt: ‚wieviel Grenadiere gibt’s?’“ Wie immer befreite sich Jenny von ihrer Befangenheit, die sie demütigte, durch solch ein Auftrumpfen.

Blanka nahm es schweigend hin, sass sinnend da und sagte: „Gott behüte dich vor solch einem — Liebesverhältnis!“

„Verhältnis — Liebesverhältnis!“ Jenny blickte nach der Uhr auf der Spiegelkonsole und erhob sich.

„Ja — es wird Zeit, ich muss weg“, sagte sie. „Schick’ Hilken doch einen Dienstmann hin, damit du Bescheid bekommst und nicht in dieser Ungewissheit bist!“

Eugenie Erdözy

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