Читать книгу 100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann - Страница 11

Ins Chilcotin

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Chilcotin ist die Gegend westlich vom Cariboo und bedeutet „Leute des Blauen Wassers“. Es ist ein Land von beeindruckender Schönheit. Mit Flüssen, Hunderten von Seen und fantastischen Felsformationen. Eisfelder und alpine Wiesen stehen im Kontrast mit Tälern und Grasland. Grizzlys, Caribous, Elche, Bergziegen, Bighorn-Schafe und Rehe sind hier zu Hause. Neben vielen Vogelarten gibt es auch die mit Motoren, denn Buschflugzeuge sind unerlässlich und verkehren hier so selbstverständlich, wie andernorts die Taxis, zwar teurer als diese, aber wesentlich günstiger als in Europa. Es ist auch ein Land, das von Cowboys beherrscht wird, die hier ihre Rinder züchten. Die Charaktere sind freundlich, voller Geschichten und Lebensfreude.

Die Straße, die als Nummer zwanzig ampellos über 460 Kilometer westwärts bis zu Bella Coolas Fährhafen zieht, galt lange als eine äußerst raue, nervenzehrende Piste, die so manche Panne verursachte. Heute ist sie, bis auf die 50 Kilometer im Tweedsmuir Park, asphaltiert, mehr oder weniger eben und gut befahrbar. Im Schutzgebiet schlängelt sie sich vom 1.524 Meter hohen Heckman-Pass auf teils einspuriger Fahrbahn und manchmal schlechtem Schotter mit 18 Prozent Gefälle hinunter ins Atnarkotal. Einige Ausweichstellen für den Gegenverkehr sind zwar vorhanden, Begrenzungen oder Leitplanken an Felswänden oder tiefen Schluchten gibt es jedoch nicht. Acht Jahre später war dieser Straßenabschnitt weiter verbessert, doch hat das Wort „langsam“ noch immer Priorität. Unterwegs gibt es zahlreiche Seen, kleine Frühstückspensionen, Freizeiteinrichtungen, Campingplätze, Tour-Veranstalter, ein paar Läden in den kleinen Ortschaften, Raststellen und Lodges. Einige davon sind anfahrbar, andere liegen in der Wildnis und sind nur mit dem Buschflieger zu erreichen. Ab und zu trifft man auf eine Ranch, auch auf längst verfallene. Am Wegesrand grüßt die alte Zeit mit den berühmten historischen „Russel-Fences“, nagellosen Koppelzäunen, die als Symbol dieser Region im Zickzackkurs ihres Weges ziehen. Heute wird in den kleinen Ortschaften mit Tankstelle, Restaurant und „Store“ fast alles angeboten, was im weiten Rund tagtäglich gebraucht wird, von Bohnen bis zum Sarg; fünfzig Zentimeter lange Nägel, Marmelade, Bücher, Regenkleidung, Pflugschare, Hemden oder Ersatzteile für Maschinen. Sofern die Lebensmittel nicht in großvolumigen Behältern abgepackt sind, schaufelt man sie persönlich aus einem Fass oder Sack in kleinere Gebinde. „Groß“ ist hier nicht nur ein typisch nordamerikanisches Merkmal, sondern die Anwesen der Rancher liegen oft viele Meilen vom kleinen Ort entfernt, so dass in größeren Abständen eingekauft werden muss, und dann natürlich nicht nur kiloweise. Einige dieser Ortschaften, die Ausgangspunkte zu Seen, Lodges und Freizeiteinrichtungen im Hinterland sind, bieten mit Wasserflugzeugen oder Heli-Hicking auch schnelle Verbindungen zum Endziel. Auch das Pferd hat hier noch einen wichtigen Platz, denn mit ihm lässt sich auch eine Landschaft erschließen, die weglos und schwer ist und auch weite Distanzen ermöglicht. In Lodges kann der Tourist auch nur einige Stunden oder wenige Tage ausreiten, bei geführten Trailritten aber auch mehrere Wochen unterwegs sein. Angesteuert wird dieser Landstrich über Williams Lake oder die Fähre in Bella Coola, die sich zu Port Hardy auf Vancouver Island auf den schönen Weg macht. Die großartige Natur und ihre Einsamkeit tun gut, denn in unserer hektischen Welt werden Frieden und Ruhe zu unserem größten Gut. Vielfalt ist ebenfalls gegeben, mit trockenen Landstrichen, Canyons, Wasserfällen, verschneiten Bergen oder temporärem Regenwald. Die Flüsse Bella Coola und Dean gelten als große Lachsgewässer, und die weißen Pelikane kommen alljährlich nach Anahim Lake, wie die Grizzlys im September zum Fischen an die Ufer des Atnarko Rivers. Schließlich ist da auch noch der „Tweedsmuir Park“ mit seinen bunten Regenbogenbergen.

In Williams Lake biegen wir an der Kreuzung mit der „97“ auf die „20“ ab und begeben uns auf Neuland. Der blaue Himmel passt auch dazu, denn er schürt unsere Entdeckerfreuden und Neugierigkeit. Nach drei Kilometern sind wir bereits am Abbieger nach Dog Creek und der Gang Ranch – der Asphalt wird dort schon in Springhouse zu Schotter – und klettern weiter mit der „20“ aus Williams Lake heraus in höheres Gebiet, das sich mit Wäldern, Hügeln und Grasland zeigt, auf denen sich hier und dort Rinder und Pferde tummeln. Danach fällt der Blick linker Hand auf das Chimney Valley und, reichlich zwanzig Kilometer hinter der Stadtkreuzung, auf die schön gelegene Chilcotin Bridge, die uns auf das zwischen den Rockies und den gewaltigen Küstengebirgen liegende Chilcotin Hochland hinüberbringt. Die große stählerne Bogenkonstruktion, die die Fahrbahn der fotogenen Brücke trägt und an gleicher Stelle 1961 das Original der Sheep Creek Bridge von 1904 ablöste, setzt dabei gleichzeitig über das steinige Bett des Fraser Rivers hinweg, der sich hier seinen Weg durch leicht bewaldete Hügel sucht. Die rechts und links neben der ansteigenden Straße vorbeiziehenden Hügel, die dringend auf Regen warten, begleiten uns zum natürlichen Grasland der „Beachers Prairie, die oben am Berg beginnt, weiter westlich dem Wald mehr Platz einräumt und zu Riske Creek endet. Auf diesem Plateau wachsen Salbei, Ried- Quecken- und Weizengras, Feigendisteln und ähnlich Unbekanntes. Sie gibt auch Vögeln und Säugern, darunter Adler und Dickhornschafen, eine Heimat. Ehe man diesen Ort erreicht erscheint in der Ferne der „Canadian Coast Guard Tower“. Obwohl weit weg von der Küste, ist sein Name dennoch Programm, denn der Turm gehört zum Navigationssystem der Schiffe und Tanker, die entlang der Küste von British Columbia von Alaska nach Seattle unterwegs sind. Mit einer Reichweite von viertausend Kilometern hilft er die Schiffspositionen zu errechnen, um bei Notfällen zielgenaue Daten zur Verfügung zu haben. Der erste Ort an der Straße, Riske Creek, verdankt seinen Namen L.W. Riske, der 1859 in der Nähe des Creeks als einer der ersten im Chilcotin siedelte. Wichtig sind hier eigentlich nur der „Store“, der die Gegend mit Waren aller Art versorgt, und die kurz dahinter nach links abbiegende „Chilcotin South Forest Road“. Die unkomfortable Schotterstraße, auf der sich an trockenen Tagen Fahrzeuge aus der Gegenrichtung durch riesige Staubwolken schon meilenweit vorher ankündigen, führt durch Grasland und zunächst zum Farwell Canyon und dem Chilcotin River. In der Verlängerung lassen sich auch die Gang Ranch, Dog Creek oder verschiedenen Destinationen an der südlichen „97“ erreichen, doch je weiter der Weg, desto ruppiger die Piste. Canyon und Fluss haben wir auch auf dem Programm, doch erst auf dem „Heimweg“, denn jetzt wartet erst ein Trailritt als fester Termin.

Zum Chilcotin gehört auch unbedingt die Geschichte von „Bechers House“. Obwohl es seit der teilweisen Neuausrichtung des Highways 1945 abseits liegen würde, macht seine Story von dem fröhlichen Geist, der einst dort herrschte, nach wie vor die Runde, denn mit 22 Zimmern, Laden und Bar war es in der alten, großen Zeit der Dreh- und Angelpunkt in diesem Landstrich. Fred Becher hatte zwei Hotels am Riske Creek erbaut, das erste freiwillig, das zweite notgedrungen. Und jedes Jahr, im Frühjahr und Herbst, gab es zwei begehrte Tanzfeste. Und wer dabei im Haus keinen Platz fand, der campte unter freiem Himmel. Einige warteten hier auch nur auf die Post, die Tommy Hodgsons Vierpferde-Gespann an bestimmten Tagen am Rasthaus ablud, andere hofften darauf, eine Einladung zu Frau Bechers „Teatime“ im Garten zu erhalten, wenn das Getränk im eleganten Silberservice gereicht wurde. Becher kam als sehr junger Bursche aus England, verdingte sich anfangs bei der Hudson’s Bay Company und transportierte später Fracht von Soda Creek nach Hanceville. Das Land, das er kaufte und 1892 mit Hotel, Bar, Laden und Poststelle bebaute, wurde als „Bechers Place“ bekannt, und in einer Zeit der Frachtwagen und Viehtriebe zu einer der wichtigsten Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten für jene, die im Chilcotin unterwegs waren. Der „Saloon“, der einzige zwischen 150 Mile House und Hanceville, tat sein Übriges. Ein Likör kostete 15, zwei 25 Cent, ein Bett oder eine Mahlzeit jeweils einen halben Dollar. Das Geschäft florierte, und die zweihundert Rinder und dreihundert Schafe trugen ihren Anteil dazu bei. Becher besaß auch einige gute Pferde, die beim alljährlichen Drei-Tage-Rennmeeting auf Bechers Prairie gesattelt wurden. Zwanzig fanden in seinem Stall Platz, und ihre Namen waren in das Holz eingebrannt. 1912 erhielt sein Hotel das erste Telefon im Chilcotin, ein Jahr später auch das erste Auto. Der Cadillac war jedoch kein Statussymbol, sondern fungierte zwischen Hanceville und dem 150 Mile House als Personentaxi. Als das Hotel am 15.1.1915 restlos abbrannte, baute Becher mit dem Holz aus seinem eigenen Sägewerk zwar ein neues, doch wirklich erholen konnte er sich nie wieder. Als ein neues Verbot die Alkohollizenzen einzog und Eisenbahn und Automobile die Reisezeit verkürzten und Übernachtungen überflüssig machten, war der Kampf endgültig verloren. Im April 1936 starb Becher in seinem Heim und fand auf einem nahen Hügel seine letzte Ruhe. Seine Frau ging einige Jahre später zurück nach England und verstarb dort 1957. Das berühmte „Bechers Haus“ ging durch mehrere Hände, wurde renoviert, letztendlich aber verlassen, denn nach der Straßenkorrektur kümmerte der einst so stolze Platz nur noch vor sich hin. Als ein Erbe 1981 die Reste abriss, starb auch der letzte Glanz an eine einst stolze Zeit. In jener hatten zwanzig Stufen von den Speiseräumen hinauf in die achtzehn Zimmer geführt, die in grün, rosa und blau ausgelegt waren und durch Ofenrohre beheizt wurden, die aus den unteren Räumen in die oberen zogen.

Und die wundervollen Messingbetten waren ähnlich berühmt, wie die Mitternachtsdinner in den 1920er Jahren. Bechers Hotel muss damals eine großartige Einkehr gewesen sein, und seine Besitzer ebensolche Menschen. Vielleicht gibt es deswegen auch heute noch Einheimische, die die alten Pfade noch kennen und Interessierten jenen Platz mit der glanzvollen Vergangenheit noch zeigen können. Gereizt hätte mich das zwar auch, doch unsere Fahrt geht weiter durch das Hochland bis ein kleiner malerischer Bach gegen Mittag einen idyllischen Frühstücksplatz für unser „Zweites“ signalisiert. Die schnelle Lösung am frühen Morgen kennt in der Regel nur ein „Ohne-Alles-Croissant“, frisch aus dem On-Bord-Backofen, und eine Tasse schwarzen Kaffee, während das zweite Frühstück, das grundsätzlich das Mittagessen ersetzt und auch erst gegen Nachmittag fällig sein kann, nach englischer Art ausfällt, mit Eiern, Schinkenspeck, Würstchen, Paprika, Zwiebeln, Tomaten, Brot und Kaffee. Und, gewissermaßen als Nachtisch, noch ein oder zwei der großen runden Kekse mit den dicken Schokoladensplittern, die inzwischen auch in der Heimat zu haben sind.

Auf den folgenden 130 Kilometern rollen wir durch die Ortschaften Hanceville, Alexis Creek und das Indianerreservat Redstone. Hanceville, das in einem lieblichen Tal liegt, entlieh seinen Namen von dem Amerikaner Tom Hance, der zum Goldrausch zu spät kam und in den 1870er Jahren in der heutigen Ortschaft Schmiede, Post und Laden eröffnete. Seine Waren wurden mit Pferde-, Maultier- oder Ochsengespannen aus dem 650 Kilometer entfernten Yale angeliefert. Als Ashcroft zum südlichsten Terminus der Wagenstraße wurde, war der Weg etwas kürzer, die Schinderei für die Zugtiere blieb aber die gleiche. Hanceville hatte aber noch einen anderen Pionier, Norman Lee. Er gehörte zu den ersten Ranchern in dieser Gegend, und als der Goldrausch begann vermutete er ein gutes Geschäft. Mit 200 seiner Rinder machte er sich 1898 auf den 2.400 Kilometer langen Marsch nach Dawson City, um den Goldsuchern Fleisch anzubieten. Zu Beginn folgte Lee der alten „Collins Overland Telegraphenlinie“ zum Telegraph Creek, im 21. Jahrhundert ein Ort im schönen Stikine Grand Canyon, der über einen Abzweig vom „Cassiar Highway“ erreicht wird. Als der Farmer seine Rinder nach Norden trieb, gab es weder Straßen noch Wege, nur unendliche, unberührte Wildnis. Bis Hazelton, in der Kitwanga-Region, hielten sich seine Verluste noch in Grenzen, doch als die Herde am 7.9.1898 den Telegraph Creek erreichte, hatten ihn bereits viele seiner Männer verlassen, es fehlte an Gras, die Rinder waren abgemagert, und die meisten Pferde lahm. Lee setzte seinen Treck über einen alten Indianerpfad aber fort und erreichte am 3. Oktober Teslin, das auf heutigen Landkarten 200 Kilometer südöstlich von Whitehorse am Alaska Highway zu finden ist. Es waren aber nicht nur die fünfhundert Kilometer, die die Herde noch getrieben werden musste, oder die wesentlich höheren Futtermittelpreise dieser Gegend, sondern der radikale Verfall der Fleischpreise, der Lee keine andere Chance ließ, als die Tiere an Ort und Stelle zu schlachten. Zu viele der Stampeters hatten inzwischen ihr Vorhaben aufgegeben, ihre eigenen Ochsen verkauft, und den Markt dadurch zusätzlich geschwächt. Lees letzter Versuch, das Fleisch auf Booten nach Dawson City zu bringen, versank bei einem schweren Sturm in den Fluten. Das wenige, das gerettet werden konnte, verteilte der Farmer an seine Männer, die den Weg zu den Goldfeldern fortsetzten. Er selbst ritt zurück zu seiner Farm, mit absolut leeren Händen. Der „Lee’s Corner Store“, der im Ort an ihn erinnert, steht dann auch direkt an der Ecke, wo die Schotterstraße nach links zum Elkin Creek, in das Nemaiah Valley und den Chilco Lake vom Highway abbiegt. So ungewiss wie damals Lee’s Weg ist die Piste zwar nicht, für ein Wohnmobil aber doch ziemlich ruppig. Für den Rest des südlichen Hinterlandes, das hier über Abzweigungen oder Pisten ab Redstone und Tatla Lake erreicht wird, wählt man besser einen Allradler.

Hinter Hanceville zieht die Straße durch Tl’etinqox-t’in Territorium, das sich linker Hand am Chilicotin River hinzieht, und dem 25 Kilometer weiter mit Alexis Creek der nächste dieser kleinen Orte folgt. Die ersten Siedler ließen sich in den zeitigen 1890er Jahren hier nieder, schlugen ihre Zelte entlang des Flusses auf und hatten das Ranchergewerbe bald zum Hauptgeschäft dieser Gegend entwickelt. Heute dient der Ort hauptsächlichst als Service Center für das Ost-Chilcotin. Von den alten Gebäuden gibt es nur noch wenige, doch sind diese renoviert wie das noch aktive Red Cross Outpost Hospital von 1912, das, hinter dem General Store gelegen, seine Dienste inzwischen in Rot-Weiß als Medical Clinic für die gesamte Region anbietet. Den von hier aus zu erreichenden „Stum Lake Provincial Park“ kann man streichen, denn er ist vom 1.März bis Ende August für Besucher geschlossen, um die hier brütenden 350 weißen Pelikan- Paare, nicht zu stören. Die in jedem Mai aus Südmexiko ankommenden Vögel reisen zwar im August schon wieder ab, doch kann man ihnen, mit etwas Glück, bei ihren Futterflügen auch auf den Seen Anahim- und Puntzi Lake begegnen. Sechs Kilometer weiter bietet der Bull Canyon Provincial Park auf seinem Campground, zwischen Straße und dem schnell fließenden Chilicotin River, 20 Standplätze mit Toiletten und zwei Wasserpumpen, doch eignet er sich auch als Frühstücksplatz oder für eine kurze Rast. Vergessen sollte man aber nicht, besonders bei einem Spaziergang entlang des Flusses während der Laichzeit, dass hier auch Bären, Cougars und Wölfe unterwegs sein können, und, dass auch der Fluss Respekt verlangt, gehört er doch zu den besten Wildwassergewässern Nordamerikas. Historische Bedeutung hat hier die Felsklippe „Battle Bluff“, auf der die Nuxalk-Indianer die aus Bella Coola kommenden Angreifer der „Ts’ilhqot’in“ mit einem simplen Trick in die Flucht schlugen und große Gesteinsbrocken über die Klippe rollten. Wir haben heute aber wesentlich friedlichere Absichten, packen gleich am Eingang auf dem Picknickplatz unsere Kaffeetassen aus und stellen dabei fest, dass sich am anderen Ufer des Flusses, der kurz vorher den Chilko River aufnimmt, eine Grizzly-Mutter mit ihrem noch etwas tollpatschigem Nachwuchs unbekümmert die Zeit vertreibt und unsere Pause erfreulich aufwertet.

Auf der Weiterfahrt biegen mehrere, in der Regel sehr raue, Schotterpisten ab, die zu Seen, Campingplätzen oder Lodges im Hinterland führen, wo in der Regel fischen, wandern, Boots- und Reittouren im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen. Wer angeln will, braucht unbedingt eine Erlaubnis. Sie ist generelle Pflicht, nicht teuer und in den Stores oder Lodges zu haben. Etwas außerhalb von Redstone, direkt am Straßenrand, fällt der Blick auf einen Indianerfriedhof, denn hier zieht die „20“ durch das „Redstone Indianer Reservat“, während sich Richtung Westen bereits die Küstengebirge mit ihren meist weißen Gipfeln erheben und zwei Abstecher einladen. Zunächst zum populären Puntzi Lake, der auch für seine Kokanee Lachse und Forellen bekannt ist, danach wirbt, beim gleichnamigen Ort, die Chilanko Forks Straße für die 1987 gegründeten „Chilanko Marsh Wildlife Management Area“. Diese 900 Hektar Feuchtgebiet liegen direkt an der Pazifik Flugroute und bieten mehr als fünfzig Vogelarten, sesshaften und Gästen, als auch Elchen, Hirschen, Kojoten, Nerzen und Biber ein Zuhause. Die Wanderwege, die der Interessierte einschlagen darf, sind am Parkplatz beschrieben.

Zurück auf dem Highway bringen uns die nächsten 40 Kilometer nach Tatla Lake. Kurz vor dieser Ortschaft knickt die Straße nach rechts, und genau hier heißt es anhalten, denn an der nach links abbiegenden Schotterstraße, das Tor in eine wunderschöne Landschaft, gibt ein großes Schild darüber Auskunft, zu welchen Flüssen oder Seen diese „Backcountry Roads“ führen; Sapeye, Horn, Chilko und Tatlayoko sind Beispiele. Dass die Fischbestände in diesen Seen hervorragend sind, ist so selbstverständlich wie die großartige Natur, die sich hier ausbreitet. Zum „Chilko Lake“ ist es von hier aus mit etwa 70 Kilometer ähnlich weit, wie über die vor Redstone abbiegende Straße, doch wird jener Schotter in der Regel besser gepflegt, obwohl auch er unser Gefährt 2010 ganz gewaltig durchgeschüttelt hat. Dass man sich vor Ort über den Pistenzustand erkundigt leuchtet ebenso ein wie die Tatsache, dass das, was die Einheimischen als gut bezeichnen, nicht unbedingt mit europäischen Vorstellungen identisch sein muss. Die Seen Sapeye und Horn sind von der Kreuzung 15 Kilometer, der Tatlayoko 40 Kilometer entfernt. Schön sind diese vielen Seen alle, aber das „Ass“ in diesem Gebiet ist der Chilko Lake, der größtenteils von dem 1994 eröffneten, 235.000 Hektar großen Ts’yl-os Provinzpark eingerahmt wird, der nur zu Fuß, Pferd oder Boot betreten werden darf. Den Namen des Parks spendete der Mt.Tatlow (3.066 Meter), den die First Nation Leute Ts’yl-os nennen, und an dessen Management die Nemaiah Native People beteiligt sind. Die Wasser des 65 Kilometer langen und 180 Quadratkilometer großen Chilko Lakes, des größten Sees der Küstengebirge, kommen von Gletschern und speisen den Chilko River, dessen „Weiße Meile“ im Lava Canyon bei Wildwasserfahrern weltbekannt ist. Auf dieser fällt der Fluss neunzehn Meter pro Kilometer, und insgesamt 500 Meter auf 240 Kilometer.

In Tatla Lake ist das westliche Ende des Chilcotin Plateaus erreicht, und wer nicht mit dem Auto zur Chilco Lake- oder Ts’yl-os Park Lodge fahren möchte, der kann hier seine Ziele mit dem Helikopter ansteuern, oder von Anahim Lake und Vancouver aus auch Abholflüge der Lodges mit Buschpiloten nutzen. Lodges und Führer bieten Touren zu Fuß, Boot und Pferd in eine großartige Landschaft an, die den Mt.Waddington (4.016 Meter) als höchsten Küstengebirgsgipfel, den Franklin Gletscher und das Homathko Eisfeld einschließt. Und „nebenan“ bietet sich auch noch das unberührte Gebirgstal des Tatlayoko Lakes an. Rafting, Bergsteigen, Bärenbeobachtungen und viele andere Erholungsmöglichkeiten auf hohem Niveau gehören ebenfalls dazu. Die „Tsylos“ Lodge, am kristallklaren Chilko Lake gelegen, empfängt ihre Gäste von Juni bis September und offeriert im Juli und August auch mehrtägige Packritte. Wer hier für einen längeren Trailritt keine Zeit hat, der sollte wenigstens eine Tagestour dazu nutzen, um aus 2.600 Meter Höhe den grandiosen Blick auf den See, den im Spätsommer Millionen von Lachsen erreichen, zu erleben. Wenn dann noch die Sonne scheint und sich im türkisblauen Wasser die schneebedeckten Dreitausender spiegeln, dann fühlt und begreift man, was Westkanada ausmacht. Hat sich dann auch noch der Spätsommer eingestellt, wenn die Farben der Natur in einem regelrechten Feuerwerk explodieren, dann glaubt man nicht, dass sich die Natur noch weiter übertreffen könnte. Aber sie kann! Denn nun kommen die Sockeye Lachse zu Tausenden im Hochzeitskleid vom Pacific den Chilco River herauf, färben ihn mit ihren Leibern knallrot und laichen im gleichnamigen See. Danach haben sie ihre Mission beendet, wie alle ihre Verwandten, die im Pazifik unterwegs waren. Mit den Fischen finden sich auch die etwa 60 Grizzlys dieser Gegend ein, um sich vor dem Winterschlaf noch mehr Speck anzufressen. Die Ts’yl-os Lodge ist aber nicht die einzige, die schöne Urlaubstage in dieser wunderschönen Natur verspricht. Andere wären die Tsuniah Lake Lodge, die Elkin Creek Guest Ranch im Nemaiah Valley oder die Chilco Lake Lodge & Guest Ranch als preiswerter Familienbetrieb, der auch einen Campingplatz unterhält.

Bis etwa hierher wird die „20“, für deren neues Teerkleid 23 Millionen Kanadische Dollar bewilligt waren, und von dem wir 2010 das Mittelstück davon schon unter den Rädern hatten, vom Plateau und seiner Landschaft begleitet. Das Weideland zeigt sich dabei größtenteils als hartes Gras, dessen Stängel lange Rispen tragen. Hier und dort fällt der Blick auf Birkenbestände und am Horizont auf Fichtenwälder und bewaldete sanfte Höhenzüge. Kleinste, oft ärmliche Anwesen und spärliche, winzige Ortschaften vervollkommnen den Gesamteindruck. Die meisten Bewohner bevölkern das Hinterland, und größere Ranches an der Straße sind selten. Auffällig ist die Half Way Ranch, aber ein Glanzstück ist auch sie nicht. Was überall die Aufmerksamkeit auf sich zieht sind allerdings die Gatter, die zum verladen der Tiere benötigt werden, denn Ställe kennen sie hier nicht. Und selbst dort, wo verfallenen Schuppen und Scheunen signalisieren, dass die Aktivitäten längst der Vergangenheit angehören könnten, sind jene noch immer aktiv und Rinder oder Pferde nicht weit entfernt.

Unterwegs, und kurz vor Tatla Lake, hatte uns die „Half-Way Ranch“ angedeutet, dass etwa die Hälfte der Wegstrecke auf der „20“ passiert ist. Man mag es kaum glauben, denn die Fahrt ist gemütlich, der Verkehr aber äußerst minimal. Tatla Lake ist einer jener kleinen Orte, in denen der Tourist auch frisches Brot und ähnliche Kleinigkeiten einkaufen kann, und ein Tor nach Süden in die einsame Seen- und Bergwelt. Kleena Kleene, als nächste Ansiedlung, lässt auch nicht lange auf sich warten, und auch hier bieten Guides und Outfitters Touren an. So auch zum fischreichen Klinaklini River, der sich seinen südlichen Weg zwischen den Gletscherflanken Franklin und Kunaklini sucht und in das, von Vancouver Island gut zu erreichende Knight Inlet mündet, dessen Ufer und Umgebung als Grizzly-Paradies gelten, das eine Lodge dem Tourismus erschließt. Wer hier gern abseits kampiert, wählt etwas weiter die rechterhand abzweigende Holm Road zum One Eye Lake, der mit seinem kleinen, sehr einfachen Campingplatz eine preiswerte Übernachtung anbietet. Wesentlich angenehmer ist allerdings die „Clearwater Lake Lodge und Resort“, die an der „20“ linkerhand vor ihrer kurzen Zufahrt angekündigt wird. Mit dieser sehr schönen Holzbohlenlodge mit rotem Dach am Clearwater Lake haben sich Gisela und Bernward Kalbhenn aus Bonn vor einigen Jahren einen Traum erfüllt und Deutschland den Rücken gekehrt. Der Anfang war nicht leicht, denn es musste abgerissen, renoviert und verbessert werden, doch das, was nach eigenen Plänen entstand, ist ein Kleinod mit besonderem Ambiente, das Gemütlichkeit, Erholung und Abenteuer mitten im Bärenland garantiert. Und an diesem See, der ein wirkliches Juwel ist, hat der Gast die Wahl zwischen Lodge, Blockhäusern (Cabins), Luxus im Chalet und einigen Standplätzen für Camper. Geführte Touren in die Bergwildnis werden ebenso angeboten wie reiten mit echten Cowboys und Flüge mit dem Buschpiloten, Wasserflugzeug oder Helikopter. Zweimal haben wir dort unser Wohnmobil hinter den Blockhütten im Wald geparkt und dieses schöne Fleckchen Erde mit seinem wunderschönen See für einige Stunden auf der Durchreise genießen können.

Am nächsten Morgen bin ich vor der Weiterfahrt schon kurz vor fünf Uhr am See. Es ist frisch, aber wunderschön, und außer ein paar Lauten der Natur ist nichts zu hören. Ich gehe am Ufer entlang, höre in die unendliche Weite hinein und schaue der Sonne zu, wie sie langsam den Horizont erklimmt und dafür sorgt, dass gegenüber leichte Nebelschwaden über dem dort dunklen Wasser schweben. Es scheint, als dass diese grauweisen, dünnen und utopischen Gebilde erst ganz vorsichtig ihren Weg ertasten, um sich ihm dann behutsam und zögernd anzuvertrauen. Und diese schwebenden Schleier passen auch zu ihrer Umgebung, die behutsam und friedlich ist, nicht spektakulär und kalt oder harsch und abweisend. Sie ist gut fürs Gemüt, und das Spektakuläre ist nicht weit weg. Ich mache einige Fotos und lausche dann auf dem Bootssteg der Stille und dem zaghaften Plätschern der winzigen Wellen, wenn sie sich von der Uferlinie gestört fühlen. Und mitten in diese Träumerei hinein dringen unverhofft die Schreie eines „Loon“, und erstmals ist er mir auch so ganz nahe. Mir läuft es eiskalt über den Rücken, aber für das Herz fühlt es sich an wie Sehnsucht und Wärme zugleich. Sein Ruf ist wie ein Urschrei der Natur, kräftig, laut und einfühlsam klagend. Das Repertoire dieser Seetaucher an Rufen, ein extrem lautes, melodisches Heulen, das sich weit trägt, ist erheblich, doch dienen die wenigsten Rufe dem Gesang, sondern der Suche nach dem Partner oder der Revierbeanspruchung. Wer diese großen und schönen Schwimmer, die bis zu 8 Minuten tauchen können, nicht kennt und sie nachts überraschend hört, wenn sie mit ihren Warnrufen kreischend lachen oder krächzen, dem dürfte so mancher Schreck in die Glieder fahren. Mit ihren weit am hinteren Körper angebrachten Beinen können sie kaum laufen, nisten unmittelbar am Wasser und kommen in Westkanada als Eis-, Stern-, Pracht- oder Pazifiktaucher vor. Im Sommer tragen sie alle ihr prächtiges Brautkleid, das auf der Oberseite größtenteils schachbrettartig schwarz-weiß gefärbt ist und der weißen Unterseite den Rang abläuft. Ihr langer Hals ist mit gelben, weißen oder roten Ringen farbenprächtig abgesetzt, und aus dem oft schwarzen Kopf leuchten große, rote Augen mit dunklen Pupillen. Wenn die Wälder mit der Ankunft des Frühlings zu neuem Leben erwachen, dann sind auch diese eleganten Wasservögel, die 30 Lebensjahre erreichen können, wieder zu ihren Seen unterwegs und dulden dort mit ihrem schaurig schönen Gesang keinen Nebenbuhler. Ende März, wenn das Eis schmilzt, trifft der erste Loon ein und nimmt sein altes Revier wieder in Besitz, während sein Partner etwas später von der Küste nachkommt, um fünf gemeinsame Monate zu verbringen. Im Juni beginnt der Nestbau ganz nahe am Wasser, denn nur dort fühlen sich die rasanten Unterwasserjäger sicher, die bis zu achtzig Meter tief tauchen und dabei Luft aus Federn und Luftsäcken ablassen können. Wenn die Küken schlüpfen, folgen sie ihren Eltern sofort ins Wasser und kehren anschließend für zwei bis drei Tage ins Nest zurück. Danach kommen sie erst wieder an Land, wenn sie selbst brüten. Geschwisterliebe kennt der Nachwuchs nicht, denn der Ältere hackt die Jüngeren von den Eltern weg, um selbst den Platz auf deren Rücken zu erobern. Bei diesem Kampf um Leben oder Tod greifen die Eltern nicht ein, und die Verlierer sterben an Hunger und Unterkühlung. Vielleicht, weil das Gesetz der Natur es erfordert, dass nur einer, der Stärkere, überlebt? Anfang September versammeln sich die Loons auf großen Seen und verhalten sich dabei neutral, weil diese Gewässer keine Territorien darstellen. Hier machen sie Bekanntschaft mit anderen ihrer Gattung und bilden Paare, danach gehen sie wieder eigene Wege. Erst, wenn der Winter zum Flug in den Süden mahnt, finden sie sich in großen Schwärmen bis zu einhundert Vögeln zusammen, brechen aber einzeln oder in Paaren auf. Danach wird es an den Tausenden von Seen wieder still, bis das urzeitliche Heulen dieser Überlebenskünstler, das seit mehr als zwanzig Millionen Jahren ertönt, im Frühjahr wieder zu vernehmen ist. Diese Loons haben mich tief berührt, und sie tun das immer wieder, wenn ihr uriger Gesang mein Ohr erreicht. Und es sind wohl diese Laute, diese unterscheidbare tiefe, einsame, zu Herzen gehende Melodie, die das Innere aufwühlt, die man mit dem Ruf der Wildnis Kanadas gleichsetzen kann, vielleicht sogar muss. Man fühlt dabei alles, Freiheit, Unendlichkeit, Weite, gewaltige Natur, unser kleines, vergängliches Menschenleben, Überlebenskampf und Wildnis. Und in den Minuten am Clearwater Lake, als ich „meinem“ Loon lausche, muss ich an einen Indianerspruch denken, den ich irgendwo gelesen habe: „Das Sonnenlicht hinterlässt keine Spuren im Gras, halten auch wir uns daran, und gehen mit der Natur genau so behutsam um.“ In diesem Moment des Erlebens kann ich verstehen, was damit gemeint ist. Den Ruf des Loons werde ich nie wieder vergessen, und auch das indianische Sprichwort nicht, dass das dazu sagt: „Der Eistaucher schreit, weil ihm jemand zuhören soll, und seine Augen sind rot vom Weinen.“ Ja, auch so hört es sich an.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen verabschieden wir uns von den Kalbhenns und sind der Meinung, dass wir wiederkommen werden. Ein letztes Winken, dann brummt unser Gefährt den Berg hinauf zum Highway 20, wo wir nach links, Richtung Bella Coola, einbiegen. Der Asphalt zieht jetzt nordwärts, es wird wieder grüner, und am Wegesrand blüht die Indian Paint Brush in vielen Farben. Kleine Seen und Koppeln mit Rindern und Pferden begleiten uns nach Nimpo- und Anahim Lake, wo der Highway wieder nach Westen abknickt und nach weiteren 150 Kilometer zu Bella Coola, am North Bentinck Arm des Burke Channels, sein Ende findet. Nimpo Lake, die „Hauptstadt der Wasserflugzeuge von British Columbia“, verweist im Wesentlichen auf Bäckerei, Post, Café, Motel, Laden, Lodge, See und die „Tweedsmuir Air“, die 1988 gegründet wurde, pauschale Ausflüge und Charterflüge anbietet, aber auch alle Eigenkreationen der Touristen mit ihren „Buschfliegern“ „Beaver und Cessna“ erfüllt. Ob es dabei zu abgelegenen Wanderzielen, Seen, Anglerzielen wie dem Blackwater- oder Dean River geht, oder Flüge in den Regenbogenberge, zu den Hunlen Falls, Eisfeldern, Gletschern oder Transferflüge zu verschiedenen Orten gewünscht werden, hier ist so ziemlich alles möglich, auch morgens zum Wunschziel hinfliegen, und abends wieder abholen lassen. Und das Wichtigste dabei, für europäische Ohren klingen die Preise sehr zivil, obwohl stets die komplette Maschine bezahlt werden muss. Wer im Dreisitzer nur mit dem Piloten unterwegs ist, zahlt allein, ansonsten wird der Gesamtpreis entsprechend geteilt. Mit diesen Fliegern werden wir auch noch Bekanntschaft machen, doch kam das eher unerwartet.

Neunzehn Kilometer weiter, und 330 Kilometer von Williams Lake entfernt, erreichen wir die Weiler und die Ansiedlung, die sich Anahim Lake nennt. Der kleine Ort ist einer jener „Gateways“, die die Kanadier als Ausgangspunkte ins „Backcountry“ bezeichnen, und die in der Regel schon selbst weit ab und als idyllisch gelegen Oasen der Ruhe vom geschäftigen Alltag zu finden sind. Anahim Lake ist vor allem das Tor zum Tweedsmuir Park und den Itcha-Ilgachuz Bergen, aber auch in die restliche großartige Landschaft, denn die Buschflieger landen und starten hier direkt hinter der Haustür auf dem gleichnamigen See. Reine Angler können auf deren Dienste aber auch verzichten, denn der Anahim Lake ist fischreich, und der Dean River, der den See verlässt und zum Ozean zieht, gilt als einer der allerbesten Stealhead-Flüsse des Kontinents, doch ist er auch voller Lachse und Regenbogenforellen. Aber nicht nur er, sondern auch die anderen großen, wilden Flüsse der Cabrio-Chilcotin-Küste – Atnarko, Bella Coola, Kwatna, Chilck, Taseko, Chilcotin, Quesnel oder Blackwater – sind Weltklasse-Fischgewäs-ser. Anahim Lake ist aber auch eine Ausgangsbasis für Wanderer, die, mit oder ohne Buschflieger, zu Fuß oder Pferd unterwegs sein möchten, während der wirkliche Städter in dieser Gegend alles vermisst, was er schätzt.

Das unmittelbare Juwel ist hier der 981.000 Hektar große Tweedsmuir Provincial Park mit seinen farbenprächtigen Rainbow Mountains. In den 1990er Jahren wurden ihm im Nordwesten die Kitlope Heritage mit dem gleichnamigen Regenwald-Tal, und inzwischen auch der neu geformte Entiako Park im Osten zugeordnet, um den Wildtieren genügend Überlebensraum garantieren zu können. Das Backcountry im Park ist isolierte Wildnis mit Grizzlys und Schwarzbären, die sich zur Laichzeit besonders an den Flüssen Dean, Atnarko, der ein äußerst gefährliches Gewässer ist, und Bella Coola konzentrieren. Während in der Bergregion in jedem Monat des Jahres mit Schneefällen gerechnet werden muss, gelten Juni, September und Oktober als die regenreichsten im Schutzgebiet, und der Juli kann auch mit 30 Grad aufwarten. Straßen und Wege gibt es im Schutzgebiet ebenso wenig wie andere Einrichtungen. Wer hier marschiert, muss nicht nur absolut fit und mit speziellen Karten ausgerüstet sein, sondern auch alles im Rucksack haben, was er auf seiner Tour braucht. Und wer sich nicht auskennt, der braucht unbedingt einen Guide! Viel einfacher lässt sich diese Wildnis aber zu Pferd erkunden, und ein solches Abenteuer, ein achttägiger Trailritt, wartet morgen auf uns. Und das ist auch der Grund, weswegen wir nach weiteren acht Kilometern vom Highway nach rechts abbiegen, denn unser Treffpunkt ist „Eagles Nest“, ein kleines Juwel, das man mitten „im Busch“ so nicht unbedingt erwartet. Haupthaus, Blockhütten, Pool und Duschanlagen überschauen hier auf einer kleinen Erhöhung das Seeufer, gegenüber Wald, dahinter leuchten verschneite Bergspitzen. Und das Adlernest, nachdem diese Einkehr benannt ist, das gibt es auch. Als wir um die letzte Ecke biegen, werden wir schon erwartet, und alles was hier an Zweibeinern umherläuft steht vor der Tür und winkt. Dem kurzen Hallo folgen ein paar Worte und ein Willkommensdrink, dann wird erst das Wohnmobil an seinen Platz rangiert, denn morgen früh bleiben die Fahrzeuge hier.

Im gepflegten, stilvollen, kleinen Restaurant, das eher einem sehr geschmackvoll eingerichteten Wohnambiente gleicht, gibt es viele schöne Kleinigkeiten zu entdecken. Unter den Gemälden befindet sich auch eins von Salzburg, denn „Lady Enubi“, zusammen mit Petrus Rykes die Gastgeber, ist dort geboren und passt eigentlich weder in die österreichische Gebirgswelt, noch in kanadisches Cowboyland. Ihr Typ ist eher der einer gewichtigen Operndiva, äußerst gepflegt, mit Scharm, Humor, Geist, Geschmack fürs Detail und sehr viel Herzlichkeit. Hier fühlen wir uns auch sofort wohl, und als wir acht Jahre später auf dem Weg zur Fähre nach Bella Coola hier wieder einkehrten, haben wir im wunderschönen neuen Anbau Geburtstag gefeiert und dabei spontan beschlossen, dass wir 2011 zu einem siebentägigen Ritt in die Wildnis wiederkommen werden. Anfangs war dieses neue Vorhaben auch ein wenig der guten Feierlaune geschuldet, denn ursprünglich waren Peru, Chile und Argentinien angedacht, doch im November war die Reiseroute längst detailliert auf Papier, Flug und Wohnmobil gebucht, und es stand auch fest, dass Tochter und Enkelin mitkommen.

An dieser Stelle sind wir davon aber noch neun Jahre entfernt, und jetzt stimmen wir uns zunächst auf die kommenden Tage mit vier Reitern aus Calgary ein, mit Kris, John, Heather und Ferdl, der in Kärnten zur Welt gekommen ist, und seit vielen Jahren in Kanada als Geologe gearbeitet hat. Die beiden Damen waren Krankenschwestern, während John als Lehrer schon an vielen Orten unterrichtet hat, auch im hohen Norden, wo der Mackenzie ins Polarmeer fließt. Und das, was sich an unserem ersten Abend bereits abzeichnete, wurde später auch bestätigt: Diese Truppe passte zusammen wie die berühmte Faust aufs Auge.

Und das traf noch mehr auf unsere wirklichen Gastgeber zu. Auf Joyce, David und Paul, unsere Pferde Escort und Richard, und die beiden Border Collies Willie und Rio, die uns das Abenteuer Pferd und Wildnis ermöglichten.


Die Karawane zieht los, mit 26 Pferden, 13 Reitern und drei Hunden


… mit Ziel Rainbow Mountains in British Columbia

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2

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