Читать книгу 100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann - Страница 8

Wunderschönes British Columbia

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Whistler ist schön. Landschaftlich sowieso, aber auch architektonisch. Das gelungene Ortsbild passt zur Natur, obwohl auch moderne Elemente in der Kombination ihren Platz fanden. Die siebentausend Einwohner sind jedoch selten unter sich, denn Urlaubszeit ist hier das ganze Jahr. Die hiesigen Berge können zwar nicht mit denen der Rocky Mountains konkurrieren, doch sorgen der große Höhenunterschied zwischen Tal- und Bergstation, mildere Winter und die Nähe zum Meer für sehr viel Schnee. Und das sind beste Voraussetzungen für Ski und Snowboard bis hinein in den Juni. Gondelbahn, Wanderwege, Seen, Bikerstrecken, großartige Golfplätze, die geringe Entfernung zu Vancouver und der Luxusbusservice ab Flughafen sind Garanten für den Sommer. Kanu, Kajak, Speedboote, Rafting, Reiten oder Tennis gehören ebenso zum Angebot wie Ausflüge, schicke Restaurants oder Hotels für jeden Wunsch.

Doch lange bevor europäische Pioniere und Siedler ins Land kamen, waren es die St’at’mic-Eingeborenen des Pemberton Tales, die im Sommer ihr Lager am Green Lake aufschlugen. Hier fischten sie, sammelten Beeren, Wurzeln und Rinden für den langen kalten Winter. Erst als George Vancouver 1792 den Howe Sound erkundet hatte, bekamen jene Indianer in den folgenden hundert Jahren auch im Whistlergebiet immer wieder Kundschafter zu Gesicht, die einen kürzeren Weg zu den Cariboo-Goldfeldern suchten. Auch Rinder versuchte man nach dort zu treiben, doch weil derartige Vierbeiner und Regenwald nicht zusammenpassen, gelang das nur mit einer einzigen Herde. Den Trail, den sie damals ging, blieb der Nachwelt bis heute erhalten. Die Pacific Great Eastern Railway war erst 1911 bis zum südlich gelegenen Alta Lake vorgedrungen und fraß sich weiter durch das Landesinnere in Richtung Prince Georg. Von da an, und lange bevor der Whistler Mountain sich einen Namen gemacht hatte, wurde der gleichnamige See zu einer populären Touristendestination Zwei Jahre später siedelten Alex und Myrthle Phillip am Green Lake, den die „99“ nördlich von Whistler an dessen westlichem Ufer begleitet, und legten mit ihrer Fischer-Lodge auch dort den Grundstein für erste Touristen. Als die Barr’s dreizehn Jahre später am gleichen See ein Sägewerk eröffneten wuchs die Ansiedlung zwar weiter, doch war es letztlich die Winterolympiade 1968, die der Whistlerregion zum Durchbruch verhalf. Die Spiele gingen damals zwar an Grenoble, aber am Whistler, später auch am Blackcomb, entstand ab 1965 ein modernes Skizentrum, der dem Ort zur weiteren Blüte verhalf.

Am nächsten Morgen begrüßt uns erneut ein strahlend blauer Himmel. Zur Linken leuchten in der Ferne die weißen Kappen jener beiden Berge, während gegenüber kleinere Erhebungen mit bewaldeten Hängen das Tal schließen. Ein absolut perfekter Wandertag, für den wir die 20 km des „Musical Bumps Trails“ gehen wollten, an dessen Ende der Blick auf den Cheakamus Gletscher und den gleichnamigen, blau schimmernden See alle Mühen belohnt. So früh im Jahr müssen wir unterwegs aber feststellen, dass im oberen Teil dieser Wanderroute noch viel zu viel Schnee liegt, so dass wir zum „Kleinen Whistler“ abbiegen und anschließend unsere Tagestour auf dem „Harmony Trail“ fortsetzen. Während sich hier der restliche Schnee in Grenzen hielt, überraschten uns jede Menge Mücken. Dass sie um diese Jahreszeit hier und dort ein regelrechtes Markenzeichen sind, ehe sie urplötzlich wieder verschwinden, wussten wir Greenhorns natürlich nicht. Doch vermiesen konnten sie uns diesen Tag nicht, und als das Lagerfeuer wieder knistert sind wir auch mit unserer Ersatzwanderung zu frieden und der Meinung, dass Whistler ein sehr schöner und charmanter Ort ist. Gepflegt, lebenslustig und von vielen jungen Leuten besucht. Er ist auch ein Eldorado für die Biker, und seine Gondelbahn schwebt über Wiesenhänge nach oben, auf denen nicht selten grasende Bären zu sehen sind. Und das, was die Kanadier dieser Provinz auf ihren Autoschildern behaupten, „Wunderschönes British Columbia“, dass trifft ganz gewiß auch auf Whistler und seine Umgebung zu.

Ehe allerdings der Tourist dieses wunderschöne Stück Kanada genießen konnte, gingen viele Jahre ins Land, in denen Pelzhändler und Landvermesser der Northwest- und Hudson’s Bay Company, Jäger, Trapper und andere Pioniere jener Zeit unter schwierigsten Bedingungen schier Unmögliches leisteten. Sie fanden Wege über die Rockies, erkundeten Flüsse, trotzten eisiger Kälte, hungerten, schlugen sich durch unbekanntes Land und dichte Wälder. Nicht selten mussten sie nach wochenlangen Quälereien umkehren, weil es der falsche Weg war oder einer, der nicht mehr weiterführte. Sie bauten Handelsposten, erschlossen und erkundeten das Land und legten den Grundstein für spätere Straßen. Einer von ihnen war auch David Thompson, und von diesem Mann, der einen Großteil des Nordwestens kartographierte, wird später erneut die Rede sein.

Begrenzt wird British Columbia im Süden von Amerika, im Westen ist es der Pazifik, der die Linie zieht, im Norden Alaska, der Yukon und die Northwest Territories, während im Osten Alberta als Nachbar fungiert. Die Entwicklung von BC entsprach seiner abgelegenen Lage, weil die von Nord nach Süd ziehenden Gebirgswälle lange Zeit den Zugang auf dem Landweg verhinderten. Und noch im 19. Jahrhundert formulierte ein englischer Journalist, dass selbst fünfzig Eisenbahnlinien dieses unfruchtbare und kalte Gebirgsland nicht erschließen könnten. In Wirklichkeit war dieses „nutzlose Land“ aber voller Bodenschätze, und es bedurfte in erster Linie eines Hafens, um sie auch exportieren zu können. Dieser Grundstein war gelegt, als ein ehemaliger Dampfboot-Kapitän aus der Goldrauschzeit, Jack Deighton, mit seiner indianischen Frau, einem Hund, einigen Hühnern und einem Fass Whisky 1867 im Burrard Inlet anlegte, und am Zugang zum Pazifik eine „Taverne“ öffnete, die die Keimzelle Vancouvers wurde. Heute erinnert in „Gastown“ eine Plastik an jenen Ankömmling, der als „Whisky Jack“ bekannt, und „Vancouvers“ erster Bürger wurde. Die ersten europäischen Einwanderer beeinträchtigten die Indianer, ihre Kultur und deren Lebensraum zunächst nicht, doch brachten massive Rodungen, Bergbau, Fischerei, Krankheiten und Evangelisierung das gewohnte Leben der Ureinwohner aus dem Gleichgewicht. Natürliche Reserven, Wasserenergie und der Handel mit den Ländern am Pazifik boten anschließend weiteres Wachstum für diese Provinz, in der später auch der Tourismus eine wichtige Rolle spielen sollte. Dennoch scheint sich British Columbia noch einige Dinge bewahrt zu haben, die es vom restlichen Kanada unterscheidet. Zumindest, wenn man der auch heute noch gebräuchlichen Redewendung glaubt, dass es 2.500 Kilometer von Vancouver nach Ottawa, aber 25.000 von Ottawa nach Vancouver sind.

Die Ureinwohner des späteren British Columbias lebten einst in großer Zahl auf den Inseln und an der Küste, besiedelten aber auch die Flussufer bis weit hinein in das Innere des Landes. Um 1775 hatten sich bereits mehr als dreißig Gruppen mit eigener Sprache, Kultur und Territorium entwickelt. Im Inneren des Nordens begegneten die Indianer den harten Lebensbedingungen in kleinen Nomadengruppen, während sich im Süden, wo es entlang der Flüsse Fraser und Thompson neben genügend Fisch auch Wild gab, geschützte Winterquartiere anboten, deren Erdhäuser mit Rasen abgedeckt wurden. Die in Dorfgemeinschaften organisierten Küstenindianer lebten mit Dutzenden von Großfamilien und einem eigenen Chief auch unter einem Dach. Sie besaßen Jagdgründe und Plätze, an denen sie Beeren, Wurzeln oder Rinde sammelten, zelebrierten individuelle Feste, hatten jeweils eigene Rituale, Gesänge, Tänze und einen Federschmuck, der ihre Vergangenheit und Abstammung darstellte. Mit einfachsten Werkzeugen formten sie Rinde und Holz der Roten Zeder zu Kleidung, Matten, Körben, Totem Pfählen und Kanus, die ihnen Handel, Kommunikation und die Seehundjagd ermöglichten.

Als James Cook auf der Suche nach der Nordwest-Passage am 29.3.1778 in den Nootka Sound (Westküste von Vancouver Island) einlief und von Chief Maquinna der Nuu-Chah-Nulth Dorfgemeinschaft Seeotterfelle einhandelte, war auch gleichzeitig das Geschäft mit den Pelzen eröffnet. Die neue Fracht wurde in China mit großem Profit verkauft, und der Handel als solcher sehr schnell mit dem zu London, Boston, Macao und Canton verknüpft. Von 1792 bis 1794 war auch Cooks ehemaliges Crewmitglied, George Vancouver, an dieser küste Küste unterwegs, während das zaristische Russland schon 1741, und damit noch vor den Spaniern, ihre Kundschafter geschickt hatte. Lange davor, 1670, war bereits „Ruperts Land“ mit königlicher Urkunde der Hudson’s Bay Company zugesprochen worden, doch begannen die Aktivitäten dieser Firma erst 1774. Fünf Jahre später engagierte sich auch die in Montreal ansässige „Northwest-Company“ im hiesigen Pelz- und Fellgeschäft, bis sie 1821 mit der „Hudsons“ fusionierte. An David Thompson hatten die „North-Westerns“ damals einen der ganz großen Pioniere in ihren Reihen, der als sehr junger Bursche für kurze Zeit zunächst bei der Konkurrenz in Diensten war. Der Zwang, die besten Geschäfte zu machen und Gewinn zu erwirtschaften, führte ihn über die Rocky Mountains und entlang des Columbia Rivers bis hinein in die heutigen USA. Im Nordwesten war er der wichtigste jener Männer, die das unberührte Land zu Pferd, Kanu und auf eigenen Füßen erkundeten, mit Handelsposten erschlossen und kartographierten.

Weil die zunehmende amerikanische Präsenz im Oregongebiet Fort Vancouver als Headquarter der Hudson’s Bay Company am Columbia-River gefährdete, schickte die HBC 1843 James Douglas nach Vancouver Island, um Fort Victoria zu gründen. Drei Jahre später erweiterte der Oregonvertrag die Landgrenze zwischen den USA und British North Amerika bis zum 49. Breitengrad, wobei beide Seiten auch Einbußen erlitten. 1849 erklärte Königin Victoria die HBC als rechtmäßigen Hausherrn von Vancouver Island, und 1856, alarmiert durch den Zustrom der Goldsucher aus Kalifornien, formulierte das Parlament „die Kolonie British Columbia“. Zehn Jahre später wurde auch Vancouver Island in die Neugründung eingeschlossen. Der Goldrausch der Kolonie erwies sich gegenüber dem zu Kalifornien zwar als klein, doch fanden sich im ersten Jahr immerhin Nuggets im Wert von 700.000 Dollar, in den nächsten zehn für durchschnittlich drei Millionen. Und das entsprach 75 Prozent des Exportes der neuen Kolonie. Die meisten der fünfundzwanzigtausend Glücksritter waren 1858 aus Kalifornien nach BC gekommen, wo vier Jahre später der Bau der berühmten „Cariboo Wagonroad“ begann und im gleichen Jahr eine Pockenepidemie ausbrach. Unbarmherzig wütete sie vornehmlich unter den Eingeborenen, von deren 150.000 weniger als ein Drittel überlebte. 1871 eröffnete die erste Dosenfabrik am Fraser River, um das wesentlich profitablere Geschäft mit den Lachsen zu starten. Im gleichen Jahr trat British Columbia auch dem Selbstverwaltungsstatus von Kanada bei mit der Zusage, dass innerhalb von zehn Jahren eine kontinentale Eisenbahn gebaut werden würde. Der Zuschlag dafür ging im Oktober 1880 an ein Syndikat, das als „Canadian Pacific Railway Company“ bekannt wurde. Tausende von Chinesen kamen als Schienenleger und beklagten am Ende mindestens 600 tote Landsleute. Die Ankunft der ersten Eisenbahn aus Montreal in Vancouver war 1887 auch gleichzeitig der Weckruf für viele Siedler aus Ontario, England, USA und anderen Ländern, ihr Glück in British Columbia zu versuchen. Viele der Emigranten zog es damals in die Kootenay Region, wo Kohle, Gold, Zink, Zinn oder Silber abgebaut wurden. Die Holzindustrie entlang der Südküste folgte, und auch der 1869 fertig gestellte Suezkanal eröffnete auch neue Märkte.

Heute verkörpert Vancouver eine Weltstadt, die die drittgrößte Kanadas ist. In der großen Bucht des Pazifischen Ozeans, der Strait of Georgia, fand sie eine wunderschöne Lage und zusätzlichen Schutz durch das vorgelagerte Vancouver Island. Die Kulisse der meist schneebedeckten Küstengebirge, der sich Richtung Norden ausbreitende uralte Küstenregenwald, und der im Süden in den Pazifik mündende mächtige Fraser River verleihen ihr zusätzliches Flair. Die Stadt, eine gemütliche, moderne Metropole mit Wolkenkratzern, Wasser, Parks, Grünanlagen, 600.000 Einwohnern im Stadtkern und zwei Millionen im Großraum. Die westlichste Stadt am Transkanada Highway ist gleichzeitig auch ein hochrangiges Kulturzentrum mit ethnischer Vielfalt und unterschiedlichen Religionen, Theatern, Universität, Festivals und einem hohen Freizeitwert. Ihr Hafen ist der umsatzstärkste in Kanada. Holz, Kohle, Getreide, Pottasche werden exportiert, und zehn Forstfirmen sind für rund fünfundsiebzig Prozent der Holzernte zuständig. Die an den Mündungen von Fraser- und Skeena River konzentrierte Lachsindustrie erwirtschaftet achtzig Prozent des Provinz-Umsatzes, und von den insgesamt 3,2 Millionen Einwohnern, darunter etwa einhunderttausend „First Nations“, wohnen vier von fünf in den Städten. Und das Juwel dieser Provinz, die großartige Schönheit ihrer Landschaft, ist auch die Antwort darauf, warum Touristen aus aller Welt British Columbia so zahlreich besuchen.


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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2

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