Читать книгу Warum die Arche nie gefunden wird - Eric H. Cline - Страница 7

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„Die größte Herausforderung für jeden, der ein biblisches Rätsel »lösen« möchte, ist, dass in der Bibel Historisches, Theologisches, Mystisches und Belegbares ineinander verflochten sind – oft in einem Satz.“

Molly Dewsnap Meinhardt, Biblical Archaeological Society1

Die Bibel steckt voller Geheimnisse. Einige lassen sich nicht erklären und bleiben Geheimnisse oder gar Wunder – vorläufig, wenn nicht für immer. Andere Rätsel kann man vor historischem und archäologischem Hintergrund diskutieren. Manche davon, etwa der Garten Eden, die Arche Noah, Sodom und Gomorra, Mose und der Exodus, Josua und die Schlacht um Jericho, die Bundeslade und die Zehn Verlorenen Stämme, stoßen auf großes Interesse. Auf diese sieben wollen wir uns hier konzentrieren.

Während der Recherchen zu diesem Buch war ich verblüfft und, ehrlich gesagt, entsetzt über das Ausmaß an pseudowissenschaftlichem Unsinn, der zu diesen Themen geschrieben worden ist, vor allem im Internet, aber auch in Büchern. Der größte Teil dieser Arbeiten stammt nicht von professionellen Gelehrten, sondern eher von schwärmerischen Laien. Einige von ihnen werden wir in den folgenden Kapiteln kennenlernen. Sie haben sich ihr Wissen meist selbst anstudiert, forschen in eigenem Auftrag, veröffentlichen oft nur oder vorwiegend im Internet und arbeiten außerhalb der akademischen Welt. Daher gelten für sie nicht die an Universitäten und anderen Institutionen höherer Bildung üblichen Regeln bezüglich Sorgfalt, gegenseitiger Begutachtung und Prüfung. Oft erfüllen ihre Arbeiten alle Kriterien sogenannter „Junk Science“ (Minderwissenschaft), insbesondere wenn sie, um Ron W. Pritchett zu zitieren, „eine Sache befürworten, wenig Augenmerk auf den investigativen Prozess richten, widersprüchliche Belege ignorieren und für ein erhabenes moralisches Ziel werben“.2

Solche Schwärmer genießen häufig große öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie meist unterhaltsam und leidenschaftlich sind. Und leider sticht eine gute, aber abwegige Geschichte im Zweifelsfall gute, aber langweilige Daten immer aus: Der Laie mag komplett daneben liegen, er oder sie ist aber meistens ein charismatischer Erzähler, der sich eine schöne Geschichte von Fakten nicht verderben lässt. Daher finden solche Publikationen regelmäßig größeren Anklang als die detailliertere und oft staubtrockene Arbeit von Archäologen, Althistorikern und Bibelkundlern. Im Fernsehen und anderen Medien sehen sich echte Gelehrte nicht selten auf die Rolle bloßer Kommentatoren und „quasselnder Moguln des Negativismus“ zurückgestutzt, um den ehemaligen US-Vizepräsidenten Spiro Agnew und seinen Redenschreiber William Safire in anderem Zusammenhang zu zitieren.3 Solche Experten kommen regelmäßig als Spielverderber rüber – als „verweichlichter Trupp vorlauter Wichtigtuer“ –, die den aufregenden Unfug jener anfechten, die keine ordentliche Ausbildung in Geschichte oder Archäologie vorzuweisen haben und, wie sie sagen, sich mit dem Establishment anlegen.

Das heißt nicht, dass die Arbeit dieser Laien generell fehlerhaft und wertlos ist. Manche von ihnen verfügen über gute Belege und logische Anhaltspunkte, aus denen sie dann aber falsche oder irrige Schlüsse ziehen. Bisweilen machen sie den Fehler, bei ihren Untersuchungen von vorab gesetzten Annahmen auszugehen, etwa der Unfehlbarkeit der Bibel, was ihre Unbefangenheit fragwürdig macht. Häufig scheinen sie nicht zu wissen oder sich nicht darum zu scheren, dass es auf dem Gebiet der biblischen Forschung umfassendere Debatten gibt, von Bibelkritik und Quellentheorie bis hin zur Validität und Genauigkeit der Radiokarbondatierung.

Auch was Gelehrte zu diesen Themen schreiben, kann hin und wieder problematisch sein, insbesondere die Arbeit evangelikaler Maximalisten, die die Bibel für unfehlbar halten, und biblischer Minimalisten, die die hebräische Bibel als spätes (persisches oder hellenistisches) Kunstprodukt betrachten. Manche Maximalisten – vor allem, wenn sie außerhalb des akademischen Mainstreams arbeiten – stehen den Schwärmern durchaus nahe. Sie gehen von festgefügten Annahmen aus, die sie oft unverblümt in den Leitlinien auf ihren Websites verkünden. Andere verwässern ihre guten, sorgfältigen Analysen mit unkritischem Denken oder unverhohlenem missionarischem Eifer. Zudem gibt es unter Maximalisten wie Minimalisten Einzelne, die Informationen missbrauchen und gelegentlich auch verzerren.

Mein Anliegen mit diesem Buch ist daher unter anderem auch, zu warnen und zur Besinnung aufzurufen, weil ich überzeugt bin, dass die allgemeine Öffentlichkeit Besseres verdient – und will. Es ist höchste Zeit für professionelle Archäologen, Althistoriker und etablierte Bibelkundler, ihr von Laien, Pseudowissenschaftlern, uninformierten Dokufilmern sowie übereifrigen Maximalisten und Minimalisten besetztes Terrain zurückzuerobern, damit diese dort nicht mehr nach Belieben und ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Methoden und unvoreingenommene Forschung schalten und walten können. Umgekehrt indes sind wir Akademiker es der Öffentlichkeit schuldig, uns diesen Mysterien ernsthaft zu widmen und unsere Erkenntnisse zu publizieren. Selbst wenn unsere Untersuchungen nichts ergeben, ist doch meist der Weg dorthin – etwa die gesetzten Maßstäbe und vermittelten Informationen – wertvoll und manchmal sogar interessanter als das Endergebnis.

Ich muss jedoch gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass es mir nicht möglich ist, all die genannten Rätsel zu lösen – niemand, der sich an die Fakten hält, kann das. Ich kann lediglich einige der Knoten entwirren, auf denen die Mysterien beruhen, den aktuellen Stand unserer Indizien darlegen und berichten, was Gelehrte heute zu diesen Themen denken, die wahrscheinlichste Erklärung hervorheben und genug Informationen liefern, damit der Leser zukünftige Hypothesen anderer Autoren oder aus Fernsehsendungen besser prüfen kann. Ich bezweifle jedoch, dass dies für irgendjemanden Grund genug ist, weiterzulesen. Gibt es also noch andere Gründe, diesen Themenbereich zu erkunden? Die Antwort, davon bin ich überzeugt, ist ein lautes Ja.

Zum einen sind diese Geheimnisse nicht Teil der antiken Geschichte, sondern nach wie vor ziemlich aktuell. Alle paar Wochen oder Monate tauchen sie in Schlagzeilen auf oder werden in Berichten zu ganz anderen Ereignissen erwähnt. Sodom und Gomorra, Armageddon, die Mauern von Jericho, Adam und Eva, der Garten Eden, der Turm zu Babel – Anspielungen auf diese Themen finden sich regelmäßig in den Medien der ganzen Welt, und zwar nicht nur in der Boulevardpresse. Ein bisschen Ahnung darüber gehört zur Grundbildung; mehr zu wissen befähigt zu einem sachkundigen Urteil.

Zudem wirken diese Rätsel bis heute nach und werden in Verbindung mit aktuellen Ereignissen ge- und missbraucht. Eine Menge Leute lesen die Bibel als Geschichtsbuch – obwohl wir die spezifischen Daten vor dem 1. Jahrhundert n. Chr. weder miteinander in Verbindung bringen noch bekräftigen können (wie wir in Kapitel 7 sehen werden) – und benutzen biblische Motive in heutigen Schlagzeilen, insbesondere wenn es um den Nahen Osten geht. Kämpfte Josua wirklich in der Schlacht um Jericho und vertrieb die Kanaaniter aus dem Land, wie die biblische Erzählung von der Eroberung Kanaans durch die Israeliten behauptet? Und wenn, wer war zuerst da und wem steht das Land heute tatsächlich zu? Den Palästinensern wegen ihrer angeblichen Vorfahren, der Kanaaniter und Jebusiter, oder den Israelis, die sich auf ihre Abstammung von den israelitischen Eroberern berufen?4 Die Debatte um das Vorrecht auf das Heilige Land könnte gänzlich irrelevant sein, wenn Professor Israel Finkelstein von der Universität Tel Aviv mit seinen Thesen über die ursprünglichen Israeliten und ihre Rolle in Kanaan Recht hat. Sein Modell der „Unsichtbaren Israeliten“, auf das wir in Kapitel 5 eingehen, geht davon aus, dass vor langer Zeit Israeliten und Kanaaniter das Land gleichzeitig bewohnten, weil sie ein und dasselbe Volk waren. Das würde bedeuten, dass es nie eine israelitische Eroberung Kanaans gab – was wiederum hieße, dass der heutige Kreislauf der Gewalt im modernen Israel und Palästina eher ein Bruderzwist oder eine verunglückte Familienzusammenführung ist als der Krieg zweier Völker.5

Ebenso könnte man sich fragen, welche Rolle es spielt, ob die Bundeslade in einer Berghöhle in Jordanien liegt, unter dem Tempelberg im heutigen Jerusalem oder gar in der Schatzkammer einer Kirche im äthiopischen Aksum. Für politische und religiöse Autoritäten ist das von enormer Bedeutung. Und die Zehn Verlorenen Stämme – ist es wichtig, dass die Lemba in Afrika und die Bnei Menashe in Indien behaupten, sie seien Mitglieder der Verlorenen Stämme Israels? Ja, das ist mit Sicherheit wichtig, vor allem wenn man bedenkt, dass die Auswanderung und der Transport der äthiopischen Falasha-Juden auf dem Luftweg nach Israel von 1977 bis 1991 teilweise ähnlich begründet wurden. Biblische Geschichten werden real, wenn Menschen sie sich aneignen und auf sich beziehen, unabhängig von historischen Tatsachen.

Deshalb werde ich auf den folgenden Seiten die oben genannten sieben faszinierenden biblischen Mysterien untersuchen, jedes in den richtigen historischen und archäologischen Kontext stellen und berichten, was Archäologen, Althistoriker und Bibelkundler derzeit darüber denken. Ich spreche dabei in erster Linie als Archäologe und Althistoriker. Ich bin kein Theologe, daher lasse ich die mit einigen dieser Mysterien verbundenen theologischen Fragen außer Acht. Ich bin auch kein wirklicher Experte für Textkritik und Textanalyse. Als Althistoriker greife ich oft auf die gleichen Werkzeuge zurück, allerdings nicht in dem Ausmaß wie die Spezialisten dieser Fächer. Ich sage meinen Studenten oft, Alte Geschichte sei im Grunde „Text plus Archäologie“. Die Texte treffend auszulegen bedeutet, die Mittel der Textkritik und Textanalyse zu benutzen.

Meine eigene Methodologie ist daher die gängige historische Methode, der die meisten Historiker folgen.6 Ich hoffe in der Regel, mehrere – vorzugsweise mindestens drei – unabhängige Belege zur Verfügung zu haben, wenn ich eine Frage zur Antike zu beantworten oder eine Tatsache zu bekräftigen versuche. Im Falle der meisten Mysterien, die wir in diesem Buch erkunden werden, stammen die Daten aus den biblischen Berichten, aus nichtbiblischen literarischen Texten und aus der Archäologie.

In jedem der folgenden Kapitel werde ich zunächst einen kurzen Überblick über die jeweilige Darstellung in der Bibel liefern. Im anschließenden Diskussionsabschnitt führe ich die zusätzlichen vorhandenen textlichen und archäologischen Belege an und bewerte kurz einige Vorschläge zur Erklärung des Rätsels. Darüber hinaus werde ich mich dem vermutlichen (oder definitiven) Kontext des jeweiligen biblischen Mysteriums widmen, da wir auf diese Weise sehen können, ob es dafür eine logische Erklärung geben kann.

Zum Abschluss jedes Kapitels versuche ich das Für und Wider des jeweiligen Themas abzuwägen und zu ergründen, ob das Mysterium möglicherweise auf einem historischen Kern von Wahrheit beruht. Am Ende erläutere ich dann, welche Lösung des Rätsels – wenn es eine gibt – ich für die wahrscheinlichste halte. Dabei müssen wir jedoch stets bedenken, dass die Bandbreite der Interpretationen auch unter Archäologen, Althistorikern und selbst Bibelforschern sehr groß ist: Sie reicht von jenen, die sagen, die Bibel lasse sich beweisen, bis zu denen, die meinen, es sei nicht ein einziges Wort wahr. Meine Vorschläge sind daher nur Vorschläge, nicht mehr und nicht weniger.

Außerdem muss ich betonen, dass sich jedes Kapitel in diesem Buch ohne Weiteres zu einem eigenen Buch erweitern ließe – oder ein Kapitel mit anderer Überschrift und Ausrichtung sein könnte. So könnte etwa das Kapitel zu Sodom und Gomorra auch „Abraham und Ur“ heißen, wie es tatsächlich ursprünglich geplant war. Außerdem ist mir deutlich bewusst, dass ich in jedem Kapitel nur die grundlegenden Fakten aufzeigen kann. Wir könnten in jedem einzelnen Fall Dutzende weitere Seiten füllen und etwa diskutieren, mit welchem literaturwissenschaftlichen Ansatz man Bibeltexte am besten analysiert oder wieso eine bestimmte archäologische Theorie nicht mehr für gültig gehalten wird. Wir könnten uns auch auf weite Abwege begeben und die Unzahl weiterer Themen behandeln, die auf praktisch jeder Seite ins Spiel kommen. Eine wirklich umfassende Diskussion jedes Themas in diesem Buch nähme Jahre in Anspruch, Dutzende von Bänden und die Zusammenarbeit zahlreicher Gelehrter. Was am Ende herauskäme, würde wahrscheinlich höchstens eine Handvoll Leute lesen wollen.

Zudem sind zu jedem dieser Phänomene buchstäblich bereits Hunderte, wenn nicht Tausende von Büchern und Aufsätzen geschrieben worden. Leser, insbesondere Studenten, ganz zu schweigen von meinen geschätzten akademischen Kollegen und gelehrten Buchrezensenten, sollten wissen, dass es für jedes Buch, jeden Artikel, jedes Argument, das ich hier zitiere, Dutzende weitere gibt, die ich aus Platzgründen nicht erwähnen kann oder aus anderen Gründen zu vernachlässigen beschlossen habe. Ich bitte im Voraus um Verständnis, falls jemand seine favorisierte Meinung hier nicht vertreten findet.

Ich bin weder biblischer Maximalist noch Minimalist. Als Humanist glaube ich nicht, dass die biblischen Berichte immer akkurat und unfehlbar sind. Ich sehe jedoch auch keinen Grund, sie gänzlich zu verwerfen. Stattdessen behandle ich die Bibel wie jede andere antike literarische Quelle: als einen Text, der geprüft, abgeklopft, verglichen, analysiert und regelrecht ausgewrungen werden muss, um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Ich lasse die Informationen, Beobachtungen und Interpretationen aus Archäologie, Geschichtswissenschaft und Bibelforschung so weit wie möglich aufeinander – und bisweilen gegeneinander – wirken und setze mit Hilfe des gesunden Menschenverstands die Daten aus diesen Fachrichtungen zu einem stimmigen Bild der antiken Welt zusammen, ohne die verfügbaren Fakten über- oder unterzuinterpretieren.

Nach einem Vierteljahrhundert als Althistoriker weiß ich, dass sichere Schlüsse nur selten zu ziehen sind. Ich musste mich an Mehrdeutigkeiten und an die Notwendigkeit gewöhnen, einander scheinbar und manchmal tatsächlich widersprechende Daten vorzulegen. Da das Studium biblischer Texte zudem eine lange Geschichte hat und sich auch in Zukunft weiterentwickeln wird, muss ich davon ausgehen, dass manche Belege, mit denen sich die Probleme und Rätsel elegant lösen ließen, möglicherweise noch nicht entdeckt sind. Ich kann nur auf das zurückgreifen, was wir heute wissen. Wenn das bedeutet, dass wir uns vorläufig mit nicht gänzlich schlüssigen Antworten zufriedengeben müssen, weil wir nicht über alle Belege verfügen, dann ist das eben so. Zumindest erwartet uns eine hochinteressante Entdeckungsreise.

Warum die Arche nie gefunden wird

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