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2 DIE ARCHE NOAH
ОглавлениеSpielte sich die Sintflut so ab wie in der Bibel dargestellt? Kann die Arche Noah gefunden werden?
Die Erzählung von der Sintflut und der Arche Noah ist den meisten Lesern in der westlichen Welt und darüber hinaus vertraut. Dem Alten Testament zufolge befahl Gott Noah, eine Arche zu bauen, weil die Welt zur Strafe für die Sünden und Missetaten der Menschen überflutet werde:
Die Erde aber war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat. Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben, denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. Da sprach Gott zu Noah: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben. (Genesis 6,11–13)
Noah indes war ein rechtschaffener Mann, und so beschloss Gott, ihn und seine Familie zu verschonen, zusammen mit je einem Paar von jeder Tierart. Daher befahl Gott Noah, die Arche zu bauen, deren Ausmaße und die Zahl der Decks er ihm ebenso beschrieb, wie wer an Bord kommen sollte:
Mach dir eine Arche aus Zypressenholz! Statte sie mit Kammern aus, und dichte sie innen und außen mit Pech ab! So sollst du die Arche bauen: Dreihundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch soll sie sein. Mach der Arche ein Dach und hebe es genau um eine Elle nach oben an! Den Eingang der Arche bring an der Seite an! Richte ein unteres, ein zweites und ein drittes Stockwerk ein! Ich will nämlich die Flut über die Erde bringen, um alle Wesen aus Fleisch unter dem Himmel, alles, was Lebensgeist in sich hat, zu verderben. Alles auf Erden soll verenden. Mit dir aber schließe ich meinen Bund. Geh in die Arche, du, deine Söhne, deine Frau und die Frauen deiner Söhne! Von allem, was lebt, von allen Wesen aus Fleisch, führe je zwei in die Arche, damit sie mit dir am Leben bleiben; je ein Männchen und ein Weibchen sollen es sein. (Genesis 6,14–19)
Wir erfahren, die Regenflut habe 40 Tage und 40 Nächte angehalten (6,17) und ihre Wasser hätten die Erde 150 Tage lang bedeckt. Alles Leben ertrank, außer Noah und den Menschen und Tieren, die mit ihm auf der Arche waren. (Genesis 7,11–24)
Weiter erzählt die biblische Geschichte, die Arche sei „im Gebirge Ararat auf(gesetzt)“ (Genesis 8,4). Wir stellen fest, dass die Bibel nicht sagt, sie sei am Gipfel des Berges Ararat gelandet, wie viele annehmen, sondern „im Gebirge Ararat“. Diese Berge liegen höchstwahrscheinlich in der Gegend des antiken Urartu nahe dem heutigen Armenien. Der Berg Ararat in der Türkei – wo man seit 100 Jahren immer wieder nach der Arche gesucht hat – trägt diesen Namen der Forschung zufolge offenbar erst seit höchstens ein paar Jahrhunderten. Daher bringen Schwärmer und Entdecker immer mal wieder andere mögliche Orte für die Arche ins Spiel, etwa den Iran, wie wir noch sehen werden.
Der biblische Bericht fährt fort, nachdem die Arche am Berggipfel gelandet sei, habe Noah mehrere Vögel hinausgelassen, um festzustellen, ob die Flut zurückgegangen und trockenes Land aufgetaucht sei. So erfahren wir, er habe einen Raben losgeschickt, der aus und ein flog, bis das Wasser vertrocknet sei. Zudem habe er dreimal eine Taube entsandt, jeweils im Abstand von einer Woche. Beim dritten Mal kehrte die Taube nicht zurück, woraus Noah schloss, dass das Land getrocknet war. Er öffnete die Arche, und er, seine Familie und alle Tiere gingen von Bord. (Genesis 8,1–20)
In dieser Darstellung aus dem 13. Jahrhundert gehen die Tiere Paar für Paar an Bord der Arche. Aber waren es von jeder Art ein Paar oder sieben Paare?
Dann brachte er zum Dank für die Rettung ein Opfer dar, und die Geschichte nimmt ein gutes Ende, zumindest für Noah und seine Familie:
Dann baute Noah dem Herrn einen Altar, nahm von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte auf dem Altar Brandopfer dar. … Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert die Erde! (Genesis 8,20/9,1)
Schon vor längerer Zeit wiesen Bibelkundler nach, dass es mindestens zwei Versionen der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis gibt. Ebenso weisen Gelehrte seit Langem darauf hin, dass der biblische Bericht von Noah und seiner Arche aus zwei unterschiedlichen Geschichten besteht, die ineinander verwoben sind.1 Daher widersprechen sich gewisse Einzelheiten des Berichts, wie viele Forscher betonen, so etwa Richard Elliott Friedman, Professor für hebräische Literatur und Komparatistik an der University of California in San Diego und Autor von Who Wrote the Bible? (deutsch: Wer schrieb die Bibel?).
So heißt es etwa, der Regen habe 40 Tage angehalten (Genesis 7,17), aber auch, dass die Flut die Erde 150 Tage lang bedeckt habe (7,24). Was nun – 40 oder 150 Tage? Oder regnete es 40 Tage lang, dauerte dann aber noch einmal 110 Tage, bis das Land trocknete? Und wie viele Tiere sollte Noah mit auf die Arche nehmen? Ein Paar von jeder Art (6,19)? Oder sieben Paare von allen reinen Tieren und je ein Paar von den unreinen (7,2)? Und ließ er einen Raben hinaus, der „aus und ein (flog), bis das Wasser auf der Erde vertrocknet war“ (8,7), oder schickte er dreimal eine Taube, bis sie „nicht mehr zu ihm zurück(kehrte)“ (8,8–12)? Oder beides?
Wie andere Forscher sehr genau nachgewiesen haben, zeigen weitere Beispiele, dass wer auch immer das Alte Testament in der Form zusammenstellte, die wir kennen, mindestens auf zwei Versionen der Flutgeschichte zurückgegriffen hat. Indes bleiben zahlreiche Fragen offen. Wann entstanden die beiden Versionen ursprünglich? Und wer schrieb sie? Das ist schwer zu sagen, wir verfügen jedoch bereits über einige der Daten, die eines Tages eine Antwort ermöglichen werden.
1872 arbeitete George Smith im Keller des Britischen Museums.2 Tagsüber war er Bankbeamter, nachts klassifizierte und übersetzte er als Assistent in der assyriologischen Abteilung des Museums Tontafeln, die im antiken Ninive ausgegraben worden waren. Eines Abends machte er sich an die Übersetzung einer Tafel und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie von einer großen Flut berichtete – und von einem Mann, der sie überlebte, indem er ein Schiff baute und seine Familie und ausgewählte Tiere an Bord brachte. Das Schiff des Mannes sei jedoch nicht im Ararat-Gebirge gelandet, sondern an einem Berg namens Nisir.
Smith durchsuchte die übrigen Tafelfragmente im Keller, fand weitere Stücke und stellte fest, dass es sich tatsächlich um einen Bericht über die Flut handelte, in dem jedoch kein Mann namens Noah vorkam. Zudem fehlte ihm genau in der Mitte der Geschichte ein großes Stück der ursprünglichen Tafel. Als er seine Entdeckung bekanntgab, standen die britischen Medien Kopf, und der Londoner Daily Telegraph bot ihm 1000 Pfund (damals eine enorme Summe) für die Suche nach dem fehlenden Fragment im Irak. Das schien eine nahezu unmögliche Aufgabe, aber Smith willigte ein.
Nach einer mühseligen und gefährlichen Reise erreichte er Ninive. Anstatt an der antiken Stätte neue Ausgrabungen vorzunehmen, durchwühlte er die Haufen von Aushub, die frühere britische Forscher zurückgelassen hatten. Solche Haufen fallen bei jeder Ausgrabung an, weil die Erde, in der die Archäologen graben und die sie durchsuchen, irgendwo abgelagert werden muss (tatsächlich findet man an den Ausgrabungsstätten von Troja in der Türkei und Megiddo in Israel bis heute gewaltige Berge von Aushub, um nur zwei Beispiele zu nennen). Diese Resterde, vor allem die von älteren Ausgrabungen, enthält oft Hunderte von Objekten, die die früheren Archäologen und ihre Mannschaften von örtlichen Mitarbeitern übersehen haben.
Schon nach ein paar Tagen Suche in den Aushubhaufen von Ninive hatte Smith mehr als 300 Fragmente von Tontafeln zusammengetragen, darunter das fehlende Stück der Geschichte. Nun konnte er den gesamten Bericht lesen und bestätigen, dass die mesopotamische Geschichte der Flut der biblischen Darstellung tatsächlich verblüffend ähnelte. Und doch gab es eine Reihe von Unterschieden, die Smith und seine Kollegen vor die Aufgabe stellten, den Zusammenhang zwischen den beiden Berichten zu erklären. Eine Möglichkeit, die viele Befürworter fand, war, dass die mesopotamische Tafel die biblische Geschichte bestätigte und bewies, dass die Sintflut tatsächlich stattgefunden hatte.
Vielen Anhängern dieser Auslegung war (und ist bis heute) nicht klar, dass es mehrere noch ältere Versionen der gleichen Geschichte gibt, alle aus dem antiken Mesopotamien. Die älteste bekannte Erzählung von der Flut stammt von den Sumerern, einer Zivilisation, die im späten 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. auf dem Gebiet des heutigen Irak erblühte. In diesem Bericht, der im 3. Jahrtausend v. Chr. entstand, heißt der Held Ziusudra. In einer späteren Kopie der ursprünglichen sumerischen Geschichte von einer Tontafel in der Stadt Nippur in Mesopotamien (heute Irak), ungefähr von 1740 v. Chr., finden sich die folgenden Zeilen:
All die Stürme und Orkane erhoben sich gemeinsam, und die Flut überschwemmte die Stätten der Tempel. Nachdem sieben Tage und sieben Nächte lang die Flut das Land überschwemmt hatte und die Stürme das gewaltige Schiff herumgeschleudert hatten, erschien Utu, der Sonnengott, der Himmel und Erde erleuchtet. Zi-ud-sura konnte eine Öffnung in das gewaltige Schiff bohren, und Utu, der Held, drang mit seinen Strahlen ins Schiff. Zi-ud-sura, der König, warf sich Utu zu Füßen. Der König opferte Ochsen und brachte unzählige Schafe dar. (Übersetzung nach ETCSL)
Tontafeln aus dem antiken Mesopotamien beschreiben eine große Flut, erwähnen aber niemanden namens Noah.
Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. entstand eine neue Version der Geschichte, in welcher der Name des Helden nun Atrahasis lautete. Um 1800 v. Chr. oder etwas später verflocht jemand eine Reihe früherer Geschichten zu einem großen Werk, dem Gilgamesch-Epos. Gilgamesch war ein König, der irgendwann zwischen 2700 und 2500 v. Chr. in der sumerischen Stadt Uruk herrschte, in den ursprünglichen Versionen der Berichte über die Flut – auch im sumerischen Original – jedoch nicht vorkommt. Die älteren Geschichten wurden folglich umgeschrieben, wo nötig, um Gilgamesch in die Erzählung einzuführen. So bringt das Epos etwa Gilgamesch in der Flutgeschichte unter, indem es einen Überlebenden ihm davon berichten lässt. Diesmal ist der Held aber weder Ziusudra noch Atrahasis, sondern ein Mann namens Utnapischtim, der zu Gilgamesch sagt: „Ich werde dir ein Geheimnis enthüllen, ein Geheimnis der Götter.“3
Das Gilgamesch-Epos erfreute sich großer Beliebtheit und wurde über die Jahrhunderte immer wieder neu erzählt und kopiert. Ein Fragment davon wurde sogar in Megiddo in Israel gefunden, mutmaßlich aus dem späten 2. Jahrtausend v. Chr. Eine Kopie fand sich auch in Ninive in der Bibliothek des spätassyrischen Königs Assurbanipal, der im 7. Jahrhundert v. Chr. herrschte – das war die Tafel, die George Smith in jener ominösen Nacht 1872 im Keller des Britischen Museums las.
Jede dieser Flutgeschichten, ob sumerischen, akkadischen oder babylonischen Ursprungs, ähnelt stark der alttestamentarischen über Noah und seine Arche.4 In allen beschließt Gott (oder beschließen die Götter), die Welt zu überschwemmen und ihre Bewohner zu ertränken. Ein Mann wird jedoch gerettet, mit seiner Familie und was er an Tieren mit an Bord nehmen konnte. Er – ob er nun Ziusudra, Atrahasis, Utnapischtim oder Noah heißt – segelt eine Weile, bis die Arche endlich an einem Berg landet. Sodann schickt der Held Vögel aus, die einer nach dem anderen zurückkehren, bis die Flut zurückgeht und der letzte Vogel ausbleibt. Die Menschen gehen von Bord, lassen die Tiere frei, bringen zum Dank Opfer dar und gehen hin und mehren sich.
Im Gilgamesch-Epos etwa erzählt Utnapischtim, der Gott Ea habe ihm befohlen, folgendermaßen ein Schiff zu bauen und auszustatten:
Dessen Maße sollen abgemessen sein, gleichgemessen seien ihm Breite und Länge; du sollst es bedachen wie die Kuppel, die den Urozean verschließt. Dann bring ins Schiff den Keim aller lebenden Geschöpfe … Am fünften Tage entwarf ich Kiel und Rippen, befestigte dann die Planken. Ein Feld maß seine Bodenfläche, je zehnmal zwölf Ellen die Seiten des Decks, was ein Quadrat ergab. Ich baute sechs Decks darunter, insgesamt sieben, die teilte ich in neun Abschnitte, mit Schotten dazwischen … Ich lud darein alles, was ich hatte an Gold und lebenden Dingen, meine Familie, meine Hausgenossen, Getier der Felder wild und zahm und alle Handwerksleute.
Diese Erzählung gleicht offensichtlich jener von Noah und der Arche. Auch die Dauer der Flut und die folgenden Ereignisse ähneln dem biblischen Bericht sehr. Zwar erfahren wir aus den älteren mesopotamischen Aufzeichnungen, der Regen habe nur sechs Tage und sechs Nächte angehalten, aber selbst in dieser kurzen Zeit sei „das Menschengeschlecht ganz zu Lehm geworden“. Vielleicht noch interessanter ist, dass das Gilgamesch-Epos berichtet, die Flut habe sogar die Götter in Furcht versetzt: „Vor dieser Überschwemmung erschraken die Götter, sie entwichen hinauf zum Himmel des Anu; die Götter kauern wie Hunde in einem Gatter.“ Sicherlich eine ungewöhnliche Art, von seinen Göttern zu sprechen; sie passt jedoch zum mesopotamischen Weltbild, in dem die Götter und ihre Gemeinschaft den Menschen glichen (auch was in diesem Fall die Angst vor Blitz und Donner betrifft), außer dass sie mit Unsterblichkeit gesegnet waren.
Die Übereinstimmungen in den diversen Erzählungen sind unübersehbar, aber manchmal sind die Unterschiede am interessantesten, vor allem wenn die biblische Geschichte eine neue, zusätzliche moralische oder ethische Wendung nimmt. Der Grund, weshalb Gott im Alten Testament die Sintflut schickt, ist wohlbekannt: weil die Menschheit verdorben und gewalttätig war und bestraft werden musste. Die alte babylonische Version aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. begründet die Flut ganz anders:
Kennst du die Stadt Schuruppak, die am Ufer des Euphrat liegt? Die Stadt war alt geworden, und die Götter, die dort wohnten, waren alt. Da war Anu, Herr des Himmels, ihr Vater, und der Krieger Enlil, der sie berät, ihr Minister Ninurta und Ennugi, Wächter der Kanäle, und mit ihnen war auch Ea. In jenen Tagen wimmelte es auf der Welt, die Völker vervielfachten sich, die Welt brüllte wie ein wilder Stier, und der große Gott war empört über den Aufruhr. Enlil vernahm den Lärm und sagte zu den Göttern im Konzil: „Das Toben des Menschengeschlechts ist unerträglich und Schlaf nicht mehr möglich bei diesem Geschwätz.“ Und so einigten sich die Götter, die Menschheit auszurotten.
Dieser Bericht steht nicht allein. In allen Versionen der Flutgeschichte, die 900 Jahre vor der Niederschrift des Alten Testaments in Mesopotamien in Umlauf waren – auch im Gilgamesch-Epos –, beschließen die Götter nicht deshalb, die Menschheit auszurotten, weil sie verdorben und böse ist, sondern weil es zu viele Menschen gibt, weil sie zu laut sind und die Götter um ihren Schlaf bringen. In der Bibel wird die Flut aus moralischen Gründen geschickt, in den alten mesopotamischen Versionen hingegen ist von moralischen und spirituellen Belangen nicht die Rede und der Anlass der Flut ein vergleichsweise banaler.5
Das ist eine interessante Wendung, die uns immer wieder begegnet, wenn wir eine biblische Geschichte mit den Versionen vergleichen, die Jahrhunderte früher im antiken Nahen Osten kursierten: Zwar gibt es offensichtliche Übereinstimmungen; die signifikantesten Veränderungen indes sind die moralischen oder ethischen Endungen und Wendungen, die der ursprünglichen Geschichte hinzugefügt wurden, um ein Argument der Verfasser der Bibel zu verdeutlichen. Daher wurde Noah dem biblischen Bericht zufolge gerettet, weil er ein rechtschaffener Mann war. In den früheren mesopotamischen Versionen hingegen gibt es keinen speziellen Grund, weshalb Ziusudra, Atrahasis und Utnapischtim verschont bleiben:
Ea … warnte mich in einem Traum. Ihre Rede flüsterte er meinem Schilfrohrhaus: „Rohrhaus, Rohrhaus! Wand, o Wand! Höre, Rohrhaus, Wand, begreife; o Mann von Schuruppak, Sohn des Ubara-Tutus; reiß ab dein Haus, erbau ein Schiff, laß fahren deinen Besitz, dem Leben jag nach, entsage weltlichen Gütern und rette deine Seele. Reiß ab dein Haus, sage ich, und bau ein Schiff.“
Die Ähnlichkeiten gehen weiter, als die Arche endlich an einem Berggipfel festmacht. Wie Noah schließlich in den Ararat-Bergen landet und mit seiner Familie und den Tieren von Bord geht, so landet Utnapischtim am Berg Nisir und geht ebenfalls von Bord. Die Bibel erzählt, Noah habe einen Raben und dann dreimal eine Taube losgelassen, um festzustellen, ob die Flut zurückgegangen sei und trockenes Land freigelegt habe. In den früheren babylonischen und sumerischen Erzählungen lässt der Überlebende ebenfalls Vögel frei, hier jedoch zuerst eine Taube, dann eine Schwalbe, dann einen Raben – und es ist der Rabe, der nicht zurückkommt und vermutlich trockenes Land gefunden hat.
Das Alte Testament berichtet weiter: „Dann baute Noah dem Herrn einen Altar, nahm von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte auf dem Altar Brandopfer dar.“ (Genesis 8,20) Das Gilgamesch-Epos beschreibt eine ähnliche Szene, aber auf eine Weise, die für eine moderne Gesellschaft undenkbar wäre: „Am Gipfel des Berges brachte ich ein Opfer dar“, sagt Utnapischtim. „Sieben und abermals sieben Räuchergefäße stellte ich auf. Darein streute ich Süßrohr, Zedernholz und Myrte. Die Götter rochen den Duft, die Götter rochen den wohlgefälligen Duft. Wie Fliegen scharten sich die Götter um die Opfer.“
Was fangen wir mit all dem an? Wenn jede dieser Geschichten schlicht festgestellt hätte, dass eine Überschwemmung stattfand und ein Mann und seine Familie überlebten, könnten wir daraus schließen, es sei tatsächlich zu einer weltweiten Flut gekommen und der biblische Bericht werde durch die älteren mesopotamischen Geschichten bestätigt. Tatsächlich nehmen heute viele diese Geschichten beim Wort und ziehen genau diese Schlüsse – auch weil fast alle Zivilisationen, von den Griechen bis hin zu den amerikanischen Ureinwohnern, irgendeine Art von Flutlegende vorzuweisen haben.6
Was diese Geschichten zu weit mehr als simplen Bekräftigungen der biblischen Darstellung macht, ist jedoch, dass nicht nur der Verlauf im Wesentlichen der Gleiche ist, sondern auch viele präzise Details, obwohl zwischen den Versionen Jahrhunderte und manchmal Jahrtausende liegen. Daher betrachten Gelehrte diese Erzählungen eher als Musterbeispiel für eine vererbte Geschichte. Im antiken Mesopotamien entstanden, fand sie ihren Weg von den Sumerern zu den Babyloniern und dann zu den Kanaanitern und Israeliten. So überspannte die Geschichte von Noah und der Arche nicht nur Generationen, sondern auch Kulturen, und veränderte sich nur in Einzelheiten, ehe sie schließlich Eingang ins Alte Testament fand.
1929 unternahm der britische Archäologe Leonard Woolley Ausgrabungen in Tell el Muqayyar im heutigen Irak. Seine Arbeiter hatten sich durch eine 25 bis 40 Zentimeter dicke Schicht von Flussschlamm gegraben, Überrest einer Flut in der Antike. Die Schichten unmittelbar darüber und darunter enthielten Töpferwaren, ein Zeichen dafür, dass an dieser Stätte – die Woolley für das antike Ur hielt – vor und nach der Flut Menschen gelebt hatten. Als Woolleys Frau die Ablagerungen sah, soll sie beiläufig bemerkt haben: „Na ja, klar, die Flut eben.“ Dass Woolley daraufhin bekanntgab, er habe Beweise für die Sintflut gefunden, sorgte weltweit für Schlagzeilen.7
Woolley zog seine Behauptung später zurück, da er erkannte, dass es sich nur um eine lokale Überschwemmung und nicht um eine Flut biblischen Ausmaßes gehandelt haben konnte. Seit Woolleys Fund wurden an anderen Orten in Mesopotamien Überreste weiterer Überflutungen entdeckt, so auch in Ninive und Kisch, aber nirgendwo gab es Anzeichen für mehr als lokale Katastrophen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfanden.
1998 gaben William Ryan und Walter Pitman eine Entdeckung von wesentlich größerer Tragweite bekannt.8 Die beiden Geologen von der Columbia University veröffentlichten Indizien für eine große, vom Schwarzen Meer nördlich der Türkei ausgehende Überschwemmung. Ihre Befunde deuteten darauf hin, dass vor etwa 7500 Jahren, um das Jahr 5500 v. Chr., das Binnenmeer seine Dämme durchbrochen und weite Teile der Türkei sowie möglicherweise noch tiefer im Süden gelegene Gebiete überschwemmt hat.
Ob Ryan und Pitman mit ihrer Deutung der Daten richtig liegen, ist seit dem Erscheinen ihres Buchs Gegenstand hitziger Debatten. 1999 legte der Titanic-Entdecker Bob Ballard Hinweise auf eine uralte Küstenlinie tief unter der Oberfläche des Schwarzen Meeres vor – samt Süßwassermuscheln und Arten von Salzwassermollusken, deren Radiokarbondatierung die Theorie von Ryan und Pitman stützen, vor etwa 7500 Jahren sei ein Süßwassersee vom Schwarzen Meer überflutet worden. Ob die Überschwemmung umfangreich genug war, um den Sumerern und anderen antiken Völkern aufzufallen, bleibt umstritten. Vorläufig scheint jedoch hinreichend bewiesen, dass zumindest ein weiter Bereich um das Schwarze Meer herum von dem plötzlichen Wasseranstieg betroffen war.
Leider gibt es über diese zwei Indizien hinaus keine brauchbaren archäologischen oder geologischen Beweise für die Sintflut oder Noah und seine Arche, auch wenn Jahr für Jahr zahlreiche Amateurdetektive und -forscher das Gegenteil behaupten und dabei die ganze Bandbreite an Erklärungen ausschöpfen, von Meteoriten über den gleichzeitigen Ausbruch von Geysiren auf der ganzen Welt bis hin zum plötzlichen Kollaps einer schweren Wolkendecke.
Am nächsten könnten wir einer Art von zusätzlichen archäologischen oder geologischen Indizien kommen, wenn wir annehmen, dass die diversen Flutgeschichten aus aller Welt im Kern eine mündliche Überlieferung mit Anklang an das Ende der Eiszeit sind, als ein Großteil des Eises, das Teile der Kontinente bedeckte, schmolz und den Wasserspiegel weltweit ansteigen ließ. Aber auch das ist reine Spekulation, weil ganz und gar nicht erwiesen ist, dass aus diesem Ereignis auf der ganzen Welt Geschichten über eine solche Flut entsprungen wären. Die Flandrische Transgression wiederum, die einen plötzlichen Anstieg des Meeresspiegels zwischen 5000 und 4000 v. Chr. und die Überschwemmung der südlichsten Teile von Mesopotamien auslöste, verlief wahrscheinlich viel zu langsam, um als Sintflut im Gedächtnis zu bleiben.
Die meisten Expeditionen zur Suche nach der Arche Noah konzentrieren sich in erster Linie auf die Gegend der Ararat-Berge (Agri Dagi) im Nordosten der Türkei, obwohl es alles andere als sicher ist, dass in diesem Gebiet danach zu suchen wäre.9 Antike Autoren wie Josephus, ehemals jüdischer General und später römischer Historiker, waren sich ebenfalls im Unklaren und vermuteten den Landungsort der Arche im heutigen Südarmenien, im Irak, in Zentralkleinasien und sogar Saudi-Arabien. Obwohl viele moderne Expeditionen von Erfolgen berichteten, konnte bislang niemand greifbare Beweise oder wenigstens Hypothesen vorlegen, die belastbar genug waren, um Wissenschaft und Forschung zu überzeugen.
Sir Leonard Woolley bei Ausgrabungen in Tell el Muqayyar im Irak, das er als Ur in Chaldäa identifizierte.