Читать книгу Peety - Eric O'grey - Страница 9
Erste Begegnung
ОглавлениеIch hatte Kopfschmerzen. Mein Magen tat auch weh. Meine Knie und Knöchel fühlten sich nach dem Besuch in der örtlichen Tierhandlung wund an. Mein Rücken schmerzte, weil ich einen großen Beutel mit Hundefutter zuerst in den Einkaufswagen und dann vom Einkaufswagen in meinen Kofferraum gehievt hatte. Dennoch war ich aufgeregt, als ich mich der Eingangstür der Humane Society näherte, weil ich wusste, dass ich mit einem Hund wieder herauskommen würde.
Casaundra hatte mich kurz vor Mittag zurückgerufen, absolut sicher, dass sie den perfekten Hund für mich hatte. Sie zählte mir die wichtigsten Dinge auf, die ich kaufen sollte: ein Hundebett, eine Leine, Wasser- und Futternapf und so weiter, und sagte mir, ich solle noch an diesem Nachmittag vorbeikommen, um einige Unterlagen auszufüllen. Der Plan war, sie persönlich zu treffen und ein paar letzte Fragen durchzugehen, woraufhin ich, wenn alles gut ginge, endlich meinen Hund treffen würde.
Ich wünschte nur, ich würde mich ein wenig besser fühlen. Als ich an diesem Morgen aufgewacht war, hatte ich mich gut gefühlt und eine ordentliche Portion Haferflocken und Obst zum Frühstück gegessen. Ich hatte nicht mal Sahne in meinen Kaffee getan. Aber irgendetwas hatte mir dennoch den Magen durcheinandergebracht, und mit den Kopfschmerzen dazu hoffte ich ernsthaft, dass ich mir keinen Virus eingefangen hatte.
Die Anlage der Humane Society Silicon Valley war viel beeindruckender, als ich sie mir vorgestellt hatte. Die Organisation bezeichnete sich als »Animal Community Center«, und es fühlte sich auch mehr nach einem Schulcampus an als nach einem Tierheim. Freiwillige spielten mit Hunden auf eingezäunten Spielplätzen neben dem Parkplatz, und ein schöner, mit Bäumen gesäumter Weg führte um einen Brunnen herum zu einem gigantischen, modern aussehenden Gebäude aus rotem Ziegelstein, Glas und Metall.
Im Inneren war alles sauber und glänzend, und ich wurde sofort mit einem breiten Lächeln begrüßt. Ich ließ die Angestellte an der Rezeption wissen, dass ich einen Termin bei Casaundra hatte, und sie bat mich, mich zu setzen. Eine der Mitarbeiterinnen, die hinter der Rezeption am Computer arbeitete, hatte zu ihren Füßen einen Hund liegen, und ich dachte: Das muss ein ziemlich cooler Job für eine Hundefreundin sein.
Die junge Frau, mit der ich gesprochen hatte, rief Casaundra an und drückte mir, nachdem sie aufgelegt hatte, ein Klemmbrett in die Hand. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den gesamten Papierkram inklusive Hintergrundinformationen, beruflichem Werdegang und Kontaktdaten ausgefüllt hatte. Das Formular war so detailliert, dass ich mich wieder wie beim Arzt fühlte.
Als ich es der Angestellten zurückreichte, fragte sie mich, ob sie eine Kopie meines Führerscheins machen könne.
»Wow. Ihr seid ja gründlich!«, sagte ich.
»Ja, tatsächlich, das sind wir«, sagte sie. »Bist du schon aufgeregt?«
»Ja. Und nervös. Ich hatte noch nie einen Hund.«
»Wirklich? Ich hatte noch nie keinen Hund. Schon als ich klein war. Ich kann mir nicht einmal ein Leben ohne Hund vorstellen«, erwiderte sie.
»Ich hoffe nur, dass er mich mag«, sagte ich.
»Ich bin sicher, dass er dich lieben wird«, antwortete sie.
Das schien mir ein lustiges Wort in diesem Zusammenhang: »Liebe.« Können Hunde wirklich »lieben«? Woher wollte sie das wissen?
»Casaundra kommt in einer Minute zu dir«, fügte sie hinzu.
Als sie schließlich kam, sah sie überhaupt nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nach dem Klang ihrer Stimme und ihrem professionellen Auftreten am Telefon zu urteilen, hatte ich jemanden erwartet, der – wie soll ich sagen – eher konservativ aussah, wie eine Bankangestellte oder eine Lehrerin. Stattdessen stand ich einer Frau mit stacheligen schwarzen Haaren, einem Haufen Tattoos und Piercings gegenüber. Sie sah tough aus, so als könnte sie sich ohne Probleme in einem von Oaklands Problemvierteln behaupten, was mich wieder einmal daran erinnerte, dass wir nie jemanden nach seinem Aussehen beurteilen sollten. (Oder der Stimme!)
Sie lächelte und schüttelte mir die Hand, dabei kam sie wirklich warm rüber und wirkte aufgeregt, mich zu sehen. Und als sie mich in ihr Büro führte, lag da nicht nur ein Hund zu ihren Füßen, sondern sieben! Sieben kleine Hunde, alle mit winzigen Pullovern bekleidet oder auf flauschigen Decken ausgestreckt. Ich erfuhr bald, dass sie alle kurz vorm Ende ihres Lebens standen, irgendeine Art Krankheit hatten oder eine Form von Missbrauch erlitten hatten und als nicht mehr vermittelbar galten. Sie wuselten zuerst um Casaundra herum, als wir das Büro betraten, und dann umringten sie mich. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind mitten in einem Meer von Welpen! Sie waren alle so süß. Ich setzte mich auf einen Stuhl und streckte meine Hand nach ihnen aus, um sie zu streicheln, und sie leckten mich ab und liefen aufgeregt zwischen Casaundra und mir hin und her. Statt wie ein Büro fühlte sich das hier an wie eine riesige Welpenparty, und wir waren mittendrin.
Diese Frau mit dem toughen Äußeren hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich um die verstoßenen Hunde des Silicon Valley zu kümmern, damit diese ihre letzten Tage glücklich und zufrieden verleben konnten. Jede Nacht nahm Casaundra die Hunde mit nach Hause und brachte sie jeden Morgen wieder mit ins Büro, sodass sie niemals allein waren.
Casaundra und ich unterhielten uns ein paar Minuten miteinander, und ich bin mir sicher, dass ich dabei ein wenig zu viel Zeit damit verbrachte, auf den Boden zu starren oder mich auf die Hunde zu konzentrieren, anstatt Augenkontakt zu ihr herzustellen. Ich hatte wirklich Angst, dass sie mich an diesem Punkt ablehnen könnte. Besonders, als sie mich noch einmal fragte, ob ich mir meiner Sache wirklich sicher sei. Allerdings war ich mir in diesem Moment, als ich die kleinen Hunde streichelte und sah, wie freudig sie waren und wie viel Freude sie Casaundra brachten, sicherer denn je. Also schaute ich ihr in die Augen und sagte ernst: »Absolut. Ja.«
Als Nächstes brachte Casaundra mich in ein Wartezimmer, das auf beiden Seiten je eine Tür hatte. Im Inneren befand sich nichts außer einem Stuhl und einer Bank. Es gab ein Fenster mit einer Milchglasscheibe, sodass Licht hereinfiel, man aber nicht nach draußen schauen konnte, und in der Mitte des grauen Betonbodens war ein Abfluss eingelassen.
»Jetzt weißt du ja, wie du einen Hund begrüßt, den du vorher noch nie getroffen hast, ja?«, sagte Casaundra.
»Ähm, nicht wirklich.«
»Streck einfach deine Hand aus, mit dem Handgelenk nach unten und die Finger zu einer losen Faust geballt. Du willst ja nicht in die Finger gebissen werden, richtig?«, erklärte sie.
Ähm, gebissen?
Ich ahmte die Bewegungen nach.
»Senk deinen Kopf dazu noch ein wenig und schau auf den Boden, damit der Hund nicht denkt, dass du ihn dominieren willst. Und schau ihm zuerst nicht in die Augen.«
Wenigstens das würde kein Problem für mich sein.
»Sei ein wenig unterwürfig, damit er weiß, dass er in Sicherheit ist. Vielleicht setzt du dich auch lieber. Lass ihn an deiner Hand schnüffeln und warte, bis der Hund von selbst zu dir kommt. Versuch nicht sofort, ihn zu streicheln. Gib ihm eine Sekunde. Sobald er dich kennt, ist er wirklich süß.«
Sobald er mich kennt? Das klingt nicht gerade nach dem glücklichen Golden Retriever, für den ich hergekommen bin, dachte ich.
»Okay. Bist du bereit, den perfekten Hund für dich kennenzulernen?«
»So bereit, wie man nur sein kann«, sagte ich.
Casaundra verließ den Raum, und ich atmete tief durch. Mein Herz klopfte.
Erfüllt mit Vorfreude saß ich in dieser kleinen Isolationskammer und lauschte den Schritten, die auf mich zukamen. Hundekrallen auf Beton. Der Türgriff drehte sich, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Eine schwarze Nase versuchte, sich in den Raum zu drängen, dann öffnete Casaundra die Tür ganz. Da war er: Ein großer schwarz-weißer Hund mit rundem Körper schlurfte mit tief hängendem Kopf in den Raum. Er blickte zu mir auf und ließ dann seinen Kopf mit einem klaren Blick der Enttäuschung wieder nach unten sinken. Wirklich? Dieser Verlierer?, schien er zu denken. Bist du sicher, dass du mich nicht in den falschen Raum gebracht hast?
Ich nehme an, ich habe ihn mit einem ähnlichen Blick angesehen.
Alles, was ich denken konnte, war: Das ist überhaupt nicht der Hund, den ich mir vorgestellt habe.
»Eric, das ist Raider. Raider, das ist Eric«, sagte Casaundra.
»Raider?«, fragte ich.
»Wie die Oakland Raiders. Seine Besitzer waren Fans. Und er ist schwarz-weiß, also …«
Die Raiders waren der Sportverein, den ich auf der ganzen Welt am wenigsten mochte. Ich kannte Leute, die sich selbst als »Raiders-Hasser« bezeichneten.
Ich streckte meine Hand aus, wie Casaundra es erklärt hatte, und blickte auf den Boden. Ich fühlte, wie eine Hundenase meine Knöchel berührte, und erst dann sah ich ihm in die Augen. Er sah mich immer noch mit dem gleichen enttäuschten Blick an. Dieser Hund sah einfach deprimiert aus. Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals zuvor einen depressiven Hund gesehen hatte, aber dieser hier sah mir definitiv danach aus. Und er war nicht gerade handlich. Er war nicht nur dick, er reichte mir auch bis an die Knie. Er musste gut 35 Kilogramm wiegen. Außerdem war sein Fell ganz schmutzig und verfilzt.
»Was für eine Rasse ist das denn?«
»Er ist ein Mix aus einem Border Collie und einem Australian Shepherd, soweit wir wissen«, sagte Casaundra.
»Oh, wow. Sind das nicht beides superenergetische Rassen? Benötigen die nicht jede Menge Bewegung?«
»Normalerweise ja. Das sind ziemlich lebendige Hunde. Aber wie du sehen kannst, ist Raider ein Hund mittleren Alters und dazu noch übergewichtig, genau wie du es dir gewünscht hast, und das bedeutet, dass er eine neue Routine braucht. Genau wie du. Ich wollte dir keinen Hund geben, der super in Form ist und jeden Tag viel Auslauf braucht, denn das wäre kein gutes Match, verstehst du? Raider ist eher langsam unterwegs. Er ist nicht sehr fit, und seine Gelenke sind geschwollen. Er muss sich erst wieder ans Laufen gewöhnen, und das passt doch super zu dem, was deine Ärztin für dich will, oder?«
»Ja, ich schätze schon«, gab ich zu. »Wie alt ist er?«
»Er ist sieben.«
Casaundra ließ Raider von der Leine, während wir uns unterhielten, und er begann, in dem Raum herumzuschnüffeln. Ich fragte mich, wie viele andere Hunde hier wohl schon durchgekommen waren und vor allem wie viele Menschen, die ihrem neuen Hunde-Match genauso wie ich skeptisch gegenüberstanden.
Ich wollte Casaundra nicht im Stich lassen. Ich wusste, dass sie sich wirklich Mühe gegeben hatte. Das hier ist ihr Lebensinhalt, sie steckt ihr ganzes Herzblut da rein, dachte ich. Ganz sicher versucht sie nicht, diesen Hund bei mir abzuladen, weil ich ein leichtes Ziel bin.
Ich versuchte, ihr mein vollstes Vertrauen zu schenken.
»Warum wurde dieser Hund hier abgegeben?«, fragte ich.
Casaundra blätterte durch die Notizen, die sie mitgebracht hatte. »Es gab eine Scheidung, und der Hund wurde danach nicht so versorgt, wie er es gebraucht hätte. Er verbrachte viel Zeit allein im Hinterhof, nachdem der Sohn ins College ging. Die Familie hatte das Gefühl, dass es woanders vielleicht ein besseres Zuhause für ihn gibt.«
Nachdem Raider sich ein wenig umgeschaut hatte, kam er zu mir zurück und schnüffelte an meinen Schuhen. Er blickte auf, und ich streichelte ihn hinter den Ohren. Er drehte seinen Kopf zur Seite, also kraulte ich ein bisschen fester. Das schien ihm zu gefallen. Als ich für einen Moment innehielt, legte er sich neben mich auf den Boden. Ich lehnte mich zu ihm rüber und streichelte ihn weiter.
»Oh, na siehst du! Er mag dich schon jetzt«, sagte Casaundra. »Ach so, noch ein paar Dinge, die du über Raider wissen solltest: Laut seinem Persönlichkeitsprofil versteht er sich nicht so gut mit Kindern, in der Vergangenheit reagierte er wohl nervös und verängstigt in der Nähe von Kids und Jugendlichen. Dass du allein lebst, passt also perfekt. Als er das erste Mal hierherkam, war er ziemlich gestresst. Er mochte keine Menschen und war nicht mal an Leckerlis interessiert. Es war ziemlich offensichtlich, dass er Probleme hatte, mit seiner neuen Umgebung umzugehen, weil da all diese anderen Hunde waren.«
»Wow«, sagte ich. Ich fand es ziemlich beeindruckend, wie viel Mühe sich die Menschen hier gaben, sich in die Situation des Hundes hineinzuversetzen und seine Gefühle zu verstehen.
»Hier steht, dass er als Welpe von einem Deutschen Schäferhund angegriffen wurde und deshalb früher besonders aggressiv auf diese Rasse reagiert hat, aber auch sonst war er an der Leine oft gestresst und hat andere Hunde und Menschen angebellt. Er brauchte ein neues Umfeld, deshalb beschloss ich, ihn zu einer Pflegefamilie zu bringen. Meine Kollegin Melissa ist ein echter Profi im Umgang mit Tieren. Sie pflegt nicht viele Hunde, aber diese Hirtenrassen liebt sie total, und sie hat keine Kinder, also passte es super.«
»Und wie lief es mit ihr?«
»Sobald ich ihn bei Melissa untergebracht hatte, senkte sich sein Stresslevel extrem. In meinen Notizen steht, wie gut es ihm geht. Er ist an die Hundebox gewöhnt und stubenrein. Wenn er in einem kontrollierten Umfeld von der Leine gelassen wird, liebt er es, draußen zu sein. Er springt keine fremden Leute an, beißt nicht und kennt die wesentlichen Befehle. Allerdings bellt er gern Menschen an und ist sehr auf streunende Katzen fixiert. Mit anderen Hunden versteht er sich mittlerweile auch besser, obwohl er immer noch ab und an Probleme hatte. Er geht gern spazieren und liebt Schnee. Du siehst also, dass er wirklich gute Fortschritte macht, und das, obwohl er nur zehn Tage bei der Pflegefamilie war.«
»Ja?«
»Ja. Wenn er ein ruhiges Zuhause bekommt und du es langsam angehen lässt, denke ich, dass er sich wirklich gut machen wird. Ich denke, das werdet ihr beide. Ich habe ein gutes Gefühl«, sagte sie. »Sei einfach geduldig und gib ihm etwas Zeit. Du musst verstehen, dass er komplett aus seinem Leben herausgerissen wurde. Er war Teil einer Familie, die ihn dann hier zurückließ, was ihm natürlich Stress bereitet hat. Und diese Familie hatte ihn damals auch aus einem Tierheim adoptiert, also hat er jetzt schon zwei Adoptionen hinter sich, dazu das Trauma, hierhergebracht zu werden und sich dann an eine Pflegefamilie gewöhnen zu müssen – er wird also etwas Zeit brauchen, um sich anzupassen.«
»Der arme Kerl«, sagte ich. Plötzlich wurde mir klar, wie hart das Leben dieses Hundes gewesen war. Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil einer Familie, und diese Familie verlässt Sie, nur damit eine andere Familie Sie adoptiert und ebenfalls verlässt. Ich weiß nicht, warum mich das in diesem Moment so traf. Ich hatte mich nie wirklich für das Schicksal oder das Leiden von Tieren interessiert, war definitiv kein Greenpeace- oder PETA-Typ. Es war nicht so, dass ich Tiere nicht mochte, ich hatte nur nie viel Zeit damit verbracht, über sie nachzudenken.
Ich schaute zu Raider runter, und plötzlich sah die Traurigkeit in seinen Augen nicht mehr wie eine Reaktion der Enttäuschung auf mich persönlich aus. Es wirkte eher wie Müdigkeit. Herzschmerz. Vielleicht Einsamkeit. Ein Gefühl, als wäre dieser Hund einfach fertig mit der Welt und bereit, aufzugeben und zu sterben.
Genau wie ich.
Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich konnte es kaum glauben.
Raider legte sich auf seine Seite und begann zu hecheln, als ich ihn streichelte. Es war nicht heiß hier drin, deshalb fand ich das etwas beunruhigend.
»Geht es ihm gut?«, fragte ich.
»Ja, ich glaube, er ist nur ein wenig gestresst. Hunde riechen den Stress anderer Hunde in diesem Raum. Das ist auch der Raum, wo Hunde abgegeben werden, also liegen hier eine Menge Emotionen in der Luft.«
Ich sah ihn an und streichelte ihn eine Weile lang schweigend.
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagte ich.
»Natürlich.«
»Kann ich seinen Namen ändern?«
»Warum?«, fragte Casaundra.
»Na ja, ich bin aus South Bay. Ich lebe im 49ers-Land und bin ein 49ers-Fan. Wir hassen die Raiders. Ich will einfach …«
Casaundra lachte. »Okay, ich verstehe!«, sagte sie. »Ja, du darfst seinen Namen ändern. Es könnte eine Weile dauern, bis er darauf reagiert, aber warum nicht? Ein Neuanfang.«
»Also«, sagte ich. »dann war es das wohl, ja?«
»Ja!«, sagte Casaundra. »Ich habe ein wirklich gutes Gefühl bei euch beiden. Hab einfach Geduld. Macht Spaziergänge zusammen. Aber geh für den Anfang nicht zu weit. Versuch nicht, ihn sofort an alle möglichen Orte mitzunehmen. Geh in den ersten Wochen nicht weiter, als er möchte, bevor er aufs Klo geht. Fangt langsam an, und dann wird es euch beiden besser gehen.«
»Es langsam angehen lassen klingt gut für mich. Danke, Casaundra.«
»Na klar, Eric. Ich danke dir. Raider dankt dir. Oh, und wegen seines Verhaltens wäre es wohl am besten, wenn du ein paar Kurse mit ihm besuchst. So könnt ihr euch beide aneinander gewöhnen, und der Übergang fällt euch leichter. Sie sind nicht zu teuer, und es lohnt sich.«
»Ich, ähm … Okay. Was immer du sagst«, antwortete ich.
Ich legte Raider seine neue Leine an, führte ihn nach vorn zur Rezeption, um einige abschließende Papiere auszufüllen, schüttelte Casaundra die Hand, und plötzlich war ich wieder auf dem Asphaltweg, der am Brunnen vorbei zu meinem Auto führte. Mit einem Hund.
Sobald wir draußen waren, schien Raider sich ein wenig anders zu verhalten. Er überholte mich, zog an der Leine und ging auf dem Gehweg auf und ab, als sei er auf Patrouille. Er zog mich kräftig nach vorn und bellte einen Hund auf einem der Spielplätze an, und ich musste ganz schön viel Kraft aufbringen, um ihn zurückzuhalten und zum Weitergehen zu bewegen.
»Komm schon, Raider. Der Hund kann dir nichts tun. Komm schon!«, sagte ich. »Raider!«
Schließlich gehorchte er.
»Junge, wir müssen unbedingt diesen Namen ändern. Was wäre ein guter Name für dich?«
Mir wurde klar, dass ich mit einem Hund sprach. Seltsam. Warum tat ich das? Erwartete ich etwa, dass er antwortete?
Ich schloss das Auto auf, öffnete die Hintertür und dachte, dass Raider direkt hineinspringen würde. Aber natürlich tat er das nicht. Er blieb einfach stehen.
»Mach schon, Junge. Das ist dein neues Auto. Spring rein!«
Ich zog an seiner Leine und gab ihm sogar einen kleinen Schubs mit meinem Knie, aber er sah mich an, als wäre er noch nie in seinem Leben in ein Auto gesprungen. Als hätte er keine Ahnung, was er tun sollte.
»Komm schon, Junge, du schaffst es.«
Schließlich beugte ich mich runter, legte meine Arme um seine Brust und hob ihn hoch. Ich musste fast all meine Kraft aufbringen, bis ich seinen sich windenden Körper mit den nach unten baumelnden Beinen schließlich auf den Sitz gehievt hatte. Die ganze Zeit hatte ich Angst, dass er versuchen könnte, mich zu beißen oder so. Aber das tat er nicht. Sobald ich ihn ins Auto bugsiert hatte, legte er sich flach hin, als wolle er nicht mal aus dem Fenster schauen; ja, als wolle er nicht sehen, wo er als Nächstes landen würde.
Ich machte die Tür zu und lehnte mich gegen das Auto. Nach all dem Bücken und Heben musste ich erst mal Luft holen. Ich schloss meine Augen, fühlte die Sonne auf meinem Gesicht und dachte: O Gott, ich hoffe, das ist kein Fehler.
Selbst als ich vom Parkplatz auf die Straße fuhr, blieb Raider flach auf dem Rücksitz liegen. Ich hatte Leute mit Hunden gesehen, die während der Fahrt im Auto herumsprangen und versuchten, auf den Schoß ihres Herrchens oder Frauchens zu kriechen, und ich war heilfroh, dass ich nicht so einen Hund hatte. Allerdings machte ich mir Sorgen um ihn, also reckte ich meinen Kopf und stellte den Rückspiegel so ein, dass ich ihn sehen konnte. Er schien meinen Blick zu erwidern, während sein Kopf weiterhin auf seinen Vorderpfoten lag.
»Also Junge, wie sollen wir dich nennen?«, fragte ich ihn.
Irgendetwas an der niedlichen Position, in der er dalag, erinnerte mich an meine Kindheit. Als ich aufwuchs, war meine Lieblingsserie Die kleinen Strolche gewesen. Die Kinderbande in dieser Show hatte einen Hund namens Peety gehabt. Er war eine Art Bulldogge mit einem großen schwarzen Kreis um sein Auge herum gewesen und sah absolut nicht aus wie der Hund auf meinem Rücksitz. Aber sie waren beide schwarz-weiß, und damals hätte ich es ziemlich cool gefunden, so einen Hund zu haben. Es schien Schicksal zu sein.
»Was ist mit Peety?«, fragte ich. »Darf ich dich Peety nennen?«
Keine Ahnung, ob es ein Zufall war, ob er irgendetwas hörte oder roch, das seine Aufmerksamkeit erregte, oder ob er die positiven Kindheitserinnerungen fühlen konnte, die für mich in diesem Namen mitschwangen, aber in dem Moment, als ich »Peety« sagte, hob der Hund seinen Kopf und sah mich direkt an.
Ich nahm es als ein weiteres Zeichen.
»Nun, dann haben wir das ja«, sagte ich. »Peety, lass uns nach Hause fahren.«
Als wir mein Gebäude erreichten, schaffte es Peety ganz allein, sich aus dem Auto plumpsen zu lassen. Aber als sich die Tür des Aufzugs öffnete, stand er wieder wie erstarrt da und schaute, als ob er nicht wüsste, was er tun sollte. Ich glaube nicht, dass er jemals zuvor einen Aufzug gesehen hat. An seinem Halsband zog ich ihn hinein und beobachtete ihn dabei, wie er sich nervös umsah, während der winzige Raum sich in Bewegung setzte. Als die Türen sich öffneten und wir uns plötzlich in einer ganz anderen Umgebung mit schöner Beleuchtung und Teppichböden befanden, sah Peety wirklich verwirrt aus.
Ich führte ihn zu meiner Wohnungstür und ließ ihn drinnen endlich von der Leine. Er stolperte den Flur entlang, vorbei an der Küche, bis zur Balkontür auf der anderen Seite des Raumes. Dort legte er sich hin und seufzte laut auf, während ich seine Leine an mein Schlüsselbrett hängte.
Ich hatte eine Tasche mit Spielzeug aus dem Auto mit nach oben gebracht, aber die große Tüte Hundefutter und das Hundebett waren noch unten. Und gerade war ich viel zu müde, um sie zu holen. Peety sah ebenfalls aus, als wolle er sich auf keinen Fall bewegen, also ließ ich ihn in Ruhe. Genauso wie er brach ich nach diesem langen Tag auf der Couch zusammen und stieß erst mal einen lauten Seufzer aus.
Dann atmete ich tief durch, und mit einem Mal wurden meine Sinne von dem köstlichsten Duft überwältigt, der aus der Küche zu mir herüberwehte: der Duft einer Mahlzeit, von der ich völlig vergessen hatte, dass ich sie am Morgen angefangen hatte zuzubereiten.
Gleich nach meinem Haferflocken- und Kaffeefrühstück hatte ich mich dazu gezwungen, noch mal einkaufen zu gehen. Ich ging in ein schönes Geschäft mit Küchenzubehör und kaufte mir einen Schongarer und ein neues Set Edelstahltöpfe und -pfannen. Außerdem folgte ich der Empfehlung der Verkäuferin und kaufte auch einen Satz asiatischer Dünsteinsätze. Ich erzählte ihr von meinem Brokkoli-Brei, und sie sagte: »Ich dämpfe Brokkoli nur ein paar Minuten. Ich mag mein Gemüse al dente.« Das klang ausgefallen und gefiel mir. Ich kaufte noch einige weitere Utensilien und einen Haufen kleiner Glasschüsseln, Schalen zum Mischen und so weiter. Danach ging ich zurück zum Supermarkt und kaufte neues Obst und Gemüse und noch ein paar Bohnen. Ich schaute mir Dr. Preetis Zutatenliste genauer an und plünderte das Gewürzregal. Dieses Mal würde ich dem Rezept für Reis und Bohnen genau folgen, schwor ich mir. Als ich nach Hause kam, maß ich alles in meinen neuen Schüsseln und schüttete den Reis, die Bohnen und die Gewürze perfekt dosiert in den Schongarer. Ich legte den Deckel darauf und schaltete ihn an. Es war mir nicht wirklich klar, wie sich diese rohen Zutaten und Gewürze bis zum Abendessen vermischen und in etwas Essbares verwandeln sollten, aber ich beschloss, mich einfach an die Anweisungen zu halten.
Nun fand ich mich sabbernd auf meiner Couch wieder. Obwohl das Abendessen erst in ein paar Stunden fertig sein sollte, roch es in meiner Wohnung bereits wie in einem exotischen Restaurant, das Essen aus Indien oder dem Nahen Osten serviert. Ich konnte nicht glauben, dass ich in meiner eigenen Küche etwas zubereitet hatte, das so köstlich duftete. Durch den Geruch fühlte sich meine ganze Wohnung völlig neu für mich an, so ähnlich wie das seltsame Sonnenlicht, in dem alles nach meiner Reise ins Licht erstrahlt war. Der Duft erfüllte alle meine Sinne.
In den nächsten Stunden bewegte ich mich kaum. Peety auch nicht, außer wenn er sich alle paar Minuten kratzte. Das tat er mit solcher Heftigkeit, dass ich davon sogar aus meinem Nickerchen aufwachte. Es machte mich verrückt. Als die Nachmittagssonne durch die Fenster schien, fiel mir auf, dass er jedes Mal, wenn er sich kratzte, eine riesige Wolke aus Staub und Hundehaaren in die Luft schickte. Die HSSV würde mich wohl nicht mit einem schmutzigen Hund nach Hause gehen lassen, da war ich mir sicher, also musste diese Staubwolke vollständig aus alten, trockenen Hautschuppen bestehen.
»Iiih«, sagte ich zu Peety. »Dagegen müssen wir was unternehmen.«
Wieder sah er mich mit diesem müden Blick an, also beschloss ich, mich endlich aufzurichten und mit ihm zu spielen. Ich öffnete die Petco-Tasche und zog einen Ball heraus.
»Willst du spielen? Willst du einen Ball?«
Ich rollte den Ball über den Boden und folgte ihm mit meinem Blick. Er prallte von der Wand ab und rollte unter den Kaffeetisch. Peety bewegte sich nicht einen Zentimeter.
»Bälle sind nicht so deins, was?«
Als Nächstes zog ich einen quietschenden Gummi-Hotdog aus der Tasche. Ich drückte ihn mehrmals und füllte den Raum mit quäkenden Geräuschen, dann warf ich ihn in Peetys Richtung. Er prallte von seinem Hinterbein ab und fiel auf den Boden.
»Okay. Was ist mit einem Seil? Willst du vielleicht Tauziehen spielen?«
Ich ließ ein Spielzeug aus Seil zwischen meinen Fingern baumeln und schüttelte es vor Peetys Nase herum, während er mich anstarrte, als wäre ich der langweiligste Clown der Welt. Ich warf es ihm zu, und wieder bewegte er sich keinen Zentimeter.
»Na, wie wär’s dann mit einem Leckerli?«, sagte ich. Peety spitzte die Ohren. Ich zog ein paar Hundeleckerlis aus der Tasche, stand unter Stöhnen auf und ging rüber zu Peety. Dort kniete ich mich hin – was keine leichte Aufgabe war – und präsentierte ihm die Leckerbissen in meiner Handfläche.
Er beschnüffelte sie vorsichtig. Dann drückte er seine Nase in meine Handfläche und fraß sie auf.
»Guter Junge«, sagte ich und kraulte ihn hinter den Ohren. Er starrte mich an und wedelte mit dem Schwanz. »Heißt das, dass du hungrig bist? Denn ich bin es definitiv.«
Ich stützte mich mit meiner linken Hand an der Wand ab und zog mich hoch, wonach ich erst mal Luft holen musste.
»Hör zu. Warum machen wir nicht unseren ersten Spaziergang? Wir gehen runter, du kannst dein Geschäft erledigen, wir holen dein Fressen und dein neues Bett aus dem Auto, und dann kommen wir wieder hoch und essen. Klingt das nicht gut?«
Ich schnappte mir die Packung mit Hundekotbeuteln aus meiner Petco-Schatzkiste und nahm Peetys Leine in die Hand, was Peety dazu veranlasste, sofort auf mich zuzugehen. Ich befestigte die Leine an seinem Halsband, machte die Tür auf, und er trat vor mir in den Flur hinaus.
»Okay, ich schätze dann mal, du gibst die Richtung an«, sagte ich.