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In einem großen Teil Südosteuropas sind die schwersten Regengüsse Anfang Juni schon vorüber, und der Schlamm in den Straßen trocknet, wird hart und zu Staub zerrieben. Die bunten Mauern der Dörfer glühen in der starken Sonne, und die Schatten sind schwarz und scharf. Nur auf den höheren Balkan-Berggipfeln liegt noch Schnee. Das Getreide steht hoch und üppig, und in den Flusstälern östlich der jugoslawischen Grenze sieht man vom Zug aus die Felder mit Rosen und weißem Mohn in voller Blüte. In den Städten aber ist die Luft feucht, und die Insekten, die in der Sonne über den Abfällen schwirren oder aus den dunklen Tiefen der Hotelbetten kriechen, sind voller Lebenslust. Der Mensch jedoch verspürt um diese Zeit eine seltsame Niedergeschlagenheit; seltsam, weil trotz der Trägheit des Körpers der Geist unruhig wacht, als fürchte er ein drohendes Unheil.

Auf dem Zentralbahnhof empfing mich der Vertreter meines Auftraggebers. Sein Name war Georghi Paschik.

Ich sah ihn auf dem Bahnsteig stehen, als mein Zug einlief; ein kleiner, brünetter, schwächlicher Mann mit randloser Brille, einem knapp sitzenden Leinenanzug und einer ganzen Reihe von Füllfederhaltern in der äußeren Brusttasche. Unter dem Arm trug er eine dünne schwarze Aktentasche mit einem silbernen Medaillon am Ende des Reißverschlusses. Er stand an einem Pfeiler und blickte sich um, herrisch-unsicher, wie ein reicher Reisender, der keinen Gepäckträger sieht und weiß, dass er sein Gepäck nicht selbst tragen kann. Ich glaube, es waren die Füller, an denen ich ihn erkannte. Er trug sie wie eine militärische Auszeichnung.

Heute weiß ich viel über Paschik. Ich weiß zum Beispiel, dass die schwarze Aktentasche, die er mit so viel Würde trug, selten etwas anderes enthielt als ein vertrocknetes Sandwich und einen Revolver; dass er den Anzug bekommen hatte, als er in einem Vertriebenenlager arbeitete; dass einer dieser Füllfederhalter aus Passaic, New Jersey, stammte, und dass diese Tatsachen direkt mit seinem Tod zusammenhingen. Ich weiß jetzt ungefähr, wie sein Geist arbeitete, und ich kenne die seltsamen Phantasien, von denen er besessen war.

Aber damals war er für mich nur ein Name, den ich gelegentlich bei einer Unterhaltung gehört hatte – ›unser Vertreter da unten, Paschik, wird Ihnen die nötigen Papiere besorgen‹ –, eine wartende Gestalt auf einem Bahnsteig. Ich war nicht darauf vorbereitet, einem von Gott Gezeichneten zu begegnen.

Er schüttelte mir die Hand und lächelte freundlich.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Foster. Haben Sie schon gefrühstückt?«

»Noch nicht. Nett von Ihnen, mich abzuholen!«

Er machte eine abwehrende Geste. »Ich habe meinen Wagen draußen. Wir werden Ihr Gepäck tragen müssen, Mr. Foster. Um diese Zeit sind keine Gepäckträger da.«

Er sprach recht gut Englisch, mit einem ausländisch-amerikanischen Akzent. Er war mir nicht besonders sympathisch. Er hatte ein rundliches, blasses Gesicht mit Doppelkinn und zwei Tage alten Bartstoppeln, und die braunen feuchten Dackelaugen schielten leicht durch die randlosen Brillengläser. Er wirkte sachlich und sehr höflich.

»Gute Reise gehabt, Mr. Foster?«, fragte er, als wir zu seinem Wagen gingen.

»Danke, leidlich.«

»Keine Schwierigkeiten an der Grenze?«

»Nur die üblichen.«

»Das freut mich.«

Er trug mein Gepäck zu einem schäbigen Opel, der hinten keine Polster hatte. Er nahm mir die Schreibmaschine ab, um sie mit dem Koffer zu verstauen, hielt aber plötzlich inne und betrachtete sie nachdenklich.

»Wissen Sie, Mr. Foster«, sagte er, »manchmal machen die Behörden jenen Besuchern, bei denen sie nicht viel Sympathien für unsere Regierung vermuten, große Schwierigkeiten.«

»So?«

»Leider ja.« Er stellte die Schreibmaschine in den Wagen, ließ aber den Handgriff noch nicht los und wandte sich mir zu. Einen Augenblick schien er etwas sehr Wichtiges sagen zu wollen. Es lag ihm schon auf der Zunge. Dann besann er sich anders. Er zuckte die Achseln. »Es ist jetzt hierzulande alles etwas schwierig, Mr. Foster«, sagte er. »Jedenfalls freut es mich, dass man Ihnen keine Ungelegenheiten machte.«

Sein Büro war in einem Haus direkt neben dem Boulevard Marschall Sokolowski. Es nannte sich ›Paneuropäischer Pressedienst‹ und vertrat die Interessen mehrerer amerikanischer und einiger englischer Zeitungen, deren Besitzer es nach dem Krieg für überflüssig gehalten hatten, wieder eigene Redaktionen in der Hauptstadt zu eröffnen. Paschik war tüchtig und machte einen recht guten Eindruck. Ich musste als Ausländer bei der Polizei und als Pressekorrespondent beim Innen- und beim Propagandaministerium gemeldet werden. Außerdem brauchte ich einen Spezialausweis für den Prozess. Wir waren erst gegen Abend mit allem fertig.

Obwohl wir bei den verschiedenen Amtsstellen ziemlich lange warten mussten und sich auch die üblichen Gelegenheiten zur Unterhaltung boten, wurden wir den ganzen Tag nicht warm miteinander. Er blieb meistens höflich, aber zurückhaltend, vermied jedes Gespräch über Deltschev oder den Prozess, aus dem manchmal recht fadenscheinigen Grund, dass man uns zuhören könnte, und stellte mich den Beamten mit gemessener Höflichkeit vor, die deutlich ausdrückte, dass er für mein künftiges Verhalten keine Verantwortung übernehme. Er machte den Eindruck eines Filialleiters, der den Sonderbearbeiter aus der Hauptstelle zwar auf jede erdenkliche Art unterstützt, sich im stillen aber berechtigte Zweifel erlaubt, ob die Ergebnisse den Aufwand auch rechtfertigen. Das verstand ich recht gut; ich hätte diese Zweifel sogar geteilt. Mit der Zeit realisierte ich aber, dass seine Haltung nur zum Teil Berufsneid war, hinter dem sich ganz andere Sorgen um mich verbargen. Ungereimtheiten in seinem Verhalten ließen das durchblicken: Auf plötzliche Ausbrüche von Herzlichkeit folgten betretene Pausen, in denen ich feststellte, dass mich seine braunen kurzsichtigen Augen verstohlen musterten, als wolle er mein Bankkonto abschätzen; oder dass er, wie vorhin auf dem Bahnhof, etwas verschwieg, das er schon auf der Zunge hatte. Wahrscheinlich waren, während ich unterwegs war, schlechte Nachrichten für mich eingetroffen, oder er hatte eine Bitte an mich, die ich vermutlich ablehnen würde. Der Gedanke machte mich nervös. Und leider hatte ich Paschik gegenüber bereits ein schlechtes Gewissen. Ich konnte ihn nicht leiden – seines Geruches wegen.

Ich hatte diesen sauren, muffigen Geruch gleich bemerkt, als wir am Bahnhof in seinen Wagen gestiegen waren, und zuerst wusste ich nicht, ob der Wagen oder der Besitzer stank. Ich habe sicher keine heikle Nase, und die Ausdünstung der Großstädter stört mich nicht. Ich habe oft Leute mit »Körpergeruch« getroffen, die mir aber deshalb nicht zuwider waren. Paschik aber war mir zuwider. Vielleicht lag es daran, dass er in Auftreten und Erscheinung – mit Leinenanzug, amerikanischer Brille, Aktentasche, betonter Gefälligkeit – ganz und gar nicht zu diesem schlechten Geruch passte. Ich erinnere mich noch jetzt: Als ich festgestellt hatte, dass er so roch und nicht der Wagen, achtete ich bei allen Leuten, mit denen wir in Berührung kamen, besonders darauf, ob das, was meine Nase beleidigte, nicht vielleicht nur der Geruch dieser Stadt und nicht der eines bestimmten Bürgers sei. Aber nein – es war Paschik. Ich konnte ihn nicht riechen. Das war unvernünftig und erwies sich bei allem, was später passierte, als Nachteil für mich.

Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber ein Kirchturm und die Kuppel einer Moschee streckten ihre Schatten wie Daumen und Zeigefinger über den St. Mihailsplatz, als wir, zum letzten Mal an diesem Tag, aus dem Propagandaministerium traten und zu Paschiks Wagen zurückgingen. Ich hatte meinen Sonderausweis für den Prozess.

Paschik winkte übertrieben bescheiden ab, als ich ihm dankte. »Man tut, was man kann, Mr. Foster.« Es war einer seiner herzlichen Augenblicke. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mitzukommen und zu warten, bis ich in meinem Büro Ordnung gemacht habe, möchte ich Sie zum Essen einladen. Ich gehe immer in ein spezielles Restaurant.«

Ich hätte gern abgelehnt; stattdessen nahm ich dankend an. Zu seinem Büro gehörte ein winziger Vorraum mit einer Milchglastür, auf der in Ölfarbe die Namen aller Zeitungen standen, die er vertrat. Die Liste war lang und imponierend, und das Büro dahinter bildete einen grotesken Gegensatz dazu. Es enthielt einen Schreibtisch, einen Tisch, zwei Stühle und ein paar Aktenregale. Das Fenster ging auf einen hohen Schacht mit Feuerleitern hinaus und ließ nur warme, schale Luft und schwaches Licht herein, sodass die Ecken des Zimmers im Dunkeln lagen. Auf einem der Aktenregale stand, auffallend gerahmt, als wäre es das Foto seiner Frau, ein Werbefoto von Myrna Loy mit dem Faksimile ihrer Unterschrift.

Er schaltete die Schreibtischlampe ein und machte sich daran, einen Stoß von Pressemeldungen durchzusehen. Die meisten wurden zerknüllt beiseitegeworfen; auf zwei oder drei schrieb er etwas und händigte sie einem Jungen mit einer Dienstmütze aus, der ihn hier erwartet hatte; einige klammerte er zusammen und legte sie in eine Mappe. Nachdem er bei der letzten Meldung angelangt war, gab er dem Jungen etwas Geld und schickte ihn fort. Dann hob er das Telefon ab und führte mit einer Frau ein Gespräch, von dem ich nichts verstand. Ihre Stimme tönte blechern aus der Muschel. Das Gespräch endete mit einem Crescendo von Verneigungen. Paschik stand auf und begann, den Schreibtisch aufzuräumen, stirnrunzelnd und sichtlich verstimmt.

Ich saß außerhalb des Lichtkreises seiner Lampe im Dunkeln und beobachtete ihn. Die kleinen Hände bewegten sich jetzt unsicher. Er rang sich offensichtlich zu einem Entschluss durch. Dann hörte er mit Aufräumen auf und blickte zu mir herüber, setzte sich wieder, lehnte sich zurück, zog eine Packung amerikanischer Zigaretten aus der Tasche und machte sie auf.

»Mr. Foster«, fing er sehr vorsichtig an, »da ist ein Problem, über das ich noch nicht mit Ihnen gesprochen habe.« Jetzt waren wir so weit.

»Ja – und das wäre?«

Er ließ die Augen nicht von dem Zigarettenpäckchen. »Das Problem der Zensur. Sie wissen natürlich, dass die Zensur hier sehr streng ist?«

»Ja – das wurde mir gesagt.«

»Gewöhnlich spielt sich die Sache so ab, dass ich das Manuskript der Zensurstelle unterbreite und es dann als Telegramm oder per Luftpost wegschicke.«

»Ich verstehe.«

»Ja, das ist der normale Ablauf.« Er betonte jedes einzelne Wort.

»Und Sie meinen, es wäre Ihnen am liebsten, wenn auch ich Ihnen meine Artikel gäbe, damit Sie sie der Zensur vorlegen und dann weiterbefördern? Stimmt das?«

Einen Augenblick zögerte er mit der Antwort, dann begann er langsam auf den hinteren Beinen seines Stuhls vor und zurück zu wippen.

»Mr. Foster – die Zeiten hier in diesem Land sind nicht normal«, sagte er.

Ich wartete. In seinen Brillengläsern blinkte das Licht der Schreibtischlampe regelmäßig auf, wenn er vorwärts wippte. Er fuhr fort: »Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Artikel satirische Elemente enthalten könnten, die die Regierung verunglimpfen und brandmarken.«

»Das ist wohl möglich.«

Er schüttelte feierlich den Kopf. »Ich kann Ihnen offen sagen, Mr. Foster: Das ist ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen.«

»Nun, das werden wir ja sehen.«

»Hat man Sie in der Chefredaktion nicht gewarnt, dass hier alles etwas schwierig sein wird?«

Ich lächelte liebenswürdig. »Man sagte mir, dass Sie schwierig sein würden, Herr Paschik.«

Er hörte auf zu wippen. »Aber, aber, Mr. Foster! Sie verstehen mich ganz falsch. Die Zensur ist hier sehr mächtig. Wenn Sie Artikel gegen das Regime der Volkspartei schreiben, könnte Ihnen das gemäß der Februarverordnung Gefängnis und eine hohe Buße eintragen.«

»Ja, vielleicht könnte es das.«

»Zugegeben, in Ihrem Fall würde die Verordnung wohl kaum angewendet werden, aber man würde Ihnen den Spezialausweis für den Prozess sofort entziehen, und Sie hätten Unannehmlichkeiten mit der Polizei.«

»Auch daraus ließe sich ein Artikel machen.«

Seine Lippen wurden schmal. »Es versteht sich von selbst, dass Ihre Artikel konfisziert würden, Mr. Foster. Wenn Sie es amüsant finden, Artikel zu schreiben, damit sie konfisziert werden, so ist das Ihre Sache. Ich befasse mich mit konkreter Pressearbeit.«

Das saß. Ich tat das nicht. Aber ich merkte, dass er es im Moment auch nicht tat. Ich vermute, er wollte mir zeigen, wie hilflos ich ohne ihn wäre. Ich sagte so ruhig ich konnte: »Nun gut, Sie sind hier der Repräsentant der Zeitung, und Sie sagen mir, dass alles sehr schwierig sei. Ich verstehe. Also: Wie können wir die Schwierigkeiten umgehen?«

Ich musste eine Weile warten, während er sich eine Zigarette anzündete und den Rauch langsam an dem brennenden Ende vorbeiblies, wie ein schlechter Schauspieler, der so tut, als denke er nach. »Nun, Sie könnten ja versuchen, übers Wochenende nach Griechenland zu fahren und Ihre Artikel von dort wegzuschicken.« Die Rauchwolke wurde etwas dichter. »Natürlich würde die Polizei Ihnen auf die Schliche kommen. Ein Amerikaner von einer Chicagoer Zeitung hat es probiert.«

»Und?«

Nun sah er mich fest an. »Er hat bloß eine Menge Zeit verschwendet, Mr. Foster. Selbstverständlich hatte er kein Manuskript bei sich, als man ihn an der Grenze untersuchte; er hatte es auswendig gelernt; aber man machte ihm Schwierigkeiten mit seinem Visum, nahm ihm zwecks Überprüfung den Pass ab und hielt ihn eine Woche an der Grenze fest. Es war recht unangenehm für ihn.«

»Ich verstehe. Und nun, da Sie mir erzählt haben, auf welche Art man es nicht machen kann, schlagen Sie etwas anderes vor!«

Er wippte wieder. »Ich habe keinen Vorschlag, Mr. Foster. Es sind auch schon andere Methoden versucht worden. Eine Zeit lang benutzte man das Personal fremder Fluglinien als Kurier, aber nicht lange. Es ist zu gefährlich für die Leute. Ich habe mein Bestes getan, der Chefredaktion das alles begreiflich zu machen – wurde aber in London und New York nicht ernst genommen.«

»Sie halten es also für eine große Zeitvergeudung, dass ich überhaupt hier bin?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Dem Sinn nach haben Sie es gesagt.«

»Sie haben mich missverstanden. Ich selbst stehe Ihren Artikeln positiv gegenüber. Dieser Prozess ist dramatisch – hm –« Er brach ab und suchte das richtige Wort.

»Sie meinen – theatralisch?«

»Jawohl, theatralisch. Danke sehr. Ein aus ideologischen Gründen gegen einen Politiker geführter Prozess muss der westlichen Mentalität höchst theatralisch vorkommen. Daher finde ich es eine gute Idee unseres Redakteurs, einen hervorragenden Bühnendichter wie Sie, Mr. Foster, über den Prozess Deltschev berichten zu lassen. Ich selbst brenne auf Ihre Artikelserie. Aber« – er beugte sich eindringlich nach vorn – »Sie können sie nicht hier schreiben und nicht von hier ins Ausland schicken oder bringen; das heißt, wenn Sie nicht einfach die offiziellen Berichte des Propagandaministeriums zugrunde legen und ausschmücken und jede Seite von der Zensur abstempeln lassen wollen. Damit müssen Sie sich abfinden.«

»Aber –«

»Wohnen Sie dem Prozess bei, Mr. Foster, memorieren Sie« – er berührte mit dem Finger die Stirn, um mir zu zeigen, wo ich zu memorieren hätte –, »und fahren Sie dann nach Hause und schreiben Sie Ihre Artikel. Das ist der einzige Weg.«

Ich antwortete nicht gleich.

Ich hatte vier Tage lang im Zug gesessen und unterwegs wenig geschlafen. Um sieben Uhr morgens war ich in einer fremden Stadt angekommen, bei drückend heißer Sonne, in einer stickigen Atmosphäre, die mich einfach fertiggemacht hatte. Mein Gepäck stand in einem Hotel, das, was meine Erinnerung an das Straßennetz anbetraf, ebenso gut hundert Meter wie drei Kilometer von dem Büro entfernt sein konnte, in dem wir jetzt saßen; aber selbst wenn ich mein Hotel fand und mich an die Zimmernummer erinnerte – wie sollte ich nach dem Schlüssel fragen? Ich hatte Cafés und Ämter abgeklappert, Gespräche, die mich betrafen, in einer mir unverständlichen Sprache anhören müssen, immer im Schlepptau eines beleidigten, wichtigtuerischen Balkanesen mit fetten Hüften und unangenehmer Ausdünstung. Ich hatte eine Blase an der rechten Fußsohle und ein schmutziges Gesicht. Dazu kam, dass ich hungrig war und schon wünschte, ich wäre nie hergekommen.

Jetzt sagte man mir noch, es sei bedauerlich, dass ich überhaupt gekommen sei, aber ich dürfe hierbleiben und mir das Theater ansehen, falls ich mich anständig benähme und Lust hätte, meine Zeit zu vergeuden. So schien es mir damals wenigstens. Ich wurde wütend, beherrschte mich aber und antwortete dann mit ruhiger Stimme.

»Herr Paschik, Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese Artikel als Kommentare zum Prozess gedacht sind. Später haben sie doch keinen Wert mehr.«

»So, glauben Sie das?« Er lächelte wissend-überlegen. »Deltschev wird zum Tode verurteilt werden, und Ihre Artikel bilden einen Teil der Kampagne gegen das Urteil.«

»Das entspräche nicht meinem Auftrag. Ich soll sie wegschicken, sobald sie geschrieben sind.«

»Und warum?« Er warf beide Hände hoch und zeigte beim Lächeln Zähne wie Salzmandeln. »Damit Sie, Mr. Foster, der berühmte Bühnendichter, keine Zeit haben, sich auf Spesenkonto zu amüsieren; oder einen Einfall für ein neues Stück über das Leben hinter dem düsteren Eisernen Vorhang ausarbeiten und Ihren Auftrag vergessen. Die Verleger behandeln uns alle wie Kinder.«

»Trotzdem – man wartet auf meine Artikel.«

»Nein, Mr. Foster. Man wartet nicht auf Ihre Artikel. Ich habe an die Chefredaktion gekabelt, dass sie vor Ihrer Rückkehr nicht verfügbar sein werden.«

»Ich muss schon sagen – Sie hätten mich fragen sollen, ehe Sie das taten.«

»Ich trage die Verantwortung, Mr. Foster.«

Eine peinliche Pause entstand. Dann sagte ich: »Herr Paschik, sind Sie Mitglied der Volkspartei? Ich habe ganz vergessen, Sie danach zu fragen.«

Er lächelte wieder, aber sein amerikanischer Akzent wurde noch betonter. »Oh, Mr. Foster, jetzt sind Sie mir böse. Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Ich will offen zu Ihnen sein.«

»Gut.«

»Wenn es Scherereien mit der Zensur gibt über irgendeinen Artikel, der aus diesem Büro abgeschickt wird, so wird es einfach geschlossen. Das bedeutet für mich: Ich sitze auf der Straße und bin erledigt. Denn ich bin dafür verantwortlich.«

»Dann sind Sie aber auch verantwortlich, wenn diese Artikel nach dem Prozess erscheinen.«

»O nein. Lässt das Propagandaministerium Sie ins Land, so ist es seine Sache, wenn Sie nach Ihrer Abreise kritische Artikel veröffentlichen, nicht meine. Solange Sie aber hier sind, ist dieses Büro dafür verantwortlich, dass Sie den Ablauf des Prozesses nicht durch negative Berichterstattung beeinflussen.« Er zuckte die Achseln. »Das ist fraglos zweckdienlich für das Ministerium. Ich persönlich bin ein Feind des Regimes. Aber ich bin schon einmal wegen meiner Überzeugung ausgewiesen worden, und der ›Paneuropäische‹ hat als Repräsentant von 27 ausländischen Zeitungen nicht nur gegen Ihren Chefredakteur Verpflichtungen. Sehen Sie, Mr. Foster, deshalb muss ich mit der Regierung zusammenarbeiten.«

Ich wusste nichts Rechtes zu antworten. Am liebsten hätte ich meinen Spezialausweis für den Prozess aus der Tasche gezogen, auf Paschiks Schreibtisch gelegt und ihm gesagt, dass ich am nächsten Morgen abreisen würde. Und das war sicher genau das, was er sich erhofft hatte. Ich zögerte, weil ich mich meiner Aversion gegen ihn schämte. Er schob mir die Zigaretten hin.

Ich schüttelte den Kopf. »Wann haben Sie das Telegramm abgeschickt?«

»Vor vier Tagen, Mr. Foster.«

»Warum nicht eher?«

»Es stand nicht ganz fest, dass Sie kommen würden.«

»Aber das war doch seit drei Wochen fest abgemacht.«

»Das wusste ich nicht.«

»Bekamen Sie eine Antwort?«

»Ja, Mr. Foster.«

»Darf ich sie sehen, bitte?«

»Selbstverständlich.« Er zog eine Schublade heraus, entnahm ihr ein Telegramm und legte es vor mich hin. Ich las: Ihr 109 vom sechsten Juni verstanden benachrichtigen Sie Foster und arrangieren Sie Rückflug London sobald Prozess abgeschlossen.

»Das hätten Sie mir früher zeigen können«, sagte ich.

»Ich habe nicht gleich begriffen, dass Sie mir nicht trauen, Mr. Foster«, sagte er leise. »Das Telegramm besagt nur, dass ich Sie benachrichtigen und Ihnen die Rückreise per Flugzeug sichern soll. Es erklärt nichts von dem, was ich Ihnen erzählt habe. Sie müssen mir ganz einfach glauben, dass ich Ihnen die Wahrheit sage.«

Sein Lächeln verriet, dass er den Augenblick für gekommen hielt, da ich mir selbst dumm vorkommen und mich entschuldigen musste. Vielleicht war es dieses Lächeln, das mich davon abhielt. Ich sagte stattdessen: »Ich nehme an, die übrigen ausländischen Korrespondenten unterliegen denselben Bestimmungen?«

»Wenn sie gegen die Regierung sind, müssen sie sich dieselbe Zurückhaltung auferlegen.«

»Und die Geschichte von dem Amerikaner, der sein Wochenende in Griechenland verbringen wollte – die haben Sie vermutlich erfunden, für den Fall, dass ich auf diese Idee kommen sollte, ohne Ihnen etwas davon zu sagen?«

»Ich wollte Sie vor so plumpen Methoden warnen.«

»Sie pflegen auf Umwegen zu Ihren Zielen zu gelangen, nicht wahr?«

Er sah mich nachdenklich an. »Daran gewöhnt man sich, Mr. Foster«, sagte er. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Umwege sind manchmal die sichersten Wege. Nun, wie dem auch sei« – seine Miene veränderte sich, und er stand auf, Freundlichkeit und seine Ausdünstung verströmend –, »es tut gut, einen Menschen zu treffen, der die Offenheit vorzieht. Wir werden uns schon verstehen.« Er lächelte heiter. »Wir werden gut miteinander auskommen, Mr. Foster. Wir können einander behilflich sein – und so ist es richtig. Ich will es Ihnen beweisen.«

Er ging zu einem Aktenschrank, der ganz im Dunkeln stand, öffnete eine der Schubladen und begann darin herumzukramen.

»Wissen Sie, Mr. Foster«, murmelte er, während er die Akten durchsah, »es ist weder ehrenvoll noch lohnend, aus einem Lande ausgewiesen zu werden. Ein paar Stunden lang sind Sie der tapfere Mann, der es gewagt hat, die Wahrheit zu sagen. Aber am nächsten Tag, wenn der Händedruck der Freunde vergessen ist, sind Sie einer der vielen arbeitslosen Reporter – weiter nichts.«

Er kam wieder zum Schreibtisch, mit einem unordentlichen Aktenbündel und einem großen Briefumschlag.

»Wann passierte Ihnen das?«, fragte ich.

»1930, in Italien. Ich war damals auch noch verheiratet«, sagte er. Er zögerte ein paar Sekunden, dann stopfte er die Akten in den Umschlag und gab ihn mir, mit dem bekümmerten Lächeln eines reichen Onkels für seinen ungeratenen Neffen, den er aber gern hat.

»Die Büroakten über Jordan Deltschev, Mr. Foster. Sie werden Ihnen von Nutzen sein.«

»Danke sehr.«

»Nichts zu danken.« Er hob abwehrend die Hand. »Ich möchte Ihnen gern behilflich sein, Mr. Foster. Und ich möchte, dass Sie das auch wissen. Und das meine ich ehrlich. Avanti! Jetzt gehen wir essen, nicht wahr?«

In der Nacht war ich zu müde, um zu schlafen. Eine Weile versuchte ich es, dann gab ich es auf, machte Licht und las die Akten, die Paschik mir gegeben hatte.

Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch, dass ich über den Deltschev-Prozess schreiben würde.

Der Fall Deltschev

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