Читать книгу Nachruf auf einen Spion - Eric Ambler - Страница 4
2
ОглавлениеDen Weg zur Polizeiwache legten wir schweigend zurück. Nachdem der Polizist anfänglich seine Autorität demonstriert hatte, blieb er jetzt ein paar Schritte zurück, sodass ich mit dem Kriminalbeamten vorangehen konnte. Darüber war ich froh, denn ich legte keinen Wert darauf, wie ein Strauchdieb durch den Ort geführt zu werden. Ein paar neugierige Blicke gab es aber trotzdem, und ich hörte zwei Passanten scherzhaft von le violon sprechen.
Französischer Slang ist sehr schwer zu verstehen. Eine Geige hat ja wirklich keine Ähnlichkeit mit einem Kommissariat. Das einzige richtig hässliche Gebäude in St. Gatien ist ein abstoßender Klotz aus grauem Beton mit kleinen Fenstern wie Augen. Es befindet sich ein paar hundert Meter außerhalb des Ortes auf der anderen Seite der Bucht, und seine Größe verdankt sich der Tatsache, dass darin die Polizeiverwaltung eines Gebietes untergebracht ist, dessen geographischer Mittelpunkt zufällig St. Gatien ist. Dass St. Gatien außerdem eines der kleinsten, gesetzestreuesten und unzugänglichsten Dörfer der Region ist, wurde von den zuständigen Behörden offensichtlich ignoriert. St. Gatien ist stolz auf seine Polizeistation.
Das Zimmer, in das man mich führte, war bis auf einen Tisch und ein paar Holzbänke leer. Der Kriminalbeamte verschwand mit wichtiger Miene und ließ mich mit dem Polizisten zurück, der sich neben mich auf die Bank setzte.
»Wird es lange dauern?«
»Sprechen ist verboten.«
Ich schaute zum Fenster hinaus. Auf der anderen Seite der Bucht erkannte ich die bunten Sonnenschirme am Strand des Réserve. Für das Bad im Meer würde mir keine Zeit mehr bleiben, überlegte ich, und den Aperitif konnte ich vielleicht auf dem Rückweg in einem der Cafés trinken. Das Ganze war wirklich sehr ärgerlich.
»Achtung!«, rief mein Aufpasser plötzlich.
Die Tür ging auf, und ein älterer Mann ohne Mütze, der sich das Jackett aufgeknöpft und einen Bleistift hinter das Ohr geklemmt hatte, machte uns ein Zeichen herauszukommen. Der Polizist neben mir knöpfte sich den Kragen zu, strich die Uniformjacke glatt, setzte sich die Mütze korrekt auf und führte mich mit unnötig festem Griff zu einem Zimmer am anderen Ende des Korridors. Er klopfte energisch an und öffnete die Tür. Dann schob er mich hinein.
Ich spürte einen dünnen Teppich unter den Füßen. Hinter einem mit Papieren übersäten Tisch saß ein geschäftsmäßig wirkendes Männchen mit Brille. Das war der Kommissar. Neben dem Tisch, in einen kleinen Stuhl mit runden Armlehnen gezwängt, saß ein ziemlich dicker Mann in einem Anzug aus Tussaseide. Bis auf die mausgrauen Stoppeln, die sich auf den Speckfalten seines Nackens zeigten, war er glatzköpfig. Die schlaffe Gesichtshaut hing faltig herab, sodass die Mundwinkel gleich mit heruntergezogen wurden. Dadurch bekam sein Gesicht etwas Weiches. Die Augen waren außerordentlich klein, die Lider schwer. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht, und er fuhr sich mit einem zerknüllten Taschentuch ständig über den Nacken. Er sah mich nicht an.
»Josef Vadassy?«
Die Frage hatte der Kommissar gestellt.
»Ja.«
Der Kommissar nickte dem Polizisten hinter mir zu, der daraufhin hinausging und die Tür leise hinter sich schloss.
»Ihren Ausweis bitte.«
Ich entnahm ihn meiner Brieftasche und reichte ihn hinüber. Der Mann zog ein Blatt Papier heran und begann, Notizen zu machen.
»Ihr Alter?«
»Zweiunddreißig.«
»Sie sind Lehrer, wie ich sehe.«
»Ja.«
»Wo sind Sie beschäftigt?«
»In der Sprachenschule Bertrand Mathis, Avenue Marceau 114a, Paris, sechstes Arrondissement.«
Während er diese Angaben aufschrieb, studierte ich den Dicken. Er hielt die Augen geschlossen und wedelte sich mit dem Taschentuch Luft zu.
»Und? Haben Sie eine Arbeitserlaubnis?«, sagte der Kommissar scharf.
»Ja.«
»Vorzeigen!«
»Sie ist in Paris. Ich verbringe hier meinen Urlaub.«
»Sie sind Jugoslawe?«
»Nein, Ungar.«
Der Kommissar guckte erstaunt und funkelte mich an. Mich verließ der Mut. Wieder einmal würde ich die lange und verwickelte Geschichte meiner Staatsangehörigkeit, genauer gesagt meiner Staatenlosigkeit, erklären müssen. Bei Beamten löste das unweigerlich die übelsten Reaktionen aus. Der Kommissar wühlte in den Papieren auf seinem Tisch. Plötzlich stieß er einen Ruf der Befriedigung aus und hielt mir etwas unter die Nase.
»Und wie erklären Sie das hier, Monsieur?«
Erschrocken erkannte ich, dass »das hier« mein Pass war – der Pass, den ich törichterweise in meinem Koffer im Hotel Réserve vermutet hatte. Das bedeutete, dass die Polizei in meinem Zimmer gewesen war. Mir wurde allmählich mulmig.
»Ich warte auf Ihre Erklärung, Monsieur. Wie kommt es, dass Sie als Ungar einen jugoslawischen Pass benutzen? Einen Pass überdies, der seit zehn Jahren ungültig ist?«
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass der Dicke sich nicht mehr Luft zuwedelte. Ich begann, die Erklärung zu geben, die ich längst auswendig kannte.
»Ich bin in Szabadka in Ungarn geboren. Nach dem Vertrag von Trianon 1919 fiel Szabadka an Jugoslawien. 1922 beschloss ich, in Budapest zu studieren. Zu diesem Zweck ließ ich mir von den jugoslawischen Behörden einen Pass ausstellen. Während meines Studiums wurden mein Vater und mein älterer Bruder von der jugoslawischen Polizei wegen einer politischen Sache erschossen. Meine Mutter war während des Kriegs gestorben, und ich hatte sonst keine Verwandten oder Freunde. Man riet mir, nicht nach Jugoslawien zurückzukehren. In Ungarn herrschten schlimme Verhältnisse. 1922 ging ich nach England. In der Nähe von London bekam ich eine Stelle als Deutschlehrer. 1931 wurde meine Arbeitserlaubnis dann nicht mehr verlängert. Vielen Ausländern wurde seinerzeit die Arbeitserlaubnis nicht mehr verlängert. Als mein Pass abgelaufen war, beantragte ich bei der jugoslawischen Gesandtschaft in London eine Verlängerung, die aber mit der Begründung abgelehnt wurde, dass ich kein jugoslawischer Staatsangehöriger mehr sei. Daraufhin stellte ich bei den englischen Behörden einen Antrag auf Einbürgerung, da ich aber keine Arbeitserlaubnis hatte, musste ich mich anderswo nach Arbeit umsehen. Ich ging nach Paris. Ich durfte dort bleiben und bekam von der Polizei Papiere, mit der Maßgabe, dass man mich bei einer eventuellen Ausreise nicht wieder hereinlassen würde. Seitdem bemühe ich mich um Einbürgerung. Nächstes Jahr um diese Zeit leiste ich hoffentlich schon meinen Militärdienst«, sagte ich mit einem möglichst gewinnenden Lächeln.
Mein Blick wanderte vom einen zum anderen. Der Dicke war im Begriff, sich eine Zigarette anzuzünden, während der Kommissar verächtlich mit meinem wertlosen Pass herumspielte und zu seinem Kollegen blickte. Ich sah gerade den Kommissar an, als der Dicke das Wort ergriff. Beim Klang seiner Stimme zuckte ich zusammen, denn von diesen dicken Lippen, diesem kräftigen Kinn, aus diesem massigen Leib kam ein ganz dünner, piepsiger Tenor.
»Was war das für eine politische Sache, deretwegen Ihr Vater und Bruder erschossen wurden?«
Er sprach langsam und sorgfältig, als befürchtete er, die Stimme könne ihm versagen. Als ich mich zu ihm wandte, zündete er sich die Zigarette an, wie man eine Zigarre anzündet, und blies eine Rauchwolke über das brennende Ende.
»Sie waren aktive Sozialisten«, sagte ich.
Der Kommissar sagte »Aha!«, als hätte sich alles auf mysteriöse Weise aufgelöst.
»Das könnte erklären …«
Doch der Dicke machte eine abwehrende Geste. Seine Patschhand sah aus wie die eines Babys.
»Welche Sprachen unterrichten Sie, Monsieur Vadassy?«, fragte er sanft.
»Deutsch, Englisch und Italienisch, manchmal auch Ungarisch. Mir ist aber nicht klar, was diese Fragen mit meinem Pass zu tun haben.«
Er ignorierte meine letzte Bemerkung.
»Sind Sie schon mal in Italien gewesen?«
»Ja.«
»Wann war das?«
»Als Kind. Wir haben dort Ferien gemacht.«
»In der letzten Zeit nicht mehr?«
»Nein, aus naheliegenden Gründen.«
»Haben Sie Kontakte zu Italienern in Frankreich?«
»An der Schule arbeitet ein Italiener. Er ist Lehrer wie ich.«
»Name?«
»Rossi, Filippino.«
Der Kommissar notierte alles.
»Sonst niemand?«
»Nein.«
Ich war verwirrt. Worauf wollten sie hinaus? Was hatten Italiener mit meinem Pass zu tun? Ich wusste es noch nicht, aber es sollte lange dauern, bis ich eine Antwort auf diese Frage bekam.
»Sie sind Fotograf, Monsieur Vadassy?« Jetzt sprach wieder der Kommissar.
»Hobbyfotograf, ja.«
»Wie viele Fotoapparate besitzen Sie?«
Das war verrückt.
»Einen. Aber wenn Sie mir freundlicherweise erklären würden …«, hob ich an.
Der Kommissar beugte sich vor und schlug wütend auf den Tisch.
»Sie haben hier keine Fragen zu stellen, sondern nur zu antworten«, rief er. Nach einer Pause fuhr er fort: »Sie sagen also, Sie besitzen eine Kamera?«
»Ja.«
»Welches Fabrikat?«
»Eine Zeiss Kontax.«
Er öffnete eine Schublade seines Tisches.
»Ist sie das?«
Ich erkannte meine geliebte Kamera.
»Ja«, rief ich erregt, »und ich möchte wissen, mit welchem Recht Sie meine Sachen aus meinem Zimmer entfernen. Bitte geben Sie sie mir zurück!«, sagte ich und streckte die Hand aus.
Der Kommissar legte den Fotoapparat wieder in die Schublade.
»Haben Sie nur diese Kamera? Keine andere?«
»Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Nein!«
Der Kommissar verzog das Gesicht zu einem triumphierenden Grinsen und öffnete erneut die Schublade.
»Wie erklären Sie dann, mein lieber Monsieur Vadassy, dass der hiesige Drogist dieses Stück Kinofilm von Ihnen zum Entwickeln bekommen hat?«
Ich starrte den Kommissar verdutzt an. Mit ausgestreckten Händen hielt er den entwickelten Film, den ich dem Drogisten überlassen hatte. Im Gegenlicht erkannte ich meine Fotoexperimente: vierundzwanzig Aufnahmen von einem einzigen Gegenstand – Eidechsen. Dann sah ich den Kommissar wieder grinsen. Ich lachte so spöttisch wie nur irgend möglich.
»Offensichtlich verstehen Sie nichts vom Fotografieren, Monsieur«, sagte ich herablassend. »Das da ist kein Kinofilm.«
»Nein?« Er schaute skeptisch.
»Nein. Ich gebe zu, er sieht so ähnlich aus. Aber Sie werden feststellen, dass Kinofilm einen Millimeter schmaler ist. Das da ist ein ganz normaler Rollfilm für eine Kontax, mit sechsunddreißig Aufnahmen im Format vierundzwanzig mal sechsunddreißig Millimeter.«
»Dann wurden diese Fotos also mit dieser Kamera hier aufgenommen, die wir in Ihrem Zimmer fanden?«
»Ja.«
Es entstand eine bedeutungsschwere Pause, die beiden Männer wechselten Blicke, und dann sprach wieder der Dicke:
»Wann sind Sie in St. Gatien angekommen?«
»Am Dienstag.«
»Von woher?«
»Aus Nizza.«
»Wann sind Sie in Nizza abgefahren?«
»Mit dem Zug neun Uhr neunundzwanzig.«
»Und wann sind Sie im Réserve eingetroffen?«
»Kurz vor dem Abendessen, so gegen sieben Uhr.«
»Der Zug aus Nizza ist aber um halb vier in Toulon. Um vier gibt es einen Bus nach St. Gatien. Sie hätten um fünf ankommen müssen. Warum sind Sie erst später gekommen?«
»Das ist doch lächerlich.«
Er schaute rasch hoch. Seine kleinen Augen waren kalt, bedrohlich.
»Beantworten Sie meine Frage. Warum sind Sie später gekommen?«
»Na schön. Ich habe meinen Koffer in Toulon bei der Gepäckaufbewahrung im Bahnhof gelassen und einen Bummel durch den Hafen gemacht. Ich war noch nie in Toulon, und um sechs ging ja auch noch ein Bus.«
Nachdenklich wischte er sich über den Hals.
»Was verdienen Sie eigentlich, Monsieur Vadassy?«
»Tausendsechshundert Francs im Monat.«
»Das ist nicht besonders viel, wie?«
»Nein.«
»So eine Kontax ist teuer.«
»Aber gut.«
»Sicher, aber ich frage Sie: wie viel haben Sie dafür bezahlt?«
»Viereinhalbtausend Francs.«
Er pfiff leise.
»Du lieber Himmel, das ist eine ganze Menge. Fast drei Monatsgehälter, hm?«
»Ja. Fotografieren ist mein Hobby.«
»Ein sehr kostspieliges Hobby. Sie scheinen mit Ihren tausendsechshundert Francs im Monat ja sehr geschickt umzugehen, Monsieur Vadassy. Ferien an der Côte d’Azur, und dazu noch im Hôtel de la Réserve! Mehr, als wir armen Polizisten uns leisten können, was, Kommissar?«
In seiner Stimme lag ein humorvoller Ton. Der Kommissar lachte hämisch. Ich spürte, wie ich puterrot anlief.
»Ich habe mir die Kamera zusammengespart«, sagte ich wütend. »Und was die Ferien angeht – es ist mein erster Urlaub seit fünf Jahren. Den habe ich mir auch zusammengespart.«
»Ja, sicher!«, spottete der Kommissar.
Seine höhnische Art brachte mich auf.
»Jetzt reicht es mir aber!«, polterte ich los. »Zur Abwechslung verlange ich jetzt eine Erklärung. Was wollen Sie eigentlich von mir? Sie haben durchaus das Recht, Fragen über meinen Pass zu stellen. Ich bin auch bereit, sie zu beantworten. Aber Sie haben kein Recht, mein Eigentum zu entwenden. Ebenso wenig haben Sie das Recht, mich in dieser Weise über meine Privatangelegenheiten zu verhören. Was diesen Film von mir angeht – auch der ist mein Eigentum, dem Sie irgendeine geheimnisvolle Bedeutung zuschreiben. Mir ist aber nicht bekannt, dass es verboten wäre, Eidechsen zu fotografieren. Also, meine Herren, ich habe mich nicht strafbar gemacht, aber ich habe Hunger, und es wird Zeit, dass ich zum Mittagessen ins Hotel zurückkehre. Sie werden mir die Kamera, die Fotos und meinen Pass auf der Stelle zurückgeben. Andernfalls werde ich unverzüglich einen Rechtsanwalt aufsuchen.«
Zum Schluss donnerte ich die geballte Hand auf den Tisch. Ein Füllfederhalter fiel zu Boden. Für einen Moment war es totenstill. Ich sah vom einen zum anderen. Reglos saßen sie da.
»Na schön«, sagte ich schließlich und wandte mich zum Gehen.
»Einen Moment, Monsieur«, sagte der Dicke.
Ich blieb stehen.
»Ja?«
»Bitte ersparen Sie sich und uns diese Sperenzchen. Der Polizist draußen vor der Tür wird Sie nicht gehen lassen. Es gibt da noch ein paar Fragen, die wir Ihnen stellen müssen.«
»Sie können mich zwangsweise festhalten«, sagte ich grimmig, »aber Sie können mich nicht zwingen, Ihre Fragen zu beantworten.«
»Natürlich nicht«, sagte der Dicke langsam, »so ist die Rechtslage. Wir können Ihnen nur empfehlen, sie zu beantworten – in Ihrem eigenen Interesse.«
Ich schwieg.
Der Dicke nahm den Film vom Tisch des Kommissars, hielt ihn gegen das Licht und spulte ihn ab.
»Mehr als zwei Dutzend Fotos«, sagte er. »Und alle von ein und demselben Gegenstand. Das finde ich kurios. Sie nicht, Vadassy?«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte ich schnippisch. »Wenn Sie eine Ahnung von der Fotografie hätten oder auch nur genau hinschauten, würden Sie bemerken, dass jedes Bild ein wenig anders ist. Das heißt, auf jedem Bild sind die Schatten anders. Dass ich jedes Mal dieselbe Eidechse fotografiert habe, ist unwesentlich. Der Unterschied liegt in der Ausleuchtung des Gegenstandes und in der Komposition. Und überhaupt, selbst wenn ich hundert Fotos von sich sonnenden Eidechsen machen würde, wüsste ich nicht, was Sie das angeht.«
»Eine sehr geschickte Erklärung, Vadassy. Sehr geschickt. Und jetzt werde ich Ihnen sagen, was ich denke. Ich glaube, dass Ihnen ganz egal ist, was auf diesen sechsundzwanzig Aufnahmen war, und dass Sie den Film nur möglichst schnell vollknipsen wollten, um die anderen zehn Aufnahmen entwickelt zu bekommen.«
»Die anderen zehn? Was reden Sie da?«
»Stellen Sie sich nicht dumm, Vadassy, das ist doch nur Zeitverschwendung.«
»Ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen.«
Er stemmte sich hoch und trat näher.
»Nein? Was ist mit den ersten zehn Bildern, Vadassy? Möchten Sie dem Kommissar und mir nicht erklären, warum Sie diese Aufnahmen gemacht haben? Ich bin sicher, es wird uns brennend interessieren.« Er tippte mir mit dem Finger auf die Schulter. »Waren es die Lichtverhältnisse, Vadassy, oder waren es die Schatten, die Sie an den neuen Verteidigungsanlagen vor dem Kriegshafen von Toulon so interessiert haben?«
Sprachlos starrte ich ihn an. Dann stotterte ich: »Soll das ein Witz sein? Ich habe nur noch ein paar Bilder von einem Festumzug in Nizza geknipst, der am Tag vor meiner Abreise dort stattfand.«
»Sie geben also zu, dass die Aufnahmen auf diesem Film von Ihnen sind?«, fragte er gezielt.
»Das habe ich doch schon gesagt.«
»Gut, dann schauen Sie ihn sich an.«
Ich nahm den Film, hielt ihn gegen das Licht und rollte ihn langsam ab. Eidechsen, Eidechsen, Eidechsen. Manche Aufnahmen sahen ganz brauchbar aus. Eidechsen. Noch mehr Eidechsen. Plötzlich hielt ich inne. Was zum Teufel war das? Ich schaute hoch. Die beiden Männer beobachteten mich aufmerksam.
»Nur zu, Vadassy!«, rief der Kommissar ironisch. »Sie brauchen gar nicht so überrascht zu tun!«
Ich traute meinen Augen nicht, betrachtete den Film noch einmal. Das erste, aus großem Abstand aufgenommene Foto zeigte einen Küstenabschnitt, teilweise verdeckt, vielleicht durch einen Zweig, der vor das Objektiv geraten war. Irgendetwas war auf diesem Küstenabschnitt zu erkennen – ein schmaler grauer Streifen. Die nächste Aufnahme, etwas näher und aus einem anderen Winkel, zeigte denselben grauen Streifen. Einzelne Details sahen wie Schießluken aus. Weitere Aufnahmen. Zwei von derselben Stelle aus gemacht. Die nächste Aufnahme zeigte den grauen Streifen aus noch kürzerer Entfernung und etwas von oben. Dann kamen drei Fotos, die durch einen dunklen Schatten in der Mitte kaum zu erkennen waren. Der Rand des Schattens war verschwommen und leicht gemustert wie ein Stück Stoff. Dann sah man, offenbar aus großer Nähe aufgenommen, eine unscharfe Betonfläche. Die letzte Aufnahme war überbelichtet, aber nur in einer Ecke verschwommen. Sie zeigte einen breiten, betonierten Laufgang mit merkwürdig schimmernden Lichtern. Für einen Moment konnte ich nichts damit anfangen. Doch dann begriff ich: Auf dem Foto waren lange, schmale Geschützrohre zu sehen.