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Ich muss zugeben, dass ich ein wenig den Kopf verlor. Während ich den Fisch aß, machte sich meine Phantasie selbständig. Ich malte mir die Szene mit Beghin aus, die auf meine Enthüllung folgen würde, kostete jeden Moment aus, legte mir genüsslich jedes Wort zurecht.

Kühl und gönnerhaft würde ich auftreten.

»Nun, Monsieur Beghin«, würde ich sagen, oder besser noch: »Nun, Beghin! Als Sie mir Ihre Liste gaben, bin ich natürlich davon ausgegangen, dass die Namen aller Gäste des Réserve daraufstehen. Jetzt muss ich feststellen, dass ein gewisser Paul Heinberger nicht auftaucht. Was wissen Sie über ihn? Warum steht er nicht auf der Liste? Diese Fragen hätte ich gern umgehend beantwortet. Und, mein Freund, ich empfehle Ihnen, sich mal in seinem Zimmer umzusehen. Ich wäre sehr überrascht, wenn sich nicht eine Zeiss Kontax dort befände und ein Film mit Fotos von einem Volksfest in Nizza.«

Der Kellner nahm den Teller fort.

»Noch etwas, Beghin. Befassen Sie sich mit Köche! Laut Aussage des Kellners ist Heinberger mit Köche befreundet. Der Hoteldirektor ist demnach involviert. Wundert mich nicht. Mir war kürzlich schon aufgefallen, dass er sich auffällig für meine Kamera interessierte. Es lohnt sich bestimmt, ihn unter die Lupe zu nehmen. Sie dachten bestimmt, Sie wissen alles über ihn, hm? Also, ich an Ihrer Stelle würde ein wenig sorgfältiger ermitteln. Vorschnelle Schlussfolgerungen sind immer riskant, mein Freund.«

Der Kellner brachte mir einen großen Teller Coq au vin à la Réserve.

»Sie können wirklich von Glück reden, mein lieber Beghin, dass ich Ihnen helfe.«

Nein, das klang überheblich und schwammig. Etwas Präziseres.

»Wer Heinberger heißt, ist ohnehin verdächtig, mein lieber Beghin.«

Nein, zu plump. Vielleicht wäre ein spöttischer Gesichtsausdruck am besten. Ich experimentierte mit einem spöttischen Lächeln und war beim vierten Versuch, als der Kellner meinen Blick bemerkte. Er kam sofort herbeigeeilt.

»Ist etwas mit dem Coq au vin, Monsieur?«, fragte er besorgt.

»Nein, nein, alles in Ordnung. Schmeckt ausgezeichnet.«

»Entschuldigen Sie, Monsieur, ich dachte nur …«

»Keine Sorge.«

Errötend wandte ich mich wieder meinem Teller zu.

Die Unterbrechung hatte mich aber auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. War meine Entdeckung überhaupt so wichtig? Vielleicht war dieser Paul Heinberger am Nachmittag eingetroffen. In diesem Fall konnte der Polizei seine Anmeldung noch nicht vorliegen. Aber wo war dann Emil Schimler? Der Kellner hatte unmissverständlich erklärt, dass eine Person dieses Namens nicht im Hotel wohnte. Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht hatte sich die Polizei geirrt. Jedenfalls blieb mir nichts anderes, als mich am nächsten Vormittag bei Beghin zu melden. Ich musste warten. Bis dahin verstrich die Zeit. Frühestens um neun Uhr konnte ich anrufen. Über zwölf Stunden vergeudet. Zwölf von etwa sechzig. Es war verrückt zu glauben, dass ich am Sonntag abreisen konnte. Wenn ich nur Monsieur Mathis schreiben konnte, ihm erklären, besser noch eine Erkrankung vortäuschen konnte. Aber es war aussichtslos. Was konnte ich tun? Dieser Mann, der meine Kamera hatte, war gewiss nicht auf den Kopf gefallen. Spione waren schlau und raffiniert. Was konnte ich schon herausfinden? Sechzig Stunden! Genauso gut hätten es sechzig Sekunden sein können.

Missbilligend starrte der Kellner auf meine Hände, als er meinen Teller abräumte. Ich folgte seinem Blick und merkte, dass ich den Dessertlöffel völlig verbogen hatte. Ich bog ihn hastig gerade, stand auf und verließ die Terrasse. Ich hatte keinen Hunger mehr.

Ich ging durch das Haus in den Garten. Auf einer der unteren Terrassen, von wo aus man über den Strand blicken konnte, war eine kleine Laube, die meistens leerstand. Dorthin lenkte ich meine Schritte.

Die Sonne war untergegangen, es war dunkel geworden. Über den Hügeln auf der anderen Seite der Bucht schimmerten die ersten Sterne. Der Wind, der inzwischen etwas aufgefrischt hatte, trug einen leichten Tanggeruch heran. Ich legte meine heißen Hände auf die kalte Mauer und hielt das Gesicht in den Wind. Irgendwo im Garten hinter mir quakte ein Frosch. Leise, kaum hörbar, klatschten die Wellen ans Ufer.

Draußen auf See blinkte ein Licht und verschwand wieder. Vielleicht waren es Schiffe, die einander Nachricht gaben. Das eine ein Passagierdampfer, der in östlicher Richtung durch die ruhige See rauschte, das andere ein halb beladener Frachter unterwegs nach Marseille. Auf dem Linienschiff tanzten sie vielleicht gerade, oder sie lehnten sich über die Reling des Promenadendecks und beobachteten den Mond und lauschten dem Wasser, das gegen die Schiffswand klatschte. Weit unter ihnen schwitzten halbnackte Gestalten im Lärm der stampfenden Dieselmaschinen. Wenn ich nur …

Die Scheinwerfer eines Autos krochen die Uferstraße entlang, glitten für einen Moment über das Wasser und verloren sich dann zwischen den Bäumen in Richtung Toulon. Wenn ich nur …

Auf dem Kiesweg hinter mir knirschten Schritte, jemand stieg die Treppe zur Terrasse herunter, kam unten an. Ich wünschte inständig, dieser Jemand möge nach rechts abbiegen, sich von mir entfernen. Er blieb stehen, zögerte. Dann hörte ich das Rascheln eines Zweiges, der beiseitegedrückt wurde, und nun sah ich vor dem blauschwarzen Himmel die undeutliche Silhouette einer Schulterpartie. Es war der Major.

Unsicher schaute er zu mir herüber, lehnte sich dann über das Mäuerchen und blickte hinaus auf die Bucht.

Meine erste Regung war, sofort zu gehen. Ich hatte überhaupt keine Lust, mit Major Herbert Clandon-Hartley aus Buxton Konversation zu machen. Dann erinnerte ich mich an den jungen Skelton, der den Major als »arrogant« bezeichnet hatte. Vermutlich würde er sich nicht herablassen, mich anzusprechen. Doch ich hatte mich getäuscht.

Gut zehn Minuten müssen wir dort an dem Mäuerchen gestanden haben, bevor er mich schließlich ansprach. Ehrlich gesagt, ich hatte seine Anwesenheit schon fast vergessen, als er sich plötzlich räusperte und erklärte, dass es ein schöner Abend sei.

Ich stimmte ihm zu.

Wieder ein längeres Schweigen.

»Bisschen kühl für August«, sagte er schließlich.

»Ja.« Ich überlegte, ob diese Bemerkung ernst gemeint oder nur eine Floskel war. Wenn er es wirklich kühl fand, sollte ich ihn höflichkeitshalber auf den Wind aufmerksam machen. Ich hatte schließlich nicht umsonst in England gelebt.

»Bleiben Sie lange?«

»Ein paar Tage.«

»Dann sieht man sich bestimmt noch.«

»Ja, schön.«

Das konnte man kaum als arrogant bezeichnen.

»Hätte Sie gar nicht für einen Landsmann gehalten. Habe Sie aber vor dem Essen mit diesem jungen Amerikaner sprechen hören. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sehen nicht wie ein Engländer aus.«

»Warum sollte ich Ihnen das übelnehmen. Ich bin Ungar.«

»Was Sie nicht sagen! Hätte Sie für einen Engländer gehalten. Meine Frau war ganz sicher, aber sie hat Sie nicht sprechen hören.«

»Ich habe zehn Jahre in England verbracht.«

»Ah, verstehe. Deswegen also. Im Krieg gewesen?«

»Nein, dafür war ich zu jung.«

»Ja, ja, natürlich. Uns alten Knaben fällt es schwer zu akzeptieren, dass der Krieg längst vorbei und Geschichte ist. Bin selbst von vierzehn bis achtzehn dabei gewesen. Bekam noch rechtzeitig zur Märzoffensive meine Ernennung. Wurde eine Woche später verwundet. Pech gehabt. Musste das Kommando abgeben und wurde als Kriegsinvalider entlassen. Hatte aber nie etwas mit euch Burschen zu tun. Die Österreicher sollen ja verdammt gute Soldaten sein.«

Ich hatte nicht das Gefühl, darauf reagieren zu müssen, sodass wieder eine Pause entstand. Schließlich stellte er eine sonderbare Frage.

»Was halten Sie eigentlich von unserem feinen Hoteldirektor?«

»Von wem? Köche?«

»So spricht man seinen Namen also aus? Ja, Köche.«

»Tja, ich weiß nicht. Er scheint ein ganz tüchtiger Direktor zu sein, aber …«

»Genau! Aber! Nachlässig, schlampig, lässt diese verdammten Kellner tun, was sie wollen. Sie trinken heimlich den Wein der Gäste, wissen Sie. Einen habe ich dabei erwischt. Köche sollte diese Burschen auf Zack bringen.«

»Das Essen ist aber sehr gut.«

»Jaja, das Essen ist in Ordnung, aber um sich richtig wohlzufühlen, braucht man mehr als gutes Essen. Wenn es mein Hotel wäre, würde ich die Leute erst mal auf Zack bringen. Haben Sie mit Köche gesprochen?«

»Nein.«

»Ich werde Ihnen was Verrücktes erzählen. Neulich waren meine Frau und ich in Toulon, wir wollten ein paar Sachen einkaufen. Nachdem wir unsere Besorgungen erledigt hatten, gingen wir in ein Café, um einen aperitivo zu trinken. Also, wir hatten gerade bestellt, da kommt Köche vorbei, und zwar derart schnell, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Er bemerkt uns nicht. Ich will ihn gerade zu uns an den Tisch rufen, als er auf die andere Straßenseite läuft. Er geht ein, zwei Häuser weiter, schaut kurz, ob er beobachtet wird, und verschwindet in einem Eingang. Nun ja, wir trinken unser Glas aus, ich behalte die Tür im Auge, aber er kommt einfach nicht heraus. Aber stellen Sie sich vor! Als wir zum Omnibusbahnhof kommen, sitzt er seelenruhig im Bus nach St. Gatien.«

»Sehr interessant«, murmelte ich.

»Das dachten wir auch. Und ich muss sagen, wir haben schon ein bisschen gestaunt.«

»Natürlich.«

»Moment, das Beste kommt noch. Kennen Sie seine Frau?«

»Nein.«

»Ein ausgesprochener Drachen. Französin, bisschen älter als er, ich glaube auch, sie hat Geld. Jedenfalls hat sie unseren Albert ganz schön unter ihrer Fuchtel. Er ist ja gern mit den Gästen am Strand und geht mit ihnen schwimmen. Na ja, sie kümmert sich um die Bestellungen und die Zimmermädchen und lässt ihn nicht gern aus den Augen. Kaum ist er mal zehn Minuten unten am Strand, beugt sie sich schon über die Terrasse und brüllt, er soll hochkommen. Wohlgemerkt, vor allen Gästen! So ist sie. Man kriegt natürlich alles mit und denkt, Köche müsste es peinlich sein. Von wegen. Er grinst einfach – Sie kennen ja sein träges Grinsen. Er murmelt etwas auf Französisch – muss ganz schön happig sein, nach dem Gelächter der Franzosen zu urteilen – und tut, was sie ihm gesagt hat.

Na jedenfalls, wir stiegen in den Bus ein und begrüßten ihn. Natürlich konnten wir es uns nicht verkneifen, ihm zu erzählen, dass wir ihn in der Stadt gesehen hatten. Ich habe ihn ganz genau beobachtet, aber glauben Sie mir, der Kerl hat mit keinem Mucks reagiert.«

Ich tat erstaunt.

»Tatsache. Nicht einen Mucks. Natürlich dachte ich, er würde die ganze Sache einfach leugnen und sagen, wir hätten uns geirrt. Meine Frau und ich hatten ja gleich angenommen, dass er in eines von diesen Häusern gegangen war, um sich ein bisschen zu amüsieren. Es war wirklich sehr peinlich.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, er hat es überhaupt nicht abgestritten. Er war unglaublich selbstbewusst. Er sagte, dass er seine Frau nicht liebt, dass er dort eine Brünette hat, die ihm sehr viel mehr bedeutet. Nun ja, das war ein ziemlicher Schock. Und dann erzählte er uns in seiner trägen, grinsenden Art von ihren Reizen, und ich dachte, jetzt reicht’s. Meine Frau ist religiös, und ich musste ziemlich deutlich erklären, dass wir nichts davon hören wollten.« Der Major blickte hoch zu den Sternen. »Frauen sind manchmal ein bisschen heikel.«

»Vermutlich«, sagte ich. Etwas anderes fiel mir nicht ein.

»Komische Wesen, Frauen«, meinte er versonnen, dann lachte er kurz. »Na ja«, fuhr er fort, »Sie als Ungar kennen sich wahrscheinlich besser mit Frauen aus als ein alter Soldat wie ich. Ach übrigens, mein Name ist Clandon-Hartley.«

»Vadassy.«

»Tja, Mr Vadassy, ich glaube, ich gehe besser wieder rein. Die Nachtluft bekommt mir nicht. Meistens spiele ich abends mit dem alten Duclos noch eine Partie Billard. Wenn ich recht verstanden habe, gehört ihm eine Konservenfabrik in Nantes. Aber mein Französisch ist nicht so gut. Vielleicht ist er bloß Geschäftsführer. Netter Bursche, aber wenn er glaubt, dass man nicht hinsieht, schummelt er immer. Geht einem mit der Zeit auf die Nerven.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen.«

»Also, ab in die Falle. Heute Abend haben die jungen Amerikaner den Tisch für sich. Hübsches Mädchen, und der Junge ist ganz nett. Redet aber zu viel. Würde diesen Schnöseln ganz guttun, unter meinem alten Oberst zu dienen. Man redet nur, wenn man angesprochen wird, daran hatten sich junge Offiziere zu halten. Also dann, gute Nacht!«

»Gute Nacht.«

Er ging. Als er die oberste Stufe erreicht hatte, begann er zu husten. Es klang übel. Als seine Schritte schon nicht mehr zu hören waren, keuchte und japste er noch immer. Ein solches Husten hatte ich schon einmal gehört. Der Betreffende war bei Verdun in einen Gasangriff geraten.

Lange Zeit war es still. Ich rauchte mehrere Zigaretten. Ermitteln Sie gegen Köche! Nun ja, Beghin hatte zweifellos etwas zu ermitteln.

Der Mond war aufgegangen, und weiter unten sah ich die Umrisse der Bambusbüsche. Etwas weiter rechts schimmerte ein Stück Strand. Ich sah sich bewegende Schatten und hörte eine Frau lachen. Es klang sanft, angenehm, amüsiert und zärtlich. Ein Paar trat in das Licht. Der Mann blieb stehen, drückte die Frau an sich, nahm ihren Kopf in die Hände und küsste sie auf die Augen und den Mund. Es waren der unrasierte Franzose und seine Blondine.

Ich beobachtete die beiden. Sie plauderten eine Weile miteinander. Dann setzten sie sich in den Sand, und er zündete eine Zigarette für sie an. Ich sah auf meine Uhr: es war halb elf. Ich drückte meine Zigarette aus, verließ die Terrasse und stieg wieder hinauf.

Der Pfad wand sich steil nach oben. Ich ging langsam voran und hielt dabei die Hand vors Gesicht, um mich vor den Zweigen zu schützen, die rechts und links hervorstanden. Zwischen dem oberen Ende des Pfads und dem Hauseingang erstreckte sich eine kleine gepflasterte Fläche. Mit meinen weichen Ledersandalen bewegte ich mich völlig geräuschlos. Kurz vor der Tür blieb ich stehen. Die Eingangshalle lag im Dunkeln, nur durch das Fenster von Köches Büro fiel Licht. Die Tür zu seinem Zimmer stand offen, und ich hörte Stimmen – Köches Stimme und die eines anderen. Sie sprachen Deutsch.

»Morgen versuche ich es noch einmal«, sagte Köche, »aber ich fürchte, es ist zwecklos.«

Nach einer Pause sprach der andere. Seine Stimme war tiefer, aber er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand.

»Du musst es immer wieder versuchen«, sagte er langsam. »Ich muss wissen, was passiert ist. Ich muss wissen, was ich zu tun habe.«

Abermals eine Pause. Als Köche sprach, bemerkte ich eine Sanftheit in seiner Stimme, die mir vorher gar nicht aufgefallen war.

»Du kannst nichts tun, Emil. Dir bleibt nichts anderes, als zu warten.«

Emil! Ich konnte meine Erregung kaum zügeln. Doch jetzt sprach Emil wieder, der andere Mann.

»Ich habe schon zu lange gewartet.«

Wieder eine von diesen eigentümlich emotionsgeladenen Pausen.

»Na schön, Emil. Ich werd’s noch mal versuchen. Gute Nacht, schlaf gut!«

Doch der andere antwortete nicht. Ich hörte Schritte in der Halle. Sofort versteckte ich mich klopfenden Herzens im Schatten der Mauer. Ein Mann kam heraus und blieb einen Moment in der Tür stehen. Ich erkannte seine Kleidung, aber sein Gesicht hatte ich noch nicht gesehen. Es war der Mann, den der Kellner als Monsieur Heinberger bezeichnet hatte.

Er ging rasch zur Terrasse hinunter, und da das Licht in diesem Moment auf sein Gesicht fiel, sah ich einen schmalen, festen Mund, ein energisches Kinn, hohle Wangen, eine breite, feine Stirn. Aber das alles war nebensächlich, ich registrierte es kaum. Ich hatte nämlich etwas anderes bemerkt, etwas, das ich seit Ungarn nicht mehr gesehen hatte: die Augen eines verzweifelten Menschen, der keine andere Hoffnung mehr hat als den Tod.

Ich öffnete die Fensterläden, zog die Gardinen vor und stieg mit einem Seufzer der Erleichterung ins Bett. Ich war todmüde.

Eine Weile lag ich mit geschlossenen Augen da und wartete auf den Schlaf. Doch in mir arbeitete es. Mein Kopf war heiß, das Kissen wurde immer wärmer und feuchter, und ich wälzte mich von einer Seite auf die andere. Ich schlug die Augen auf und schloss sie wieder. Paul Heinberger war Emil Schimler. Emil Schimler war Paul Heinberger. Köche sollte es immer wieder versuchen. Schimler musste wissen, was passiert war. Schimler und Köche. Beides Spione. Ich hatte die Wahrheit herausgefunden. Wann? Morgen früh. Viel Zeit bis dahin. So lange warten. Ganz früh. Um sechs. Nein, um diese Zeit hatte das Postamt noch nicht auf, und Beghin würde noch im Bett liegen. Beghin im Pyjama. Fauler Sack. Er musste sofort Bescheid wissen. Verrückt. Himmel, war ich müde. Muss einschlafen. Heinberger war Schimler. Spione.

Ich kletterte aus dem Bett und setzte mich im Bademantel ans Fenster.

Heinberger war Schimler. Er musste sofort verhaftet werden. Und mit welcher Begründung? Verwendung eines falschen Namens? Die Polizei wusste seinen richtigen Namen. Emil Schimler, deutscher Staatsangehöriger aus Berlin. Ein Kellner hatte mir erzählt, dass er Heinberger hieß. War es verboten, anderen sich als Heinberger auszugeben, wenn man in Wahrheit Schimler hieß? Konnte ich mich als Karl Marx oder George Higgins ausgeben, wenn mir danach war? Was tat das zur Sache? Schimler und Köche waren Spione, ganz klar. Sie hatten meinen Fotoapparat. Und nun überlegten sie, was aus ihren Fotos geworden war.

Trotzdem wurde ich den Gedanken nicht los, dass Schimlers Gesichtsausdruck nichts mit Kameras und Fotografien zu tun hatte. Irgendetwas war an diesem Mann, an seiner Stimme, seinem Äußeren … Aber schließlich durfte man nicht erwarten, dass ein Spion wie ein Spion aussah – wie solche Leute auch immer aussehen mochten. Spione trugen ihr Gewerbe nicht zur Schau. Überall in Europa, auf der ganzen Welt gingen sie ihrer Tätigkeit nach, während die Ergebnisse ihrer Bemühungen von anderen Leuten in Amtsstuben ausgewertet wurden: Stärke von Panzerverkleidungen, Richthöhe von Geschützen, Anfangsgeschwindigkeiten, Einzelheiten von Feuerleitsystemen und Entfernungsmessern, Zündmechanismen, Details von Verteidigungsanlagen, Lage von Munitionsdepots und wichtigen Fabriken, Orientierungspunkte für Bomberpiloten. Die Welt bereitete sich auf einen Krieg vor. Für Waffenproduzenten und Spione liefen die Geschäfte gut. Eventuell lohnte es sich, ein zentrales Büro einzurichten, in dem all diese wichtigen Informationen erfasst würden. In Gedanken sah ich Köche in eine Seitenstraße einbiegen, einen Hauseingang betreten und aus einem anderen Haus wieder herauskommen. Hätte er so bereitwillig eine Geliebte eingestanden, wenn es sie wirklich gab? Nur Dummköpfe wie dieser englische Major konnten so etwas glauben. Mir konnte er nichts vormachen. Zentrale in Toulon. Köche und Schimler. Schimler und Köche. Spione.

Ich fröstelte. Es wurde allmählich kalt. Ich ging wieder ins Bett.

Als ich die Augen schloss, stieg eine neue Angst in mir hoch, die immer größer wurde, ein furchtbarer Gedanke. Was, wenn einer der Gäste abreiste?

Das war durchaus möglich. Vogel oder Duclos oder Roux und seine Blondine, sie alle konnten sagen: »Ich habe beschlossen, sofort abzureisen.« Einer von ihnen hatte vielleicht schon gepackt, um in aller Frühe das Hotel zu verlassen. Wie konnte ich es verhindern? Angenommen, ich hatte mich in Bezug auf Köche und Schimler geirrt. Angenommen, Roux und seine Blondine waren ausländische Agenten mit gefälschten französischen Pässen. Angenommen, die Amerikaner oder die Schweizer oder die Engländer waren Spione. Sie würden mir entwischen. Es hatte keinen Sinn, mir zu sagen, dass ich mich zu gegebener Zeit mit der Angelegenheit befassen würde. Dann war es vielleicht schon zu spät. Was tun? Schnell! Stell dir vor, alle reisen ab, und morgen früh bist du als einziger Gast übrig. Was würdest du tun? Besorg dir von Beghin eine Pistole. Genau, das war es, eine Pistole von Beghin. Keine Mätzchen. »Stehen bleiben, oder ich jage Ihnen eine Kugel in den Bauch!« Zehn Patronen im Magazin. »Eine Patrone für jeden.« Nein, acht. Es kam auf das Modell an. Ich brauchte zwei.

Ich schlug die Decke zurück und setzte mich auf. Wenn es so weiterging, war ich am anderen Morgen reif für die Klapsmühle. Ich ging zum Waschbecken und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich musste geträumt haben. Doch ich wusste genau, dass ich nicht geschlafen hatte.

Ich zog die Gardinen zurück und schaute hinaus auf die Pinien im Mondlicht. Ich musste die Sachlage prüfen – kühl und ruhig. Was genau hatte Beghin gesagt?

Eine ganze Weile muss ich dort gestanden haben. Als ich schließlich wieder in mein Bett stieg, wurde es am Himmel über der Bucht langsam hell. Ich war steif vor Kälte, innerlich aber sehr ruhig. Ich hatte einen Plan, der meinem müden Gehirn als narrensicher erschien.

Als ich die Augen wieder schloss, ging mir doch noch ein Gedanke durch den Kopf. Der englische Major hatte irgendetwas gesagt, das mir merkwürdig erschienen war, irgendeine Kleinigkeit. Aber es war schon nicht mehr wichtig. Ich schlief ein.

Nachruf auf einen Spion

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