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Auf dem Weg in die Heimat
ОглавлениеAls Sanitäter wurde ich für Transporte von arbeitsunfähigen Gefangenen nach Deutschland, Frankfurt an der Oder, eingesetzt. Beim zweiten Transport gab es in Landsberg an der Warte einen Aufenthalt, weil Brennmaterial für die Lokomotive beschafft werden mußte. Da kam eine Gruppe von Zivilisten auf uns zu. Es waren Frauen und Kinder, die nach Deutschland wollten.
Auf meine Frage an den sowjetischen Zugkommandanten erklärte er: »Wenn deine Frau dabei ist, nehme ich die Leute mit, aber nicht zusammen mit den Gefangenen in einem Güterwagen«.
Ich schloß daraus, einen Waggon für die Zivilpersonen auslagern zu lassen. Vor unserer Ankunft in Frankfurt/Oder gab ich einer Frau, die mit ihrer Mutter und ihrem vierjährigen Jungen unterwegs war, die Adresse meiner Eltern. Ich bat sie, ihnen zu schreiben, daß ich lebe und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft sei.
Das hat sie, wie ich später erfahren konnte, auch getan.
Entgegen meinen Vermutungen wurde ich schon am 11. Dezember 1945 in Frankfurt/Oder aus der Gefangenschaft entlassen. Über Berlin-Staaken, Münster, Wetze am Niederrhein ging es nach Düsseldorf. Am 22. 12. 1945 traf ich, 20 Jahre jung, aus Krieg und Gefangenschaft bei der Familie ein. Kurz zuvor war mein Vater, 45-jährig, aus englischer Gefangenschaft nach Hause gekommen, ebenso der jüngere Bruder mit 16 Jahren aus sowjetischer Gefangenschaft.
Meine Mutter war mit den vier kleineren Geschwistern aus Thüringen gekommen.
Nach der Trennung waren wir jetzt wieder alle zusammen in Düsseldorf, der »Heine-Stadt«, in der ich meine Kindheit und die Bombennächte erlebt hatte.
Der Krieg war zu Ende. In Düsseldorf hatten Antifaschisten eine große Anschlagstafel aufgestellt, auf der ich lesen konnte:
»243 Luftangriffe, 1.100.000 Brand- und Sprengbomben, 27.000 Brände in Düsseldorf, zerstört wurden 24.000 Häuser, 6000 tote Frauen und Kinder liegen unter 10 Millionen Kubikmetern Schutt. 4000 Kriegsversehrte und 49.000 Hinterbliebene, 3500 jüdische Düsseldorfer in Konzentrationslagern vergast oder anders umgebracht. Über 4000 aktive Hitlergegner in Düsseldorf haben ihr Leben geopfert, in 110 Prozessen wurden 1800 Angeklagte zu 4900 Jahren Haft verurteilt. Unzählige sind ohne Verfahren inhaftiert und misshandelt worden.
Die Bevölkerung blieb trotz aller Warnungen und trotz des Kampfes der Antifaschisten in Düsseldorf weitgehend taub und teilnahmslos.«
Dieser letzte Satz hatte sicher nicht nur für Düsseldorf seine Gültigkeit.
Der Krieg, den der deutsche Faschismus/Militarismus begonnen und der über 50 Millionen Tote gefordert hatte, war nun zu Ende.
Die Folgen, die Opfer und Wunden waren allgegenwärtig: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Die Schuldigen müssen zur Verantwortung gezogen werden!
Aber wir mußten uns auch den Fragen stellen, was wir getan, geduldet oder aktiv mitgemacht hatten. Interessant war für mich, daß meine Verwandten und Bekannten immer wieder mitleidig fragten, wie die Russen uns behandelt hätten und nie auf den Gedanken kamen, die Frage nach den Ursachen der Gefangenschaft zu stellen. Bei aller Ungewißheit, bei allen Zweifeln mußten wir uns diesen Fragen, mußten wir uns der Geschichte stellen.
Das war die Situation, in der ich die Unsinnigkeit, ja die Gefahr, erkannte, die u.a. mit dem Gebet der Kirche, für den »Führer Schutz und Stärke« zu fordern, verbunden war.