Читать книгу Drunter und Drüber - Erich Sedlak - Страница 4

Ein Tisch für acht Personen

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An einem sonnigen Nachmittag betritt eine Gruppe von acht Personen, angeführt von Frau Doktor Anita Wildfeuer, den lauschigen Gasthausgarten des Restaurants Schnötzinger, wo die Frühpensionierung eines Kollegen gefeiert werden soll. Da sich im Garten ausschließlich Tische mit zwei bzw. vier Sesseln befinden, beginnt man kurzerhand zwei der Tische zusammen zu schieben und zusätzliche Sessel dazuzustellen. Von der offenen Schanktheke aus beobachtet der Kellner Georg Tomsich einige Zeit lang das Geschehen, ehe er sich seufzend in Richtung der Gruppe in Bewegung setzt.

Kellner: (grantig) Was soll denn das da?

Wildfeuer: Das sehen Sie ja …

Kellner: Aber nicht gern!

Wildfeuer: Nachdem es sich bei uns um acht Personen handelt…

Kellner: … spielen wir ein bisserl Architekt…

Wildfeuer: Sie könnten uns gern behilflich sein, Herr Ober!

Kellner: Haben Sie gefragt, ob Sie das auch dürfen: „Tischerlrucken“?

Wildfeuer: Ist eh nichts reserviert.

Kellner: (laut) Das ist wurscht, ob was reserviert ist oder nicht! Mit Ihrer unbedachten Vorgangsweise bringen Sie meine gesamte Ordnung in Unordnung.

Wildfeuer: Welche Ordnung meinen Sie?

Kellner: Aus einem Zweiertisch und einem Vierertisch haben Sie mutwillig einen Achtertisch gemacht.

Wildfeuer: Genau! Weil wir nämlich einen Tisch für acht Personen benötigen.

Kellner: Da fragt man aber zuerst einmal den zuständigen Ober, oder?

Wildfeuer: (frech) Wo steht denn das geschrieben?

Kellner: Und noch dazu haben Sie von einem meiner Vierertische zwei Sessel weggenommen.

Wildfeuer: Na und? Wir sind zu acht!

Kellner: Mit anderen Worten: Ein früherer Vierertisch ist jetzt zu einem Zweiertisch zusammen geschrumpft.

Wildfeuer: Vierer- oder Zweiertisch. Ist das nicht völlig egal?

Kellner: (belehrend) Das ist nicht egal. Das ist nämlich genau eingeteilt nach den Tischnummern. Nach diesen wird die Konsumation boniert und wenn ich einen Vierertisch boniere, den Sie jetzt mutwillig zu einem Zweiertisch gemacht haben, oder wenn plötzlich ein Achtertisch, den es vorher nicht gegeben hat, auf einmal ohne Tischnummer auftaucht, dann stimmt mir nachher die ganze Abrechnung nicht.

Wildfeuer: So sind Sie doch nicht so penibel, Herr Ober! Das wird man doch irgendwie regeln können…

Kellner: Das kann man nicht irgendwie regeln! Oder waren Sie schon irgendwann einmal in Ihrem Leben gastronomisch tätig?

Wildfeuer: Das nicht. Ich bin Ärztin.

Kellner: Aha … Ärztin! Das ist auch keine Ausrede! Ich darf Sie daher ersuchen, die vorherige Tischordnung umgehend wieder herzustellen.

Wildfeuer: (mit Nachdruck) Na so weit kommt´s noch! Ich möchte sofort den Geschäftsführer sprechen!

Kellner: Der ist derzeit im Urlaub.

Wildfeuer: Oder jemand anderen Kompetenten.

Kellner: (stolz in Positur) Den sehen Sie leibhaftig vor sich!

Wildfeuer: (übergibt dem Kellner einen Fünfeuroschein) Ist jetzt Ihre (ironisch) vorherige Tischordnung wieder einigermaßen hergestellt?

Kellner: Noch nicht ganz, gnädige Frau…

Wildfeuer: Jetzt vielleicht? (sie übergibt dem Kellner einen weiteren Fünfeuroschein, den dieser achselzuckend einsteckt)

Kellner: Jetzt ist schon besser! Was darf´s denn sein, die Herrschaften?

Wildfeuer: Wer trinkt von Euch ein Bier? (zählt ab) Drei Krügel… und dann… dann noch vier Seiterln … und mir bringen Sie bitte einen Pfiff.

Kellner: (verächtlich) Einen Pfiff? Kommen Sie wieder zu uns, wenn Sie einen Durst haben.

Wildfeuer: Dann nehme ich als Getränk ein Glas Leitungswasser.

Kellner: Ein Glas Leitungswasser? Das gilt bei uns als kein Getränk. Das servieren wir nur zum Kaffee.

Wildfeuer: Dann bitte einen Kaffee mit Wasser. Und was gibt es bei Ihnen zu essen?

Kellner: Wenig. Unsere Küche öffnet erst wieder um achtzehn Uhr.

Wildfeuer: Was heißt: Wenig?

Kellner: Kleine Imbisse: Saure Presswurst, Frankfurter, Schnittlauchbrot, Rollmöpse…

Wildfeuer: Aber das kann doch nicht wahr sein! Und so was nennt sich Restaurant?

Kellner: Entspannen Sie sich, meine Gnädigste. Was darf ich bringen?

Wildfeuer: Gar nichts dürfen Sie bringen, Sie, Sie Monster von einem Ober!

Kellner: Ohne Bestellung dürfen Sie aber da nicht länger sitzenbleiben.

Wildfeuer: (springt auf) Das haben wir auch nicht vor!

Kellner: Sondern?

Wildfeuer: Wir verlassen diese ungastliche Spelunke.

Kellner: Bitte sehr! Bitte gleich!

Wildfeuer: (laut) Uns sehen Sie hier niemals wieder!

Kellner: (nachrufend) Na hallo, und wer schiebt jetzt die Tische wieder auseinander?

Drei Wochen später: Georg Tomsich, bekleidet mit einem dunkelblauen Anzug und weißer Margarite im Knopfloch, betritt ein Kaffeehaus. Er blickt suchend um sich, bis er eine Dame entdeckt, die am Revers ihrer Kostümjacke ebenfalls eine weiße Margarite befestigt hat. Zögernd tritt er näher.

Tomsich: Darf ich vielleicht stören, gnädige Frau?

Wildfeuer: (blickt von der Zeitung auf) Ja, bitte?

Tomsich: Ich bin nämlich die Margarite… die von unserem Blinddate… und nachdem auch Sie (zeigt) eine Margarite tragen. Nicht ganz zufällig, wie ich annehme?

Wildfeuer: Nein, nicht ganz zufällig.

Tomsich: Wir beide haben uns für heute verabredet. Sechzehn Uhr. Cafe Raimund. Und hier bin ich.

Wildfeuer: Ach, Sie sind das? (nach einer Schreckminute - entsetzt) Sie sind das?

Tomsich: (erschrocken) Was haben Sie denn? Schau ich so schrecklich aus?

Wildfeuer: (stockend) Aber Sie sind doch …

Tomsich: (verbeugt sich) Tomsich, Georg Tomsich

Wildfeuer: Sie sind doch dieser unmögliche Mensch… dieses Monster…

Tomsich: Welches Monster?

Wildfeuer: Na, dieser Ober … vom Gasthausgarten Schnötzinger.

Tomsich: Da muss es sich um eine Verwechslung handeln, gnädige Frau.

Wildfeuer: Der mit den zusammen geschobenen Zweier- und Vierertischen……..

keine drei Wochen ist das her.

Tomsich: (unsicher) Ach ja jetzt kann ich mich wieder dunkel erinnern. Sie waren doch diese Dame, die eigenmächtig die Tische …

Wildfeuer: (nachäffend) Spielen wir ein bisserl Architekt…

Tomsich: Ich war damals ziemlich im Stress... der Garten voller Leut´ und noch dazu war ein Kollege erkrankt.

Wildfeuer: (wütend) Und Sie wagen sich hierher zu einem Blinddate und noch dazu mit dieser komischen Margarite im Knopfloch?

Tomsich: Das mit der komischen Margarite war aber Ihre Idee, gnädige Frau.

Wildfeuer: (heftig) Ich lege keinen Wert auf Ihre Bekanntschaft! Außerdem habe ich in meiner Email ausdrücklich betont, dass ich wünsche, einen Akademiker kennenzulernen.

Tomsich: Ich bin Akademiker.

Wildfeuer: Sie und Akademiker? Der ungalante Kellner!

Tomsich: Aushilfsweise, gnädige Frau. Nur aushilfsweise. In Wirklichkeit bin ich Jurist.

Wildfeuer: Ach was! Erzählen Sie Ihre Lügenmärchen doch jemand anderen.

Tomsich: Das sind keine Märchen, sondern die nackte Wahrheit!

Wildfeuer: (schnaubend) Lassen Sie mich bitte in Ruhe.

Tomsich: Ich kann aber alles aufklären, gnädige Frau Darf ich mich für einen Augenblick zu Ihnen setzen?

Wildfeuer: (einlenkend) Aber wirklich nur für einen Augenblick!

Tomsich: Danke! Also früher, das war vor etwa zwei Jahren, und noch vor meiner nicht gerade ruhmreichen Episode als Kellner … inzwischen wurde ich dort gekündigt…

Wildfeuer: Kein Wunder!

Tomsich: …da war ich in der Rechtsabteilung der Bank Austria in führender Position tätig, von wo man mich aber von heute auf morgen eiskalt wegrationalisiert hat … aus Altersgründen. Dabei bin ich noch keine sechzig…

Wildfeuer: Das ist bedauerlich…

Tomsich: Sie meinen mein Alter?

Wildfeuer: Aber nein, Ihre Kündigung…

Tomsich: Ach ja Wenn das aber nur alles wäre…

Wildfeuer: (neugierig) Was war sonst noch?

Tomsich: Aufgrund meiner plötzlich eingetretenen verminderten finanziellen Situation hat mich dann auch noch meine Frau verlassen… und plötzlich war ich mutterseelenallein.

Wildfeuer: Sie Ärmster! Mir kommen gleich die Tränen.

Tomsich: Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen, gnädige Frau?

Wildfeuer: Erlaubt das Ihre (betont) verminderte finanzielle Situation?

Tomsich: Herr Ober, eine piccolo Flasche Sekt, bitte! Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie Ärztin?

Wildfeuer: AKH… Röntgenologie…

Tomsich: Also deswegen durchschauen Sie alles so rasch…

Wildfeuer: Und weil Sie sich damals so mutterseelenallein fühlten, haben Sie gechattet?

Tomsich: Und wie! Nächtelang bin ich vor dem Computer gesessen. Da glaubt man, man ist allein so allein, und plötzlich sind es so viele andere auch. Und nächtelang habe ich umsonst gesucht. Aber als ich dann auf Sie gestoßen bin im Chatroom, da habe ich mir gleich gedacht…. diese Wellenlänge… dieser Gleichklang der Seelen…

Wildfeuer: Sie Schmeichler…

Tomsich: Sehr zum Wohl, gnädige Frau… ich freue mich, dass das Schicksal uns hier und heute zusammengeführt hat.

Wildfeuer: Anita…

Tomsich: Was? Wie? Ach so, ja gern… Anita… und wenn Sie, Du, wen Du zu mir Georg sagen möchtest…

Wildfeuer: Prost, lieber Georg!

Eine Woche später. Anita Wildfeuer und Georg Tomsich betreten an einem sonnigen Nachmittag Hand in Hand den Gasthausgarten des Restaurants Schnötzinger.

Wildfeuer: Dass du unbedingt wieder da herkommen willst, Georg … so schön ist es beim Schnötzinger auch wieder nicht.

Tomsich: (schwärmerisch) Schon aus reiner Nostalgie wollte ich, Anita … immerhin sind wir uns hier zum ersten Mal in unserem Leben begegnet.

Wildfeuer: Und noch dazu unter skurrilen Umständen… wie fürchterlich du dich darüber aufgeregt hast, dass wir die Tische zusammen geschoben haben…

Tomsich: (küsst sie auf die Wange) Ich kann mich noch genau erinnern. Die beiden Tische dort drüben waren es … die unter den Nussbäumen.

Wildfeuer: (kichernd) Und zum Essen hast du uns Saure Presswurst und Rollmöpse angeboten…

Tomsich: Weil die Küche noch geschlossen war! Worauf du und die anderen wütend auf und davon seid. Und du hast geschrien: Mich sehen Sie hier niemals wieder!

Wildfeuer: Ja, ja, mein Lieber, so kann man sich irren. Ah, da kommt der Ober…

Tomsich: Der Kollege Bertl! Grüß dich! Nein, wir haben nichts reserviert, aber wir hätten gern einen schattigen Tisch … vielleicht den dort drüben unter den Nussbäumen…

Wildfeuer: (zärtlich) Einen Tisch bitte… aber nur für zwei Personen!

Sie umarmen und küssen sich.

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