Читать книгу Hilfe, ich habe Urlaub! - Erma Bombeck - Страница 4
Centerville, Ohio
ОглавлениеIm Haus von Helen und Hal fiel die Tür ins Schloß, und ich steckte ihren Hausschlüssel in meine Hosentasche wie die Oberaufseherin in einem Hochsicherheitsgefängnis. Es würde kein Vergnügen sein, Helen und ihrer Familie nach ihrer Rückkehr aus Hawaii erzählen zu müssen, daß ihr Vogel gestorben war. Oder daß ihr prächtiger Farn am Tag nach ihrer Abreise von einem tödlichen Hitzschlag dahingerafft worden war.
Als ich über den Rasen zwischen unseren Häusern schritt, fragte ich mich, ob Helens Mutter ihrer Tochter erzählen würde, wie sie vorbeigekommen war, um den Kühlschrank für die Rückkehr aufzufüllen, und ich sie für eine Einbrecherin gehalten und die Polizei gerufen hatte. Ich Dummchen! Aber vielleicht hatte Helens Mutter den Vorfall bis dahin schon vergessen.
Ich warf Helens Post und die Tageszeitung in einen Pappkarton im Flur an der Haustür und notierte mir in Gedanken, daß ich morgen die drei Bananen essen müßte, die sie neben der Spüle hatte liegenlassen. Sie zogen schon die Fliegen an.
Wie viele Sommer hütete ich Helens Haus nun schon? Wie oft hatte ich zum Abschied gewunken, als sie noch mal auf die Hupe drückten, bevor sie aus der Einfahrt setzten auf ihrem Weg ins Urlaubsparadies?
Wie viele malerische Postkarten waren in unserem Briefkasten gelandet? Unsere Familie fuhr nie in die Ferien. Immer kam was dazwischen. Kaum waren die Rechnungen der Weihnachtszeit getilgt, da bekam der Wagen einen Kolbenfresser, der Trockner brannte durch, der Kieferorthopäde verlangte 2000 Dollar, um einem Kind die Zähne zu richten, das ohnehin nie lächelte. Dieses Jahr war es: »Papi! Papi! Das Gras vor meinem Zimmerfenster ist naß, matschig und stinkt!«
Es war unbegreiflich. Helen und Hal verdienten nicht mehr als wir, doch jedes Jahr brüteten sie über Katalogen, sparten und planten und – verreisten. Dann kamen sie alle vier erholt zurück, um es die nächsten fünfzig Wochen wieder mit den Raten für die Hypothek und den Reparaturen am Wagen aufzunehmen.
Seit unserer Hochzeit waren wir einmal weggefahren. Mein Mann arbeitete damals als Lehrer für Sozialkunde, und wir bekamen das Angebot, die Schüler der Klasse dreizehn auf einer Klassenfahrt nach Washington und New York zu begleiten, wobei die Reise für uns, die Aufsichtspersonen, kostenlos wäre. Jemand hätte uns vorwarnen sollen, daß der einzige Ort, den man ohne Risiko mit fünfunddreißig geschlechtsreifen Schülerinnen und Schülern der letzten Klasse besichtigen kann, der Nationalfriedhof von Arlington ist. (Und auch dann nur, wenn man sie alle an ein Seil bindet und im Gänsemarsch führt.)
Vor unserem Haus drückte jemand auf die Hupe und unterbrach meinen Anfall von Selbstmitleid. Es war Familie Semple – Howard, Fay und die drei Kinder –, pünktlich wie immer.
Alle fünf machten jeden Sommer bei uns Station auf ihrem Weg von Rochester nach Kalifornien, wo sie Howards Bruder besuchten. Es kam, wie es kommen mußte. Fay pflegte auszusteigen und zu sagen: »Laß uns auspacken. Wir haben so viel nachzuholen.« Nach einer Viertelstunde hatten wir alles nachgeholt und verbrachten die übrige Zeit mit Gesprächen über Benzinverbrauch, Gartenprobleme und die Beerdigungen von Leuten, bei denen wir so taten, als hätten wir sie gekannt, die wir aber nie kennengelernt hatten. Genaugenommen kannten wir nicht mal Fay und Howard.
Als die Semples noch in Centerville wohnten, hatte ihre Tochter Sissy dieselbe Klavierlehrerin wie meine Tochter. Wir begegneten uns einmal im Jahr beim Vorspiel. Drei aufeinanderfolgende Jahre spielte Sissy »Fuchs, du hast die Gans gestohlen«. Kein Mensch brachte es übers Herz, den Semples zu erklären, daß ihre Tochter einfach ihr musikalisches Potential ausgereizt hatte. Einmal schüttete mein Mann Fay unabsichtlich Bowle über das Kleid. So kam es zu einer Unterhaltung, bei der Fay ihm erzählte, sie zögen nach Rochester, weil Howard dort eine Stelle angeboten bekommen hatte. Mein Mann, der keine Skrupel hat, wenn es darum geht, unser Haus in ein Hotel zu verwandeln, sagte: »Besuchen Sie uns doch, wann immer Sie durch Centerville kommen.«
Fay trug ihr sperriges Schminkköfferchen (sie trug es niemals weiter als einen Meter von ihrem Körper entfernt), während ich mit den Füßen einen großen Koffer auf Rollen bugsierte und in der linken Hand eine Reisetasche und rechts ein Seesäckchen unter dem Arm trug.
»Kippt Bill immer noch Frauen Bowle in den Ausschnitt?« fragte Fay kichernd.
»Mittlerweile kriegt er sogar Geld dafür«, sagte ich und lächelte.
Familie Semple hatte durchaus ihre Verdienste. Howard übte sein Leben lang für die Gurgel-Olympiade. Er fing damit jeden Tag vor Sonnenaufgang an, hielt bis zum Frühstück durch und gurgelte noch abends, wenn alle schon im Bett lagen und zu schlafen versuchten.
Fays Begabung bestand darin, haushaltsmäßig »abzusterben«, sobald sie ihr eigenes Zuhause verließ. Sie konnte keine Waschmaschine mehr anstellen, fand für kein Bügeleisen mehr die Steckdose und wollte einfach nicht begreifen, wie der Ofen anging. Sie machte nur die ganze Zeit eine hilflose Miene und wimmerte: »Wenn ich wüßte, wo alles hingehört, würde ich’s ja wegräumen.« Dann ging sie nach nebenan, um fernzusehen.
Eines der Kinder, Howard Junior, brachte es fertig, fünfzehn Stunden am Stück einen Gummiball gegen die Hauswand zu schmettern. Sein Bruder Edwin stahl alles, was nicht niet- und nagelfest war, und Sissy, die aussah wie ein Rauschgoldengel, war der Teufel in Person. Sie schlich sich von hinten an, grub einem ihre Nägel ins Fleisch und machte ein unschuldiges Gesicht, wenn ihr Opfer vor Schmerz aufschrie.
Howard und Fay blieben gewöhnlich fünf Tage. Einmal blieben sie neun Tage, weil ihr Wagen repariert und ein Ersatzteil bestellt werden mußte. Die Werkstatt schien irgendwo am Nordpol zu liegen.
Als ich mich an diesem Abend vorsichtig in dem Etagenbett der Kinder umdrehte und die Star-Wars-Bettwäsche unters Kinn zog, dachte ich an Fay und Howard, die es sich in unserem breiten Bett bequem machten, und fragte mich, warum wir das eigentlich taten. Mal ehrlich – den Semples waren wir in Wirklichkeit egal. Wir waren für sie nur eine Raststätte, das letzte Gratisessen vor der Autobahn nach Kalifornien. Es war dreiundzwanzig Uhr. Howard gurgelte, und Howard Junior schmetterte seinen Gummiball immer noch gegen unsere Hauswand.
Unsere Gäste saßen den Morgen über gewöhnlich vor dem Fernseher, während ich meine Hausarbeit erledigte und ihr Mittagessen vorbereitete. Nachmittags machten wir dann unsere »Stadtrundfahrt«. Dazu gehörte die Einkaufsgegend, das Museum der Luftwaffe und das Gebrüder-Wright-Haus. Während wir stolz auf das Heim der Männer zeigten, die der Welt Flügel verliehen und das Leben der Menschheit verändert hatten, knuffte Howard Fays Arm und sagte: »Wie’s aussieht, wirst du wieder ›Alf‹ verpassen, Schatz.«
Der Abschied war immer tränenreich ... aus verschiedenen Gründen. Die Semples mußten zurück in eine Welt, in der Trinkgelder fällig waren und sie sich dumm und dämlich zahlen mußten, um zu essen, zu schlafen und ihre Wäsche gewaschen zu bekommen. Klein-Edwin würde die Entdeckung machen, daß Bilder in Hotels fest in der Wand verdübelt und Nachttischlampen angeschraubt sind. Wir weinten vor Freude. Wir durften zurück in unsere eigenen Betten.
Wieder einmal hatten wir einen Sommer mit den Semples überstanden. Doch dieses Jahr geschah etwas, das unser Leben veränderte. Zwei Tage nach der Abreise unserer Gastfamilie ging das Telefon. »Hier ist Howard. Tut mir leid, wenn ich euch bitten muß, die Kosten für dieses Ferngespräch zu übernehmen, aber ich bin in einer Tankstelle in Barstow, Kalifornien. Sissy hat uns gerade gesagt, daß sie ihren Goldhamster bei euch vergessen hat. Er steckt in einem Haferflockenkasten mit Löchern im Deckel. Sie hat ihn hinter der Kommode im Flur vergessen.«
»Keine Sorge«, entgegnete ich steif.
»Der Hamster ist trächtig«, fuhr er fort, »und das Tier ist ziemlich wichtig für Sissy. Wenn ihr so nett sein könntet, euch um den Hamster und die Jungen zu kümmern, bis wir auf der Rückreise wieder vorbeikommen, wären wir euch sehr dankbar.«
Als ich den Hörer auflegte, hatte ich das Gefühl, vor Wut gleich zu platzen. Ich rief die Familie zusammen und erklärte mit zitternder Stimme: »Das Bombeck Hilton hat in Zukunft während der Monate Juni, Juli und August geschlossen. Hier wird keiner mehr verpflegt, nur weil er herausgefunden hat, wo wir wohnen, und ich passe für keine Nachbarn mehr auf ihr Haus auf, die mir von ihrer Weltreise Postkarten mit Mahnungen schicken, die ›Bäume brauchten viel Wasser‹, und ich solle die ›Wurmkur für den Hund nicht vergessen‹. Von nun an werden wir zu den Familien gehören, die die Welt bereisen und das Leben in vollen Zügen auskosten. Wir werden uns an der Schönheit majestätischer Berge erfreuen, an historischen Sehenswürdigkeiten satt sehen und uns an einsamen Sandstränden in der Sonne aalen. Die Bombecks werden in Urlaub fahren!« Ich machte eine Atempause und hob die Faust.
»Und bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre, ich werde nie wieder die Semples bewirten!« Die Blicke meiner Familie hingen an meiner geballten Faust, die ich über den Kopf gestreckt hielt – und darin gekrallt den schwangeren Goldhamster.