Читать книгу Hilfe, ich habe Urlaub! - Erma Bombeck - Страница 6
Kanada
ОглавлениеAls wir den Sieben-Meter-Wohnwagen das erste Mal sahen, stand er auf einem Abstellplatz und trug Nummernschilder, die seit fünf Jahren abgelaufen waren. Das »Zu verkaufen«-Schild war halb verwittert.
Unsere gesamte Familie umkreiste aufgeregt den Wohnwagen und fragte sich, was für Menschen das sein mußten, die sich freiwillig von so einem Prachtstück trennten. Das Ding sah sehr robust aus und roch förmlich nach Abenteuern. Während mein Mann und der Eigentümer gegen die Reifen traten, nahm seine Frau mich und die Kinder mit zu einer Besichtigung ins Wageninnere.
Sie ging schnell vor. Sie riß die Kissen vom Sofa und schmiß sie in das Besenschränkchen, klappte den Tisch zu einem Bett aus und machte aus dem Bücherregal eine Schlafkoje.
»Erstaunlich«, sagte ich. »Wie kommt man denn in die Koje?«
»Entweder treten Sie auf die Person, die auf dem Tisch schläft, oder Sie ziehen sich hoch, indem Sie den Fuß auf den Herd stellen. Man muß nur aufpassen, daß der Herd ausgeschaltet ist«, fügte sie lakonisch hinzu.
Ich lächelte. »Die Küche kommt mir etwas klein vor. Gibt es hier einen Kühlschrank?«
»Sicher gibt es einen Kühlschrank«, sagte sie. »Sie verdecken ihn gerade mit Ihrer Handtasche. Um ihn zu öffnen, müssen alle außer Ihnen den Wagen verlassen. Wenn die Tür aufgeht, setzen Sie sich schnell in die Spüle.«
Ich kam kaum nach, als sie schon zur nächsten Abteilung vorstieß. »Hier haben Sie das eigentliche Schlafzimmer.« Zu beiden Seiten des kleinen Mittelgangs gab es ein Etagenbett. »Sogar eine Toilette haben wir«, fügte die Dame triumphierend hinzu.
»Und wo ist die Tür?«
»Tür gibt’s keine«, sagte sie. »Sie werden die Toilette sowieso nicht benutzen. Sie stinkt. Unter den Betten ist übrigens jede Menge Platz für Lebensmittel, Kleider und Decken. Haben Sie die Schränke an den Wänden bemerkt? Sagen Sie Ihrem Mann, er soll nicht abrupt bremsen, sonst fliegen alle Türen auf, und Sie haben drei Tage aufzuräumen.«
Meine Finger tasteten nach einer Düse, die an einem Schlauch befestigt war. »Wie praktisch. Eine Gemüsebürste in der Dusche.«
»Das ist die Dusche«, erwiderte sie knapp.
Ich rannte zur Tür, aber es war bereits zu spät. Mein Mann schüttelte die Hand des früheren Eigentümers, der seiner Frau jetzt fröhlich mit einem Scheck entgegenwinkte.
Als wir den Wohnwagen an unser Auto hängten, steckte der Mann den Scheck ein und meinte zu seiner Gattin: »Da verschwindet ein Teil unserer Geschichte, Mutter. Wir werden es vermissen.« Ihre Augen blieben trocken. »Wie die Weltwirtschaftskrise«, sagte sie.
Mit drei Kindern und einem Wohnwagen unterwegs – das ist nicht gerade die schnellste Art zu reisen. Rückblickend muß ich sagen: Ich hätte nie mehr Kinder bekommen dürfen als Fenster im Auto waren. Ehrlich gesagt – nach einer Woche mit ihnen im Auto, nach allem, was ich heute weiß, hätten mein Mann und ich uns einen Porsche kaufen und Kinder mieten sollen.
»Mami, wo fahren wir noch mal hin?« greinte das Kind, das auf dem »unbequemen« Mittelsitz saß. Ich umklammerte das Lenkrad und sah starr geradeaus. »Frag deinen Vater.«
Mein Mann ließ die Straßenkarte sinken. »Lenkt eure Mutter nicht ab. Sie fährt. Wir werden bald eines der atemberaubendsten Naturschauspiele der Welt erleben, die Fundy-Bucht in Neubraunschweig, Kanada.«
»Weshalb wollen wir da noch mal hin?« quengelte eine andere gelangweilte Stimme.
»Weil es dort etwas gibt, das nur wenige Menschen je zu Gesicht bekommen ... den höchsten Unterschied zwischen Ebbe und Flut auf der Erde – schon bei ruhiger See vierzehn Meter, bei Springflut einundzwanzig Meter.«
»Wo wir gerade vom Wasser reden«, tönte die dritte Stimme von hinten, »ich muß mal.«
»Das hättest du erledigen sollen, bevor wir losgefahren sind«, sagte das Familienoberhaupt streng.
»Papa! Das war vor drei Tagen. Mami, halt bitte mal an.«
»Ich habe es euch doch gesagt: Laßt eure Mutter zufrieden. Sie hat alle Hände voll zu tun, diesen Sattelschlepper zu lenken«, meinte mein Mann unwirsch.
Damit hatte er recht. »Mami« fuhr nicht einfach Auto. Sie umklammerte das Lenkrad, als ob sie ein Panzerfahrzeug mit radioaktivem Atommüll steuerte. Bei jedem Blick in die großen Außenspiegel sah ich hinter mir sieben Meter Wohnwagen und einen Stau, der bis zurück an die Grenze der USA zu reichen schien.
Die letzten tausend Kilometer war ich hinter Ruby und Rusty aus Indiana in ihrem Wohnmobil namens »Wahre Liebe« hergezuckelt. Allein der Gedanke daran, sie zu überholen, hätte bei mir vorzeitig die Wechseljahre ausgelöst.
Von Ferien war bisher nicht viel zu merken. Keiner von uns hatte geahnt, wie anstrengend es sein würde, mehrere Tonnen Gewicht über die Autobahn zu ziehen. Dieses liebenswerte Halsabschneiderpärchen, das uns den Campinganhänger verkauft hatte, hatte uns wohlweislich verschwiegen, wieviel Freude es machte, mit ihrem Gefährt nachmittags um fünf durch die Innenstadt von Detroit zu fahren, oder wie aufregend es sein konnte, auf einer Brücke, die gerade breit genug für einen Kleinwagen und ein Fahrrad war, einem entgegenkommenden Fahrzeug zu begegnen. Und sie hatten uns in keiner Weise auf das allabendliche Ritual namens »Parken Sie Ihr Heim auf Rädern« vorbereitet.
Beim Einparken wirkte die gesamte Familie mit. Mein Mann saß am Steuer und starrte krampfhaft in die beiden großen Außenspiegel, während sich am rechten Hinterrad ein Kind in der Nase bohrte und am linken Hinterrad ein Kind Steine auf Eichhörnchen warf; das dritte Kind suchte derweil nach einer Toilette. Meine Aufgabe bestand darin, das Unternehmen zu koordinieren.
»Dreh nach da!« rief ich.
»Wohin? Ich kann dich nicht sehen. Was heißt ›da‹?«
»Links. Dreh nach links.«
»Den Wohnwagen oder das Auto nach links?« rief er.
»Recht so.«
»Wie – ›recht so‹? Heißt das, ich fahre richtig, oder soll ich mehr nach rechts? Ich kann dich bei dem Regen kaum sehen.«
»Weil du nicht zugehört hast, als ich ›Halt!‹ gerufen habe. Im übrigen regnet es gar nicht. Du hast gerade den Wasseranschluß vom Campingplatz gerammt.«
»Ich setze wieder vor. Und gib mir um Gottes willen bessere Anweisungen. Wieso winkst du jetzt? Soll ich in die Richtung fahren?«
»Ich winke unseren Nachbarn.«
»Laß doch mal die Nachbarn, bis wir mit dem Einparken fertig sind. Dann kannst du dich immer noch mit ihnen anfreuden.«
»Wir freunden uns besser sofort an. Du bist ihnen hinten in ihr Zelt gefahren.«
Dieses Einparken blieb immer ein Problem. In Quebec fuhren wir mit hungrigem Magen von morgens bis nachmittags auf der Suche nach einem geeigneten Parkplatz für unseren Kleinlaster herum – wir hätten etwas in der Größe eines Fußballstadions gebraucht. Mein Mann stellte sich schließlich in seiner Verzweiflung direkt an eine stillgelegte Eisenbahnstrecke. Nach dem Essen kümmerten mein Sohn und ich uns darum, die Miniküche wieder klarzumachen. Die übrige Familie ging spazieren. Da hörte ich die Lok pfeifen und erstarrte.
Komisch, woran man so denkt, wenn einem das letzte Stündchen auf Erden geschlagen hat. Man tut nicht das, was man angeblich tun soll – sein Leben an sich vorüberziehen lassen oder auf die Knie fallen und seine Sünden bekennen. Alles, woran ich denken konnte, waren die Frauen auf der Titanic, die sich an dem Abend, als das Schiff den Eisberg rammte, ihren Nachtisch verkniffen hatten, weil ihre Kleider spannten. Als mein Sohn summte: »Näher mein Gott zu dir«, stopfte ich mir einen Schokoriegel in den Mund, und der Zug donnerte vorbei. Jeder Teller im Anhänger krachte zu Boden.
Ich mußte wieder an das Wohnmobil »Wahre Liebe« denken und fragte mich, ob Rusty und Ruby aus Indiana sich gut amüsierten. Menschen, denen man tausend Kilometer hinterherfährt, lernt man ziemlich gut kennen. Ich wußte, daß sie ein »Baby an Bord« hatten, Williamsburg und den Freizeitpark Knotts Berry Farm besichtigt hatten und im Verein der Schußwaffenbesitzer waren. Sie mochten die Landstraße, und auf einem Aufkleber auf ihrer Stoßstange stand »CAMPER SIND DIE EHRLICHSTEN MENSCHEN DER WELT« (und natürlich hatten sie ein Tankschloß).
Irgendwie wußte ich auch, daß Ruby zum Kartenlesen verdammt war, während ihr Mann am Steuer saß und erklärte, daß er »verdammt noch mal nach Osten fahre, und wenn dort die Sonne untergeht, hat Gott eben einen Fehler gemacht!« Rusty war mürrisch, weil er noch keine Gelegenheit gefunden hatte, die Toilette in seinem Wohnmobil auszuleeren, und sie deshalb nicht benutzen konnte. Ruby machte sich Sorgen, die Bremsen könnten versagen, wenn sie bergab fuhren. Ohne Waschmaschine hatte ihr Leben sowieso seinen Sinn verloren. Und der große Suppentopf, in dem sie sonst Spaghetti kochte, war jetzt randvoll mit Köder, die ihr Mann zum Angeln unbedingt brauchte. Die verzogenen Kinder bestellten sich im Restaurant teures Essen und aßen dann nur die Gewürzgurke. Ihrem Hund wurde vom Autofahren schlecht, und er streckte seinen Kopf zum Fenster heraus und seinen Hintern in Rubys Gesicht.
Mein Mann ließ wieder einmal die Karte sinken. »Wir sind heute nur zwanzig Kilometer weit gekommen. Kein Wunder. Schau mal, wer vor uns fährt. Da sind wieder Rusty und Ruby. Überhol die doch. Die fahren bloß 50 Kilometer pro Stunde.«
»Wir fahren gerade bergauf«, entgegnete ich. »Der Motor zieht nicht.«
Bergab steigerte sich Rusty auf 30 Kilometer die Stunde. Irgendwie war der Mann ein Phänomen. Er hielt nie mal wegen der Aussicht an. Mußte nie tanken. Seine Blase mußte die Größe eines Medizinballs haben. Und wenn er nicht zulegte, würden wir die Fundy-Bucht nie erreichen.
Alles in allem dauerte die Reise einen Monat. Sie führte uns durch die atemberaubenden Wälder Ontarios, wo wir die Abende damit zubrachten, den Bären beim Fressen auf der Müllkippe zuzusehen. Wir bugsierten unseren Wohnwagen zentimeterweise durch die engen Kopfsteinpflasterstraßen von Quebec und fuhren jeder Biegung des St.-Lorenz-Stroms und der schlangenförmig gewundenen Küste der Halbinsel Gaspé nach. Auf der Prinz-Eduard-Insel suchten wir die Strände nach Muscheln ab, und in Neuschottland saßen wir im Gras und hörten Dudelsackkonzerte.
Nun ja – »wir« ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich nämlich schleppte derweil Wasser und Müll, machte Feuer und verbrachte den größten Teil des Tages in einem Waschsalon. Während mein Mann und die Kinder auf Pionierzeit und Planwagen machten, versuchte ich, das passende Kleingeld für die Münzwaschmaschinen zu ergattern, und kam in den unbeschreiblichen Genuß, der gesamten Familienunterwäsche beim Herumwirbeln in der Waschtrommel zuzusehen. Alles in allem war dieser Campingurlaub wahnsinnig locker. Ungefähr so locker wie eine Geburt. Jeder Tag schuf neue Herausforderungen und Geduldsproben. Doch gleichgültig, wie oft wir platte Reifen wechselten, wie oft wir Sachen reparieren lassen mußten, die überkochten oder tropften ... egal wie oft ich in Versuchung geriet, mir eine Halskette aus Beruhigungstabletten anzufertigen, um den ganzen Tag daran zu lecken, unser Ziel hielt uns immer aufrecht. Wir waren unterwegs, um die gewaltige Flutwelle der Fundy-Bucht zu sehen. Keiner unserer Nachbarn hatte so etwas je zu Gesicht bekommen.
Wir erreichten den kleinen Ort Moncton in Neubraunschweig am frühen Nachmittag und fuhren unseren Wohnwagen ans Ufer des Petitcodiac-Flusses. Mein Mann war ganz mit seiner Kamera beschäftigt, die er sorgfältig auf einem Stativ aufbaute und nach verschiedenen Richtungen ausprobierte. Ich teilte an die Kinder Regenhäute aus, mit der Anweisung, in sicherer Entfernung zu bleiben und sich an Mamis Händen festzuhalten, damit sie nicht in den ungeheueren Sog der Wellen gerissen würden.
Um fünf nach drei ließ das erwartungsvolle Geraune unter den Zuschauern, die sich nach und nach eingefunden hatten, nach. Es war beängstigend still, als die Feldstecher auf das in der Entfernung heranflutende Wasser gerichtet wurden.
Wir strengten unsere Ohren an, um den Donner der Wogen zu hören, von denen wir wußten, daß sie gleich gegen das Ufer schlagen würden. Unsere Blicke suchten nach dem wilden Wall der Brandung, der uns naß und atemlos machen würde.
Um zehn nach drei schoben sich ein paar Eimer braunen Wassers das Flußbett hoch – das Ganze war etwa so aufregend wie der Anblick einer verstopften Toilette. Wir fünf blickten stumm, als sich das Rinnsal träge am Ufer brach.
Die Zuschauer waren regelrecht unterwältigt und rührten sich nicht. Es dauerte lange, bevor jemand in unserer Familie ein Wort sagte. Etwa siebentausend Kilometer, um genau zu sein.
Im Herbst verwendeten die Kinder den Wohnwagen dann für ihre Freunde, wenn sie über Nacht bleiben wollten. Die übrige Zeit stand das Ungetüm zwischen den Mülltonnen und der Garage und verdarb uns die Laune. Genauso wie die Tatsache, daß niemand auf das »Zu verkaufen«-Schild im Rückfenster reagieren wollte.
Im folgenden Winter klopfte ein junges Ehepaar an unsere Tür und wollte sich den Wohnwagen ansehen. Der Mann war als Soldat in der Nähe stationiert und suchte für seine Frau und sich eine billige Wohngelegenheit, die sie in der Nähe der Basis abstellen konnten. Während unsere Ehemänner gegen die Reifen traten, zeigte ich der jungen Braut den Wohnwagen von innen. Als ich fertig war, meinte sie schüchtern: »Die Spüle wirkt ziemlich klein.«
»Das sieht nur so aus«, sagte ich. »Sie bietet bequem Platz für eine Person.«
»Woher wissen Sie das?« fragte sie.
»Werden Sie den Kühlschrank oft benutzen?«
Sie zögerte. »Ich glaube nicht.«
»Dann ist es nicht so wichtig«, meinte ich lächelnd.
Als sie zu ihrem Mann lief, war es zu spät. Mein Mann hielt bereits den Scheck in der Hand.
Den Rest des Winters dachte ich oft über unseren ersten Versuch nach, das Leben auf neue Art zu genießen. Ob es wohl Ferien gab, bei denen man nicht sein eigenes Toilettenpapier mitbringen und die eigene Gülle verklappen mußte? Gab es irgendwo ein Wunderland, wo das Nachtleben mehr zu bieten hatte als einen Förster, der sich mit einem Streichholz in den Zähnen stocherte, während er uns Dias über Sumpfschildkröten zeigte?
Einige Freunde von uns hatten tatsächlich Reisen unternommen, auf denen sie nicht mit Butangas kochen mußten oder Nachbarn hatten, deren Autoradio so laut dröhnte, daß man einen Gehörschaden bekam. Sie hatten eine Welt kennengelernt, in der greinende Kinder zu anderen Leuten gehörten und niemand ihnen ein klebriges Kaugummi in die Hand drückte, sobald sie nur die Arme hinter dem Kopf verschränkten, um sich zu entspannen.
Das war die Welt, die ich entdecken wollte.