Читать книгу Rolling Stones. 100 Seiten - Ernst Hofacker - Страница 8

»Niedrige Stirn, hohe Augenbrauen!«

Оглавление

Anfang Mai 1963: Decca ist so scharf auf die Stones, dass die Firma Oldham bei den Vertragsverhandlungen ein entscheidendes Zugeständnis macht. Zum ersten Mal räumt eine große Schallplattenfirma jungen und gänzlich unerfahrenen Musikern die vollständige künstlerische Kontrolle über ihre Musik ein. Die Stones können ihre Platten nun aufnehmen, wie und wo immer es ihnen beliebt. Oldham gibt bei Decca nur die fertigen Bänder ab. Außerdem behält er sich – ein ebenfalls entscheidender Schachzug – die letzte Kontrolle bei der Gestaltung der Plattencovers vor. Die Folge: Die ersten Singles, die erste EP und das ein Jahr später, im April 1964, veröffentlichte Debütalbum THE ROLLING STONES werden fast ausschließlich in den unabhängigen und vergleichsweise schlecht ausgestatteten Olympic Sound, Regent Sound und De Lane Lea Studios aufgenommen. Oldham und Easton selbst finanzieren die Sessions, die wegen der teuren Studiomiete dann auch in der kürzest möglichen Zeit absolviert werden. Oldham, der nicht den blassesten Schimmer davon hat, wie man eine Platte macht, firmiert als Produzent. Und: Gleich mit den ersten Covers und Pressefotos stilisiert er seine Schützlinge als mürrische und aggressive Tagediebe, die so gar nichts von der freundlichen Verbindlichkeit ausstrahlen, mit der die Beatles die Teenagerherzen erobert und inzwischen auch viele Erwachsene überzeugt haben. Der Kontrast ist nicht zu übersehen, gegen die fröhlichen Fab Four erscheinen die hohlwangigen Stones als gefährliche Straßengang.

»Die Beatles hatten den weißen Hut auf, also nahmen wir den schwarzen.«

Keith Richards

Die Presse jedenfalls tappt in sämtliche von Oldham aufgestellte Fallen. Auch wenn es die im Juli 1963 erschienene Debütsingle mit dem fahrig heruntergespielten Chuck-Berry-Cover »Come On« noch nicht einmal in die Top Twenty schafft, sorgt das öffentliche Image der Stones schon bald für Aufregung. Ihre Haare sind eine Idee länger als die der Beatles, reichen bis über die Ohren und berühren die Hemdkragen – genug, um einen Sturm der moralischen Entrüstung zu entfachen. Beschimpfungen auf offener Straße (»Schwuchteln!«) sind ebenso die Folge wie empörte Schlagzeilen, die das moralische Fundament des Königreichs gefährdet sehen (»Würden Sie Ihre Tochter mit einem Rolling Stone ausgehen lassen?«).


Die Rolling Stones im Jahr 1964 backstage bei Ready Steady Go!

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Kunde von den ungeheuerlichen Stones bei den Teenagern des Landes. Oldham weiß, dass er mit seiner Strategie, seine Schützlinge als Bad Boys zu installieren, goldrichtig liegt. Nur: Im Unterschied zu den Beatles schreiben seine Jungs keine Songs, weshalb sie darauf angewiesen sind, im großen Katalog des amerikanischen Blues & Soul geeignete Vorlagen zu finden, die sich zu Stones-Singles verarbeiten lassen. Die Auswahl allerdings wird immer kleiner, denn inzwischen schießen Beat- und R ’n’ B-Bands in England wie Pilze aus dem Boden, und sie alle plündern dieselben Quellen.

Die Geschichte, wie Oldham das Problem angeblich löst, gehört zu den berühmtesten in der Rolling-Stones-Saga: Im Herbst 1963 sperrt er Mick und Keith in der kleinen Küche ihres soeben bezogenen Domizils in 33 Mapesbury Road ein und verkündet, dass er sie nicht herauslassen wird, bevor sie einen eigenen Song geschrieben haben. Zuvor hat er wohlweislich den Kühlschrank geleert. Als der Manager abends wieder auftaucht, haben die beiden tatsächlich einen Song zustande gebracht: »As Tears Go By« markiert den Anfang des neben Lennon/McCartney erfolgreichsten Songwriter-Duos der Popgeschichte. So jedenfalls erzählt Keith Richards die Anekdote. Mick Jagger hingegen streitet die Sache mit der Küche ab und glaubt, dass ihr erster Song (das nie von den Stones selbst veröffentlichte) »It Should Be You« war.

Wie dem auch sei: Mit den ersten Versuchen aus der Feder von Jagger/Richards lässt sich noch nicht viel anfangen. Zunächst fabrizieren die beiden nur sentimentale Balladen, die kaum ins Stones-Repertoire passen. Nach und nach aber wird sich das ändern. Und für den Moment greifen ihnen zwei Freunde unter die Arme: John Lennon und Paul McCartney persönlich helfen den Kollegen am 10. September 1963 aus der Patsche und überlassen ihnen bei einem Besuch im Probenraum eine frische Komposition mit dem Titel »I Wanna Be Your Man«. Der Song wird zur zweiten Single, die straff und aggressiv inszenierte R ’n’ B-Nummer schafft es bis auf Platz zwölf der UK-Charts.

Es folgt ein Remake der Buddy-Holly-B-Seite »Not Fade Away« und damit die erste wirklich schlagkräftige Stones-Single: Die Band unterlegt den eigentlich harmlosen Popsong mit einem bedrohlichen Bo-Diddley-Beat, lässt Brian Jones und dessen Mundharmonika von der Leine, und dazu gibt Mick Jagger erstmals den coolen – wenn auch noch etwas pubertären – Sexgott. Song, Sound und Image ergeben nun ein schlüssiges Gesamtpaket. Der Lohn: Top-Ten-Premiere auf Platz drei und der erste Stones-Hit, der mit dem provokanten Image der Band mithalten kann.

Die entscheidende Hürde aber steht noch bevor: Amerika. Bereits am 1. Juli ist es dann soweit. Drei Wochen wird dieser erste US-Trip dauern – und er soll zum ausgewachsenen Fiasko werden: Als Oldham und seine Schützlinge in Heathrow den Flieger besteigen, erscheinen die Voraussetzungen noch optimal. Erst fünf Monate zuvor haben die Beatles in der Ed Sullivan Show die Tür für die British Invasion aufgestoßen. Seitdem reißen sich die USA um praktisch jede Band, die bei der Einreise einen englischen Reisepass vorlegen kann. Daheim im Königreich sind die Stones bereits die Nummer zwei hinter den Beatles, Amerika sollte sie also mit Handkuss begrüßen.

Weit gefehlt. Zur Ankunft auf dem New Yorker Kennedy Airport sind gerade 500 Fans erschienen (3000 waren es, als John, Paul, George und Ringo einige Wochen zuvor dort landeten). Ed Sullivan hat einen Auftritt der Stones, die er widerlich findet, abgelehnt, und der Empfang durch die einheimische Presse fällt reserviert, mitunter gar feindselig aus. Berühmt wird der Scherz, den sich Dean Martin erlaubt, als er die Band in der TV-Show The Hollywood Palace präsentiert: »Man glaubt, dass diese singenden Gruppen heutzutage lange Haare haben – hah: Tatsächlich haben sie eine niedrige Stirn und hohe Augenbrauen!« (Brian Jones rächt sich auf seine Weise, indem er auf einer späteren US-Tournee eine Affäre mit einer von Deans Töchtern beginnt). Zudem ist das Stones-Debütalbum unter dem Titel ENGLAND’S NEWEST HIT MAKERS in den USA erst zwei Tage vor ihrer Ankunft erschienen – faktisch kennt es also noch kein Mensch. Eigentlich ist zu diesem Zeitpunkt lediglich die erste US-Single »Not Fade Away« zu hören, und mit Ach und Krach wird sie es auf Platz 48 der Billboard-Charts bringen.

Beim ersten Konzert geht noch alles gut. Das Swing Auditorium von San Bernadino ist rammelvoll, die Mädchen drehen durch, und viele singen bei »Route 66« sogar die Strophen mit – schließlich wird im Text des lange zuvor schon von Nat King Cole bekannt gemachten Songs ihre Stadt genannt. Danach aber geht es bergab. Die weiteren zum Teil sehr kurzfristig anberaumten Konzerte sind mehr oder weniger Flops, in Detroits Olympiastadion verlieren sich nicht einmal 1000 Zuschauer. Überdies stimmt auch das Ambiente nicht immer. So treten die Stones in San Antonio, Texas, bei einer Open-Air-Messeveranstaltung nach einer Affen-Dressurnummer auf. Immerhin: Bei dieser Gelegenheit lernen die Engländer den texanischen Saxophonisten Bobby Keys kennen, der in den kommenden Jahrzehnten zum festen Inventar des Stones-Personals und zu den engsten Freunden von Keith Richards zählen wird.

Absoluter Höhepunkt des auch finanziell wenig ertragreichen US-Trips sind jedoch die beiden Tage, an denen die Stones das legendäre Chess Studio in Chicago besuchen dürfen. 14 (!) Tracks nehmen sie dort auf. Darunter ist auch »It’s All Over Now«, eine Coverversion des Valentinos-Songs, auf den sie der Discjockey Murray The K während ihres Besuchs in seinem New Yorker Sender aufmerksam gemacht hat. Nur zwei Wochen nach der Aufnahme in Chicago erscheint »It’s All Over Now« als neue Single – und wird daheim in England zur ersten Nummer eins der Rolling Stones.

Bis Ende Mai 1965 wird die Band noch zwei weitere, deutlich erfolgreichere US-Tourneen absolvieren, dazu ihre erste durch Südostasien und dazwischen mindestens zwei Tourneen durch Großbritannien plus diverse Konzerte auf dem Kontinent – eine irrsinnige Tour de Force, die Keith Richards Jahre später mit den Worten beschreiben wird: »In meinem Kopf ist das eine einzige Montage aus Bühnen, Flughäfen, Hotelzimmern und durchdrehenden Fans.«

Und es ist ein Crashkurs in Sachen Showbusiness und Professionalismus. Mittlerweile haben die Stones Tourneen mit den Everly Brothers, Bo Diddley, Roy Orbison und den Ronettes hinter sich, sie haben Idole wie Muddy Waters, James Brown, Willie Dixon und Chuck Berry kennengelernt, und ihre Konterfeis hängen in Millionen von Teenagerzimmern zwischen Sydney und Los Angeles.

Rolling Stones. 100 Seiten

Подняться наверх