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Annäherungen

Ankommen

Kommt man auf der Autobahn aus dem Gebirge, so empfiehlt es sich, diese spätestens bei Tolmezzo zu verlassen, die nächste Ortschaft aufzusuchen und eine der meist schummrigen Bars zu betreten, wo ein paar Pensionisten Karten spielen und die Dorfjugend vor dem überdimensionalen Fernseher ein Fußballspiel oder den Giro d’Italia verfolgt. Vielleicht ist auch außer der Wirtin niemand in dem Raum, von dem aus eine Tür in die „Sala da Pranzo“ führt, in der es nach kaltem Essen riecht und wo nur noch mittags für die Arbeiter der Umgebung aufgekocht wird. Das erste Glas Wein jenseits der Grenze will getrunken sein, welche zwar nur mehr Erinnerung ist und doch symbolisch präsent bleibt. Freilich gibt es auch in Österreich Wein. Aber der hier schmeckt anders in diesen kleinen, dicken Gläsern, welche der Triestiner „bicèr“ und der Friulaner „tajut“ nennt. Er schmeckt nach Erinnerungen. Dazu gibt es Salame, Prosciutto und ein staubiges Brötchen von vorgestern. Die Qualität ist nicht von Bedeutung. Es zählt nur: wir sind hier.

In Pontebba zum Beispiel, diesem merkwürdigen Städtchen, das seit dem Bau der Autobahn völlig im Abseits liegt. Aber schon Jahre davor hatte es an Bedeutung verloren, 1918, als das Kanaltal bis Tarvis zur Gänze an Italien fiel. Bis dahin war Pontebba eine doppelte Grenzstadt, deren österreichischer Teil Pontafel hieß. Von den großen Zeiten zeugen der überdimensionierte Bahnhof, zwei Rathäuser und zwei Kirchtürme, die um die Wette in den Himmel gewachsen sind, rechts und links des Torrente Pontebbana. Auf der Brücke, die diesen überspannt, kurz bevor er sich in die Fella ergießt, erinnert eine Gedenktafel daran, daß hier die Grenze verlief. Wie überall, wo Zoll, Handel und die damit verbundenen zeitraubenden Aktivitäten eine große Rolle spielen, gab es hier diesseits und jenseits Unmengen von Gasthäusern beziehungsweise Osterie und Herbergen. Einige existieren noch; die meisten davon stehen leer und verfallen.

Der Schauspieler und der Poet haben den kulinarischen Rubikon überschritten und laben sich zur Belohnung für die Entbehrungen der Reise, die sie in Kauf genommen haben, um hierherzugelangen. Die undisziplinierten Verkehrsteilnehmer, die Warteschlange an der Maut und der Nebel auf der Pack sind vergessen. Deshalb schmeckt es ihnen. Sie lachen, sie haben andere Augen. Wahrscheinlich auch einen anderen Gaumen. Das zweite Glas schmeckt noch besser. Ist es die Ahnung vom nahen Meer? Ist es die Seele, die sich plötzlich in eine paradiesische Ebene öffnet wie das Tal? Ganz sicher ist: alles riecht plötzlich intensiver. Das liegt an der milden Luft, aber auch daran, daß es von einem Kilometer zum anderen plötzlich um fünf Grad wärmer ist.

Die Wirtin sieht die beiden Freunde zum ersten Mal in ihrem Leben, versteht kein Wort von dem Unfug, den sie strahlend von sich geben. Aber auch sie lächelt. Und plötzlich steht sie vor ihnen mit einem Teller hauchdünn geschnittener „Ricotta affumicata“ aus dem Raccolana-Tal, frischem Brot und einer Flasche Olivenöl aus dem Triestiner Karst namens „Olio Celo“, dem die beiden Freunde auf ihren Reisen schon öfters begegnet sind und das so schmeckt, wie es heißt: es ist himmlisch. Das ist eine unmißverständliche Liebeserklärung seitens der „padrona“. Um diese zu erwidern, bestellt der Schauspieler Rotwein. Die Wirtin bringt eine Flasche Pignolo von Moschioni aus der Gegend von Cividale, aus den Colli Orientali. Pignolo! Eine uralte, autochthone Rebsorte, die so selten angebaut wird, daß sie nicht einmal in den Statistiken des Winzerverbands aufscheint. Ein trocken ausgebauter, fruchtiger, tief blauroter Wein, der lächerliche fünfzehn Prozent Volumen hat. Dennoch oder deshalb ein göttliches Getränk. Dazu reicht die gute Frau einen Teller mit der Hirschsalame ihres Schwagers, dem es ebenfalls ein Denkmal zu setzen gilt. Die Wurst hat allerdings einen Defekt: man kann sie nicht kaufen.

Der Schauspieler und der Poet gehen fröhlich zum Auto. Wohin? Ans Meer? Ans Meer! Aber an eine längere Fahrt ist nicht mehr zu denken. Also auf ins nahe Tolmezzo, wo es bequeme Hotelzimmer gibt.

Einfach. Gut.

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