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Was wollte Nietzsche?

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Zwar schrieb Nietzsche in den letzten Wochen seines Schaffens: „Das eine bin ich – das andere sind meine Schriften.“ Deshalb ließ er dann auch auf den ,Antichrist‘ einen Lebensrückblick unter dem Passionstitel ,Ecce homo‘ folgen. Wie aber bei Michelangelo die wahre Biographie in seinen Bildwerken und wie sie bei Beethoven in seinen Tonschöpfungen besteht, schrieb Nietzsche seine Autobiographie in Form seiner Schriften. Sie sind, wie dies auch Goethe von sich sagte, eine „große Konfession“. Denn sein Denken war sein Leben. In seinem Denken suchte er die Antwort auf seine Lebens- und Identitätsfrage, die ihm die ihn umgebende Lebenswelt schuldig blieb. Deshalb wurde er zum großen Kritiker der Zivilisation, Kultur, Moral und Religion seiner Zeit, der diese angriff, um sie doch noch zu der ihm zunächst verweigerten Antwort zu bewegen.

Dabei war er sich darüber im Klaren, dass sich seine auf ihren Humanismus, ihre technische Leistung und ihre politischen Erfolge pochende Zeit insgesamt auf einer abschüssigen Bahn bewegte und in einer Selbstauflösung begriffen war. Getreu seinem Grundsatz, dass man das, was zu fallen droht, noch zudem hinabstoßen müsse, ging er darauf aus, den unvollständigen Nihilismus, den er überall am Werk sah, in den vollkommenen zu verwandeln. Dem entsprach der Wandel in seiner Selbsteinschätzung. Fühlte er sich zunächst als Beobachter und Deuter, so zuletzt als den Menschen des Verhängnisses, der diesen Prozess beschleunigte und dadurch ungeahnte Katastrophen auslöste. Im Blick auf den blutigen Gang des Jahrhunderts, an dessen Beginn er starb, wird man ihm die Fähigkeit zu hellsichtiger Prognose nicht absprechen können.

Lange bevor Sigmund Freud sein ,Unbehagen in der Kultur‘ (1930) äußerte, sprach Nietzsche schon von dem „vielfachen Mißbehagen, welches die Ansprüche der höheren Kultur dem Menschen machen“ (Menschliches, Allzumenschliches I, § 277). Vorausgesetzt, dass der Sinn aller Kultur darin bestehe, aus dem Raubtier Mensch ein „Haustier“ zu machen, muss man die „Realisierens- und Ressentiments-Instinkte“ als die eigentlichen Werkzeuge der Kulturentwicklung ausmachen.1 Insbesondere hat für ihn das moderne Bildungswesen „nur den Wert einer anspruchsvollen Illusion“2. Weil in den Werken, „in denen die Menschheit ihre oberste Wünschbarkeit“ zusammenfasste, die „Verfallsinstinkte“ zur Norm erhoben wurden,3 muss unter den schmeichlerischen Übermalungen der „schreckliche Grundtext homo natura“ wieder freigelegt und der Mensch in die Natur „zurückübersetzt“ werden.4

Ungleich strenger als mit dem „glitzernden Phantom“ Kultur geht Nietzsche mit der Moral, dieser „Circe der Menschheit“ und aller Denker, ins Gericht.5 Denn in der „Hieroglyphenschrift“ der menschlichen Moralgeschichte entziffert er immer nur den nackten Willen gegen das Leben, den Willen zum Nichts. Sie, die Moral, war schuld daran, dass der prachtvollste und mächtigste Typ Mensch niemals erreicht wurde und dass stattdessen nur Fragmente des wahren Menschseins zustande kamen. Zu dieser Wirkung gelangte die Moral aber vor allem infolge ihrer Verknüpfung mit der Religion, die ihrerseits als „Ausgeburt des Zweifels an der Einheit der Person“ zu gelten hat und als solche aus dem gebrochenen Identitätswillen des Menschen hervorging.6 Umgekehrt wird die Moral dann aber auch der Religion und insbesondere dem Christentum zum Verhängnis. Wie dieses in der Reformation „als Dogma“ zugrunde ging, so steht es im Zug seiner Selbstauflösung heute im Begriff, auch „als Moral“ zugrunde zu gehen, zumal sich das Christentum in verhängnisvoller Fehleinschätzung als moralische Religion darstellte und verstand. Indessen lag Nietzsche nichts ferner, als den Ausgang dieses Prozesses als distanzierter Beobachter abzuwarten; vielmehr griff er mit wachsender Vehemenz in seinen Ablauf ein.

Nietzsche - Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?

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