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Wer ist Nietzsche?

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Eigentlich müsste doch ein volles Jahrhundert nach seinem Tod gefragt werden: Wer war Nietzsche? Doch er selbst hätte der eingangs gewählten Frageform zugestimmt. Denn er war der Ansicht, dass „einige“ – und er meinte damit sich selbst – erst „posthum“ geboren werden und an der Zeit sind. Und darin hat ihm seine Wirkungsgeschichte Recht gegeben. Denn nie wurde er so heftig diskutiert, kommentiert und interpretiert wie heute. Doch dafür sprach anfänglich kaum etwas. Denn bei Lebzeiten schlug ihm eine Welle von Verständnislosigkeit entgegen, sodass er schließlich die wie Blei in den Regalen seiner Verleger liegenden Schriften zurückkaufen musste, um sie wenigstens verschenken zu können. Aber kaum war er in den Januartagen des Jahres 1889 in fast zwölfjährige Umnachtung gefallen, wuchs das Interesse an ihm und seinem literarischen Werk, und dies erst recht, nachdem er am 25. August 1900 in Weimar starb. Jetzt erregte er nicht nur das Interesse von Philosophen und Theologen, sondern vor allem auch das der durch ihn inspirierten Dichter und Komponisten. Sogar aus seiner Beanspruchung durch den Nationalsozialismus ging er, dank seiner Neuentdeckung durch jüdische Autoren, unbeschädigt hervor. War Heidegger der Schock und Wittgenstein die Ernüchterung des philosophisch Engagierten, so wurde er zur Droge der postmodernen Denkwelt, und dies mit ständig wachsender Wirkung. Doch wer war und ist er?

Am 15. Oktober 1844 als Sohn eines kirchenfrommen Pastors in Röcken (Sachsen) geboren, wuchs er in einer pietistisch gestimmten Familie auf, kam dann in die strenge Zucht der Erziehungsanstalt Schulpforta, die ihm das philologische Rüstzeug vermittelte, ihn aber auch schon an seinem Kinderglauben irre werden ließ. Als Vorzugsschüler des Altphilologen Ritschl errang er dessen Wertschätzung in so hohem Maß, dass er vor Abschluss seiner Promotion auf dessen Betreiben zum Professor in Basel berufen wurde. Doch schon bald traten die ersten Symptome seiner Todeskrankheit auf, die er sich als Student in Leipzig zugezogen hatte, sodass er seine Lehrtätigkeit aufgeben musste, um sein weiteres Leben als freischaffender Schriftsteller zu führen. Wichtig wurden für den Ruhelosen, der nach vielfachem Wohnsitzwechsel endlich in Sils-Maria im Oberengadin eine spartanische Bleibe fand, die in der Folge wieder zerbrechenden Beziehungen zu Richard Wagner und der hoch begabten Lou Salomé. Enttäuscht zog sich der zusehends Vereinsamte auf sein kultur- und christentumskritisches Werk zurück, das in der ,Fröhlichen Wissenschaft‘, dem ,Zarathustra‘, in ,Jenseits von Gut und Böse‘, der ,Genealogie der Moral‘, der ,Götzen-Dämmerung‘ und dem ,Antichrist‘ seine Höhepunkte erreichte. Auf dem Weg zur Post, der er seine Wahnsinnsbotschaften an Freunde und hoch gestellte Persönlichkeiten übergab, brach er in Turin auf offener Straße zusammen, sodass er nur noch mit Mühe durch seinen Freund Overbeck vor der Einweisung in eine italienische Irrenanstalt bewahrt und der Klinik in Basel übergeben werden konnte. Ohne je wieder das normale Bewusstsein erlangt zu haben, kam er schließlich in die Obhut seiner warmherzigen Mutter und nach deren Tod in die Verfügungsgewalt seiner herrschsüchtigen Schwester, die mit Hilfe eines ständig wechselnden Mitarbeiterstabs seine Werke in teilweise tendenziös verfälschter Form herausbrachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es dem Italiener Mazzimo Montinari, seine Werke in einer mustergültigen, vollständigen Edition herauszubringen. Doch damit stellte sich die Frage nach ihm definitiv als die nach dem, der er ist.

Nietzsche - Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?

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