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Nietzsches Kampf

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Die Entfremdung von der real gegebenen Lebenswelt, die Nietzsche der Moral und der mit ihr verbündeten Religion vorwirft, kulminiert für ihn in dem beiden zugrunde liegenden Gottesbegriff, der für ihn letztlich in einer Überredung zum Nichts besteht. Nichts wäre aber verkehrter als die daraus von heutigen Auslegern gezogene Konsequenz, ihn deshalb für irrelevant zu erklären und als reine Fiktion auf sich beruhen zu lassen. Da Nietzsche den Nihilismus in jeder Form ebenso als sein Ziel wie als seine größte Herausforderung empfand, stand für ihn gerade der zu einer Fiktion und damit zum Inbegriff aller Schwächungs- und Vernichtungstendenzen erklärte Gott im Zentrum seines – nie zu Ende gekommenen – Kampfes. Auch sein mit zunehmender Aggressivität geführter „Todkrieg“ gegen das Christentum war, von seiner letzten Motivation her gesehen, ein Kampf unter der Parole „wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein?“7. Denn das Christentum ist für ihn, den erklärten Gegner aller Systeme, ein um den Gottesbegriff aufgebautes System,

eine zusammengedachte und ganze Ansicht der Dinge. Bricht man aus ihm einen Hauptbegriff, den Glauben an Gott, heraus, so zerbricht man auch das Ganze. Man hat nichts Notwendiges mehr zwischen den Fingern.8

Damit hat Nietzsche aber nicht nur seinen Begriff des Christentums offen gelegt, sondern auch seine Strategie mit aller Entschiedenheit herausgestellt. Das schließt zusätzliche Initiativen keineswegs aus, stellt aber definitiv klar, dass es ihm zentral um die Eliminierung des Gottesglaubens zu tun war und dass sich diesem Ziel alles andere unterordnete und von ihm her seinen Stellenwert empfing. Das muss nicht nur im Blick auf gängige Fehldeutungen, sondern auch „werkimmanent“ hervorgehoben werden, da Nietzsche auf sein Zentralmotiv, den „Tod Gottes“, nur vergleichsweise selten zu sprechen kommt und den in diesem Zusammenhang zu nennenden Schlüsseltext, den Aphorismus „Der tolle Mensch“ seiner ,Fröhlichen Wissenschaft‘ (III, § 125), in den folgenden Schriften höchstens noch andeutungsweise erwähnt. Daraus einen Einwand herzuleiten, hieße Nietzsches schriftstellerisches Verfahren gröblich zu verkennen. Denn so wie dieses durch die Verheimlichung seiner Quellen – Augustinus, Goethe, Heine – gekennzeichnet ist, gilt Ähnliches auch von der Verkennung seiner tatsächlichen Spitzenleistungen, die erst durch die Interpretation als solche erschlossen und gegebenenfalls auch gegen alte und neue Fehleinschätzungen geltend gemacht werden müssen.

Nietzsche - Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?

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