Читать книгу Geistesgegenwart - Eugen Biser - Страница 10

2. Die Verdüsterung

Оглавление

Aber kann man heute noch so von Glaube, Hoffnung und Liebe reden, kann man sie anreden und anrufen, wie die ihrer Inspirationsquelle so sicheren Dichter der Vorzeit die Musen anriefen? Alles spricht dagegen, denn der Glaube, um bei ihm einzusetzen, erleidet eine beispiellose Krise, die bei der Kirchenleitung dazu führte, auf seiner lehrhaften Umschreibung zu bestehen und ihn dadurch in die Nähe einer Ideologie zu rücken. Dies brachte erhebliche Teile des Kirchenvolkes dazu, den Auferstehungsglauben gegen die asiatische Reinkarnationsvorstellung auszutauschen und dadurch das Herzstück aus ihm herauszubrechen; und es bestärkte schließlich sogar namhafte Theologen in der Neigung, einzelne Mysterien, wenn nicht gar den Christenglauben insgesamt, aus dem ägyptischen Mythos oder doch wenigstens aus den alttestamentlichen Vorgegebenheiten herzuleiten und dadurch entweder den Unterschied zwischen den beiden Testamenten oder die ungleich gravierendere Differenz zwischen Glauben und Mythos einzuebnen.

Im Gefolge der Krise, in die der eschatologische Impuls geriet und die Hans Urs von Balthasar veranlaßte, die Eschatologie als den „Wetterwinkel“ der Gegenwartstheologie zu bezeichnen8, erging es aber der Hoffnung nicht besser. Nachdem die Aufklärung den Glauben in Wissen aufzuheben suchte, und die Liebe, nach dem Urteil Romano Guardinis, in der frostigen Atmosphäre der Neuzeit erkaltete9, blieb die Hoffnung, wie Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht „Früher Mittag“ feststellt, von den göttlichen Tugenden zwar als einzige zurück, doch kauert sie „erblindet im Licht“10 und außer Stande, den dieses Licht ausstrahlenden „Stern der Müden“ wahrzunehmen. Denn der Hoffnung waren buchstäblich die Augen ausgestoßen worden, als sie im Gefolge des Säkularisierungsprozesses – der gleichzeitig die Eschatologie in ihre gegenwärtige Krise stürzte – von ihrem jenseitigen Erfüllungsziel abgekoppelt und auf innerweltlich Machbares zurückgenommen wurde, so daß nur noch auf irdische Wohlfahrt, nicht mehr jedoch auf den Anbruch des endzeitlichen Gottesreiches zu hoffen war. Da hilft es auch wenig, wenn sich das Gedicht Bachmanns in der Folge zu dem Aufruf steigert:

Lös ihr die Fessel, führ sie

die Halde herab, leg ihr

die Hand auf das Aug, daß sie

kein Schatten versengt!11

Noch einmal: Wie soll angesichts dieser ruinösen Situation noch geglaubt, geliebt und gehofft werden? Und wie können diese von der Tradition als „göttliche“ gerühmten Tugenden je noch Adressaten einer Anrufung sein?

Den hilfreichen Wink gibt der letzte Appellant an den Beistand der Musen: Dante. Hatte er in seiner „Göttlichen Komödie“ zu Beginn des „Purgatorio“ den geistigen Aufschwung noch von den Musen, allen voran von Kalliope, der Muse des dichterischen Wortes, erbeten, so zu Beginn des „Paradiso“ vom göttlichen Musenführer, von Apoll. Übertragen auf die Frage nach dem, worauf sich die Anrufung angesichts des Verfalls der göttlichen Tugenden noch richten kann, weist dieser Fingerzeig eindeutig auf den im Glauben Bejahten, in der Hoffnung Ersehnten und in der Liebe Geliebten hin: auf Jesus. Denn ihn kann man, um ein kühnes Wort Theodor Haeckers aufzunehmen, eher noch schlagen, als daß er zurückschlägt, immer noch finden, auch wenn er sich zu entziehen droht und darum auch dann noch anrufen, wenn er sich, wie in der Stunde seiner Passion, in antwortloses Schweigen zu hüllen scheint. Doch wie muß sich seine Anrufung gestalten?

Geistesgegenwart

Подняться наверх