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Vorwort

Wenn die Nietzsche-Forschung einen Beweis erbrachte, dann den ihrer Unabschließbarkeit. In der von ihm in Anspruch genommenen Unzeitgemäßheit erwies sich Nietzsche tatsächlich als der erst posthum für seine Weltwirksamkeit Geborene. Im Bewusstsein, dass seine Stunde noch kommen werde, konnte er seinen Zeitgenossen zurufen: „Ich komme zu früh, ich bin noch nicht an der Zeit!“ Unwillkürlich trat er damit in die Fußspur dessen, der von sich mit noch ungleich größerem Recht sagen konnte: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Das lenkt den Blick auf ein kaum beachtetes Defizit der Nietzsche-Forschung. Es zeichnet sich in den Äußerungen jener Autoren ab, die aufgrund einer unverkennbaren Voreingenommenheit die Dominanz des Gottesproblems im kritischen Spätwerk Nietzsches bestreiten, und denen offensichtlich entging, dass das Christentum für Nietzsche letztlich eine Metapher Gottes ist. Darin ist es dann auch begründet, dass seine wiederholten Hinweise auf ein immer noch mögliches Christentum und auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen keine wirkliche Beachtung fanden. Wie er einer Nachlassnotiz zufolge hinter der vermeintlichen Selbstzersetzung Gottes seine „Häutung“ – „er zieht seine moralische Haut aus“ – wahrnahm, so ist für ihn ein Christentum jenseits seiner dogmatischen Festlegungen und seiner moralischen Selbstdarstellung noch jederzeit möglich.

Umgekehrt ist das dann aber auch Grund und Anlass, der Inversion in Nietzsches Kritik des Christentums nachzugehen und die bei ihm nur schwach konturierten Umrisslinien eines Christentums der Zukunft, soweit dies die Texte erlauben, auszuziehen. Die innerste Rechtfertigung dieses Vorhabens ergibt sich aus der Beobachtung, dass sich Nietzsches Verhältnis zu Jesus in der Mitte des Antichrist von dem einer mehr als kritischen Distanz in das einer von der Theologie bis zur Stunde nicht eingeholten Einfühlung verwandelt. Das dokumentiert der Satz, der von der Leidens- und Liebesgemeinschaft des Gekreuzigten mit denen spricht, „die ihm Böses tun“, und der es unausgesprochen lässt, ob er sich nur auf seine einstigen Peiniger bezieht.

Ich beschließe mit diesen Überlegungen den mit meiner Promotionsschrift über den Sinn des Satzes „Gott ist tot“ (1962) eröffneten Ring meiner Nietzsche-Studien, die ich mit einer Nietzsche-Hermeneutik (1980), mit ‚Gottsucher oder Antichrist?‘ (1982) und mit dem in einer Zweitauflage vorliegenden Taschenbuch ‚Nietzsche für Christen‘ (2000) fortgeführt habe. In dankbarer Erinnerung an die Heidelberger Zeit widme ich die Schrift meinem Freund und Weggefährten in der Nietzsche-Forschung, Gerd-Günther Grau.

München, 25. August 2001

Eugen Biser

Nietzsche - Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?

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