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Seit diesem Auftritt im Schloß Rudisdorf waren fünf Wochen verstrichen. Man machte Vorbereitungen zur Hochzeit. Vor sechs Jahren noch wäre das prächtige Schloß bei einer solchen Veranlassung ein wimmelnder Ameisenhaufen gewesen, denn die Frau Gräfin hatte es verstanden, so viel bedienende Hände um sich her in Thätigkeit zu versetzen, wie kaum ein indischer Radscha. Vor sechs Jahren noch hätten blendende Märchenpracht, licht- und lufttrunkene Wogen berauschender Feste dem Freier eine blonde Fee zugetragen – heute holte er die Braut aus verlassenen Gärten, die der Wildnis entgegenwucherten, aus dem statuengeschmückten Steinkoloß, wo die Schemen verrauschter Freuden, hinter Marmorsäulen hockend, sich von den Spinnen mit schmutzigen Schleiern verhängen ließen ... Im großen Saal hatte der Gutspächter Getreide aufgeschüttet; auf allen Fenstern lagen die weißen Läden, und wo ein Lichtstrahl eindrang, da fiel er auf ungefegtes Parkett und vollkommen leere Wände.

Es war gut, daß die erlauchten Herren, im Eisenhut und Panzerhemd, oder auch das federgeschmückte Barett auf den rothaarigen Köpfen, zwischen den glänzenden Marmorplatten der Ahnengalerie eingefügt, an den Wänden stillstehen mußten, daß ihre stolzblickenden Frauen und Töchter in Stuartkragen und starrer Goldstoffschleppe nicht hinunterrauschen konnten in den Gartensalon – sie hätten sicher den blinkenden Pfauenwedel oder die steifblättrige Rose aus den bleichen Händen fallen lassen und sie über dem Kopfe zusammengeschlagen; denn da kniete Ulrike – die echte Trachenberg, wie die Gräfin immer sagte – sie hatte die mottenzerfressenen Bezüge von den Sofas und Lehnstühlen gerissen und schlug mit eigenen gräflichen Händen die Nägel in den großblumigen Zitz, der neuglänzend die Polster deckte. Die alte Lene aber rieb und bohrte das wurmstichige Holz der Möbel, bis ein matter Glanz unter ihren Fäusten entstand und die Linien der eingefügten Prachtmuster schattenhaft hervorkamen. Dank dem rechtzeitig eingetroffenen Buchhändlerhonorar standen auch neue zierliche Sessel und Blumentische von Korbgeflecht umher. Nun stieg Epheugespinst an den weißen Wänden empor, und aus Gruppen breiter Blattpflanzen hingen Draperien von Clematis und Immergrün auf das Parkett herab. Ein Odem von behaglicher Traulichkeit durchwehte den erst so kahlen Salon, und das war notwendig, denn hier sollte das Hochzeitsfrühstück eingenommen werden.

Während dieser Vorkehrungen schweifte Liane mit Botanisierbüchse und Grabscheit an der Seite ihres Bruders durch Wald und Feld, als habe sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen. Der Bruder vergaß über allen Wundern der Schöpfung, daß sein kleiner Famulus am längsten mit ihm zusammen gelebt und gestrebt habe, und von den Lippen der Schwester kamen geläufig lateinische Namen und kritische Bemerkungen, nie aber auch nur der Name des fernen Verlobten. Es war ein seltsamer Brautstand.

Im Elternhause hatte Liane wohl manchmal die Mainaus nennen hören – ein Lutowiski hatte eine Mainau heimgeführt –, aber nie hatte ein persönlicher Verkehr mit den entfernten Verwandten stattgefunden. Da waren plötzlich Briefe aus Schönwerth an die Gräfin Trachenberg eingelaufen, die eifrig beantwortet wurden, und eines Tages kündigte Ihro Erlaucht der jüngsten Tochter kurz und bündig an, daß sie über deren Hand verfügt und sie dem Vetter Mainau zugesagt habe, wobei die jeden etwaigen Widerspruch mit der Bemerkung abschnitt, daß sie genau auf dieselbe Weise verlobt worden und dies die einzig standesgemäße Form sei ... Dann war der Bräutigam unerwartet gekommen, Liane hatte kaum Zeit gefunden, ihr von Wind und Gesträuch zerwühltes Haar unter den berüchtigten Samtschleifen zu verbergen, da war sie schon in das Zimmer der Mutter befohlen worden. Wie dann alles gekommen, wußte sie selbst kaum. Ein schöner großer Mann war ihr aus der Fensternische entgegengetreten; hinter ihm hatte die volle glühende Frühlingssonne durch die Scheiben gefunkelt und sie gezwungen, die Augen niederzuschlagen. Darauf hatte er fast väterlich freundlich zu ihr gesprochen und ihr schließlich seine Hand hingehalten, in die sie auf Befehl der Mutter, noch mehr aber auf die vorhergegangenen geheimen und inständigen Bitten Ulrikens hin, die ihrige gelegt. Er war sofort wieder abgereist, zur unaussprechlichen Erleichterung der Gräfin Trachenberg; denn wie aufgescheuchte Gespenster waren ihre Gedanken während der Verlobung durch die öden Kellerräume oder die todeseinsamen Johannisbeersaftetiketten hingeirrt, und die alte Lene hatte drunten in der Küche ihr Gehirn zermartert, wie sie wohl mit den letzten fünf Eiern und einem Restchen Kalbsbraten ein gräfliches Diner herrichte.

Alles die Hochzeit Betreffende wurde zwischen dem Bräutigam und der Mutter schriftlich vereinbart, und nur dem Brautgeschenke hatten einige Zeilen für Liane beigelegen, Zeilen voll ausgesuchter Höflichkeit und Galanterie, aber auch fremd und förmlich – sie wurden mit kalten Augen gelesen und lagen seitdem unberührt bei dem Schmuck im Kasten. Es war dies alles aber so »prächtig standesgemäß und aristokratisch steif« und das »Hineinfinden« Lianens, ihre widerspruchslose Ruhe befriedigten die Gräfin Mutter so sehr, daß sie sich einige Tage nach der stürmischen Szene wieder herbeiließ, mit ihren Kindern zu essen und dann und wann ein gnädiges Wort an sie zu richten. Sie wußte freilich nicht, daß das junge Mädchen unter dem Trennungsschmerze bereits unsäglich litt – das aber erfuhren ja selbst die Geschwister nicht ...

Der Hochzeitsmorgen war da – ein kühler, grauverhangener Julimorgen. Nach trockenheißen Tagen tröpfelte ein sanfter Regen durch das Gehölzdickicht, und draußen auf den großen ausgedörrten Staudenblättern der Rasenflächen klatschte er in leisem unermüdlichen Ticktack und sammelte sich zu rollenden Silberperlen. Aus Busch und Baum und von den Dachrinnen herab zwitscherten und schrieen die Vögel, und die alte Lene sah von ihren schmorenden Pfannen hinweg in das graue Geriesel hinein und freute sich, daß es der Braut in den Kranz regne.

Ein einziger Wagen rollte in den Schloßhof, noch dazu ein Mietwagen von der nächsten Eisenbahnstation. Während er in einer der ungeheuren leeren Remisen verschwand, stiegen die zwei Angekommenen langsam die Freitreppe des Schlosses hinauf. Baron Mainau zeigte sich auf die Minute pünktlich: er traf der Verabredung gemäß genau eine halbe Stunde vor der Trauung ein.

»Daß Gott erbarm' – das will ein Hochzeiter sein!« seufzte die alte Lene betrübt auf und trat vom Küchenfenster zurück.

Droben flog die Glasthür weit auf und die Gräfin Trachenberg eilte heraus. Die Regentropfen sprühten auf ihre dunkelviolette Samtschleppe und glitzerten in den schwarzen Scheitelpuffen neben einigen aus dem Schiffbruche geretteten Brillanten.

Schmachtend und mit sanfter Anmut streckte sie begrüßend die feinen Hände aus den reichen Spitzenärmeln – wer hätte ihnen zugetraut, daß sie einen schweren Gegenstand mit der Kraft der Furie zertrümmernd durch die Glasscheiben schleudern konnten!

Man flüchtete vor dem Regen in das Wohnzimmer der Gräfin, und Baron Mainau stellte seinen Trauzeugen, Herrn von Rüdiger, vor. Zwischen die leichte Plauderei, die sich an die Vorstellung knüpfte, kreischte ein Ara in der Fensternische, und auf dem verblichenen Fußteppich balgten sich knurrend zwei schneeweiße Exemplare einer kleinen Pudelrasse ... Hätte die alte Lene nicht eine dicke Guirlande über die Glasthür gehängt, durch welche der Bräutigam kommen mußte, und wäre nicht die effektvolle, königlich stolze Toilette der Gräfin gewesen, es hätte niemand einfallen können, an einen bevorstehenden feierlichen Akt in diesem Hause zu denken, so banal und obenhin plauderte die Dame, so gleichmütig und unbewegt stand die elegante schwarzbefrackte Gestalt des Bräutigams am Fenster und sah in den stäubenden Regen hinaus, und eine so tiefe Stille und Oede lag seit dem Verrollen der vier Wagenräder wieder über dem weiten, verlassenen Schlosse. Herr von Rüdiger wußte, daß es sich bei dieser Vermählung wie um ein Geschäft handelte; er war selbst zu sehr Weltmann und Kavalier, um ein solches Uebereinkommen nicht ganz in der Ordnung zu finden; aber die spukhafte Einsamkeit ging dem kleinen Beweglichen denn doch »über den Spaß« – es lief ihm fröstelnd über den Rücken, und er atmete ängstlich auf, als endlich der Flügel der gegenüberliegenden Thür feierlich langsam zurückgeschlagen wurde.

Von Ulrike gefolgt, trat die Braut am Arme ihres Bruders ein. Der Schleier fiel über ihr Gesicht bis auf die Brust herab, vom Hinterkopfe aber wallte er auf den Saum des weißen Tüllkleides nieder, das in strenger Einfachheit am Halse schloß und nur mit einigen Myrthenzweigen besteckt war – da war kein Faden der silberstrotzenden Robe zu sehen; die einfachste Bürgerbraut konnte nicht bescheidener geschmückt sein. Sie kam mit gesenkten Augen näher und bemerkte so weder den großen, befremdeten Blick, mit welchem Baron Mainau sie maß, noch den darauffolgenden spöttisch mitleidigen Ausdruck in seinen Zügen – aber die schauerte in sich zusammen, als ihre Mutter in jähem Schrecken auf sie losfuhr.

»Was soll das heißen, Mädchen? Wie siehst du denn aus? Bist du toll?« Das war der Weihespruch, mit welchem die ergrimmte Frau das junge Mädchen auf seinem ernsten Gange begrüßte. Sie war so empört und vergaß sich so weit, daß sie die Hand hob, um die Tochter über die Schwelle zurückzuschieben. »Du gehst sofort auf dein Zimmer und machst andere Toilette« – sie verstummte unwillkürlich; Baron Mainau hatte die dräuende Hand erfaßt; er schwieg, aber mit Blick und Gebärde verbat er sich so energisch jegliche weitere Auslassung, daß sich schlechterdings nichts mehr sagen ließ.

Hinter einem der zurückgeschlagenen Thürflügel belauschte die alte Lene mit stockendem Atem den Vorgang und wartete nun mit wahrer Inbrunst auf den Moment, wo der Bräutigam ihre »schöne, schlanke Gräfin« in seine Arme nehmen und herzhaft küssen werde; »aber dem Stock, dem steifen Peter« fiel das gar nicht ein – mit einigen freundlichen Worten zog er die herabhängende Hand der Braut so leicht und flüchtig an seine Lippen, als fürchte er, sie zu zerbrechen – dabei überreichte er ihr ein prachtvolles Boukett.

»Blumen haben wir selber,« grollte die Alte und ließ ihren Blick den Korridor entlang schweifen, den sie dick mit Tannengrün und Blumen bestreut hatte ... Gleich darauf rieselte das verhängnisvolle Tüllkleid über alle die Monatsrosen und Geraniumblüten, und die Gräfin Mutter, welche nach Fassung ringend am Arm des bestürzten Herrn von Rüdiger dem Brautpaar folgte, kehrte mit ihrer schweren Samtschleppe die armen Dinger auf einen Haufen zusammen ...

Die steinernen Apostelköpfe, die Kanzel und Altar der Rudisdorfer Schloßkirche umkreisten, hatten wohl oft auf ein blasses, freudloses Brautgesicht niedergesehen, hatten manchmal das »Ja« von männlichen Lippen leidenschaftslos und kaltgeschlossen aussprechen hören – denn es war niemals Sitte im Trachenberger Hause gewesen, die Töchter um ihre Meinung zu befragen, noch der »sentimentalen Liebe« irgend welche Berechtigung zuzugestehen – aber noch nie war eine Trauung so ohne Sang und Klang vollzogen worden. Der Bräutigam hatte sich alle müßigen Zeugen und Gaffer ernstlich verbeten. Was würden sie auch alles zu flüstern gehabt haben über den schönen Mann, der allerdings ritterlich galant seine Braut führte, aber keinen Blick für die hatte! Nur einmal, als sie knieend den Segen empfing, schien es, als gleite sein Auge momentan gefesselt an ihr nieder – ihre Flechten hingen über die Schultern hinab und lagen lang und schwer, wie träge, in rotem Gold funkelnde Schlangen, neben ihr auf dem weißen Steingetäfel des Fußbodens.

Und nach der Zeremonie, wie trieb der Mann zur Eile! Der Geistliche hatte zu lange gesprochen, und der nächste Zug sollte um keinen Preis versäumt werden ... Noch während der Trauung waren einzelne Regentropfen gegen das bunte Glas der Kirchenfenster geflogen – die einzige Musik, welche flüsternd die Einsegnungsformel begleitet hatte – nun brach die Sonne durch das zerflatternde Grau droben; sie entzündete in der bleifarbenen Fontänensäule tausend zuckende Lichter; sie lief durch die dunkle feuchtatmende Allee, über das wogende Gras hin und wischte mit ihrem Feuersaum die Thränentropfen von den Blumenblättern; aber sie funkelte auch in den getriebenen Löwenköpfen des mächtigen silbernen Eiskübels, der mit der ganzen Anmaßung einer glanzvollen Vergangenheit im Gartensalon neben dem Frühstückstisch stand – er konnte freilich nicht wissen, daß mancher alte, brave Kamerad, der Jahrhunderte hindurch neben ihm im Silberschranke gestanden, inmitten der Eisstücke und unter der Cliquot-Etikette vergeistigt moussierte ... Man nahm das Frühstück stehend ein. Die drei Geschwister aber rührten keinen Bissen an und beteiligten sich auch nicht an dem Gespräche, das der Geistliche angeregt. Sie standen zusammen und sprachen halb flüsternd, und Graf Magnus hielt mit thränenverschleiertem Blick Lianens Hand – erst in diesem Augenblicke schien sich der stille, menschenscheue Gelehrte bewußt zu werden, was er verlor.

»Juliane, darf ich bitten? – Es ist Zeit!« sagte plötzlich Baron Mainau in das Stimmengesurr hinein – er war an die Braut herangetreten und hielt ihr seine Uhr hin, die ihre kalten Brillantblitze über sie hinschleuderte.

Sie fuhr erschrocken zusammen – zum erstenmal wurde sie von dieser Stimme beim Namen genannt; er sprach ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit aus, dennoch – wie hart, wie fremd klang er ihr in seiner Unverkürztheit! Selbst die strenge, liebeleere Mutter hatte sie nie so gerufen ... Sie verbeugte sich leicht gegen ihn und die Anwesenden und verließ, von Ulrike begleitet, den Salon.

Schweigend, aber wie gejagt, eilten die Schwestern treppauf, in das gemeinschaftliche Wohnzimmer.

»Liane, er ist schrecklich!« schrie Ulrike auf, als die Thür hinter ihnen zugefallen war – und in einen Thränenstrom ausbrechend, warf sich das sonst so unerschütterliche ruhige Mädchen auf das Sofa und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.

»Still, still – mache mir das Herz nicht schwer! ... Hast du es anders erwartet? – Ich nicht,« beschwichtigte Liane, während ein bitteres Lächeln schattenhaft über ihr tieferblaßtes Gesichtchen glitt. Sie nahm die schöne Myrthenkrone vorsichtig aus dem Haare und legte sie in den Schrein, der bis dahin alle kleinen Andenken aus der Pensionszeit in sich geschlossen ... In wenigen Minuten war die Brauttoilette mit dem grauen Reisekleide vertauscht; der runde, mit einem dichten grauen Schleier besteckte Hut wurde unter dem Kinne gebunden und die Hände glitten in die Handschuhe.

»Und nun noch einmal zu Papa!« sagte Liane gepreßt und griff nach dem Sonnenschirme.

»Nur noch einen Augenblick –« bat Ulrike.

»Halte mich nicht zurück – ich darf Mainau nicht warten lassen,« versetzte die junge Dame ernst. Sie umschlang die Schultern der Schwester und trat mit ihr über die Schwelle.

Die sogenannte Marmorgalerie lag in der Bel-Etage und lief in der gleiche Richtung mit der drunten sich hinbreitenden Terrasse, auf welche der Gartensalon mündete. Die Schwestern durchschritten sie, umfangen von der tiefen Dämmerung, welche die festgeschlossenen Läden verbreiteten, in ihrer ganzen ungeheuren Länge bis an das äußerste Ende, wo das Tageslicht, dünn und gespenstig hereinschlüpfend, bleiche Reflexe in dem spiegelglatten, rötlich glänzenden Marmorfußboden weckte. Ulrike stieß den Laden geräuschlos auf; alle die Porträts der geharnischten Männer mit dem feurig roten Schnurrbarte und den dräuenden Mienen blieben tief im Dunkel; der volle Sonnenschein konzentrierte sich verklärend auf dem Bildnisse einer erwürdigen Greisengestalt, welche die volle weiße Hand auf den Tischteppich gelegt, vor einem braunen Samtvorhange saß. Das unschöne Wahrzeichen der Trachenberg, das rotflammende Haupt- und Barthaar, hatte sich hier in seiden-weiches Silber umgewandelt und lag voll und glänzend auf dem Scheitel und der Oberlippe.

»Lieber, lieber Papa!« flüsterte Liane und hob die gefalteten Hände zu ihm empor – sie war sein Stolz, sein Liebling, sein Nesthäkchen gewesen, dessen Köpfchen oft schlafend an seiner Brust gelegen und das er noch im schweren Todeskampfe mit der unsicheren Hand schmeichelnd geliebkost hatte ... Seitwärts dämmerte ein Frauenbild, eine hagere, steifgestreckte Gestalt; ihre Schleppe umsäumte Hermelin; auch die entblößten Schultern hoben sich spitz und gelb aus dem weißen Pelze, und auf der hohen Frisur saß ein feines Krönchen – das war Lianens Großmutter väterlicherseits, auch eine Prinzessin, aber aus einem kleinen souveränen Fürstenhause. In diesem steifgeschnürten Leibe hatte kein warmes Herz geklopft – die hellen kalten Augen stierten unbarmherzig auf die Enkelin nieder, die niedergeschlagen, mit thränenumflorten Blicke das alte Erbschloß verließ, um dem Glanze und Reichtume entgegen zu gehen. Sie reckte den dürren Arm mit dem elfenbeinbesetzten Fächer in die Tiefe der Galerie hinein, als wollte sie, mit dieser Bewegung über die Bilderreihe hingleitend, sagen: »Lauter Konvenienzheiraten, auserwählte Geschlechter, berufen nicht zum Lieben, wohl aber zum Herrschen bis in alle Ewigkeit ...«

Und es klang, als gehe ein Flüstern von Lippe zu Lippe – es war aber nur der Zugwind, der hereinsäuselte und den erdentstiegenen Duft, den der Regen geweckt, bis hinunter an die uralten Holztafeln mit den Geharnischten trug ... Draußen auf der Terrasse wurde es aber auch lebendig von Männerschritten, die langsam wandelnd vom Gartensalon herkamen und erst am äußersten Ende in gleicher Richtung mit dem offenen Galeriefenster verstummten. Die Schwestern blickten verstohlen hinab. Baron Mainau stand an der Terrassenbrüstung und sah halb abgewendet in die Gegend hinaus – ein vollständig anderer als der kühle, gehaltene Bräutigam, der bei der Zeremonie pünktlich und tadellos seine Schuldigkeit gethan, nun aber auch mit sichtlichem Wohlbehagen alles abzuschütteln suchte, was seine stolze, aber auch feurig gewandte Erscheinung für Augenblicke gleichsam in eine Schablone gezwungen hatte. Er war vollkommen reisefertig und hatte sich eine Zigarre angebrannt, deren blaue Wölkchen bis hinauf in die Marmorgalerie stiegen.

»Ich sage nicht ›Schönheit‹ – mein Gott, wie vieltausendfältig ist auch der Begriff!« fuhr Freund Rüdiger fort, dessen etwas hohe, weiche Stimme schon während der Wanderung in einzelnen Lauten heraufgeklungen war – jetzt hörte man scharf und klar jede einzelne Silbe. »Nun ja, diese kleine Liane hat weder eine römische, noch eine griechische Nase – bah, ist auch gar nicht nötig – das Gesichtchen ist so unsagbar lieblich.«

Baron Mainau zuckte die Achseln. »Hm, ja,« sagte er in unverkennbar persiflierendem Tone, »ein sittig und bescheiden Mägdelein von furchtsamem Charakter, mit schwärmerischen Mienen und blassen Veilchenaugen à la Lavallière – was weiß ich« – er brach wie gelangweilt ab und zeigte mit einer lebhaften Bewegung in die Landschaft hinaus. »Da sie 'mal her, Rüdiger! Der Mensch, der den Rudisdorfer Park angelegt hat, ist wirklich ein genialer Kopf gewesen – effektvoller könnte doch der hochgelegene Renaissancebau da drüben nicht herausgehoben worden sein als durch diese wundervolle Buchengruppen.«

»Ach was!« versetzte Herr von Rüdiger geärgert. »Dafür habe ich nie Augen gehabt, das weißt du ... Ein schönes Frauenauge, ein schönes Frauenhaar – tausend noch einmal, war waren das für Flechten, die am Altare heute zu deinen Füßen lagen!«

»Eine etwas verblaßte Schattierung der Trachenbergschen Familienfarbe,« sagte Mainau leichthin. »Meinetwegen! Das Titianhaar ist ja jetzt en vogue – die Romane wimmeln von rotköpfigen Heldinnen, die alle unsäglich geliebt werden – Geschmacksache! ... An einer Geliebten wäre es mir undenkbar, aber bei meiner Frau –!!« Er stäubte am Terrassengeländer die Asche seiner Zigarre und rauchte behaglich weiter.

Liane zog instinktmäßig den dichten Schleier über das Gesicht; nicht einmal die Schwester, die in wortlosem Grimme und Schmerze auf den Sprechenden hinunterstarrte, durfte die tiefe Glut der Scham, der Demütigung auf ihren Wangen sehen. – Drüben umkreiste die Gräfin Trachenberg an der Seite des Geistlichen das Parterre; sie kam rasch näher und eilte die Treppe der Terrasse herauf.

»Auf ein Wort, bester Raoul!« bat sie und legte ihren Arm in den seinigen. Langsam mit ihm auf und ab gehend, plauderte sie über alltägliche Dinge, bis die beiden anderen Herren sich so weit entfernt hatten, daß sie kein Wort mehr auffangen konnten.

»Apropos,« sagte sie plötzlich stehen bleibend, »du wirst meinem besorgten Mutterherzen Rechnung tragen und mich nicht für gar zu indiskret halten, wenn ich noch im letzten Augenblicke eine penible Angelegenheit berühre – darf ich erfahren, wieviel Nadelgeld du Lianen zugestehst?«

Die Schwestern konnten sehen, wie er amüsiert die Frau mit dem »besorgten Mutterherzen« fixierte.

»Genau so viel, wie ich meiner ersten Frau zugestanden habe – dreitausend Thaler.«

Die Gräfin nickte befriedigt. »Die kann sich freuen – ich war als junge Frau übler dran.« – Der Mann neben ihr belächelte spöttisch den tiefen Seufzer, den sie ausstieß. – »Und nicht wahr, Raoul, du bist auch ein wenig gut mit ihr?« setzte sie affektiert gefühlvoll hinzu.

»Was verstehen Sie darunter, Tante?« fragte er, sofort seinen Schritt hemmend, mit mißtrauischem Blicke und in sehr scharfem Tone. »Halten Sie mich für so plump und taktlos, daß ich gegenüber meiner Frau, der Trägerin meines Namens, jemals die schuldige Artigkeit aus den Augen setzen könnte? ... Wollen Sie aber mehr, dann ist es gegen die Abrede. – Ich brauche eine Mutter für meinen Knaben und eine Herrin für mein Haus, die mich in meiner Abwesenheit vertritt – und ich werde viel, sehr viel abwesend sein. Das alles wissend, haben Sie mir Juliane als ein sanftes, weibliches Wesen zugesagt, das sich vortrefflich in die Stellung finden werde ... Liebe kann ich ihr nicht geben; ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen.«

Schmerzlich aufweinend breitete Ulrike ihre Arme aus und zog die Schwester an ihr Herz.

»Um Gott – ereifere dich doch nicht, Raoul!« bat eingeschüchtert die Gräfin drunten. »Du hast mich völlig mißverstanden. Wer spricht denn von einem so sentimentalen Verhältnis? Das könnte doch mir am allerwenigsten einfallen ... Ich appelliere einfach an deine Nachsicht. Du hast ja heute selbst gesehen, wie weit das ›ewig Weibliche‹ in seiner Bescheidenheit gehen kann – uns einen solchen Streich zu spielen mit der Brauttoilette!«

»Lassen Sie das, Tante – Juliane kann darin handeln, wie sie Lust hat. Wenn sie sich in die Verhältnisse zu schicken weiß –«

»Dafür stehe ich ein ... Gott – es ist ja so unsäglich traurig, es ausprechen zu müssen – aber Magnus ist eine Schlafmütze, ein Mann ohne alle Energie, eine Null, allein was ich an ihm verabscheue, das ziert seine Schwester – Liane ist ein unbeschreiblich harmloses Kind, und wenn erst Ulrike, der böse Geist meines Hauses, nicht mehr auf sie einzuwirken vermag, dann kannst du sie um den Finger wickeln.«

»Mama ist sehr rasch in ihrem Urteil,« sagte Liane bitter, während die Schritte der Sprechenden drunten sich immer weiter entfernten. »Sie hat sich nie Mühe gegeben, einen Blick in mein Seelenleben zu werfen – wir waren zu allen Zeiten Fremden überlassen ... Warum weinst du, Ulrike ... Wir dürfen auf den kalten Egoisten da unten keinen Stein werfen – habe ich denn mein Herz befragt, als ich meine Hand in die seinige legte? Ich habe ›Ja‹ gesagt aus Furcht vor Mama –«

»Und aus Liebe zu mir und Magnus,« ergänzte Ulrike mit so tonloser Stimme, als sei sie für immer gebrochen an Leib und Seele. »Wir haben alles aufgeboten, dich zu überreden; wir wollten dich retten aus der Hölle unseres Hauses und sind nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen, daß du Liebe finden müßtest, wohin du auch kämest – und nun wird sie dir so systematisch verweigert ... Du, so jung –«

»So jung? ... Ulrike, ich werde im nächsten Monat einundzwanzig Jahre alt; wir haben viel Bitteres und Schmerzliches zusammen verlebt – ich bin durchaus nicht das Kind an Erfahrung und Lebensanschauung, als welches Mama mich eben hingestellt hat ... Laß mich ohne Sorge mit Mainau gehen – ich will seine Liebe nicht, und bin stolz genug, ihn darüber nie im Zweifel zu lassen. Meine Institutszeugnisse bezüglich der Sprachfertigkeit geben mir sehr viel Mut – die Baronin Mainau zieht heute in Schönwerth ein, in Wahrheit aber nur die Erzieherin des kleinen Leo. Ich habe dann einen edlen Wirkungskreis und kann vielleicht manches Gute stiften – mehr will ich nicht für mein ganzes Leben ... Lasse und jetzt Abschied nehmen, Ulrike – bleibe hier bei Papa, während ich das Haus verlasse!«

Sie umarmte die zurückbleibende Schwester wiederholt und stürmisch, dann flog sie, ohne noch einmal die Augen zurückzuwenden, durch die Marmorgalerie hinüber in das Wohnzimmer ihrer Mutter. Dort stand Magnus am Fenster und sah nach dem Wagen, der bereits am Fuße der Freitreppe hielt; die Gräfin Trachenberg kam eben mit den drei Herren über den Schloßhof her. Es war gut, daß sie nicht sehen konnte, wie ihr Sohn, die »Schlafmütze«, der »Mensch ohne alle Energie«, bitterlich weinend die Schwester umfangen hielt – wie würde sie gezürnt haben über diesen herzzerreißenden Abschied, der »so wenig standesgemäß« war!

Liane stieg mit festen Schritt, den Schleier über das Gesicht gezogen, die Treppe hinab. »Geh mit Gott und meinem Segen, liebes Kind!« sagte die Gräfin mit theatralischer Gebärde und ließ die Hand einen Moment über dem Haupte der Tochter schweben; dann hob sie den Schleier empor und berührte die weiße Stirn der jungen Frau mit kühlen Lippen.

Wenige Minuten darauf rollte der Wagen auf der Chaussee, die nach der nächsten Eisenbahnstation führte.

Die zweite Frau

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