Читать книгу Die zweite Frau - Eugenie Marlitt - Страница 8

6.

Оглавление

Da stand die junge Dame allein, inmitten einer wildfremden Umgebung. Im ersten Augenblicke gab sie dem Gefühle einer fast sinnlosen Angst nach – sie lief durch die Gemächer und griff auf jedes Thürschloß; nein, sie war nicht gefangen, selbst die ins Freie führende Glasthür des einen Salons flog sofort unter dem Drucke ihrer Hand auf, und nichts hinderte sie, das Haus flüchtend zu verlassen ... Flüchten? War sie denn nicht freiwillig hierhergekommen? Hatte es nicht doch einzig und allein in ihrer Hand gelegen, nein zu sagen, trotz der grimmig drohenden Blicke der Mutter und der Bitten der Geschwister? ... Sie hatte sich stumpfsinnig einem furchtbaren Irrtume hingegeben, und an diesem Irrtume trug ihr Institutsleben die Schuld. Die meisten ihrer Mitschülerinnen, Töchter der ältesten Adelsfamilien, hatten schon nicht mehr über ihre Hand zu verfügen gehabt; sie waren durch Uebereinkommen der Eltern versprochen gewesen und waren fast alle vom Institute aus durch einen sehr kurzen, erklärten Brautstand in die Ehe gegangen, ja, eine derselben, eine schöne junge Dame, von welcher Liane wußte, daß sie eine tiefe Liebe zu einem Bürgerlichen im Herzen trug, hatte sich, ohne ein Wort des Widerspruchs, mit einem alternden Standesherrn verheiratet ... Unter dem Einfluß dieser Erfahrungen und Anschauungen und bestärkt durch Mutter und Geschwister, hatte sie gewähnt, daß dazu gar kein besonderer Entschluß gehöre – vielmehr ergebe er sich von selbst aus den gebotenen Verhältnissen. Magnus und Ulrike hatten sie retten wollen aus der Hölle daheim, und sie hatte sich retten lassen – nicht das mindeste Recht stand ihr zu, Mainau anzuklagen, daß er sie betrogen habe. Sie brachte ja auch nichts mit, als den guten Willen, treulich den neuen Pflichten zu leben. Wie fielen ihr jetzt die Schuppen von den Augen! Sie war für immer losgetrennt von denen, die sie liebte, und hatte nicht die geringste Hoffnung, für dieses Aufgeben je entschädigt zu werden; ja, sie mußte sich auf eine Art Gefrierpunkt dem Manne gegenüberstellen, an den sie zeitlebens gekettet war, der ihr keine Liebe geben konnte und nichts weniger wünschte, als von ihr geliebt zu werden ... Ein ganzes langes Leben in der Fremde ohne das Gefühl, einwurzeln zu dürfen durch gegenseitige Sympathie! ...

Sie warf einen Blick nach oben – er blieb in Wolken von strahlend blauem Atlas hängen. Jetzt erst sah sie, daß dieser glänzende Stoff sie umriesele, als schwimme sie im Aether ... Nach der bitteren Ironie, mit welcher Mainau von ihr gesprochen, mochte die Frau, die hier gewohnt, wohl ein eigensinniges Köpfchen gewesen sein, ein verzogenes Kind, das in übler Laune mit den kleinen Füßen stampfte und den zarten, verwöhnten Körper rücksichtslos hintenüberwarf, und das konnte sie hier ungestraft – unter den Füßen schwoll ein zolldicker, mit blauen Cyanen bestreuter Teppich, und in dem ganzen kleinen, üppigen Boudoir war nicht eine harte Holzkante zu sehen – Polster und weicher, gleißender Atlas, wohin man sah! ... Liane öffnete ein Fenster – diese Verstorbene mußte sich in Jasminduft förmlich gebadet haben; er füllte betäubend die Luft und entströmte selbst den Gardinen und Wandbehängen. Zog nicht in diesem Augenblicke, wo die zweite Frau mit dem eigenmächtigen Oeffnen des Fensters gleichsam von diesen Räumen Besitz ergriff, »die flatternde, aus Spitzen gewobene Seele«, die auf den Engelsflügeln strenger Frömmigkeit in den Himmel zurückgekehrt sein sollte, zürnend und aufseufzend droben am Plafond hin? Wie ein Hauch, und doch bestimmt, hatte der weiche Klagelaut einer Frauenstimme Lianens Ohr berührt. Sie blieb mit zurückgehaltenem Atem stehen und horchte. Da trat das Kammermädchen ein, um zu melden, daß zur Toilette alles vorgerichtet sei.

»Was ist das?« fragte die junge Dame – sie war im Begriff, über die Schwelle des Nebenzimmers zu gehen, als jener eigenthümliche Klang wieder durch das Zimmer schwebte – diesmal kam er unbestritten durch das Fenster.

»Da drüben in dem Baume hängen Windharfen, gnädige Frau,« versetzte das Mädchen.

Sie sah hinüber und schüttelte den Kopf. »Aber es rührt sich ja kein Lüftchen!«

»Vielleicht kommt es von dorther, wo die Frau seit vielen Jahren krank liegt,« meinte sie und zeigte nach dem fern vorüberlaufenden Drahtgitter, hinter welchem ein rötlich blinkender Obelisk in die Lüfte stieg. »Ich weiß es nicht – ich bin selbst erst seit acht Tagen in Schönwerth ... Die Leute kümmern sich nicht darum, und in der Küche sagten sie nur, sie hätte das Gnadenbrot im Hause – schrecklich – sie soll nicht einmal getauft sein ... Hinter das Gitter traue ich mich nicht – ich fürchte mich vor dem großen, türkischen Ochsen, und die Bäume wimmeln von Affen – greuliche Tiere - puh!«

Liane ging schweigend in das Nebenzimmer und überließ sich den flinken Händen der Redseligen. Diesmal rauschte und klirrte der Silberstoff um die bräutliche Gestalt her, und als sie nach einer halben Stunde im blauen Boudoir Mainau entgegentrat, da fuhr er sichtlich zurück ... Die »Hopfenstange« verstand es, die Silberschleppe zu tragen, die »Hopfenstange« hatte Schultern und Arme von so unvergleichlicher Schönheit, daß nur völliger Mangel an Koketterie und ein keusches, ernstes Denken diese Vorzüge bisher achtlos unter verhüllenden Stoffen hatten verbergen mögen ... Ein Orangenblütenkranz lag in dem hochaufschwellenden, vielverhöhnten Rothaar – es hob sich in wuchtiger Pracht, wie mit goldfunkelndem Tau überhaucht, von den blauglänzenden Wänden des Zimmers.

»Ich danke dir, Juliane, daß du deine Vorliebe für ein bescheidenes Auftreten so taktvoll unterdrückst und in meinem Hause erscheinst, wie es deine Stellung nun einmal verlangt,« sagte er freundlich, wenn auch ohne Betroffenheit im Ton.

Sie hob die dunkelblonden Wimpern – das waren keine blassen Veilchenaugen à la Lavallière – ein Paar großer, dunkelgrauer Augensterne voll Klugheit, aber auch voll finsteren Ernstes sahen ihn fest an. »Denken Sie nicht zu gut von mir!« versetzte sie gelassen – noch brachte sie das »Du«, das ihm so geläufig war, nicht über ihre Lippen. »Nicht aus Bescheidenheit bin ich in Rudisdorf einfach an den Altar getreten – nennen Sie es Stolz, Hochmut, wie Sie wollen ... Ich weiß recht gut, daß verschiedene Frauen in der Rudisdorfer Marmorgalerie den Hermelin um Schultern und Schleppe tragen – ich habe auch ein Anrecht daran und werde es zu behaupten wissen ... Gerade deshalb mochte ich diese geschenkte Pracht hier,« sie strich mit der Hand über die steife Robe, »nicht an mir leiden und durch mein Vaterhaus schleifen, von welchem uns augenblicklich kein Stein gehört. Ich meinte, das Geräusch müsse alle die Trachenberger aufwecken, die unter dem Altar in der Gruft schlafen – und ihnen ist gerade jetzt der Schlaf zu gönnen ... Hier repräsentiere ich Ihren Namen und dazu gehört das Geschenk.«

Er biß sich auf die Lippen. Etwas wie eine unliebsame, zornige Ueberraschung lag in dem Blicke, der bald an dem zarten, ruhig sprechenden Munde hing, bald sich in die unerschrockenen Augen bohrte, die nicht zurückwichen.

»Nun, die Trachenberger dürften getrost aufwachen,« sagte er sarkastisch. »Ihr weltbekannter Familienstolz lebt ja fort und weiß sehr energisch aufzutreten, und das hätte sie über die leeren Truhen – die du soeben betontest – sicher getröstet.«

Sie schwieg und trat langsam und majestätisch über die Schwelle der Thür, die er mit einer fast ironisch tiefen Verbeugung öffnete ... Wie er so an ihrer Seite dahinschritt, war er ein vollkommen anderer, als der frivole Weltmann, der die in Rudisdorf mit einer so graziösen Leichtigkeit, als gehe es zur Tafel, an den Altar geführt – er war ein anderer, als der kühne Bändiger der wildjagenden Rosse, der bei der Begegnung im Walde, strahlend vor Triumph, der bleichen, dahinfließenden Fürstin nachgesehen hatte – in diesem Augenblicke kämpfte er denselben Kampf, den seine junge Frau eben durchgemacht; er bereute tief und sichtlich den Schritt, den er im Vertrauen auf die Beteuerungen der Gräfin Trachenberg gewagt – sie hatte ihm ja fälschlicherweise eine Frau versprochen, »die er um den Finger wickeln könnte« ... Noch war es Zeit, noch hatte seine Kirche das ewig bindende Wort nicht gesprochen, das jede Scheidung verneint – das Rauschen der langen, schweren Schleppe verstummte plötzlich; die junge Dame zögerte, den Fuß weiterzusetzen; sie hob die Hand, die auf seinem Arme lag – notgedrungen hielt er den Schritt an und wandte befremdet das so nachdenklich gewordene Gesicht nach ihr; ein einziges Hinstreifen seiner Augen über ihr tieferblaßtes Antlitz mochte ihn belehren, was in ihr vorging – mit einem ausdrucksvoll spöttischen Lächeln empfing er die niedergleitende Hand, legte sie wieder auf den Arm, wo er sie augenblicklich festhielt, und schritt weiter durch das Spalier, das die festlich geschmückten Schloßleute vor der gewaltigen, erzenen Kirchenthür bildeten ... Nun denn – er war trotzalledem entschlossen, und sie ging mit ihm; aber nicht wie ein in sein Schicksal ergebenes Opferlamm – die stolze Prinzessin Großmutter in der Ahnengalerie hätte sicher nichts auszusetzen gewußt an den majestätischen Gebärden der Enkelin, an dem verschlossenen ruhigen Gesicht, das nicht im entferntesten auf das beschleunigte Klopfen eines erregten Herzens schließen ließ.

Mit welchem Glanz wurde hier der Betrug in Szene gesetzt! Ein Silberreichtum, wie ihn Liane selbst in Rudisdorf, in den versunkenen Zeiten der Pracht nie gesehen, umringte und bedeckte den Altar, Hunderte von Flammen auf mattblinkenden Armen emportragend, und die Orangerie, die der alte kranke Mann zur Begrüßung der einziehenden neuen Herrin verweigert hatte, hier dunkelte und duftete sie zu Ehren der heiligen Handlung – ein wahrer Wald breitästiger, mit Blüten bedeckter Bäume. Durchzuckt von den bleichen Lichtflammen und dem goldenglühenden Strahl der hereinfallenden Abendsonne, wogten erstickende Weihrauchwolken in dem säulengetragenen Raume; wie durch einen Nebel sah Liane die Köpfe vieler Anwesenden aus den Betstühlen auftauchen, sah seitwärts die rotseidene Steppdecke leuchte, auf welcher die blassen Hände des Hofmarschalls gefaltet lagen, und das prächtige Meßgewand des Priesters von den Stufen des Altars herabflimmern. Hoch und gebietend stand er droben – sie erschrak, als sie vor ihn hintrat – von dem Gesicht dieses Mannes ging es aus wie ein Feuerstrom; ein seltsam glimmender, tief befremdeter Blick tauchte in ihre großaufgeschlagenen Augen; erst auf ihr scheues Zurückweichen hin wandte er sich zögernd gen Himmel, und nun tönte eine prachtvolle, erschütternde Stimme über ihrem Haupte hin und sprach von der Liebe und Hingebung für immer und ewig – welch ein Frevel! ... Die schlichten Worte des Geistlichen in Rudisdorf hatten sie ruhig gelassen – erst diese glühende Beredsamkeit warf ein blendendes Licht auf den Hohn und die schwarze Lüge, unter welcher dieser Bund geschlossen wurde; sie machte jedes Wort zu einer Dolchspitze, zu einem Spottpfeil. – Die junge Frau zitterte vor diesem Priester, dessen zündende Augen nicht von ihr wichen, und – sie wußte selbst nicht weshalb – ihre Hände griffen plötzlich nach dem über den Rücken hinabfallenden Schleier und zogen ihn verhüllend über Busen und Arme.

Und dieser Tag, der schwerste und verhängnisvollste ihres ganzen Lebens, er neigte sich endlich auch; es kam der heißersehnte Moment, wo sie die nach dem Säulengange führende Hauptthür ihrer Gemächer schließen durfte, die sie von allen Bewohnern des Schlosses schied. Sie schickte das harrende Kammermädchen fort, entledigte sich selbst der Brauttoilette und warf einen weißen Schlafrock über. Ruhen konnte sie noch nicht; sie mußte, so einsam in der Fremde und gequält von schmerzlichem Heimweh, irgend einen mitgebrachten Gegenstand aus der Heimat sehen und berühren ... Mit hastigen Händen öffnete sie einen kleinen Koffer, den man auf ihren Wunsch in den Salon gestellt hatte. Ein Heft mit lateinischen Aufsätzen von ihrer Hand lag obenauf – unwillkürlich zuckte sie empor und warf einen scheuen Blick auf das große Oelbild, das ihr gegenüber hing – ja, das war er, der schöne Mann mit dem Rätselgesicht, das in so jähem Wechsel Feuer und tödliche Kälte, seelenvolle Güte und den beißendsten, verwundenden Spott widerspiegelte! Ihr graute vor diesen Widersprüchen. Sie rollte hastig das Manuskript zusammen; nicht einmal diese gemalten Augen durften das Geschriebene sehen.

»Mainau wird dir deinen Gelehrtenkram schon austreiben!« hatte die Gräfin Trachenberg gesagt, und heute abend bei der Tafel hatte er infolge einer lebhaften Debatte über die Frauenemanzipation mit dem ausgesprochensten Abscheu in allen Gebärden geäußert, er wisse nicht, welche Frau er mehr verurteilen solle, diejenige, die aus Eitelkeit und Vergnügungssucht eine schlechte Mutter sei, oder den Blaustrumpf, der seine Kinder aus dem Zimmer jage, um Verse oder gelehrte Aufsätze machen zu können – ein Tintenklecks an einer Frauenhand sei ihm widerwärtiger als ein häßliches Mal.

Sie trat an den Schreibtisch, um alle Zeugen ihrer bisherigen geistigen Thätigkeit hineinzuflüchten – er war von Rosenholz, das zierlichste Gebild, das je aus kunstreicher Hand hervorgegangen. Welchen Gedanken hatte wohl »die luftige, flatternde Seele« hier nachgehangen? ... Der Aufsatz des Tisches wurde beinahe erdrückt durch Nippesfiguren und Gruppen, die fast alle einer mehr oder minder frivolen, ja anstößigen Idee entsprungen waren – wie hatte sich das mit der strengen Frömmigkeit vertragen? ... Liane zog mit Anstrengung ein Fach auf – es war bis an den Rand gefüllt mit Geldrollen – offenbar ihr stipuliertes Nadelgeld. Erschrocken stieß sie den Kasten wieder zurück und drehte den Schlüssel um – das Geld war begraben. Diese Entdeckung und die mit den unvermeidlichen Jasmindüften beschwerte Zimmerluft trieben sie nach der Glasthür des Nebensalons.

Hinter den zugezogenen Vorhängen hatte sie nicht bemerkt, daß draußen der Vollmond am Himmel stand. Sie fuhr zurück, so blendend, so fremdartig lag dieses Schönwerth inmitten felsenzackiger, zum Teil mit dem prächtigsten Hochwald bestandener Berge, die es von allen Seiten umstarrten wie dräuende, ein funkelndes Kleinod hütende Drachenzähne ... Sie trat hinaus unter ein Säulendach – welch ein Kontrast zwischen der modernen inneren Einrichtung der Gemächer und diesen altersgrauen mächtigen Säulenbündeln, die in strenger Schönheit aufstiegen und hoch droben Rundbogen von tadelloser Reinheit scharf in den Mondhimmel schnitten! Nicht das leiseste Wehen des Nachtwindes strich vorüber, und doch mußte in der höheren Luftregion Bewegung sein - nervenberührend wie die geisterhafte Stimme, die im Glase schläft, zitterte manchmal ein vereinzelter Tonhauch von den Windharfen herüber.

In diese feierliche Nachtstille hinein klangen plötzlich fernhereilende Menschentritte, förmlich erschreckend – die junge Frau trat in den Schatten der Pfeiler, während eine Kindergestalt laufend um die nördliche Hausecke kam; es war Leo. Seine kleinen nackten Füße steckten in Schlafschuhen; das in sichtlicher Eile übergeworfene grüne Samthöschen hielt er mit beiden Händen, und das spitzenbesetzte Nachthemd fiel von den Schultern offen zurück und ließ das Mondlicht über die kräftige, glänzend weiße nackte Büste des Kindes hinspielen ... Der Kleine sah sich scheu um und lief spornstreichs auf das Drahtgitter zu. Mit einigen raschen lautlosen Schritten stand die junge Frau hinter ihm.

»Was thust du hier, Leo?« fragte sie und hielt ihn fest.

Er stieß einen Schreckenslaut aus. »Ah, die neue Mama!« stammelte er gleich darauf sichtlich erleichtert. »Wirst du's dem Großpapa sagen?«

»Wenn du ein Unrecht vorhast, allerdings –«

»Nein, Mama,« versicherte er in seinem trotzig festen Tone und schüttelte die verwirrten Locken von der Stirn – er hatte offenbar schon im Bette gelegen. »Ich will Gabriel nur Schokoladefiguren bringen – ich habe sie nicht genommen, ganz gewiß nicht, Mama! – Herr von Rüdiger hat sie mir bei Tische auf den Teller gelegt. Ich spare sie mir immer ab für Gabriel; aber früh sind sie nie mehr in meiner Tasche – Fräulein Berger ißt sie zu gern; sie kaut den ganzen Tag – sie maust, das abscheuliche Ding.«

»Wo ist denn dieses Fräulein Berger?« fragte Liane – die Erzieherin war ihr nach der Trauung vorgestellt worden und hatte ihr einen entschieden ungünstigen Eindruck gemacht.

»Pfänderspiele spielt sie im Schulzimmer, und ich darf nicht hinein; sie hat zugeschlossen,« murrte er. »Sie machen einen greulichen Spektakel, und Punsch trinken sie auch – ich riech's durch das Schlüsselloch ... Ich habe Gabriel heute gar nicht mehr sehen dürfen, weil ich zu ungezogen gewesen bin – aber ›gute Nacht‹ werde ich ihm doch wohl sagen dürfen,« stieß er trotzig heraus. »Darf ich, Mama? Ja? Darf ich?«

Er bat mit all seinem Ungestüme, aber auch mit dem köstlichen Tone des Vertrauens, der unbestrittenen Zusammengehörigkeit von Mutter und Kind – ein freudiges Aufschrecken durchzuckte die junge Frau – dieser Knabe mit dem ausgeprägtesten Trotze in den Zügen, er unterwarf sich ihrer mütterlichen Autorität freiwillig in den ersten Stunden. Mild wie das niederfließende Mondlicht fiel ein wehmütiges Glücksgefühl in ihre verdunkelte Seele; sie umschlang den Kleinen mit beiden Armen und küßte ihn zärtlich.

»Gib mir das Konfekt, Leo! Ich will es Gabriel bringen. Du mußt jetzt in dein Bett zurück,« sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin. »Ich werde ihm auch ›gute Nacht‹ von dir sagen; aber wo finde ich ihn denn?«

Willig kehrte er seine Taschen um und schüttete den ganzen Inhalt in die schönen, schlanken Hände der Mutter. Sie lächelte – diesen Schokoladereichtum hätte der Großpapa allerdings nicht sehen dürfen – ihrem feinen Ohre war sein halb verbissenes Schelten über das teure Fruchteis heute nachmittag nicht entgangen.

»Du mußt da drin am Teiche vorübergehen,« versetzte der Kleine, während er auskramte; er zeigte nach dem Drahtgitter. »In das Haus darfst du aber nicht – der Großpapa hat es streng verboten, und Fräulein Berger sagt, es wäre eine Hexe drin mit langen Zähnen. Dummes Zeug – ich fürchte mich nicht. Beißt sie doch Gabriel auch nicht.« ...

Die junge Mutter zog ihm das Nachthemd über der Brust zusammen, nahm seine kleine Rechte in ihre Hand und führte ihn in das Schloß zurück ... Eine Ampel brannte am Plafond und goß durch ihr grünes geschliffenes Glas einen magischen Schein über das Schlafzimmer des Kindes. Ein Königssohn konnte nicht üppiger und prächtiger gebettet sein als dieser Sproß der Mainaus; aber was halfen diese seidenrauschenden Bettbehänge, diese mit Spitzen und Stickereien besetzten Kissen und Decken dem armen reichen Kinde! Sein Schlaf war doch kein behüteter, und wenn auch der Bronzeengel droben die Seidenfalten gerafft in seinen Händen hielt und die goldglänzenden Flügel darüber hinbreitete ... Vom Schulzimmer her klang gedämpft ausgelassenes Gelächter und das Zusammenklingen der Gläser. Liane meinte, der Geist der geschiedenen Mutter müsse zürnend durch diese Räume flattern und für die Pflichtvergessene dort drüben ein Mene Tekel an die Wand schreiben.

»Mama,« sagte der Kleine und ließ in scheuer Raschheit sein Händchen liebkosend über ihre Wange hingleiten, während sie ihn sorgsam zudeckte, »es ist doch zu hübsch, wenn du da bist! Kommst du nun immer? Die erste Mama ist nie an mein Bett gekommen ... Gelt, und du gehst ganz gewiß noch zu Gabriel und bringst ihm die Schokolade?«

Sie versprach ihm alles. Er legte befriedigt sein Köpfchen auf dem Kissen zurecht und nach fünf Minuten verrieten seine Atemzüge, daß er fest schlafe. Die junge Frau verließ geräuschlos das Zimmer und schloß draußen die Thür ab, durch welche der Kleine entwischt war.

Die zweite Frau

Подняться наверх