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5.

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Nach vierstündiger Fahrt stiegen die Reisenden auf dem Bahnhof der Residenz aus. Hier trat bereits das neue Leben in all seinem Glanz an die junge Frau heran. Die Equipage, die sie erwartete, um sie nach dem eine Stunde entfernten Schönwerth zu bringen, fiel auf durch das Feenhafte ihrer ganzen Ausstattung – man mußte sich sofort sagen, da der mattsilbern schimmernde, milchweiße Atlas im Fond nur bestimmt sein könne, eine junge, verwöhnte Schönheit zu umschmiegen – das staubgraue, schlichte Reisekleid der jungen Dame, die sich still gelassen in die Ecke zurücklehnte, sah demnach fast aus wie die dürftige Hülle eines Köhlerkindes, das ein verliebter Märchenprinz im Walde aufgelesen hat und in sein Schloß entführt.

Während Herr von Rüdiger den Platz neben Liane einnahm, schwang sich der Baron Mainau auf den Bock und ergriff die Zügel. Er saß stolz nachlässig droben; das von im beherrschte Gespann aber brauste wie tollkühn die glatte, breite Chaussee hin, die einen Teil des Parkes quer durchschnitt ... Dort blinkte der Teich auf, und über den Fischerdörfchen kreiste ein Flug weißglänzender Feldtauben, sonst war es totenstill und verlassen da drüben. Nun lief die Fahrstraße zwischen dichtgedrängten Waldbaumriesen hin, die ihr nur widerwillig Raum gaben – hier und da ließ ein jäh vorbeifliegender schmaler Durchhau die sonnige Landschaft draußen wie einen Edelstein im Baumdunkel aufblitzen.

Da flog plötzlich, auf fünfzig Schritt Entfernung, seitwärts aus dem Dickicht eine Reiterin mitten auf die Chaussee – fast schien es, als stelle sie die heranbrausende Equipage.

»Mainau – die Herzogin!« rief Herr von Rüdiger, erschrocken auffahrend; aber schon hemmte das herrliche Gespann, infolge einer einzigen Bewegung seines Lenkers, den rasenden Galopp und ging im Schritt ... Eine zweite Dame sprengte aus dem Walde und folgte der Herzogin. Sie kamen rasch näher. So mag man sich den über das Schlachtfeld reitenden Todesengel denken, wie diese fürstliche Reiterin im langwallenden schwarzen Gewande, unter den in den Nacken zurückgeworfenen bläulich-schwarzen Haarmassen – zu schwer, als daß sie der Windhauch zu heben vermochte – das schöne, aber gespenstig farblose Antlitz, das in diesem Augenblick selbst auf den Lippen nicht die leiseste Färbung der lebendig rollenden Blutwelle zeigte.

»Glück zu, Baron Mainau!« rief sie mit einer stolz grüßenden Handbewegung ihm entgegen, der sich tief vor ihr neigte. Welcher Hohn lag in diesen fast schleppend langsamen, und doch so scharf accentuierten Lauten der vollen, tiefen Frauenstimme! ...Hatte sie eine unvorsichtige Bewegung gemacht, oder scheute das schöne, feurige Tier, das sie ritt – genug, es trug sie plötzlich mit einem wilden Satze dicht an den Schlag des langsam vorüberrollenden Wagens.

»Bleiben Sie sitzen, Herr von Rüdiger!« winkte sie dem Emporschnellenden herablassend zu, ohne ihn anzusehen – ihre flammenden Augen suchten vielmehr in verzehrender Unruhe den herabgelassenen Schleier der erschrockenen jungen Frau zu durchdringen – im nächsten Augenblick schon stoben die Reiterinnen wieder dahin; einige Sekunden lang jagten die zwei Pferde, Leib an Leib, nebeneinander, und die geschmeidige Hofdame bog sich zu ihrer Herrin hinüber. »Diese kleine, graue Nonne ist wirklich ein Trachenbergscher Rotkopf, Hoheit«, rief der hübsche Mädchenmund ungeniert. Das Rädergeroll verschlang den Zuruf; aber Baron Mainau, der sich zurückgewendet hatte, sah die bezeichnende Gebärde der Dame – er lächelte; Liane sah zum erstenmal dieses stolze Lächeln des Triumphes, der befriedigten Eitelkeit, sah zum erstenmal seine Augen in jenem Feuer aufstrahlen, das so gefährlich war. Die Ecke, in der seine junge Frau saß, hatte sein Blick nicht einmal gestreift – diese absolute Indolenz und Gleichgültigkeit war so sichtlich unbewußt, daß selbst Freund Rüdiger einsah, sie habe mit jener affektierten geringschätzenden Ruhe nichts gemein, die der schöne Mann aus Caprice oft den blendendsten Frauen gegenüber zeigte.

Die Apfelschimmel brausten wieder über die Chaussee hin, so wildtosend und schwindelnd schnell, als habe die schöne, bleiche Fürstin mit ihrem »Glück zu!« alle Glut in den Adern des Lenkers zur Flamme geschürt. Der Blick der jungen Frau hing an jeder seiner Bewegungen. Die Begegnung im Walde hatte plötzlich ein Streiflicht auf die neuen Verhältnisse geworfen – nun wußte sie, weshalb Mainau ihr niemals Liebe geben konnte.

Die letzten Waldbäume flogen vorüber, dann ging es bergab in das Schönwerther Thal, durch Anlagen, mit denen sich der herzogliche Park nicht messen durfte. Eine Zeitlang lief ein hohes Gitter, fein wie Spinnweben, in gleicher Richtung mit dem Fahrweg; weit drinnen, von diesem durchsichtigen Drahtschleier grau verhangen, hoben sich fremdartige Wipfel in die blaue Luft; aus ungeheuren Staudenkelchen dämmerten glühende Blütenrispen herüber, wie Korallenschnüre aus grüner Meerflut. Dann drängte sich sekundenlang eine Wand von Mimosengesträuch verdunkelnd an das Gitter – sie zerriß, und erschreckend jäh trat ein grellbemalter Hindutempel mit goldstrahlenden Kuppeln hervor; an seine breit herniedersteigende Marmortreppe klopften die bläulich durchsichtigen Wasser eines großen Weihers und im Vordergrunde, auf dem feingeschorenen Uferrasen stand ein mächtiger Stier, die breite Stirn majestätisch nach dem vorüberrollenden Wagen gewandt ... Das war wie ein sonnengoldener, über das märchenhafte Indien hinflatternder Traum – mit dem Ende des Drahtnetzes erlosch er spurlos; da rauschten wieder ehrwürdigen Linden, und die dunklen Fichten hingen greisenhaft ernst ihre langen Bärte über die jungen weißen Kleeblüten der Wiesen.

Noch einen kühnen Bogen mitten durch uralten, dunkelnden Maßholderbusch beschrieb der Fahrweg, dann rollte der Wagen über eine freie Kiesfläche und hielt vor dem Portale des Schönwerther Schlosses.

Mehrere Lakaien in Galalivree stürzten herbei, und der Haushofmeister in schwarzem Frack und weißer Weste öffnete unter einem tiefen Bückling den Wagenschlag ... Liane war vor mehreren Jahren ungesehen Zeugin gewesen, wie der junge Förster von Rudisdorf seine Braut mit starken Armen aus dem Wagen gehoben und jubelnd in sein Forsthaus getragen hatte – hier warf der neue Eheherr dem Stallknecht die Zügel hin, trat kühlgelassen, wenn auch mit sehr verbindlicher Haltung, an den Wagen, und die linke Hand der jungen Dame zart, mit kaum fühlbarer Berührung ergreifend, half er ihr über den Tritt hinab. Unter etwas festerem Druck legte er die unwillkürlich zurückschreckende Hand auf seinen Arm und führte die neue Herrin von Schönwerth über die Schwelle.

Ihr war, als betrete sie einen Dom, so gewaltig, so feierlich erhaben wölbte sich der Thorbogen über ihrem Haupte, und ein so kirchenartiges Licht fiel durch das bunte Glas der Spitzbogenfenster in die weite Treppenhalle. Diese schillernden Reflexe, die hier das Purpurgewand der Muttergottes als rosige Flut auf den hallenden Fußboden warfen und dort die Palmenkuppel über der ruhenden heiligen Familie leuchtend grün an der roten Porphyrwand herabfließen ließen, sie waren doch nur ein verfälschtes, erkaltetes Sonnenlicht; selbst der breite, die Treppen herablaufende Teppich, so weich und elastisch er sich auch dem Stein anschmiegte, vervollständigte den Eindruck eines überall absichtlich, wie in einer Abtei, festgehaltenen kirchlichen Stils – er zeigte die sprühende, überladene Farbenpracht, aber auch die steifen, geistlosen Linien des byzantinischen Geschmacks in seiner letzten Periode.

Kaum eingetreten, blieb Mainau überrascht stehen, und seine Augen richteten sich zornfunkelnd auf den Haushofmeister. Der tief niedergeduckte Mann räusperte sich verlegen hinter der vorgehaltenen Hand – man sah, nicht um die Welt hätte er seine Augen erheben mögen, um dem Blick des Gebieters noch einmal zu begegnen. »Ich durfte nicht, gnädiger Herr,« sagte er leise. »Der gnädige Herr Baron haben nicht erlaubt, daß die Orangerie aufgestellt wurde, und die Guirlanden mußten auch wieder abgenommen werden – von wegen der hochseligen gnädigen Frau.«

Ein Feuerstrom schoß dem Schloßherrn über das Gesicht. Mit katzenartiger, lautloser Geschmeidigkeit machten die Lakaien einen Rettungsversuch hinaus ins Freie, die klägliche Gestalt des Haushofmeisters aber, der auf seinem Posten aushalten m u ß t e, sank tief in sich zusammen ... Der gefürchtete Sturmausbruch beschränkte sich diesmal auf ein unbeschreiblich spöttisches Lächeln, das den Mund des schönen Mannes entstellte.

»Du siehst mich beschämt, Juliane,« sagte er – an seiner Stimme hörte man den inneren Kampf mit dem Zorn – »ich bin außer stande, mich zu revanchieren. In Rudisdorf hatten wir Blumen auf dem Wege – hier trittst du in ein ungeschmücktes Haus. Entschuldige den Onkel – diese hochselige gnädige Frau war seine Tochter.«

Er ließ ihr keine Zeit zur Antwort. Im Sturmschritt – voran der dahinstiebende, in Dienstfertigkeit ersterbende Haushofmeister und mit Kopfschütteln nachstrebende Freund Rüdiger – führte er die junge Frau die Treppe hinauf durch Prachtsäle, denen sich eine herrliche Spiegelgalerie anschloß. Liane sah sich am Arm des hohen, stolzen Mannes dahinschreiten – der Gestalt und Haltung nach gehörten sie zusammen; aber welch eine himmelweite Kluft lag zwischen den Seelen, die ein geschäftsmäßiger Vertrag, sanktioniert durch Priesterwort, heute aneinander geschmiedet hatte!

Der Haushofmeister schlug mit feierlich bedeutungsvoller Gebärde die Flügel der Ausgangsthür zurück – eine Art von Schwindel ergriff die junge Frau; trotz der klafterdicken Steinwände und der imposanten Deckenwölbung war es schwül und heiß in der Galerie; die ganze Gluthitze der Julisonne fiel durch die unverhüllten Scheiben der langen Fensterreihe – und dort an der gegenüberliegenden Wand des weiten Salons loderten die hellen Flammen im Kamin. Dicke Teppichstoffe bedeckten die Wände, den Fußboden, und drapierten Fenster und Thüren; auf den letzteren lagen noch besonderen, hermetisch schließende, wattierte Flügel – überall sah man das ängstliche Bestreben, Wärme zu erzeugen und die äußere Luft abzuwehren, und in dieser schweren Atmosphäre, die auch noch ganze Wolken starker Essenzen erstickend füllten, saß ein fröstelnder Mann. Seine Füße, nahe an die prasselnden Holzklötze gerückt, waren in seidene Steppdecken gehüllt; ihre ganze Lage hatte etwas leblos Unbewegliches; dagegen zeigte der Oberkörper eine fast jugendlich graziöse Leichtigkeit in der Haltung. Er war im schwarzen Frack, und über der schneeweißen Halsbinde saß ein kleines, feines, kluges Gesicht, dessen kränkliche Blässe leichenhaft angehaucht wurde durch das unerquickliche Gemisch von Tageslicht und bleichgelbem Flammenschein – das war der Hofmarschall Baron von Mainau.

»Lieber Onkel, erlaube mir, dir meine junge Frau vorzustellen,« sagte Mainau ziemlich lakonisch, während Liane den Schleier über die Hutkrempe zurückschlug und sich verbeugte.

Die kleinen braunen Augen des alten Herrn richteten sich scharf auf ihr Gesicht. »Du weißt ja, mein lieber Raoul,« versetzte er langsam und bedächtig, ohne den Blick von der Errötenden wegzuwenden, »daß ich die junge Dame nicht als deine Frau begrüßen kann, bevor unsere Kirche die Ehe sanktioniert hat.«

»Mit nichten, Onkel!« fuhr Mainau auf. »Ich erfahre erst in diesem Augenblicke, bis zu welcher haarsträubenden Rücksichtslosigkeit deine Bigotterie sich steigern kann, sonst würde ich wohl einer solchen Auslassung vorzubeugen gewußt haben.«

»Ta, ta, ta – nicht ereifern, bester Raoul! Das sind Glaubenssachen, und darüber streiten wohl noble Naturen nicht,« sagte der Hofmarschall begütigend – es war nicht zu verkennen, der schwächliche Mann mit dem geistreichen Gesichte hatte Furcht vor der drohenden Stimme des Neffen. »Einstweilen heiße ich Sie als Gräfin Trachenberg willkommen – Sie tragen einen vortrefflichen Namen,« wandte er sich an Liane. Er reichte ihr seine Rechte begrüßend hin – sie zögerte, ihre Hand zwischen diese bleichen, schmalen, etwas verkrümmten Finger zu legen; ein zorniger Schrecken zitterte in ihr nach. Sie hatte gewußt, daß die Ehe noch einmal, am selben Tage, nach katholischen Ritus eingesegnet werden solle – die Mainaus waren Katholiken –, aber daß man die in Rudisdorf vollzogene protestantische Trauung für so vollkommen null und nichtig in diesem Hause erklärte, das traf sie wie ein niederschmetternder Schlag.

Der alte Baron that, als bemerke er ihr Zögern nicht, und ergriff statt ihrer Hand die Spitze ihrer niederhängenden Flechten. »Sie da, wie hübsch!« sagte er galant. »Ihr alter erlauchter Name braucht nicht genannt zu werden, sein untrügliches Wahrzeichen wird Sie überall einführen – das hat geleuchtet schon in den Kreuzzügen! ... Nicht immer ist die Natur so zuvorkommend, den Stempel der Geschlechter in allen Generationen festzuhalten, wie bei der dicken Unterlippe der Habsburger und dem Trachenberger Rothaar.« – Er lächelte so verbindlich, wie man nur lächeln kann nach einer wohlgemeint ausgesprochenen Liebenswürdigkeit.

Freund Rüdiger kämpfte mit einem Hüsteln, und Mainau wandte sich hastig nach dem nächsten Fenster. Da stand der kleine Leo, regungslos und starren Auges die neue Mama musternd; die reizende Knabengestalt lehnte nachlässig an dem riesigen Körper eines Leonberger Hundes, und die Rechte mit der berühmten Gerte hing über den Rücken des Tieres hinab – es war eine Gruppe, wie für den Pinsel oder Meißel hingestellt.

»Leo, begrüße die liebe Mama,« befahl Mainau in unverkennbar aufgeregtem Tone. Liane wartete nicht, bis der Knabe zu ihr kam. In dieser entsetzlichen Umgebung leuchtete ihr das schöne Kindergesicht, ungeachtet seines feindselig trotzigen Blickes, wie ein tröstender Lichtschein entgegen. Sie trat rasch hinüber. Das zarte Antlitz mit dem blumenweißen Teint bog sich über den Knaben und ein würziger Atem berührte seine Lippen.

»Willst du mich ein wenig lieb haben, Leo?« flüsterte sie – das klang flehend, und in ihrer Stimme klopfte es wie ein leises Schluchzen. Die großen Augen des Kindes verloren den festen Blick. Aengstlich erstaunt fuhren sie über das Gesicht der neuen Mutter hin – da fiel polternd die Gerte zur Erde, und plötzlich schlangen sich zwei Kinderarme festpressend um den Nacken der jungen Frau.

»Ja, Mama, ich will dich lieb haben!« versicherte der Kleine in dem ihm eigenen derb aufrichtigen Tone. Er sah neben ihrer Schulter hinweg nach seinem Vater. »Es ist ja gar nicht wahr, Papa,« sagte er fast brummig, »sie ist keine Hopfenstange, und ihre Zöpfe sind lange nicht so schlimm, wie bei unserem –«

»Leo – vorlauter Bursch!« schnitt Mainau die weiteren Auslassungen des Kindes ab. Er war sichtlich beschämt und in der peinlichsten Verlegenheit, während um die Lippen und Augen des alten Herrn ein verhaltenes Lachen zuckte. Herr von Rüdiger verfiel abermals in einen heftigen Hustenanfall.

»Mein Gott, was hat denn der arme Sünder da verbrochen?« unterbrach er plötzlich sein diplomatisches Manöver – er zeigte nach einer der dunkelsten Zimmerecken; dort kniete Gabriel mit gesenktem Kopfe vor einem Stuhle; die Hände lagen gefaltet auf einem dicken Buche.

»Mosje Leo ist unfolgsam gewesen; ich kann den widerhaarigen Burschen nicht empfindlicher züchtigen, als wenn ich Gabriel für ihn büßen lasse,« sagte der Onkel gelassen.

»Was – sind denn in Schönwerth die Prügelknaben wieder Mode geworden?«

»Wollte Gott, sie wären nie aus der Mode gekommen! Dann stünde es besser um uns alle,« versetzte der Hofmarschall schneidend.

»Steh auf, Gabriel!« befahl Mainau, seinem Onkel den Rücken wendend. Der Knabe erhob sich, und Mainau nahm mit einem sarkastischen Lächeln das dickleibige Legendenbuch auf, aus welchem der arme Sündenbock allem Anscheine nach hatte vorlesen müssen.

Mitten in diese peinliche Szene hinein trat der Haushofmeister. Er trug eine Platte voll Erfrischungen. So tief gereizt war alte Herr in diesem Momente auch sein mochte, er richtete doch sofort seine Augen scharf musternd auf den reichbesetzten Silberteller, den ihm der Haushofmeister auf seinen Wink hinhielt.

»Ich werde dem hirnlosen Verschwender drunten in der Küche wohl einmal das Handwerk legen müssen,« murmelte er ingrimmig. »Solche Berge des teuersten Fruchteises! ... Ist er verrückt?«

»Der junge Herr Baron haben so befohlen,« beeilte sich der Haushofmeister leise zu sagen.

»Was gibt's?« fragte Mainau; er warf den Folianten auf den Stuhl und trat mit finster gefalteter Stirn näher heran.

»Nichts von Belang, mein Freund,« begütigte der Onkel mit einem scheuen Seitenblick – er war erschrocken und so rot geworden wie ein junges Mädchen, das man bei einem oft gerügten Fehler ertappt. »Bitte, liebe Gräfin, legen Sie doch endlich einmal den Hut ab,« sagte er zu der jungen Frau, »und essen Sie ein wenig von diesem Ananaseise! – Sie werden der Erquickung bedürfen nach der heißen Fahrt.«

Liane strich liebkosend mit der Hand über den Lockenkopf des kleinen Leo und küßte abschiednehmend seine Stirn. »Ich muß danken, Herr Hofmarschall,« versetzte sie sehr ruhig. »Sie verweigern mir vorläufig die Stellung der Hausfrau und den Namen Mainau – die Gräfin Trachenberg aber kann unmöglich dem Anstand und der guten Sitte ins Gesicht schlagen, indem sie ohne weiblichen Schutz in einem fremden Hause in Herrengesellschaft verbleibt. Darf ich bitten, daß man mir ein Zimmer anweist, in welches ich mich bis zu der Zeremonie zurückziehen kann?«

Vielleicht war der alte Herr mit dem impertinenten Diplomatengesicht noch niemals so energisch zurechtgewiesen worden, oder er hatte in der überaus einfach gekleideten Mädchengestalt, unter dem das jugendliche Antlitz halb verdeckenden grauen Schleier die Schüchternheit und das Gedrücktsein der finanziellen Verarmung notwendig vorausgesetzt – genug, seine Augen öffneten sich weit, und der sonst unleugbar geistvolle Ausdruck seiner Züge wich einer nichts weniger als schlagfertigen Verblüfftheit ... Herr von Rüdiger rieb sich hinter seinem Rücken schadenfroh die Hände, Mainau aber fuhr in sprachloser Ueberraschung herum – hatte wirklich »das bescheidene Mägdlein mit dem furchtsamen Charakter« gesprochen?

»Eh – wir sind sehr empfindlich, meine kleine Gräfin,« sagte der Onkel nach einem verlegenen Räuspern.

Mainau trat an die Seite seiner jungen Frau. »Du bist sehr im Irrtume, Juliane, wenn du meinst, deine Rechte als Hausfrau könnten dir in Schönwerth auch nur um ein kleines Bruchteil verkümmert werden,« sagte er mit verhaltener Stimme – er kämpfte schwer mit seinem hervorbrechenden Ingrimme. »Für mich ist die Rudisdorfer Trauung vollkommen rechtskräftig – sie gibt dir für immer meinen Namen, und wie man hier in diesen vier Wänden darüber denkt, das darf dich nicht anfechten ... Erlaube mir, dich in deine Appartements zu führen.«

Er reichte ihr den Arm und ohne den alten Herrn weiter zu begrüßen, führte er sie hinaus. Während sie die Spiegelgalerie wieder durchschritten, sprach er kein Wort; auf der Treppe aber blieb er einen Moment stehen. »Du bist beleidigt worden, und das trifft meinen Stolz genau so empfindlich wie den deinen,« hob er viel ruhiger an, als er droben gesprochen. »Aber ich gebe dir zu bedenken, daß meine erste Frau die Tochter jenes kranken Mannes, sein einziges Kind gewesen ist. Die zweite Frau muß es sich stets gefallen lassen, ein Gegenstand schmerzlicher Eifersucht für die Verwandten der Verstorbenen zu sein ... Ich muß dich bitten, auszuharren, bis die Macht der Gewohnheit wirkt ... Schönwerth zu verlassen und mit dir auf einem meiner anderen Güter zu leben, vermag ich nicht – es handelt sich hauptsächlich darum, Leo unter mütterliche Aufsicht zu bringen; der Kleine aber muß hier bleiben – ich darf dem Großvater den einzigen Enkel nicht nehmen.«

Liane stieg schweigend die Stufen weiter hinab; es war ihr fast unmöglich, zu diesem grausamen Egoisten zu sprechen, der sie an sich gefesselt, um sie völlig unvorbereitet den widerwärtigsten Verhältnissen gegenüberzustellen.

»Sie werden begreifen, daß ich keinen anderen Wunsch habe, als den, wieder da hinausgehen zu dürfen,« versetzte sie endlich und zeigte nach der sonnigen Landschaft durch das offene Thor, an welchem sie eben vorüberschritten. »Wäre nicht der Gedanke, daß ich mit meiner sofortigen Heimkehr nach Rudisdorf selbst die bindende Kraft meiner Kirche verneinte –«

»Es sollte dir auch einigermaßen schwer werden, einen solchen Schritt auszuführen,« unterbrach er sie eiskalt, indem er einen langen Säulengang im Erdgeschosse mit ihr durchmaß. »Ich brauche dich wohl nicht erst zu versichern, daß ich mich nicht so ohne weiteres kompromittieren lasse ... Hm, ja – Trauung und Trennung so eng beieinander! Das wäre wieder einmal so etwas für die guten Leute, die sich vor meinen ›Bizarrerien und Extravaganzen‹ fromm bekreuzigen ... Ich bin stets herzlich gern bereit, ihnen Stoff zu liefern – warum denn nicht? Diesmal aber verzichte ich auf den Skandal.«

Er ließ ihren Arm von dem seinen niedergleiten und öffnete die Thür. »Hier deine Appartements – siehe zu, wie du sie deinen Bedürfnissen und Neigungen unterthan machst! Jeder deiner Wünsche, bezüglich einer Veränderung, wird selbstverständlich ohne Widerrede erfüllt werden.« Er trat nach ihr ein und ließ den Blick durch die mit übermäßigem Luxus ausgestattete Zimmerreihe gleiten – ein böses Gemisch von Hohn und Groll lag in dem finstern Lächeln, das über sein schönes Gesicht huschte. »Valerie hat sie bewohnt – aber fürchte dich nicht,« sagte er, in den frivolen, persiflierenden Ton verfallend, vor welchem »die Damen wie die Lämmer zitterten« – »ihre Seele war luftig und flatternd, als sei auch sie nur aus den kostbaren echten Spitzen zusammengewoben, in die sie ihren verwöhnten Körper zu hüllen liebte. Zudem trug sie die untrüglichen Engelsflügel einer strengen Frömmigkeit – sie ist im Himmel.«

Er schellte der Kammerjungfer und stellte sie der neuen Herrin vor. Dann machte er Liane darauf aufmerksam, daß er sie nach einer Stunde zur Trauung abholen werde, und ehe sie noch ein Wort erwidern konnte, hatte er das Zimmer verlassen. Zugleich schlüpfte die Zofe durch die entgegengesetzte Thür, um im Ankleidezimmer alles zur Toilette vorzubereiten.

Die zweite Frau

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