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7.

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Es schlug eben halb elf, als sie das Parterre wieder betrat, das sich vor ihren Appartements hinzog. Graudurchsichtig, als schlüpfe der Saum der wandelnden Frau Sage durch die Gebüschlücken, lief drüben das Drahtgitter hin, der Prügelknabe, wie ihn Herr von Rüdiger heute genannt, der bleiche, schweigsame Sündenbock, schlief jedenfalls schon längst – er hatte auch weniger Teil an dem geheimnisvollen Reize, der die junge Frau unwiderstehlich nach jenem abgeschlossenen Reviere zog. Ihr Auge überflog, rückwärts gewendet, forschend das Schloß; in altersgrauer Pracht, mit seinen wuchtigen Steinbogen, seinen Kleeblättern in den gemeißelten spitzenklaren Steinrosetten der Bogenfenster und seinem Schutzheiligen dort auf dem Mauervorsprunge, stieg es auch hier wie eine Abtei in die weiße Mondlichtflut hinein. Nirgends blinkte ein Licht hinter dem Glase – nur aus dem Salon drunten quoll der Lampenschein grellgelb in das Dunkel des Säulenganges ... War es doch, als lehne dort an einem Pfeiler ein Mensch und starre lauschend nach der halboffenen Glasthür – Täuschung! Nicht ein Sandkorn bewegte sich unter den Füßen der vermeintlichen Gestalt; nicht die leiseste Bewegung zeigte, daß Atem in ihr sei – es war der Pfeilerschatten.

Nun wandelte die junge Frau unter beschleunigtem Herzklopfen drinnen auf dem weißen Sande eines schmalen Weges; die Gitterthür war hinter ihr zugefallen. Noch beschatteten die letzten Zweige der traulich herüberreichenden Wacholder- und Nußbüsche ihr Haupt; aber dort aus dem Rasenspiegel hob sich fremd der gewaltige Schaft der indischen Banane, und der schräg hereinfallende Mondschein streckte den Schatten der imposanten Blattform riesenhaft über die Grasfläche hin. Dann lief der Weg durch dunklen Busch; zahllose Feuerfunken stoben umher – die kleine Käferleuchte kam in dem Dunkel zur Geltung. Durch das Geäst droben fuhr es hastig und rauschend; ein abgerissener Zweig flog auf die Schulter der jungen Frau; hier und da griff ein kleiner Arm nach ihr, und glänzende, kluge Affenaugen bogen sich aufgeregt neugierig tief zu ihrem Gesicht herab. Unwillkürlich fuhr ihre Hand nach der Stirn, als wolle sie einen beklemmenden Traum wegwischen – züngelte da nicht auch die bunte Cobra Capella aus dem duftenden Laube, und brach nicht die plumpe Masse des Elefanten herein, das Gebüsch und sie selbst unter den wuchtigen Füßen zerstampfend? ... Sie zögerte, aber nur ein aufgescheuchtes Perlhuhn lief über den Weg, und nach einigen weiteren Schritten traten Busch und Bäume auseinander, und die Wasserflut des Teiches lag vor ihr, so still und glatt und unbeweglich, wie ein ungeheures, auf den Rasengrund hingeworfenes Silberstück; der Hindu-Tempel aber trug seine goldstrahlenden Kuppeln fest und zuversichtlich in den Nachthimmel, als führe seine Marmortreppe direkt in die heiligen Fluten des Ganges, und nicht in das Teichwasser eines deutschen Thales.

Tiefatmend und durchrieselt von jenen Schauern des Bangens, welche uns in fremder Einsamkeit so leicht überkommen und die uns gleichwohl unwiderstehlich vorwärts treiben, umschritt Liane langsam den Teich. Sie ahnte aber nicht, daß ihre dahinschwebende Gestalt im weiß nachfließenden Gewande, mit dem schöngetragenen Haupte, über dessen Stirn das schwellende Haar flimmerte, wie ein Diadem von tiefdunklem Golde, diese Landschaft voll fremdartiger Gebilde zauberhaft belebte – sie ahnte auch nicht, daß sich vorhin beim Knarren der Gitterthür der vermeintliche Schatten vom Pfeiler gelöst hatte und ihr geräuschlos, aber so konsequent folgte, als gehe von den über den Rücken herabsinkenden, im Mondlichte fast phosphoriszierenden Flechten ein magnetischer Strom aus, dem er folgen müsse.

Die weißen Wände eines niedrigen Hauses tauchten auf. Ein breiter Sandweg umlief das kleine Mauerviereck, und doch lag es wie eingebettet in Rosengebüsch, oder vielmehr in Rosenblüten – zu Tausenden dufteten sie auf hochstämmigen Kronen und niedrigem Busche, selbst drunten in den Weg herein rankten noch einzelne Zweige der Theerose – schwer, wie mondscheintrunken lagen die bleichen Kelche auf dem harten Gerölle.

Man hätte meinen können, jeder stärkere Windhauch müsse das wunderliche Haus zerblasen, so leicht und zierlich stand es da mit seinen Hohlziegeln von Rohr auf dem Dache und den Pfählen aus Bambus, welche die Veranda trugen. Es hatte große Fenster, aber geschnitzte Holzgitter lagen vor dem Glase. Zögernd trat die junge Frau auf die niedrige Verandastufe; der Fußboden war belegt mit Matten von Palmenried, so kühl, glatt und glänzend, wie sie nur der heiße Fuß des Indiers ersehnen mag. Hinter dem Holzgitter brannte Licht; es entströmte einer an der Zimmerdecke hängenden Lampe; der niedergelassene Fensterbehang von steifem, buntem Flechtwerke staute sich seitwärts, da wo das verschlungene Gitterwerk einen herzförmigen Ausschnitt bildete – durch diese Oeffnung konnte Liane einen größeren Teil des Inneren überblicken.

An der Hinterwand des Zimmers stand eine Bettstelle von Rohr; auf schneeweißen Decken lag eine Gestalt hingestreckt – war dieses außerordentlich zarte Geschöpf, das eben sein Gesicht in das Kissen einwühlte, Weib oder Kind? Weiche, weiße Mousselinfalten flossen um den hingeschmiegten Leib bis auf die Füße, die nackt, wunderklein, aber auch blutlos wächsern dort ruhten. Ein bis an die Schulter entblößter, schlanker und magerer Arm, wie er kaum dem unentwickelten dreizehnjährigen Mädchen eigen, legte sich in eigentümlicher Schwere die Hüfte entlang – breite funkelnde Goldreifen umschlossen das Handgelenk und den Oberarm; sie machten den peinlichen Eindruck, als müßten sie dieses weiße, ätherzarte Fleisch wundreiben ... Die große, robuste Frau aber, die, einen Silberlöffel in der Hand, neben dem Bett stand und ihre rauhe Stimme zu sanft bittenden Tönen zwang, kannte Liane bereits. Sie war ihr heute nach der Trauung als Frau Löhn, die Beschließerin, vorgestellt worden.

Der Löffel, den die Frau vorsichtig von ihrer breiten, glänzend sauberen Schürze fernhielt, war offenbar mit Medizin gefüllt und ein Gegenstand des Abscheues für das auf dem Bett liegende Wesen. Alles Zureden, das sanfte Streicheln mit der kräftigen freien Rechten über das tiefeingewühlte Köpfchen verfing nicht.

»Ich kann dir nicht helfen, Gabriel,« sagte Frau Löhn endlich nach der Zimmerseite hin, welche die junge Frau nicht übersehen konnte, »du mußt ihr den Kopf halten ... Sie muß schlafen, Kind, um jeden Preis schlafen.«

Der bleiche Knabe, Leos Sündenbock, trat in den Lichtkreis der Hängelampe. Behutsam versuchte er, seine Hand zwischen das Kissen und das Gesicht der dort Liegenden zu schieben. Unter dieser Berührung fuhr ihr Kopf jäh, wie entsetzt, empor und zeigte ein schmales, verzehrtes, und dennoch schönes Frauenantlitz. – Liane erschrak bis ins Herz vor dem sprechenden Blick aus übergroßen Augen, der so zärtlich vorwurfsvoll und in Todesangst flehend zu dem Knaben aufsah. Er wich zurück und ließ die Hände sinken. »Nein, nein, ich thue dir nichts!« sagte er tröstend, und seine sanfte Stimme brach in Jammer und Mitleid. »Es geht nicht, Frau Löhn – ich thue ihr ja weh! ... Ich will sie lieber einsingen.«

»Da kannst du bis morgen früh singen, Kind,« versetzte die Frau. »Wenn es so schlimm ist, wie heute, da verfängt das nicht – du weißt's ja.« Sie zuckte ratlos die Achseln, hatte aber nicht den Mut, weiter in Gabriel zu dringe. Was für ein weiches Herz schlug in der vierschrötigen Frauengestalt mit den groben scharfkantigen Gesichtszügen, die heute so barsch und unzugänglich ernsthaft der neuen Herrin bei der Vorstellung gegenüber gestanden hatte!

Liane drückte die Thür auf, die zwischen den zwei Fenstern in das Zimmer führte, und trat ein. Die Beschließerin stieß einen Schreckensruf aus und hätte fast den Inhalt des Löffels verschüttet.

»Halten Sie die Kranke!« sagte die junge Frau, »ich werde ihr die Medizin geben.«

Der plötzliche Eintritt der weißen, schlanken Gestalt mit der vornehm gelassenen Gebärde mochte förmlich lähmend auf die kranke Frau wirken – sie rührte sich nicht und sah nur groß und starr in das liebliche junge Gesicht, das sich über sie beugte – ohne jeglichen Widerstand ließ sie sich das Schlafmittel einflößen.

»Sieh, nun ist's geschehen, mein Junge,« sagte Liane und legte den Löffel auf den Tisch. »Es ist ihr kein Schmerz zugefügt worden, und sie wird schlafen.« – Sie strich sanft über Gabriels dunklen Scheitel. – »Du hast sie wohl sehr lieb?«

»Sie ist meine Mutter,« versetzte der Knabe in überströmender Zärtlichkeit.

»Es sind arme Leute, gnädige Frau, arm und gering,« fiel die Beschließerin mit harter, trockener Stimme ein. Nicht eine Biegung in diesen tiefen Tönen, nicht der leiseste Zug des ernsthaften Gesichts verriet die Weichherzigkeit und Teilnahme, die vorhin ihr ganzes Wesen charakterisiert hatten.

»Arm?« wiederholte die junge Frau und deutete unwillkürlich nach den blitzenden Armreifen und den Ketten von edlem Metall, die über den Busen der Kranken fielen. Bis zu diesem Moment hatten die Augen der letzteren unverwandt an Liane gehangen; jetzt aber malte sich Angst und Unruhe in ihren Zügen – sie klammerte die zarten Finger der Linken krampfhaft um einen Gegenstand, der an einer Kette hing – allem Anschein nach ein Flakon von Silber.

»Na, na, nur ruhig – die gnädige Frau nimmt's nicht!« beschwichtigte Frau Löhn rauh und gebieterisch. »Arm sind die Leute, sage ich,« fuhr sie gegen Liane fort. »Das bißchen Zeug da kann man doch nicht essen« – sie zeigte nach dem Geschmeide – »und eigentlich gehört's der Frau auch gar nicht; der alte gnädige Herr Hofmarschall könnte ihr auch den Firlefanz noch wegnehmen, wenn er wollte – sie hat auf der Gotteswelt nichts, gar nichts, und daß sie mit dem Jungen ihr täglich Brot im Hause gereicht kriegt und in der Bude da wohnen darf, das ist die reine Gnade von der Herrschaft, die reine Gnade.«

Diese Erklärung, so mitleidslos und in so geflissentlich scharfen und grellen Umrissen gegeben, fuhr der jungen Frau wie ein Messer durch das Herz, um so mehr, als sich Gabriel über seine Mutter bog und sie während der harten Rede streichelte, als sei sie das schutzbedürftige Kind, dem man alles zugefügte Weh durch Liebkosung vergessen machen könne ... Dieser junge, schöne Knabenkopf mit der müden seitlichen Neigung und dem schwermütigen Zug um den Mund trug das Gepräge der Duldung und sklavischen Fügsamkeit, das ihm jedenfalls eine jahrelange Mißhandlung aufgedrückt hatte. Wohl hätte Liane fragen mögen: »Wer ist diese seltsame Fremde, und wie kommt sie hierher mit ihrem Kinde, das unter einem so furchtbaren Drucke aufwachsen muß?« Allein die Furcht vor weiteren schonungslosen Mitteilungen der Beschließerin schloß ihr den Mund. Sie griff in die Tasche und legte die Schokoladefiguren auf den Tisch. »Das schickt dir Leo,« sagte sie zu Gabriel, »und ich bringe dir auch eine ›gute Nacht‹ von ihm.«

»Er ist gut – und ich habe ihn lieb,« versetzte der Knabe mit einem melancholischen Lächeln.

»Recht, mein Kind – aber es darf nicht mehr geschehen, daß du für seine Unarten gestraft wirst.« Sie legte den feinen Zeigefinger unter sein Kinn, hob den gesenkten Kopf und sah liebevoll in seine unschuldigen Augen. »Hast du nie den Mut, zu sprechen, wenn man dir unrecht thut?« fragte sie mit sanftem Ernste.

Ueber das häßliche Gesicht der Beschließerin schoß das Rot der Ueberraschung – sie kämpfte einen Moment sichtlich mit einer tiefen Rührung, aber auch nur einen Moment, dann hing ihr Auge wieder lauernd an der neuen Herrin, und sie sagte mit doppelt scharfer Stimme:

»Gnädige Frau, das schadet dem Gabriel gar nicht, und wenn sie ihm unrecht thun drüben im Schlosse, so mag er sich bedanken und die Hand dafür küssen ... Er soll ein Mönch werden; er soll ins Kloster – da heißt's erst recht schweigen und nicht mucksen, und wenn die Seele gleich aus dem Leibe fahren möchte vor Zorn und Ärger ... Den kleinen Herrn, den Leo, kann er gar nicht lieb genug haben – der setzt es immer wieder durch beim alten Herrn Baron, daß er noch dableiben darf, sonst wär' er schon längst nicht mehr bei seiner Mutter.«

Die Augen des Knaben füllten sich mit Thränen.

»Du sollst ein Mönch werden? Man will dich zwingen, Gabriel?« fragte die junge Frau rasch und dringend.

»Sage die Wahrheit, mein Sohn – wer zwingt dich?« ermahnte hinter ihr die Stimme des Hofpredigers, der heute die Trauung vollzogen. Er stand in der offenen Verandathür – schwarz hob sich seine schlanke und doch nervige Gestalt vom mondhellen Rosengebüsch draußen. Liane dachte bei diesen Umrissen überrascht an den vermeintlichen Pfeilerschatten – der Mann hatte sie belauscht und war ihr gefolgt.

Frau Löhn knixte, während der Hofprediger im Eintreten lächelnd und mit einer sehr eleganten Verbeugung sagte: »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau – wir sind sehr harmlos in Schönwerth; mit solchen haarsträubenden Gewaltthaten, wie sie das Märchen vom Knaben Mortara der gerngläubigen Welt auftischt, befassen wir uns nicht – gelt, mein Knabe?« Er legte seine geschmeidige weiße Hand vertraulich auf Gabriels Schulter.

Wären nicht der lange, klösterliche Rock und der elfenbeinweiße Fleck auf dem Scheitel inmitten der dunkellockigen Haarfülle gewesen, man hätte nie und nimmer den Geistlichen in dieser Erscheinung gesucht. Keine Spur jener geflissentlich würdevollen Langsamkeit der Bewegungen, die oft so widerlich gespreizt wird und auf Studium und schauspielerische Vorbereitung zurückführt – keine Spur der breiten Salbung in Ton und Wort! ... Es war heute bei Tafel heiß hergegangen auf politischem Gebiet, und da hatte die metallene Stimme dieses Mannes kriegerisch und herausfordernd geklungen wie Trompetengeschmetter.

Bei seinem Eintreten hatte die Kranke das Gesicht wieder in das Kissen gedrückt und war still, als schlafe sie; aber ihr Busen hob sich in stürmischen Atemzügen – sie lag dort wie ein scheuer, zitternder Vogel, der sich unter der greifenden Hand angstvoll niederduckt.

»Was ist das heute wieder, Frau Löhn?« fragte der Hofprediger. »Sie ist sehr aufgeregt – bis in die Sakristei habe ich ihre Klagelaute gehört.«

»Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, ist wieder einmal am Hause vorbeigeritten, Hochwürden – da geht stets der Spektakel los, das wissen wir ja,« versetzte die Beschließerin respektvoll, aber nicht ohne hörbar hervorplatzenden Aerger und Unmut.

Ein Zug von feinem Spott flog blitzschnell um seinen Mund. »Dann muß es eben ertragen werden,« sagte er achselzuckend. »Die Frau Herzogin wird auf diesen Spazierritt im ›Thal von Kaschmir‹ sicher nicht verzichten – wer würde auch den Mut haben, ein solches Opfer von ihr zu verlangen?« Er trat näher an das Bett – eine Bewegung, die ein sofortiges Aufzucken der leidenden Frau zur Folge hatte.

»Bei all Ihrer Strenge geben Sie der Kranken doch wohl zu sehr nach, beste Frau Löhn,« sagte er über die Schulter zurück zu der Beschließerin. »Wozu immer noch diese schweren Armspangen an den gelähmten Gliedern, dieses Kettenwerk auf der Brust?«

»Es wär' ihr Tod, Hochwürden, wenn ich mich an den Sachen vergreifen wollte,« sagte die Frau – das klang eigentümlich gepreßt zwischen den Zähnen. In den tiefen, schmalgeschlitzten Augen der Frau glomm es wie ein verhaltener Funke.

»Glauben Sie doch das nicht – sie ist ja schwach und abgezehrt zum Zerblasen. Diese Last bei ihrer Unbehilflichkeit regt sie mehr auf, als Sie denken ... Kommen Sie, machen wir den Versucht!«

Jetzt öffnete die Kranke ihre Augen weit – sie waren voll Entsetzen. Die Linke fest an den Busen gepreßt, stieß sie einen jener weichen und doch durchdringenden Klagetöne aus, wie sie heute nachmittag zu Liane gedrungen waren. Frau Löhn stand sofort zwischen ihr und dem Mann im schwarzen Rock, der sie bedrohte. Sie legte ihre breite, knochige Linke bedeckend auf das blasse, krampfhaft geballte Händchen.

»Hochwürden, da muß ich bitten!« protestierte sie – es lag eine seltsame Wildheit in dieser entschiedenen Haltung und Gebärde. »Das geht mich auch an! ... Wenn Sie mir sie wild machen, wer hat nachher die schlaflosen Nächte? Ich armes Weib ... Ich brauchte es freilich nicht – ich könnte es ja auch machen wie die anderen im Schlosse, die um keinen Preis einen Fuß hierhersetzen, und hätte meine Ruhe. Ich will auch gar nicht etwa sagen, daß ich's aus Liebe thue, oder aus Mitleid – ich bin ein hartes Weib und will mich nicht besser machen, als ich bin ... Die Leute gehen mich ja auf der Gotteswelt nichts an,« fuhr sie ruhiger, aber auch mürrisch und verdrossen fort. »Wenn ich hier aus und ein gehe und so viel wie möglich für Ruhe sorge, so thue ich's für meine Herrschaft, von der ich das Brot habe.«

»Frau, was ficht Sie an?« beschwichtigte der Hofprediger lächelnd – er schüttelte leise den Kopf. »Wer zweifelt denn an der Pflichttreue, dem kalten Blut der Löhn? ... Mag doch die Kranke ihr Spielzeug behalten – ich bin der letzte, der Ihnen Ihr Amt erschweren möchte.«

Mittlerweile ging die junge Frau mit unhörbaren Schritten hinaus. Sie mußte den klaren Nachthimmel über sich sehen und den Sand des Weges unter ihren Füßen knirschen hören, um zu empfinden, daß sie nicht in der Nebelwolke eines phantastischen Traumes wandle, einen so schwerbeklemmenden Eindruck machten ihr die seltsam zusammengewürfelten Menschen unter dem Bambusdache. Es war ihr, als habe sie ein Bild voll Anachronismen gesehen – jenes fremdartige, feingliedrige Wesen, das schmuckbeladen, in einer weißen Musselinwolke, wie eine indische Fürstentochter auf dem Rohrbette lag, und das hünenhafte, rauhe Weib mit dem grobkörnigen Deutsch auf den Lippen, mit der steifgestärkten Leinenschürze und dem hochaufgesteckten Hornkamm im graumelierten Zopfknäuel am Hinterkopf – ein fast unglaubliches Nebeneinander! ...

Betäubend schlugen der Hinaustretenden die Rosendüfte entgegen. Der Nachtwind hatte sich aufgemacht. Er blies durch die schwüle, vom flimmernden Silberlicht gleichsam starrende Luft und trug einen langgezogenen Harfenton über die Gärten. Die junge Frau legte unwillkürlich ihre schlanken kühlen Hände an die klopfenden Schläfen und verließ die Verandastufen.

»Das Thal von Kaschmir – das Paradies, das die erste atmende Menschenbrust nicht verstanden und für uns alle verwirkt haben soll!« sagte der Mann im schwarzen Rock, der ihr gefolgt war und nun neben ihr her schritt. »Die meisten suchen es und gehen, vom alten Fluch geblendet, blöde vorüber; – der Asket streicht es, seine Entzückungen verlachend, hart und eigenmächtig aus seinem Lebensplan, bis ein Blitz niederfährt und ihm zeigt, daß er ein Thor war, daß er den Fluch nicht ererbt, sondern durch eigene Vermessenheit auf sich geladen hat.« Seine Stimme klang verschleiert, als dämpfe auch sie der erstickend heiße Atem der Julinacht.

Liane blieb stehen und sah in eine unregelmäßigen, aber tiefbewegten Züge; sie wollte antworten – da stieg plötzlich eine klare Blutwelle in ihr Antlitz bis über die perlmutterweißen Schläfen hinauf, und ihre großen, klugen Augen wurden hart und kalt wie Stahl – unter diesem feurig beredten Männerblick ging sie nicht auf ein solch seelenbewegendes Thema ein. Sie überwand eine peinliche Empfindung und sagte sehr kühl und abweisend: »Bei solchen Klagetönen, wie ich sie eben gehört habe, kann ich unmöglich an das Paradies denken ... Wer ist die Unglückliche in dem Hause dort?«

Die Wangen des Mannes wurden blaß. Sichtlich gereizt ließ er einen finstern Seitenblick über die junge Dame hinstreifen, die mit einer einzigen stolzen Wendung ihres lieblichen Hauptes sich völlig unnahbar machte. Das war die Gräfin Trachenberg mit ihrer tadellosen Ahnenreihe hinter sich. »Wird es Ihr stolzes Gefühl nicht beleidigen, gnädige Frau, zu wissen, daß man in Schönwerth eine Verlorenen beherbergt?« sagte er mit scharfer Ironie.

»Es gibt nichts Unbeugsameres, als die tugendstolze Frau – wohl ihr! Aber auch wehe denen, die mit ihrem heißen Herzen abirren! – Ich kenne diesen keuschkalten, richtenden Frauenblick – er schneidet wie ein Schwert!« – Was für Ausdrücke von einem Priestermunde! ... Er wandte sich um und zeigte nach dem Hause mit dem Rohrdach, das bereits hinter den Rosenhecken verschwunden war. »Wer könnte sich jetzt noch denken, daß jenes gelähmte, stammelnde Geschöpf, dessen Füße und Arme bereits vom Tode berührt sind, einst in den Straßen von Benares getanzt hat? Sie war eine Bajadere, ein armes Hindumädchen, das ein Mainau über das Meer entführt hat ... Dieses sogenannte Thal von Kaschmir unter deutschem Himmel ist um ihretwillen entstanden – Tausende sind verschwendet worden, um ihr ein Lächeln zu entlocken, um ihr den Himmel der Heimat vergessen zu machen –«

»Und jetzt ißt sie das Gnadenbrot in diesem Schönwerth und ist der harten Frau auf Gnade und Ungnade hingegeben,« murmelte Liane tief erregt. »Und ihr Kind, das man mißhandelt –«

»Gnädige Frau, in Ihrem eigenen Interesse möchte ich Sie bitten, dem Herrn Hofmarschall gegenüber nicht in so scharfer Weise zu urteilen,« unterbrach er sie. »Es war sein Bruder, der mit diesem Liebeshandel der Welt ein schweres Aergernis gegeben hat – der Mann ist seit Jahren tot, aber noch heute darf man dieses Thema nicht berühren, ohne den alten Herrn in stürmische Aufregung zu versetzen. Er ist ein strenger Katholik –«

»Sein strenger Glaube gibt ihm trotz alledem kein Recht, den unschuldigen Knaben zu unterdrücken, und das geschieht – ich war Zeugin,« sagte Liane unerbittlich.

Sie betraten in diesem Augenblicke das dämmernde Boskett: die junge Dame konnte das Gesicht ihres Begleiters nicht sehen, aber sie hörte verlegenes Räuspern, und nach einem momentanen Verstummen antwortete er in sonderbar stockenden Sätzen:

»Ich habe jene Frau bereits als eine Verlorene bezeichnet – sie war treulos wie alle Hindus – der Knabe hat nicht mehr Anspruch an das Haus Mainau, als jeder andere Bettler auch, der an das Schönwerther Schloßthor anklopft.«

Liane sagte kein Wort mehr. Sie schritt rascher nach dem Ende des Laubganges – es war erstickend heiß unter den engverschränkten Aesten. Die unheimliche Vorstellung drängte sich ihr auf, dieser Glutstrom gehe von dem Manne aus, der sie begleitetet. Eine ihrer Flechten blieb, wie sie meinte, am Gesträuche hängen – sie griff danach und berührte eine jäh aufzuckende Hand. Fast hätte sie aufgeschrieen; wäre in Wahrheit der schlüpfrige Leib der Cobra über ihre Hand geglitten, sie hätte nicht erschrockener in sich zusammenschauern können, als bei dieser Berührung.

Draußen suchte ihr Blick scheu und unwillkürlich die mondbeleuchteten Züge des Priesters – sie waren sehr ruhig, fast steinern. Die kurze Strecke bis zum Ausgange schritten sie schweigend nebeneinander; als die Gitterthür hinter ihnen zuschlug, blieb der Hofprediger stehen – fast schien es, als ringe er nach dem Ausdrucke dessen, was er noch zu sagen habe ... »Dieses Schönwerth ist ein heißer Boden für zarte Frauenfüße, gleichviel ob sie aus Indien oder aus – einem deutschen Grafenhause kommen,« hob er mit gedämpfter Stimme an. »Gnädige Frau, durch die Welt geht jetzt ein Sturm, und das Feldgeschrei heißt: ›Nieder mit den Ultramontanen, mit den Jesuiten!‹ ... Man wird Ihnen sagen, ich sei der schlimmsten einer, ein fanatischer Römling – man wird Ihnen sagen, daß ich im vollsten Maße die verderbliche Macht über Hochgestellte errungen habe, welche der Jesuitenorden auf dem ganzen Erdenrund erstrebe – denken Sie darüber, wie Sie wollen ... Aber wenn Sie je in schlimmen Augenblicken – und die werden nicht ausbleiben – einer eingreifenden, stützenden Hand bedürfen, so rufen Sie nach mir – und ich werde da sein.«

Er verbeugte sich und schritt rasch und elastisch nach dem nördliche Schloßflügel. Liane eilte in den Salon zurück. Sie verschloß mit bebenden Händen die ins Freie führende Doppelthür und untersuchte mißtrauisch jeden Spalt zwischen den Vorhängen, damit kein unberufener Blick hier wieder eindringe ... Nie war ihn im Hinblick auf das, was die Zukunft bringen sollte, unheimlicher zu Mute gewesen, als in dieser Stunde – nie! Selbst nicht in jenen schrecklichen Tagen, wo der Hammer des Auktionators durch das Rudisdorfer Schloß scholl, wo ihre Mutter händeringend durch die kahlen, hallenden Säle und Zimmer lief, sich in wildester Verzweiflung auf den Boden warf, und Gott anklagte, daß er die letzten Trachenberger Hungers sterben lasse ... Damals hatte die geistesstarke Ulrike das Steuer ergriffen und in ein verhältnismäßig erträgliches Leben eingelenkt, und der Retter für sie und ihre Geschwister war – die Arbeit gewesen. Die Arbeit – eine ehrlichere Stütze, als die »eingreifende Hand« jenes katholischen Priesters! Nein, lieber sterben im Ringen mit den »schlimmen Augenblicken«, als nach ihr rufen! ...

Die zweite Frau

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