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1. Einführung: Relevanz und Reichweite der Wikipedia

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Die meisten Internetnutzer sehen in der digitalen Plattform Wikipedia bei ihrer täglichen Nutzung ein Nachschlagewerk, das ihnen bei Alltagsfragen zur ersten Orientierung dient. Zwischenzeitlich geht die Relevanz der Wikipedia jedoch weit über die Funktion einer Online-Enzyklopädie hinaus. Je nach Blickwinkel kann die Wikipedia auch als Nachrichtenquelle, als Kanal für Public Relations oder als Lehr- und Lerngegenstand gesehen werden. Diese möglichen Sichten auf Wikipedia sollen im Folgenden eingehend beschrieben werden. Besonders wichtig und den anderen Perspektiven übergeordnet ist in diesem Buch das Verständnis der Wikipedia als diskursiver Raum: Wikipedia stellt mit ihrer großen Reichweite eine neue digitale Teilöffentlichkeit dar, in der sich grundsätzlich alle Interessierten mit Internetzugang zu einer großen thematischen Bandbreite äußern können. Neben Einträgen zu Allgemeinwissen (z.B. zur Tierart der Schneehasen) werden dort auch viele aktuelle Themen etwa aus dem Bereich der Politik thematisiert, die häufig Gegenstand ausführlicher Kontroversen sind (z.B. die sogenannte Krimkrise). Dies wird besonders deutlich, wenn man hinter die Kulissen der Wikipedia schaut, also die weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten oder Versionsgeschichten der Online-Enzyklopädie betrachtet. Wikipedia-Autoren ringen dort um die aus ihrer Sicht richtige bzw. neutrale Benennung aktueller Geschehnisse. Es kommen dann Fragen dieser Art auf: Soll der Wikipedia-Eintrag zu den Ereignissen auf der Krim im Frühjahr 2014 als Krimkrise oder als Annexion der Krim bezeichnet werden? Während eine Krise ‚eine schwierige Lage bzw. Situation’1 ist, bedeutet Annexion so viel wie ‚gewaltsame und widerrechtliche Aneignung fremden Gebiets’2. Anhand solcher Diskussionen in Wikipedia wird sichtbar, dass das Ringen um Worte dann auch ein Ringen um Weltdeutungen ist. Mit dem Durchsetzen spezifischer sprachlicher Muster geht in der Folge auch die Dominanz gewisser Weltdeutungen einher. Die Untersuchung des Aufkommens und der Verbreitung solcher Sprachmuster in einzelnen Wikipedia-Einträgen, in der gesamten Online-Enzyklopädie sowie in der medialen Öffentlichkeit insgesamt ist zentrales Anliegen der Diskurslinguistik. Vor dem Hintergrund der Aushandlung von Wissensbeständen im digitalen Diskurs der Wikipedia lässt sich auch begründen, warum der Begriff Interaktion im Titel dieses Beitrags so prominent gesetzt ist, obwohl er sonst wenig in Verbindung mit diskursanalytischen Arbeiten gebraucht wird. Für die digitalen Diskurse in Wikipedia ist charakteristisch, dass die enzyklopädischen Inhalte der Artikelseiten durch die aufeinander bezogenen Sprachhandlungen auf den Diskussionsseiten von Wikipedia-Autor zu Wikipedia-Autor zustande kommen.

Die reflektierte Betrachtung digitaler Diskurse ist nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch ganz allgemein für Internetnutzer von zentraler Bedeutung. Sie ziehen nur dann den größten Nutzen aus der Online-Enzyklopädie, wenn sie auf diese kompetent zugreifen und deren diskursive Dimension erkennen. Obwohl vier von fünf Internetnutzern regelmäßig auf die Wikipedia zugreifen, kennen viele mit den Artikelseiten nur den enzyklopädischen Kern der Wikipedia. Hier wird deshalb die Struktur der Wikipedia erläutert, um die zentrale Funktion der weniger bekannten Bereiche wie Diskussionsseiten und Versionsgeschichte zu verdeutlichen.

Dieses Wissen und der kompetente Zugriff sind in vielen verschiedenen Kontexten relevant: Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der reflektierte Umgang mit Wikis und vor allem mit der Wikipedia nicht nur unter dem Vorzeichen der Zitierfähigkeit in der Hochschullehre zu diskutieren ist. Wikipedia wird etwa auch als Anschauungsobjekt für Schreibtrainings genutzt. Im Dialog mit Lehrern hat sich herausgestellt, dass eine Heranführung von Schülern an die reflektierte Nutzung der Wikipedia sehr viel zielführender ist und zu mehr Medien- und Informationskompetenz führt als ein grundsätzliches Verbot der Wikipedia.

Die Wikipedia wird zunehmend auch für die journalistische Recherche genutzt. Den Journalisten kommt in ihrer Funktion als Informationsmittler die besondere Aufgabe zu, Informationen aus dem Netz vor der journalistischen Weiternutzung besonders eingehend zu prüfen. Für diese Berufsgruppe ist deshalb ein kompetenter Umgang mit Wikipedia unumgänglich. Die Wikipedia ist aufgrund ihrer Reichweite auch für die Darstellung von Organisationen und Institutionen nicht zu unterschätzen. PR-Experten haben die Wikipedia als PR-Kanal entdeckt und es gibt Projekte zu bezahltem Schreiben in der Wikipedia. Nicht zuletzt können auch Wissenschaftler, die zum interdisziplinären Feld der Wikipedistik beitragen möchten, indem sie die Wikipedia oder grundsätzlich Wikis zum Untersuchungsgegenstand ihrer Forschungsprojekte machen, inspirierende Hintergrundinformationen in diesem Buch finden.

Digitale Diskurse und Wikipedia

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