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Siaspiqa

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Amiris, die Priesterin, war eine schöne Frau, doch sie wirkte in irgendeiner Weise, die Moiria sich nicht erklären konnte, verausgabt. In Amiris Gesicht zeigte sich das nur, ihre Bewegungen waren davon unberührt.

Ihr Tanz war etwas Außergewöhnliches, fließende, unendlich weiche Biegungen und Windungen ihres gesamten Körpers und kraftvolle, weite Sprünge verschmolzen miteinander in vollendeter Anmut und tiefer Verinnerlichung. Schwarze Schleier begleiteten sie bei ihren Bewegungen, von denen kein Zuschauer den Blick wenden konnte.

Moiria schien es so, als ob dieses Schwarz, obwohl hauchzart, über allem lastete und Amiris das Strahlen genommen und in sich aufgesaugt hatte. Amiris Stimme klang wie beruhigendes, kühles Wasser, als Moiria ihr jetzt zuhörte. Von ihrem Tanz in Trance erzählte sie, wie sie sich hineinversetzte in den Strom, bis sie selbst das Wasser wurde. Wie sie durch ihre Bewegungen das Wesen des Flusses sprechen ließ, der seine Seitenarme ausstreckte, der anstieg, der über sein Bett hinaustrat und sich ein neues suchte.

»Jeder Schritt, den ich tanze, entspricht dem Lauf und der Schnelligkeit des Flusses, meine Arme zeigen das Anschwellen der Fluten.« Hier machte Amiris eine kleine Pause.

Da fragte Moiria: »Woher, weißt du nun aber, dass der eine Schritt, den du gerade gehst, auch der richtige ist und nicht ein anderer, in eine andere Richtung?«

Amiris lächelte. »Ich bin der Fluss, der fließen will. Der Fluss fließt ohne zu fragen, er kennt kein Falsch oder Richtig.«

Moiria sah Amiris nachdenklich und nicht so ganz überzeugt an. »Wie soll mir das auch gelingen?«

»Es ist sehr wichtig, dass du lernst, dir selbst völlig zu vertrauen, dass du dich ganz fest und sicher auf dich selbst verlassen kannst. Dein Handeln wird dann ebenso sein«, antwortete Amiris.

»Das möchte ich ja gern, aber wie, wenn ich Zweifel in mir habe und Reue über Dinge, die mir missglückt sind?«

»Seit wann hast du denn Zweifel?«

»Immer schon habe ich Zweifel, so lange ich denken kann.«

»Aus diesem Zweifel musst du heraus.«

»Und wie soll ich das tun?« fragte Moiria ohne große Zuversicht.

»Du wirst sehen. Sei ganz ruhig.«

Amiris goss einige Tropfen aus einem kleinen Fläschchen in die Rauchschale für die Duftharze. Ein Blumenduft von unendlicher Reinheit entfaltete sich und erfüllte die Luft. Er war so, dass Moiria sich zurücklehnen wollte.

Amiris lächelte und sprach: »Wir werden versuchen, dein Vertrauen wieder zu finden.«

Moiria warf ihr einen verwunderten Blick zu.

Amiris strich behutsam mit ihrer schönen Hand über Moirias Augenlider. »Schließe die Augen.« Wie von selbst wurden Moirias Lider müde. Amiris Stimme klang so sanft: »Erinnere dich an eine Begebenheit, die heute Morgen war.«

Moiria dachte an den Morgen mit Ina und Enki. Sie sah noch einmal Bel-shalti-Nannar, die eindringlich auf Ina einsprach.

Vorsichtig fragte Amiris: »Bist du bei einem Ereignis heute Morgen angelangt, erlebst du es wieder?«

»Ja«, nickte Moiria und ihre eigene Stimme erklang seltsam.

»Dann gehe zurück zu dem Tag, der gestern war und zu dem Tag davor. Stelle dir vor, wie ein Tag im letzten Jahr war und im Jahr vorher. Geh weiter zurück, immer weiter«, sprach Amiris.

Den Blumenduft atmend und Amiris' wie ein Brunnen dahinplätschernder Stimme lauschend träumte sich Moiria zurück. Begebenheiten zogen an ihr vorbei, die sich einmal ereignet hatten und die sie schon vergessen hatte.

»Geh weiter zurück in der Zeit, geh in deine Kindheit.«

Bilder taten sich vor Moiria auf, altvertraut und überwältigend warm im Wiedererkennen.

»Was siehst du«, fragte Amiris.

»Ich bin auf meinem Spielplatz.«

»Wo ist dein Spielplatz?«

»Er ist zwischen der Palastmauer und der äußeren Umfassungsmauer neben dem Seiteneingang.«

»Was spielst du?«

»Ich spiele das Spiel, das alle Kinder spielen. Ich habe Felder auf den Boden gezeichnet und hüpfe hindurch.«

»Und wie fühlst du dich dabei, fühlst du dich sicher?«

»Ja, sicher.«

»Liebst du das Spiel?«

»Es ist mein liebstes Spiel.«

»Bist du allein dabei«, fragte Amiris.

»Ich bin ganz allein«, antwortete Moiria.

»Hat dir jemand gesagt, dass du dieses Spiel spielen sollst?«

»Nein.«

»Woher weißt du, dass du gerade dieses Spiel spielen willst?«

»Es ist in mir.«

»Du bist ganz überzeugt, dass du nur dieses Spiel spielen willst und kein anderes? Du hast keinen Zweifel daran?«

Ein Lächeln huschte über Moirias Gesicht. »Ich will jetzt nur dieses Spiel spielen, kein anderes. Später werde ich vielleicht ein anderes Spiel spielen. Aber das ist später. Jetzt ist jetzt.«

Amiris Stimme klang immer leiser, wie aus großer Entfernung. Moirias Wahrnehmung ihrer Kindheit wurde deutlicher. Die Linien, die sie soeben gezeichnet hatte, der Boden unter ihren Füßen und die Geräusche, die sie hörte, die vom Hafen herüberklangen. Sie schnupperte die Luft. Düfte zogen vom Küchenhaus herüber, die verrieten, dass ihre Lieblingsspeisen zubereitet wurden.

»Komm zurück, Moiria.« Amiris Stimme war neben Moiria.

Moiria schien das seltsam. Was wollte Amiris Stimme beim Seiteneingang?

»Wach auf, Moiria!« Amiris Stimme wurde lauter in Moirias Traum.

Moiria wollte ihre Augen nicht aufmachen.

»Komm zurück. Du bist jetzt kein Kind mehr, du bist ein erwachsenes Mädchen. Die Tage deiner Kindheit sind vorbei, sie sind endgültig vergangen, komm zurück, wir haben nur einen Ausflug dahin gemacht. Er ist jetzt beendet.«

Unwillig öffnete Moiria langsam die Augen und nahm ihre Umgebung wahr. Sie sah Amiris, an deren vollkommenen Waden und Fesseln sich Katzen schmiegten, und die karge Einrichtung des Tempels, in dem sie sich befanden.

»Du warst in deiner Kindheit«, sagte Amiris, um dich daran zu erinnern, wie es ist, ohne Zweifel zu sein.«

Moiria sah Amiris aus weiten Augen an.

»Weißt du jetzt wieder, wie es ist, Vertrauen zu sich selbst zu haben? Hast du erkannt, dass es immer zu dir gehört hat, und du es nur vergessen hattest?« sagte Amiris.

Moiria nickte.

»Kannst du die Zweifellosigkeit, die Einheit jetzt bewahren und bei dir behalten?«

»Ich will es versuchen«, sagte Moiria.

»Gut, dann nimm das als erste Übung für die nächsten Tage. Jeder Schritt, den du tust, jede Bewegung, die du ausführst, soll in Sicherheit, ohne Zweifel, geschehen. Sobald dir das gelingt, kommst du wieder und wir werden weiterarbeiten.«

Moiria verabschiedete sich von Amiris. In Gedanken versunken ging sie zum Palast zurück. Es klang so einfach, was Amiris sagte. Es war auch so einfach, wenn der Zweifel abwesend war. So wohlig sicher war es. Aber wenn Moiria es sich so recht eingestand, dann waren die Angst und der Zweifel schon wieder bei ihr. Und deshalb war es nicht einfach. Es war schwierig. Die Wirklichkeit war schwierig. Und mit jedem Augenblick, der verstrich, wurde sie schwieriger und verzweifelter. Keiner würde Nebukadnezar mehr seinen Plan ausreden können. Er würde einen Weg finden, ihn auszuführen. Denn sein Vorhaben war schon zu fest, um sich nicht auch ereignen zu wollen.

Wie sollte Moiria ein Gefühl der Einheit üben, wenn die Angst sie beklommen machte und der Zweifel laufend an ihr zerrte? Solange sie keinen Ausweg gefunden hatte, würde sie ihre Ausbildung bei Amiris nicht fortführen können. Und das wiederum würde zu neuen Schwierigkeiten führen. Bel-shalti-Nannar würde fragen, warum sie nicht mehr zu Amiris ginge und Amiris würde sich wundern, warum sie nicht mehr kam. Wem sollte Moiria denn die Wahrheit sagen? Sie würde irgendeine Lüge erfinden müssen, die ihr sowieso keiner glauben würde. Und das wiederum würde zu neuen unangenehmen Fragen von Bel-shalti-Nannar führen.

Am liebsten wäre Moiria einfach in ihren Gemächern geblieben, damit sie niemanden sehen musste. Aber das war undurchführbar, denn bei Bel-shalti-Nannar und Enki konnte keiner lange krank bleiben und schon gar nicht vorgeben, es zu sein.

Bel-shalti-Nannars Palast war von ihrem Vater Nabonid erbaut worden. Das imposante Gebäude, das ganz nach ihren Wünschen gestaltet worden war, gruppierte sich in seiner Bauweise um eine Reihe von Lichthöfen herum. Der größte und zugleich Haupthof lag unmittelbar vor Bel-shalti-Nannars Empfangssaal, in dem auch ihr Thron auf einer Estrade stand. Das Zedernholz für die Säulen, Balustraden und filigran durchbrochenen Wandverkleidungen war auf Karawanen von weit her herbeigeholt worden. Mosaike und edle Ausstattung, die niemals überladen wirkte, entsprachen Bel-shalti-Nannars Hang zu gediegener, kostbarer Schlichtheit. So hatte der Palast trotz der teilweise sehr dicken Mauern etwas Luftiges und Leichtes.

Über eine Brücke, die einen neben dem Palast vorbeiführenden Kanal überquerte, der mitten durch Ur zog, konnte der heilige Bezirk erreicht werden, dessen gewaltige Umfassungsmauern verschiedene Tempel und Gebäudekomplexe beherbergten, wie den Ningal-Tempel, die Zikkurat, auf der der Hochtempel des Nannar stand, das Priesterinnen-Kloster, die Schule der Schreiber, das Museum, das Schatzhaus, Korn- und Vorratsspeicher sowie die Plätze der Handwerker.

Bel-shalti-Nannar war auf dem Weg in den Tempel der Ningal. Es gab Verschiedenes zu klären in einer Angelegenheit, in der sie Gewissheit haben musste. Sie wollte die Göttin deshalb befragen. Doch bevor sie den Tempel betreten konnte, wurde sie aufgehalten. Sin-Asarid, der im heiligen Bezirk eine hervorragende Ausbildung als Schreiber erhalten hatte und nun Aufgaben in der Verwaltung erfüllte, wünschte eine Unterredung.

»Was liegt an«, fragte Bel-shalti-Nannar, »Sin-asarid, dass du mich stören musst?«

»Es ist unwichtig eigentlich.«

»Unwichtig sagst du! Also was willst du dann von mir? Entscheide es selbst!«

»Ich möchte, dass du mit dieser Entscheidung einverstanden bist. Es geht um die Vergabe eines zinslosen Kredites.«

Bel-shalti-Nannar wurde unwirsch. »Der Tempel vergibt zurzeit keine zinslosen Kredite. Du kennst doch meine Richtlinien.« Hiermit wollte sie Sin-asarid stehen lassen.

»Es ist ein Ausnahmefall, es handelt sich um eine besonders bedürftige Familie. Sie können ihre Steuern nicht mehr bezahlen und sind nun auf die Hilfe des Tempels angewiesen.«

»Haben diese Leute Hausbesitz, Grundbesitz?« fragte Bel-shalti-Nannar. »Ja, so ist es.« antwortete Sin-asarid.

»Wie können diese Menschen dann vorgeben, bedürftig zu sein, wenn sie haben? Es ist unrecht, was sie tun. Sie wollen Geld für sich, das nur den Allerärmsten vorbehalten ist. Sie nehmen anderen dadurch etwas weg. Das ist Diebstahl, den wir nicht unterstützen können!«

Bel-shalti-Nannar sah Sin-asarid scharf an. Einen Augenblick nur konnte er ihrem Blick standhalten, dann wurde er rot und sah auf den Boden. Er war jetzt sehr verlegen.

»Sag einmal«, hakte Bel-shalti-Nannar nach, »handelt es sich hier um Freunde oder Familie von dir?«

»Ja«, er wagte nicht aufzusehen.

»Nun, wenn es so ist, dann bekommen sie natürlich ihren Kredit ...« Sin-asarid fiel vor Bel-shalti-Nannar auf die Knie.

»Danke, Herrin, Danke, du bist so gut und großzügig.«

Ihre Stimme wurde honigsüß und mit zusammengekniffenen Augen sagte sie: »...befristet, gegen ihr Land als Pfand und gegen die üblichen Zinsen. Sie sollen sich an mein Bankhaus wenden.« Damit ließ sie ihn nun endgültig stehen.

Sie war erbost. Alle, alle wollten nur immer haben. Und keiner war bereit, auch etwas dafür zu geben. Ob nah oder fern, jeder versuchte, sie zu hintergehen, immer wieder, selbst wenn er schon einmal dabei ertappt worden war. Schämten sich diese Menschen eigentlich gar nicht, waren sie zu dumm, oder hofften sie darauf, dass sie einmal nachließ und nichts merkte?

Sogar Tamkaru schloss manchmal ein gutes Geschäft ab, ohne sie daran zu beteiligen. Aber bei Tamkaru sagte Bel-shalti-Nannar nichts, sie ließ ihm das. Denn der Tempel kam durch ihn zu noch größerem Reichtum, und seine Beziehungen waren zu wertvoll, als dass sie auf ihn hätte verzichten können. Gerade jetzt, wo die Verbindung mit Kush so große Zukunftsmöglichkeiten eröffnete.

Das Bündnis mit Kush. Bel-shalti-Nannar wollte die Göttin um Rat bitten. Denn Kush entzog sich schon allein durch die Entfernung zu stark ihrem Machtbereich, und seit langem wünschte sie eine Festigung ihres Vorhabens. Aus bisherigen Erfahrungen wusste sie, dass sie Siaspiqa, dem Herrscher von Kush, auf keinen Fall vorbehaltlos trauen durfte, ebenso wenig wie früher seinem Vater Amaniastabarqa. Er verfolgte seine eigenen Interessen. Sie konnte ihm das nicht verdenken, wahrte sie doch letztlich auch nur die ihren und nicht die seinen.

Moiria lief mit gesenktem Kopf durch den Palast und hielt ihn nur dann gerade aufgerichtet, wenn Bel-shalti-Nannars Blicke auf ihr ruhten. Zeit verging, während derer sie sich wünschte, sie könne unsichtbar sein. Tage verstrichen, während derer sie sich einredete, Bel-shalti-Nannar habe kein Wissen von Nebukadnezars letztem Besuch und seinen Plänen. An diese Hoffnung klammerte sie sich, denn Bel-shalti-Nannar hatte die Tatsache, dass er zu Besuch war, während sie auf der Zikkurat weilte, schlichtweg übergangen.

Bei Nebukadnezars früheren Aufenthalten war das anders gewesen. Bel-shalti-Nannar hatte jedes Mal eine Bemerkung darüber gemacht, etwa »Habt ihr eine nette Unterhaltung gehabt, mein Kind?« oder »Was gibt es Neues?« oder »Was macht die Beltu von Uruk?« Nicht dass Moiria ernsthaft geglaubt hätte, Bel-shalti-Nannar habe keine Ahnung davon, wie es der Beltu, der Hohepriesterin der Göttin Ishtar erging, oder dass sie nicht bestens über die neuesten Familiengeschichten aus Uruk unterrichtet sei. Das war es nicht, aber sie hatten ganz einfach ein wenig darüber geplaudert.

Doch diesmal hatte die erwartete Unterhaltung nicht stattgefunden. Moiria hatte sich bereits alles Mögliche zurechtgelegt, was Nebukadnezar von sich hätte erzählt haben können. Aber es war überflüssig, denn Bel-shalti-Nannar hatte gar nichts erwähnt, nicht einmal »Wie schön für dich, mein Kind, dass dein Vater dich heute besucht hat, da hast du dich sicher sehr gefreut.«

Auch das hatte sie nicht gesagt. Moiria bemühte sich, daraus zu schließen, dass Bel-shalti-Nannar nichts wusste. Moiria bemühte sich, aber es gelang ihr nicht. Denn wie sollte es sich zugetragen haben, dass einer Frau wie Bel-shalti-Nannar, der sonst nichts entging, nun plötzlich etwas verborgen geblieben sein sollte?

Deshalb versuchte Moiria, Gründe dafür zu finden, wieso Bel-shalti-Nannar Nebukadnezars Besuch nicht bemerkt haben könnte. Vielleicht war er ihr gar nicht gemeldet worden. Es hätte ja sein können. So dachte sie sich die verschiedensten Möglichkeiten aus, die eine brauchbare Erklärung abgaben, und sie redete sie sich ein, so gut es ging. Doch es blieb ein eigenartiges Gefühl, dass irgendetwas daran nicht stimmte. Und so wollte Moiria nur glauben, dass Bel-shalti-Nannar nichts wisse, ebenso, wie sie hoffte, Nebukadnezar habe noch nichts unternommen, denn noch immer hatte sie keinen Ausweg gefunden.

Moiria ging Bel-shalti-Nannar möglichst aus dem Weg. Und Bel-shalti-Nannar schien offensichtlich anderes zu tun und anderes im Sinn zu haben, als sich mit Moiria zu beschäftigen. Sie sahen sich wenig und sprachen kaum miteinander und das Unausgesprochene schwelte. So verging die Zeit.

Die letzte der kushitischen Truhen mit dem Siegel Siaspiqas war soeben in Bel-shalti-Nannars Schatzhaus untergebracht worden. Kush hatte den geforderten Preis vollständig bezahlt. Er war hoch gewesen, sehr hoch sogar. Aber er war bezahlt worden, heute, durch Tamkaru an Bel-shalti-Nannar überbracht. Gemeinsam überprüften sie den Inhalt der Truhen, Gold und Edelsteine, die besten, die Kush liefern konnte, so wie sie es gewünscht hatte. Tamkaru war Zeuge gewesen, als die Schätze in Meroë verpackt und versiegelt worden waren. Jetzt in Ur, als sie geöffnet wurden, stimmten sie mit der Auflistung der meroitischen Schreiber genau überein.

Tamkaru sah Bel-shalti-Nannar ergriffen, als ihre Augen die neuen Schätze betrachteten und sie mehr zu sich selbst sprach, als zu ihm: »Nun soll es also sein«, ihre Stimme war fast ein Flüstern, »Ningal hat es mir gesagt, doch auch wenn ich es schon wusste, nun da du mir die Botschaft überbringst und ich sie aus deinem Munde höre, ist mir so, als ob ich erst jetzt ermessen kann, dass es wirklich geschehen soll ...«

Verletzlich schien Bel-shalti-Nannar geworden zu sein. »Es ist der Wille der Götter«, sagte er sanft zu ihr, »Amuns ebenso wie der Ningals und Nannars.«

»Du hast recht«, hauchte sie, über deren Wange eine Träne huschte, die im Widerschein der Schätze glänzte.

»Die Zeit, die du ersehnt hast, ist jetzt gekommen«, sprach er weiter und wusste, dass seine Worte ihr jetzt wohl taten, »Kush ist gewillt, die von dir geforderten Bedingungen ausnahmslos einzuhalten. Die erste ist bereits erfüllt.«

Bel-shalti-Nannar sah ihn an, als ob sie wirklich erst in diesem Augenblick begriff, was es bedeutete. »Nun habe ich meine Verpflichtung einzulösen, es gibt kein Zurück mehr ...«

Tamkaru war ebenfalls ergriffen. Nie hatte er geglaubt, dass ihn das jemals so anrühren würde. »Du musst jetzt deinen Beitrag leisten«, sagte er, »du bist dazu aufgefordert.«

Der Abschied würde ihr schwer fallen. Noch niemals hatte er sie in einer solchen Stimmung erlebt. Bel-shalti-Nannars Stimme erstarb fast. »Ningal und Amun haben zu ein und derselben Entscheidung gefunden. Deutlicher kann das Zeichen nicht sein. Ich bin erneut aufgerufen, ein Opfer zu bringen. Viele Opfer habe ich bringen müssen auf meinem Weg ... viele ... und nun wird auch dieses noch verlangt von mir ...«

›Was will sie von mir?‹ dachte Moiria, als sie die Höfe und Gänge durchschritt, die zu Bel-shalti-Nannars großem Empfangsraum führten. Weswegen hatte sie sie rufen lassen? Wegen einer Alltäglichkeit konnte es nicht sein. Denn alltägliches wie abschweifende Gedanken oder versäumte Unterrichtsstunden wurden von Bel-shalti-Nannar üblicherweise nebenbei, sozusagen im Vorbeigehen, geahndet. Deswegen rief sie Moiria nicht zu sich. Oder ging es um all die Alltäglichkeiten bisher, die sie alltäglich unterlassen hatte? Moiria wusste, dass Bel-shalti-Nannar sehr unzufrieden mit ihr war.

Wollte Bel-shalti-Nannar sie vielleicht nicht mehr als ihre Nachfolgerin haben und eine andere benennen? Philomena? Oder hatte sie am Ende doch Kenntnis von Nebukadnezars Plänen erhalten und vertraute ihr nun nicht mehr? Moiria war in einem niederschmetternden Ausmaß übel zumute. Als sie den Empfangssaal erreichte, hielt sie inne.

In dem großen Raum herrschte Stille. Er war menschenleer. Keine Besucher waren heute zugelassen worden. Bel-shalti-Nannar saß in einer ihrer mit Edelsteinen übersäten Roben auf ihrem Thron. Moiria erschrak. Der Thron, es war so bedeutend, dass sie es vom Thron aus sagen musste.

Sie gab ihren Amtsrücktritt bekannt.

Bel-shalti-Nannar starb, weil sie alt war, oder weil das Gift, das Nebukadnezar ihr verabreichen wollte, schon zu ihr gefunden hatte und zu wirken begann. Moirias Knie wollten nachgeben. Wenn es so war, dann musste sie heute noch ihre Nachfolge antreten. All ihren Mut zusammennehmend ging sie auf Bel-shalti-Nannar zu.

Hatte sie vielleicht von Anfang an doch alles von Nebukadnezar gewusst? Wollte sie die Wahrheit aus ihrem Munde hören und hatte sie deshalb so lange gezögert? Wenn Bel-shalti-Nannar es wirklich gewusst hatte, dann musste sie sie jetzt aus der Reihe der Priesterinnen entlassen. Was auch immer Bel-shalti-Nannar jetzt sagen würde, es entschied mit großer Tragweite über ihre Zukunft.

Tapfer schritt Moiria weiter. Als sie den Thron erreichte, blieb sie davor stehen. Bel-shalti-Nannars Miene verriet nichts. Unter den Goldblättchen ihres mehrstöckigen Kopfputzes ringelten sich ein paar winzige, graue Löckchen hervor. ›Sie ist alt geworden‹, dachte Moiria, ›älter als ich sie in all ihrer Vitalität bisher wahrgenommen habe.‹

Bel-shalti-Nannar musterte Moiria und ihre Augen glitzerten. In ihr schien es zu vibrieren. ›Sie denkt noch nicht ans Sterben‹, dachte Moiria, ›sie ist lebendiger denn je.‹ Bel-shalti-Nannar schwieg noch. Moiria wagte kaum zu atmen.

»Mein Kind...«, begann Bel-shalti-Nannar schließlich.

Moirias Atem stockte. Jetzt kam es, gleich würde sie es wissen.

»... dein Schicksal hat sich geändert ...«

Die Farbe des Lebens war aus Moirias Wangen gewichen. Bel-shalti-Nannar wusste alles.

»... es wird nun nicht mehr den Verlauf nehmen, den wir für dich vorgesehen hatten«, sprach Bel-shalti-Nannar weiter, »dein Leben wird einen neuen Weg nehmen.«

›Nun verstößt sie mich‹, dachte Moiria, und wartete darauf, wie auf ein Todesurteil.

Da hörte sie Bel-shalti-Nannar sagen: »Du wirst heiraten, mein Kind!«

Morias Herz setzte aus.

»Du heiratest Siaspiqa, den Herrscher von Kush.«

Moirias Herz, das für einen Augenblick stillgestanden hatte, tat nun einen Satz. Das war der Ausweg, nach dem sie gesucht hatte! Das war die Rettung!

Bel-shalti-Nannar lächelte. »Ich sehe, mein Kind, dass dich die Nachricht freut.«

Moirias Gesicht wurde zunehmend rosiger und ihr Atem begann zu fließen.

»Ningal hat mir gezeigt, dass du diejenige sein sollst, die das Bündnis mit Kush festigt. Du bist von Ningal und Amun-Re dazu auserwählt worden.«

Weit fort, in ein fernes Land, weit weg von Bel-shalti-Nannar und Nebukadnezar! Moiria konnte ihr Glück kaum fassen.

»Jesed wird dich nach Meroë bringen. Ich habe ihm eine Nachricht gesandt und er trifft in den nächsten Tagen hier ein, um die Reise mit uns zu besprechen. Sobald alle Vorbereitungen getroffen sind, werdet ihr aufbrechen. Und während der Zeit, die bis zu deiner Abreise verbleibt, werden wir jeden Augenblick für deine weitere Ausbildung nutzen.«

Moiria hörte nur halb hin. In dieses wunderschöne Land in Afrika sollte sie reisen und dort leben! Sie würde heiraten! Sie würde lieben! Sie würde Leidenschaft erleben! Siaspiqa, der König dieses Märchenlandes, konnte nur der schönste Mann auf Erden sein!«

»Dabei werde ich dir das gesamte Wissen vermitteln, das du für deine dortige Aufgabe haben musst«, fuhr Bel-shalti-Nannar fort.

Moirias Gedanken begannen davonzufliegen, über den Palast und über Ur hinaus. In ihren Träumen war sie schon so oft dahingegangen – und nun sollten sich diese bewahrheiten.

Bel-shalti-Nannar sprach, und Moiria hörte nicht hin. Moiria sah Akazien vor sich, leuchtende Blumen und schöne Menschen, die sangen und tanzten.

Inzwischen zählte Bel-shalti-Nannar die Kenntnisse auf, die Moiria sich noch zu erwerben habe. »Du siehst, mein Kind, du hast noch sehr viel zu lernen, wir werden gleich heute damit anfangen.«

Ein ganz leichtes, seliges Gefühl des Glücks war in Moiria. Dort erst, dort in diesem märchenhaften Land, würde sie nie wieder Bel-shalti-Nannars Gerede zu Ohren bekommen. Grenzenlose Erleichterung löste diese Vorstellung in ihr aus.

Da hörte sie Bel-shalti-Nannar sagen: »Außerdem habe ich einen Sprachlehrer ausgewählt, der sofort beginnen wird, dich in der Landessprache zu unterrichten.«

Das war Moiria gar nicht recht. Schnell schob sie ihre Träume von lauschigen Plätzen beiseite und rief: »Aber das brauche ich doch nicht, manches Mal habe ich schon etwas Ägyptisch gelernt.«

»Sei still, mein Kind! Was weißt du denn schon? Wie willst du dich verständigen, bei den wenigen Begriffen, die du kennst? Außerdem würde es dir nicht viel nützen, da in Kush eine eigene Sprache gesprochen wird. Die ägyptische Sprache wird nur bei hohen Feierlichkeiten, Ansprachen, Anrufungen von Gottheiten, Tempel- und Grabinschriften verwendet. Deshalb beginnst du in beiden Sprachen eine sorgfältige Ausbildung.«

»Ich kann doch dort lernen, da sprechen sie bestimmt auch unsere Sprache.«

»Eben nicht, von ein oder zwei Dolmetschern abgesehen, denen du nicht trauen darfst. Deshalb sollst du heute schon anfangen zu üben!«

Moiria seufzte, Bel-shalti-Nannar konnte es einfach nicht lassen.

»Dein Sprachlehrer wird dich auch auf der Reise begleiten«, fuhr Bel-shalti-Nannar fort, »die Unterrichtsstunden werden unterwegs beibehalten.«

Das war wieder eine von Bel-shalti-Nannars üblichen Übertreibungen. Genug war für sie nicht genug und vollendet war nicht vollendet, es musste abermals verbessert werden. ›Übervollendet‹, dachte sich Moiria, ›wie immer.‹ Wozu sollte sie sich abmühen? Siaspiqa würde ihr die Sprache beibringen ... Siaspiqa! Moiria ging es durch und durch.

»Ich nehme an«, meinte Bel-shalti-Nannar, »dass, auch wenn du fleißig übst, du bei deiner Ankunft in Meroë noch nicht fließend sprechen kannst ...« Hier verstummte sie. Ein Fuß unter ihrer Robe wippte.

Moiria beobachtete den Fuß, während sie dachte, dass Siaspiqa vielleicht doch alt und hässlich sein konnte. Falls er ihr nicht gefiele, dann wollte sie ihn niemals heiraten, sondern mit Jesed auf und davon gehen.

Der Fuß wippte immer noch. ›Sie merkt heute nicht einmal, dass ich ihr nicht zuhöre, sie wird eben doch alt‹, stellte Moiria fest. So als ob Moiria das Gedachte laut gesprochen hätte, antwortete Bel-shalti-Nannar:

»Mein Kind, du schweifst mit deinen Gedanken ab.«

Es war ihr also doch nicht entgangen. ›Auch das würde ein Ende haben, bald‹, dachte Moiria.

Bel-shalti-Nannars Sätze wurden immer eindringlicher. »Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass du die Sprache lernst. In Kush benötigst du zunächst noch Hilfe, deshalb wird dein Lehrer auch zugleich dein Dolmetscher sein. Er wird erst dann zu mir zurückkehren, wenn du selbst alles verstehen kannst, was gesprochen wird, und ausdrücken kannst, was du sagen möchtest.«

Moiria war überzeugt, dass sie sich dort sofort, auch ohne Worte, mit Siaspiqa verstehen würde und hielt Bel-shalti-Nannars Vorkehrungen deshalb für völlig überflüssig. So überflüssig wie fast alles von dem, was sie sagte. Warum nur hatte Bel-shalti-Nannar diesen ganzen Aufwand mit ihr vor? Wenn sie nicht mehr ihre Nachfolgerin war und in einem anderen Land lebte, konnte es ihr doch gleichgültig sein, was sie tat oder nicht!

»Mein Kind, du bist schon wieder unaufmerksam«, unterbrach Bel-shalti-Nannar Moirias Gedankengang, »wir werden mit unserem Gespräch zu einer anderen Stunde fortfahren. Es wäre besser für dich, wenn du dann offen bist für das, was ich dir mitzuteilen habe. Denn du sollst es dir genau einprägen und so sorgfältig, dass du dich unter allen Umständen daran erinnern kannst. Glaube mir, es ist bedeutend, viel bedeutender als du es dir heute in deinem kindlichen Übermut vorstellen kannst! Doch jetzt gehe. Tamkaru wartet auf dich und möchte dir ein Geschenk überreichen.«

Tamkaru! Moiria staunte.

»Wir sehen uns dann, mein Kind. Sei zur gewohnten Stunde auf der Zikkurat!«

Moiria nickte, wandte sich um und war gerade im Gehen begriffen, als sie Bel-shalti-Nannar noch sagen hörte:

»Und hier ist übrigens auch schon dein Sprachlehrer, mein Kind.«

Ein junger Mann mit leuchtenden Augen kam strahlend auf Moiria zu. Sie stutzte. Das war doch wirklich zu viel, zu überviel, wie alles bei Bel-shalti-Nannar. Sie meinte es zwar gut, aber eben übergut, und das war kaum auszuhalten. Konnte sie das denn nicht einsehen? Moiria tat so, als sehe sie den Sprachlehrer nicht und ging geradewegs an ihm vorbei, sie wollte Tamkaru die große Neuigkeit berichten.

Was würde er zu all dem sagen? Wie überrascht würde er sein, wenn er das hörte? Ihre Gedanken wirbelten, während sie durch den Palast lief. Doch mit einem Mal verlangsamte sie ihren Schritt. Tamkaru kam aus Kush. Er musste es bereits wissen. Er hatte die Heirat wohl sogar vermittelt.

Moiria blieb stehen. Deshalb war er zweimal hintereinander in Meroë gewesen. Alle anderen wussten, nur sie selbst nicht, wieder einmal. Ein Spiel war gespielt worden, um ihr ganzes weiteres Leben, um ihr Geschick, um ihre Zukunft, aber heimlich war es geschehen, ohne sie, ohne dass sie davon wusste.

Wessen Idee war es gewesen, sie mit Siaspiqa zu verheiraten? Bel-shalti-Nannars? Tamkarus? Bestand der Plan schon länger? Moirias Gedanken drehten sich und sie lehnte sich an die Wand. Wer hatte sich die Heirat mit Siaspiqa ausgedacht? Bel-shalti-Nannar, um sie loszuwerden, weil sie mit ihr unzufrieden war?

Oder war Kush an sie herangetreten und Bel-shalti-Nannar hatte eingewilligt, um Nebukadnezars Anschlag dadurch unsinnig zu machen? Oder Nebukadnezar selbst hatte es vereinbart? Vielleicht gab es noch einen anderen Grund? Irgendeinen ungewöhnlichen Grund? Ein ungewöhnlicher Grund musste es sein. Sehr ungewöhnlich und unüblich, denn Bel-shalti-Nannar, die die Vorschriften sonst so genau auslegte, hielt sich damit nicht mehr an die Überlieferungen.

In Moirias Kopf zogen Namen, Regierungsjahre und Worte vorbei, die die Schreiber in Bel-shalti-Nannars Schule ihr von den dort aufbewahrten Tontafeln vorgelesen hatten. Geschehnisse, die weit zurücklagen in der Geschichte des Nannar- und Ningal-Heiligtums und der Stadt Ur. Zeugnisse von all den ältesten Töchtern und Schwestern der Könige, die Gemahlinnen Nannars gewesen waren und stellvertretend für ihn Ur regiert hatten, lange bevor sie selbst und Bel-shalti-Nannar geboren worden waren.

Keine dieser Priesterinnen war je, soweit Moiria die Aufzeichnungen kannte, mit einem anderen Manne verheiratet worden, nachdem sie Nannar geweiht worden war. Warum nun jetzt sie? Moiria verstand es nicht, es war so widersprüchlich. Den Handrücken an der Stirn stand sie an die Wand gelehnt. ›Einen Moment innehalten‹, dachte sie sich, ›nur einen Moment.‹

Vor einer Stunde noch hatte sie nicht aus und ein gewusst, wie sie ihren Sorgen entkommen sollte, und nun war längst schon alles entschieden. Wenn sie auch keine Ahnung hatte, wie es zustande gekommen war und warum es sein sollte, es war die Hilfe, die ihr der Himmel geschickt hatte, und um die sie gebetet hatte. Die Heirat in Kush war ihre Rettung.

Moiria wusste nicht, wie lange sie da gestanden hatte, als eine helle Stimme sie aus ihren Gedanken schreckte.

»Moiria, was ist mit dir?« Es war Josua. Sein feinsinniges Gesicht stand in krassem Gegensatz zu der groben Hirtenkleidung, die er trug. »Du siehst ja ganz durcheinander aus. Was ist dir denn, so kenne ich dich gar nicht?«

»Ich kenne mich auch nicht, ich kenne mich auch nicht mehr aus.«

»Was ist, Moiria?« Josua mit seinem hübsch geschnitten Gesicht sah sie liebevoll an.

»Josua, es ist etwas geschehen, ich muss dir so viel erzählen, gut dass du da bist.«

»Dann komme ich wohl gerade zur rechten Zeit.« Er nahm ihre Hand und seine Augen hingen an ihren Lippen.

»Stell dir vor, mein ganzes Leben wird jetzt anders. Ich werde verheiratet!«

Josua schluckte. »Du machst einen Spaß mit mir, du bist Priesterin, du darfst nicht heiraten, es ist dir verboten.«

»Doch, es ist wahr, Ningal selbst hat es bestimmt.«

»Dann ist es wohl wahr.« Josua sah Moiria traurig an

Moiria nickte.

«Und wohin wollen sie dich verheiraten?« fragte Josua.

Moiria mochte kaum antworten. Wenn er hörte, dass es so weit weg war, würde es ihn noch trauriger machen. »Weit fort, Josua, weit fort«

»Wohin denn?«

»Nach Afrika, nach Kush!«

»Nach Kush, so weit?«

»Ja so weit!«

»Und wen sollst du da heiraten?«

»Ach, irgendeinen Mann.«

»Es wird wohl ein ganz besonderer Mann sein, den Bel-shalti-Nannar dir da ausgesucht hat.«

»Ich weiß kaum etwas über ihn, nur Tamkaru kennt ihn persönlich.« Moiria wollte ihm jetzt nicht so genau sagen, mit wem sie verheiratet werden sollte, denn sie wusste, dass es ihm wehtat.

Als sie Kinder waren und Josua davon geträumt hatte, Architekt zu werden, wollte er einmal ein Haus für sie beide bauen. Mit erstickter Stimme sagte er jetzt:

»Wenn du gehst, dann bin ich ganz allein hier, dann habe ich niemanden mehr.«

Moiria hätte ihn am liebsten umarmt und fest an sich gedrückt, aber es ging nicht, es war nicht mehr so wie früher. Wohl war die alte Vertrautheit noch da, aber etwas stand auch zwischen ihnen. Es war etwas Verlegenes, das Moiria ganz unangenehm war.

Josua spürte das auch. Seine Hand zitterte.

»Wann gehst du, schon bald?« fragte er vorsichtig. Er stand da, wie ein verlorenes Kind, trotzig und traurig.

»Josua, du musst mitkommen«, rief Moiria, »du musst einfach mit. Ich werde Bel-shalti-Nannar bitten, dass du mitdarfst, anflehen werde ich sie, bis du mitkommst.«

Josuas Augen begannen zu leuchten. »Meinst du, sie erlaubt es?«

»Sie erlaubt es ganz bestimmt. Du kannst Dich darauf verlassen. Aber jetzt muss ich weiter, Tamkaru wartet auf mich. Komm nachher zu unserem alten Platz auf dem Dach, da erzähle ich dir alles genau.«

Josua nickte begeistert. »Und bring Früchte mit, wie früher«, rief sie noch im Davonlaufen.

Im Tempel des Amun-Re

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