Читать книгу Crazy Love - Eva Kah - Страница 11
4 Und Äktschn!
ОглавлениеAm nächsten Morgen beschloss ich zwei Dinge. Erstens würde ich nie wieder mit zu einem Typen in die Wohnung gehen – wer weiß, was einem da außer heftigen Orgasmen und haarigen Angelegenheiten noch alles passieren konnte. Mein nächstes Date würde zu meinen Konditionen stattfinden: Ein Beschnuppern in meinem Lieblingscafé eine Querstraße weiter, und ein eventuelles Vertiefen der Bekanntschaft in meiner Bude. In der sicheren Umgebung wäre ich weniger nervös. Ab sofort nur noch Heimspiele!
Zweitens musste die Matte ab. Steffen war zum spontanen Auslöser für die überfällige Trennungsfrisur geworden. Ich hatte Spätschicht, also spazierte ich gleich nach dem Frühstück zu Valentinas Schnittstübchen und eine Stunde später mit einem Pfund toter Hornpartikel weniger wieder heraus.
„Bitte irgendwas Flottes, aber deppensicher“, war mein einziger Auftrag an die Friseurmeisterin. „Und kurz. Viel, viel kürzer. So, dass man das Haar auf keinen Fall noch irgendwo herum wickeln könnte. Machen Sie einfach, bevor ich es mir anders überlege.“
Valentina persönlich hatte mir versichert, der neue kinnlange Stufenbob wäre absolut pflegeleicht und würde auch ohne zwanzig Minuten Föhntheater mit Schaumbällchen und Rundbürste prima aussehen. Ich glaubte ihr das notgedrungen, weil ich weder einen Ionen-Föhn noch Haarschaum und noch nicht einmal eine Rundbürste besaß und mir das alles eigentlich auch nicht zulegen wollte. „Und wenn’s doch zu viel Stress macht, können Sie es auch prima wieder raus wachsen lassen. Sie haben ja sowieso tolle Haare, so schön lang sehen die auch supi-dupi aus, da können viele nur davon träumen. Seidig und weich, und wie die Wellen schimmern…“
„Kennen Sie zufällig einen Steffen?“, lag mir schon auf der Zunge, aber ich sprach es nicht aus. Friseure müssen ihren Kunden ja Haar-Komplimente machen, damit sie wieder kommen. Ich gab Valentina ein hübsches Trinkgeld und stellte auf dem Heimweg ganz erstaunt fest, wie gut sich frische Luft am Nacken anfühlt.
Im Zuge meiner optischen Veränderung brauchte ich natürlich auch ein neues Profilfoto. Der Spontantermin bei Valentina hatte das alte mit dem Hamster zur Produktfälschung gemacht. Praktischerweise bot sich dazu Freddys neuestes Hobby an. Sie sammelt nämlich nicht nur Herrenbekanntschaften und die dazugehörigen Swarowski-Kristalle, sondern auch neue Hobbies. In den letzten zwanzig Jahren waren das bisher Makramée, Salzteig kneten, Schlaufenschals stricken, Osterkränze flechten, Freundschaftsbändchen knüpfen, Seidenmalerei, Ponyreiten, Broschen filzen und Töpfern gewesen. (Das sind jedenfalls die, an die ich mich noch erinnere.) Jedes dieser Hobbies betreibt sie so intensiv, bis ihre soziale Umgebung unter den jeweiligen Produkten halb erstickt und kaum mehr zu sehen ist. Wenn es aber keine Abnehmer mehr gibt für ihre Basteleien, ist sie gelangweilt und wendet sich einer neuen Tätigkeit zu.
Freddy besitzt aber nicht nur eine unausgelastete kreative Ader, sondern auch einen ausgeprägten Sammeltrieb. Sie hat schon Fußballersticker, Überraschungseierfiguren, Achtziger-Jahre-Lederstiefel, Parfümpröbchen, kleine Eulenstatuen und Schneekugeln aus deutschen Städten gesammelt. Manchmal profitiere auch ich von ihrem guten Auge für Krimskrams und ihrer Liebe zu ausgiebigen Flohmarktstreifzügen. Ein paar ihrer Stiefel und Parfümproben haben ein neues Zuhause bei mir gefunden, als sie sich neuen kreativen Ufern zuwandte. Außerdem bin ich immer noch stolze Besitzerin einer bunt bemalten Salzteig-Brezel, die sie mir 1996 zum Übertritt aufs Gymnasium schenkte.
Ihr neuestes Hobby – die Fotografie! – kombiniert auf ideale Art und Weise beide Veranlagungen: Beim Knipsen kann sie kreativ sein UND eine Menge Technikkram sammeln. Außerdem eignet sich das Fotografieren prächtig, um jede Menge unnützes Fachwissen anzuhäufen. Gleich nachdem ich ihr in unserer Nachmittagspause von meinem Date mit Steffen erzählt hatte (die ganz ekligen Details zensierte ich), plauderte sie begeistert über Objektive, Blenden, Lichteinfallswinkel und das supergünstige Stativ, das sie eben auf Ebay ersteigert hatte. Ihr Fotokurs an der Volkshochschule sei der Hammer, und sie suchte im Moment sowieso noch ein Modell für ihre Hausaufgabe.
„Kannst du vielleicht morgen Vormittag gleich, Icki? Hinterher lade ich dich auch zum Brunchen ein. Ist nur für mich, zur Übung, wir kennen uns ja, gell?“
Gutmütig sagte ich zu. Ich war froh, die Eindrücke aus Steffens Wohnzimmer rasch durch die von Freddys kleinem Appartement ersetzen zu können.
Am nächsten Morgen stand ich in ihrem zum Studio umgebauten Zimmer und guckte mir misstrauisch das Buch Der ästhetische Akt an, das unverblümt auf ihrem Ess- und Arbeitstisch lag.
„Sag mal, Freddy, wie sieht diese Hausaufgabe eigentlich genau aus?“
„Oh, wir sollen Menschen fotografieren. Möglichst nah, aber trotzdem individuell“, antwortete sie ausweichend.
„Nicht zufällig nackig, oder?“
„Ach, du hast mich erwischt, Icki. Aber hey, es geht nur um ein bisserl Haut. Man wird dich nicht erkennen können. Wirklich. Ich will ganz hochwertige, klassische Bilder machen, und du kriegst die Abzüge kostenlos. Und natürlich die Dateien. Da hast du schließlich auch was davon.“
„Ich zeig die eh keinem. Ist ja keiner da.“
„Kommt schon noch, Süße. Irgendwann kriegst du eine Mail vom heißesten Typen des Universums, und dann bist du froh, wenn du ihm nicht nur dein Bewerbungsfoto zurückschicken kannst.“
Da hatte sie wohl Recht. Hoffte ich. Seufzend knüpfte ich meine Bluse auf und war froh, mich am Abend zuvor in der Badewanne gründlich von allen Steffen-Spuren und toten Hornpartikeln am Rest meines Körpers getrennt zu haben.
Und es wurden wirklich tolle Fotos. Schwarz-Weiß, ästhetisch, ausschließlich unter Betonung meiner Schokoladenseiten. Der Stil erinnerte ein bisschen an diese uralte Calvin-Klein-Werbung mit Kate Moss. Kate Moss sieht ja sowieso ziemlich genau aus wie ich, jedenfalls zwischen Schlüsselbein und Bauchnabel.
Für mein Profil wählte ich ein Bild, das Freddy eigentlich schon aussortiert hatte. Es war ein Porträt von schräg seitlich, wie ich über die nackte Schulter zurück blickte. Auf dieser einen Aufnahme aber wandte ich den Kopf schon wieder ab, so dass in meinem fliegenden Stufenbob nur ein Stück Ohr und die Linie meines Wangenknochens zu erkennen war. Man sah eine ganze nackte Schulter mit etwas Gänsehaut und darüber eine flotte Frisur. Luftig, sommerlich, unverbindlich. Das war sie endlich, die neue Icki!
Das neue Bild gefiel nicht nur mir. Es wurden täglich mehr Nachrichten. Wie ein Gebirgsbach, der endlich den störenden Geröllhaufen aus dem Weg geschoben hat, strömten die Lebenszeichen der einsamen Männerherzen auf mich zu. Da ich den voreingestellten Benachrichtigungston von luvjah nicht verändert hatte, ertönte bei jeder eingehenden Nachricht ein lautes Kussgeräusch. Eine Woche nach meiner Anmeldung war aus dem Gebirgsbach ein Wasserfall geworden. Es hagelte Küsse. Sie schmatzten tagein, tagaus aus meiner Handtasche (ich hatte den Erdbeerlimes und die Glassplitter wieder einigermaßen herausbekommen, aber sie sah jetzt verdammt stark nach Vintage-Mode und Shabby Chic aus und roch penetrant süßlich), in der ich Schorschi meistens aufbewahrte. Bei der Arbeit steckte ich ihn mir in die rechte Kitteltasche.
Dumm nur, dass wir während der Arbeit natürlich eigentlich keinen Handyscheiß veranstalten dürfen. Für ein paar Tage schaltete ich Schorschi also ab, sobald ich die Klinik betrat. Nur um ihn dann in jeder Pinkelpause hektisch wieder anzuschalten und wie ein Börsenkursjunkie die neuen Mails zu checken. Aber das war nicht besonders praktikabel – es fiel auf, dass ich die Hälfte meiner Arbeitszeit auf dem Klo versackte.
Innerhalb weniger Tage war ich von der technikfeindlichen Besitzerin eines Nokia-Knochens zum App-Süchtling geworden. Ich stellte das Telefon auf lautlos und wurde bei jeder neuen Nachricht von dem Vibrieren in meinem Hüftbereich aus der Fassung gebracht. Ich fand das heiß. Erregend, wie das Interesse eines Mannes sich so direkt im entsprechenden Bereich meines Körpers bemerkbar machte.
Am Anfang freute ich mich noch über jede Nachricht gleich stark, so lange der Absender nicht meine Stiefelspitze in den Arsch geschoben bekommen wollte. Wenn sie ansonsten noch so doof und einfallslos war – jede unverbindliche Anfrage bewies mir aufs Neue, dass ich nicht gänzlich unattraktiv sein konnte. Jeder Kuss pustete mich aus dem Loch, in das ich nach Max’ Abschied gefallen war, ein kleines Stückchen weiter hinauf zum Tageslicht. Doch sobald ich die Sonne wieder sehen konnte, wurde ich auch anspruchsvoller. Ich antwortete nicht mehr ellenlang und superdiplomatisch auf jeden Scheiß. Nach und nach kristallisierten sich verschiedene Typen von Kommunikationsstrategien heraus, und angesichts der vielen Interessensbekundungen konnte ich es mir erlauben, wählerischer zu sein.
Der unangefochtene Klassiker, der tatsächlich immer ging, war nicht mehr und nicht weniger als: Hi, wie geht’s?
Das war weder zu viel Input noch zu unhöflich. Wenn sich in diese vier Worte und drei Satzzeichen nicht allzu viele Fehler eingeschlichen hatten, sah ich mir zumindest das Profil des Kerls an. Und wenn das einigermaßen ansprechend war, stand meiner Antwort nichts mehr im Wege. Mit Hi, wie geht’s? konnte man einfach nichts falsch machen. Ich antwortete meistens so etwas wie Ich arbeite auf einer orthopädischen Station, ich bin die Einzige, die hier gerade geht oder Ganz gut, habe gerade einen 1-A-Katheter gelegt. Wen das nicht abschreckte, für den standen die Türen zum Dialog mit mir schon mal verhältnismäßig weit offen.
Aber natürlich ging auch nach dieser Standarderöffnung nicht immer alles glatt. Manchmal ließ ich mich auf so einen Chat ein, um es schnell zu bereuen, aber in meiner freundlichen Art nicht zu wissen, wie ich heil wieder aus der Sache herauskäme. Ungefähr so, wie Zeuge eines ekligen Unfalls zu werden, aber trotzdem einfach nicht wegsehen zu können. Erstaunlich. Trotz der ausgeklügelten modernen Medien sind die Menschen noch imstande, komplett aneinander vorbei zu reden. Am beeindruckendsten war in dieser Hinsicht der Austausch mit einem BWL-Studenten namens Marco, der sich aber online MrBoombastic nannte. Er fuhr gerne Rad und hatte ein paar erfrischend ungekünstelte Fotos von sich beim Mountainbiken in den Isarauen hochgestellt. Meist von der Seite zwar oder so, dass man sein Gesicht nicht erkennen konnte, aber der Körper war tipptopp. Sonst gab er so gut wie keine Informationen preis, aber der Chat hatte eigentlich ganz nett angefangen mit ihm.
Hi, wie geht’s dir? Hamsterette ist ein süßer Name. Ich hoffe, der bezieht sich nicht auf deine Hamsterbacken.
Danke, mir geht es prima. Nein, die runden Bäckchen habe ich woanders. Und bei dir, worauf bezieht sich das „bombastisch“ so?
Kannst du dir doch denken, oder?
Woran soll ich denn denken? Ich kann mir da jedenfalls so Einiges vorstellen…
Dann änderte er plötzlich seinen Tonfall ins Freche. Ganz unbegründet wurde er fordernd.
Ich will mehr Fotos von dir sehen. Was hast du denn zu verstecken, bist du etwa fett?
Hey, ich habe immerhin beinahe mein ganzes Profil ausgefüllt, du Faulpelz. Von dir weiß ich eigentlich nur, dass du gern Rad fährst, aber das kann ja auch gelogen sein.
Wenn du auch so viel Rad fahren würdest, hättest du nicht so einen fetten Arsch, den du verstecken müsstest.
Ich glaub, ich hab noch nie im Leben mit einem so unsympathischen Menschen wie dir gechattet.
Dann lass es doch. Ich bin Kapitalist. Irgendwo befindet sich auch mein Markt.
Spätestens in diesem Moment hätte ich es auch wirklich einfach lassen sollen, aber irgendwie hatte der Mann meinen Ehrgeiz geweckt. Ich schickte ihm doch drei von den Bildern, die Freddy mit ihrer neuen Kamera gemacht hatte. Es dauerte einen ganzen Tag, bis er zurück schrieb. Ich hatte schon gedacht, ich wäre ihn los.
Na, die Fotos sind aber schon recht klein.
Ich war doof genug, darauf auch noch zu antworten.
Dann schau sie dir doch auf dem Rechner an, Dumpfbacke.
Etliche Stunden vergingen ohne Reaktion. Erst am nächsten Morgen, ich stand gerade in der Umkleide und zog meinen Kittel an, schmatzte es laut aus meiner Handtasche. Wieder MrBoombastic.
Kommst du?
Hä? Wohin? Fast hätte ich geschrieben: Von was denn? Meinte er das etwa sexuell?
Kommst du?
Das schrieb er noch ungefähr fünf Mal in länger werdenden Abständen, bis endlich Schicht im Schacht war mit MrBoombastic.
Nach zwei Wochen hatte ich mich so weit von Steffen666 erholt, dass ich mich wieder auf tatsächliche Dates traute.
Man glaubt ja gar nicht, für wie viele Männer das Wort „Krankenschwester“ alleine schon einen feuchten Traum auslöst. Nach meinen Erfahrungen mit einsamen Patienten hätte ich es mir eigentlich denken können. Aber naiv, wie ich manchmal bin, schrieb ich es am Anfang direkt so in mein Profil. Im Feld Ich bin… stand bei mir Krankenschwester.
Mit dem dritten Foto wurde es besser. Nur noch wenige Leute wollten sich von mir den Sack nähen oder einen Einlauf machen lassen. Aber als mich ein gewisser dreißigjähriger Traumtyp (das war jedenfalls sein Profilname: Traumtyp30) in den Biergarten einlud, verspürte ich ein größeres Bedürfnis nach Veränderung. Traumtyp30 bestand nämlich darauf, dass ich mit OP-Handschuhen in den Biergarten käme. Ich protestierte: Erstens würde man darin schwitzen, zweitens wollte ich in meiner Freizeit nicht unbedingt an den Job denken und drittens wäre ich ja gar keine richtige OP-Schwester. Daraufhin verlor der Traumtyp spontan das Interesse an mir, und ich verlor meine korrekte Berufsbezeichnung. Ab sofort stand hinter Ich bin… nichts anderes als was anderes.
Spektakulär war auch der Zwerg auf der Bank. Karsten, so sein Name, konnte nicht zu den Größten seines Geschlechts zählen. Das war mir schon nach einem kurzen Blick in sein Profil klar, weil er alles säuberlich ausgefüllt hatte. Nur das Feld „Größe“ war leer geblieben. Verdächtig! Aber weil ich selbst nur knapp eins siebzig messe und er mir als Erstkontakt so ein süßes Gedicht schickte, verabredete ich mich trotzdem mit ihm. Und zwar, diese Anregung immerhin hatte ich vom Traumtyp30 übernommen, in einem Biergarten.
Rote Rosen brauch ich nicht, denn ich schreib dir ein Gedicht.
Und bevor ich lange schleime, mach ich lieber ein paar Reime.
Liebe Frau, du klingst sehr nett, gehst du jetzt mit mir ins Bett?
Nein, das kann auch länger dauern, lass mich dich zuerst belauern.
Trink doch vorher mit mir ein Bier, bevor du mich erlebst als Tier!
Eine witzigere Aufforderung zum Vögeln konnte ich mir nicht vorstellen. Wir tranken also jeder ein Bier unter den rauschenden Kastanien des Aumeisters, und es wurde ein sehr lustiger Nachmittag. Karsten war auch persönlich so ein Scherzkeks wie in seinen Mails. Leider war er tatsächlich eine gute Handbreit kleiner als ich. Aber weil wir uns so prächtig verstanden und irgendwann beim dritten Bier angekommen waren, beschlossen wir den Heimweg zusammen anzutreten.
„Zu mir oder zu dir?“, fragte er mit unschuldigem Augenaufschlag zu mir hinauf, während wir zu unseren Rädern gingen. Das kam mir dann doch so vor, als hätte ich meinen kleinen Cousin dabei, auf den ich als Jugendliche immer hatte aufpassen müssen. Ich überredete ihn stattdessen zu einem Spaziergang durch den Englischen Garten. Mit so viel Alkohol wollte ich nicht auf dem Rad erwischt werden, log ich. Doch in der Abenddämmerung zwischen den knorrigen Laubbäumen und den ungemähten, duftenden Wiesen, aus denen es zirpte, wurde mir doch ganz romantisch zumute. Nach einer Viertelstunde hielten wir Händchen, und nach einer halben Stunde blieb er bei einer besonders idyllisch gelegenen Bank stehen, um mich zu küssen. Er küsste nicht schlecht, aber der Winkel war verdammt ungewohnt. Max war einen Kopf größer als ich gewesen. Ich hatte noch nie nach unten geküsst.
„Das geht so nicht“, sagte ich in meinem kleinen Bierrausch, packte Karsten unter den Achseln und stellte ihn auf die Bank neben uns, um das richtige Größenverhältnis herzustellen. Er ließ sich nichts anmerken und knutschte weiter. Es wurde ein intensiver, langer Kuss, aber zu mehr kam es nicht. Karsten meldete sich nie wieder.
Die Auswahl war aber auch zu verlockend. Wenn ich einmal keinen fand, den ich mir näher ansehen wollte, musste ich nur auf den nächsten Tag warten. Irgendein interessantes Fischchen aus dem großen Teich des WWW würde sich schon in mein Postfach verirren. Und etwas später, bei gegenseitiger Neigung, vielleicht auch zwischen meine Beine.
Im Nachhinein kann ich es mir nur so erklären, dass ich nach über einem Jahrzehnt kreuzbraver Monogamie in einen wahren Rausch von Nachholbedarf geriet. Gleichzeitig überforderte mich die Auswahl. Da saß ich, die ich in meinem ganzen Leben noch nie ein richtiges Date gehabt hatte, und sollte mich entscheiden, welchen dieser vier Millionen Typen ich mir zuerst anlachen wollte.
Na ja, vier Millionen war übertrieben. Realistischerweise würde ich ja doch eher selten einen Kameruner oder Vietnamesen in dessen Heimatland daten. In Deutschland blieben noch ungefähr zweihunderttausend übrig, davon zwanzigtausend in einem Umkreis von fünfzig Kilometern rund um München. Abzüglich der Teenager und des haarigen Steffens blieben immer noch vierzehntausend übrig. Vierzehntausend! Das sollte reichen, um mich zur unlangweiligsten Krankenschwester diesseits des Andromeda-Nebels zu machen.
Doch bevor ich dazu kam, mich weiter durch die vierzehntausend paarungswilligen Männchen zu klicken und zu wischen, trudelte eine neue Nachricht ein und nahm mir die Entscheidung ab.
Mein drittes Date nach Steffen und Karsten hieß Loveboy. Loveboy wollte mir seinen echten Namen nicht verraten, schaffte es aber durch seine witzige Anmache bald in mein Lieblingscafé, wo er mir vier Weißweinschorlen aufnötigte. Eine geschickte Strategie. Die vier Weinschorlen machten mich zwar nicht betrunken, aber meine Blase so voll, dass ich schnell keine Lust mehr hatte, zum hundertsten Mal im Café aufs Klo zu gehen. Obwohl Loveboy mir nicht gerade wahnsinnig sympathisch war, wollte ich ihn nicht so direkt verabschieden und nahm ihn mit nach Hause.
Ein Fehler. Denn nach ein paar weiteren Schorlen in meinem eigenen Mischverhältnis schien es mir plötzlich eine gute Idee zu sein, mit Loveboy love auf dem hässlichen Sofa machen zu wollen. Diesmal war ich untenrum perfekt vorbereitet, wollte mir aber auch mein Gegenüber etwas genauer ansehen und mich nicht einfach von einer Raubtierhand überraschen lassen. Loveboy öffnete grinsend den ersten Knopf seiner Jeans, er roch so gut nach Aftershave und Meister Proper, und mein weinschorlenvoller Kopf senkte sich beinahe von selbst sehr interessiert über seinen angedeuteten Sixpack und die schicke Retroshorts.
Obwohl ich bisher nur Max als Übungsobjekt gehabt hatte, bilde ich mir durchaus was ein auf meine Fähigkeit, einen Mann oral zu befriedigen. Ich wendete das ganze Programm an: Die Spucke nicht runterschlucken, damit alles gut glitscht, mit der Zunge spielerisch die Eichel umkreisen, eine Hand an der Peniswurzel, hin und wieder eine kleine Einlage zur Eiermassage. Trotzdem natürlich nie den Schwanz als Zentrum der Aufmerksamkeit aus den Augen, pardon, dem Mund lassen. Aber der hier wurde und wurde einfach nicht nennenswert härter.
Irgendwann hörte ich seinen trockenen Kommentar:
“Na komm, das kannst du doch sicher besser.“
Ich stoppte, wendete mich ungläubig nach oben und war auch noch blöd genug zu fragen. „Was genau soll ich denn da besser machen?“
Er wedelte nur ungeduldig mit der Hand.
„Mehr Äktschn halt!“
Wie genau er sich das dann vorstellte, blieb sein Geheimnis. Sollte ich etwa noch Singen, Schunkeln oder mit den Füßen Weintrauben jonglieren, während ich ihm einen blies? Ich brachte es auch nicht mehr in Erfahrung, weil ich mich beleidigt anzog und Loveboy unter ein paar Flüchen aus der Wohnung schmiss.
Seine Unverschämtheit hatte mich gehörig aus dem Konzept gebracht. Auf luvjah gab es einfach Typen, die ihre Befriedigung daraus zogen, andere zur Sau zu machen. So wie im echten Leben halt auch. Das war es dann erst einmal mit der ganzen Äktschn. Für diese Woche hatte ich auf jeden Fall genug gehabt.
Die Mitbewohnersuche lenkte mich ab. Irgendwann müssten Max’ Eltern ja kapieren, dass sie ihre paar Kröten für seinen Mietkostenzuschuss jetzt anderweitig aus dem Fenster werfen durften, und mir würden vierhundert Euro fehlen.
Ich veröffentlichte ein kostenloses Inserat auf einer einschlägigen Webseite zur Mitbewohnersuche. Es gab nur ein Foto meiner Küche samt Hamsterkäfig und die Textzeile: Wenn du damit klar kommst und im Durchschnitt maximal zwei Dezibel produzierst, bist du mein Mann (oder meine Frau)!
Mir war eigentlich egal, ob da in Zukunft ein Mann oder eine Frau wohnte. Hauptsache, er oder sie wäre so wenig wie möglich zuhause. Ich wollte im Grunde keinen Eindringling in meiner heiligen Bude – ich wollte eine zahlende Putzfee ohne körperliche Bedürfnisse, die vielleicht ab und zu noch den Kühlschrank auffüllte.
Nachdem ich das Inserat aufgegeben hatte, widmete ich mich dann doch wieder der Befriedigung meiner eigenen körperlichen Bedürfnisse. Aus meiner Mailbox suchte ich mir einen heraus, der aus seinen diesbezüglichen Fähigkeiten keinen Hehl machte: Ich bin der Thomas, aber du darfst mich auch deinen Verwöhner nennen.
Wow! Fünfundzwanzig, Sportstudent, voll tätowiert. Auf seinem Profilfoto war nur sein nackter Oberkörper von hinten abgebildet. Dass ein Rücken so viele verschiedene definierte Muskelstränge besaß, hatte ich gar nicht gewusst. Lecker. Für mich waren Rücken bis dahin nur das gewesen, auf dem die meisten Patienten unpraktischer Weise ständig herumlagen und wunde Stellen kriegten. Höchste Zeit, das zu ändern.
Wir trafen uns im Café nebenan und spürten sofort das Prickeln in der Luft. Thomas hatte kurzes dunkles Haar, roch angenehm unaufdringlich nur nach Duschgel und war für einen Sportstudenten erstaunlich gut gekleidet. Er wirkte etwas älter als fünfundzwanzig und war überrascht, dass ich tatsächlich gleich unter dem Tisch mit ihm füßelte. Als ich aber auf das Fehlen des Höschens unter meinem knappen Jeansmini hinwies, bestellten wir einvernehmlich nichts mehr zu essen, sondern gingen gleich zu mir. Er lächelte glückselig, als ich ihm schon im Flur meine Nippel in den Mund schob. Dann bumste er mir das halbe Hirn heraus, während ich die definierten Muskelstränge auf seinem Rücken mit meinen Fingernägeln durchwalkte. Später drehten wir das Spielchen um: Ich lag auf dem Bauch, und er massierte mir den Rücken, während er gleichzeitig immer wieder seinen Schwanz in mich steckte. Ja, das war Ablenkung und Verwöhnung, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ansonsten redeten wir kaum.
„Du bist erstaunlich wenig tätowiert“, sagte ich zum Abschied.
„Macht das was?“, fragte er. Das glückselige Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht, und er strich mir eine Spur zu selig über die Haare.
„Nö. Ich dachte nur, du hättest mehrere Tattoos erwähnt.“
„Kann mich gar nicht erinnern. Ich finde übrigens, du hast viel zu wenig erwähnt. Wenn ich gewusst hätte, was du für eine Granate bist, hätte ich dir schon mehr von mir erzählt. Und deine Wohnung ist echt gemütlich. Wann kann ich einziehen?“
Statt einer Antwort lachte ich und schubste ihn hinaus in den Lift.
Gleich am nächsten Vormittag, es war ein Samstag, traf ich mich mit dem ersten Bewerber um Max’ altes Zimmer. Er hieß Tom und war ein Biochemiestudent im vorletzten Semester, der mich durch seine witzige Mail gewonnen hatte. Seine Anwesenheit in der Wohnung würde ich wirklich gar nicht spüren, schrieb er darin. Er sähe Wohnungen derzeit in erster Linie als Heimathafen für sein Ladegerät, da er jeden Tag von sehr früh bis sehr spät in den Laboren seiner Fakultät mit seiner anspruchsvollen Abschlussarbeit beschäftigt wäre. Genau das Richtige für mich. So einer würde meine drei Stunden Halbschlaf zwischen zwei Nachtschichten nicht durch demonstratives Ausschlafen oder sonstiges studentisches Herumlungern beeinträchtigen.
Wieder einmal hatte ich das Café in der Nachbarstraße vorgeschlagen; Tom war pünktlich und bestellte einen Kaffee. Einen echten deutschen Filterkaffee, schwarz und ohne alles. „So verbrennt er mehr Kalorien, als er dir bringt“, erklärte er. „Perfekt nach dem Work-out. Oder auch schon vorher.“
Nach dem gefühlten tausendsten Latte Macchiato der letzten Wochen fand ich das sehr sympathisch, geradezu erfrischend. Ansonsten wirkte er aber etwas übernervös. Er trug legere Klamotten und teure Laufschuhe, als ob er gleich aufspringen und davon rennen wollte. Als sein Kaffee kam, hielt er sich geradezu daran fest. Junge, mach dich mal locker, es geht doch nur um ein WG-Zimmer, dachte ich. Mir war wohl nicht klar gewesen, wie angespannt die Lage auf dem Münchner Wohnungsmarkt tatsächlich aussah.
Ich zückte mein Notizbuch und sah Tom aufmunternd an.
„Schön, dass du hier bist. Bevor wir weitermachen, möchte ich erst mal unsere grundsätzliche… sagen wir, Kompatibilität austesten.“
Tom guckte etwas verwirrt. „Okay…“
„Ich meine, das geht jetzt dann hoffentlich für ein paar Jahre mit uns beiden, da wollen wir uns doch nicht gleich am Anfang total in die Haare kriegen wegen irgendeiner Kleinigkeit. Das regeln wir lieber gleich, oder?“
Bei der Erinnerung, was ich zuletzt beinahe in die Haare gekriegt hatte, zuckte ich zusammen, aber Tom nickte nur ergeben. „Na gut. Schieß los!“
„Also – bist du gegen irgendetwas allergisch? Nicht, dass ich dich irgendwann tot in der Küche finde, weil ich das falsche Brot gekauft habe.“
„Nicht, dass ich wüsste. Höchstens auf Auberginen.“
Zufrieden schrieb ich Auberginen! in mein Notizbuch. „Die sollten sich vermeiden lassen. Du bist Nichtraucher, hörst keine laute Musik, hast keine ansteckenden Krankheiten?“
Tom beantwortete alles zögerlich, aber brav mit Nein. Er hatte den Test bestanden.
„Gut, dann zeige ich dir jetzt meinen Putzplan. Du kannst dich gleich eintragen, ich bin da relativ flexibel“, sagte ich huldvoll und reichte ihm die ausgeklügelte Tabelle über den Tisch. Stirnrunzelnd streckte Tom die Hand danach aus.
„Ich dachte eigentlich, wir gehen vielleicht erst mal zusammen aus“, murmelte er in seine Kaffeetasse, während er irritiert den Putzplan studierte. „Ich meine, wir müssen es ja auch nicht gleich hier auf dem Tisch treiben, aber ich finde eigentlich schon, dass wir doch erst mal sehen sollten, ob es überhaupt im Bett mit uns klappt, bevor ich bei dir einziehe.“
In diesem Augenblick wurden mir siedendheiß zwei Dinge bewusst. Erstens brauchte ich dringend mehr Organisation in meinem Leben. Die vielen Nachtschichten und die fehlende Privatsekretärin oder zumindest ein fehlender anständiger Terminplaner ergaben keine gute Kombination. Und zweitens hatte ich gestern Abend meinen neuen Mitbewohner gevögelt.