Читать книгу Auf der Suche nach dem Ich - Eva Link-Nagel - Страница 20
ОглавлениеAuszügen aus Susanne Links Tagebücher.
21.08.76
Selbstverständlich machten mir auch die extremen Bedingungen meiner Kindheitsjahre in puncto Umgebungswechsel zu schaffen. Das alles hat in mir Spannungen induziert, die teils sublimiert, teils aber nicht richtig kanalisiert wurden und meine emotionelle Entwicklung ist dadurch ziemlich zurückgeblieben. Es ist wichtig, ein gesundes Verhältnis zu sich selbst und zu seiner Umwelt zu finden. Es ist nicht zu leugnen, dass ich ehrgeizig war. Bin ich es noch? Wenn ja, wäre es schön, wenn es mir gelänge, meinen Ehrgeiz umzumünzen, auf eine Weise, die mir zu einem zufriedenstellenden Leben helfen würde.
25.08.76
Eindrücke nach der Jugoslawien-Reise. Jugoslawien irgendwie unkompliziert, Trend zu Egalisierung. Eindruck von deutschen Bahnhöfen, da ist ein Haufen Arbeit, Bewegung. Der Eindruck von jugoslawischen Bahnhöfen: Ab und zu gibt es hier auch Züge.
Der arme O. hat mir ein Brief geschrieben und ich habe den Eindruck, dass er nicht lange geduldig mit mir sein wird. Ich sei ein Idealist, ein Scheinangriff auf die Medizin. Als wir uns kennen gelernt hatten bin ich auf ihn zugegangen, grinsend und unverbindlich. Allerdings bin ich zu einer derartigen Verhaltensweise fähig gewesen, weil ich insgeheim irgendwo einen Märchenprinzen erwartet habe. Tja muss mit dem Fehlen desselben abfinden. Lächerliches Zugehen treibt die Zielperson in die Flucht oder Gegensätze, meint mein Psychiater.
02.09 76 Erklärungen
An dich, der Du warst als ich was Besseres, - schreib ich,- wollte, schreib ich ein Gedicht das keins ist. Die Wände des Abgrundes, der zwischen uns war, könnten mit dem abgrundtiefen Egoismus in deinem Gedicht, ausgekleidet gewesen sein, wenn es nicht eher Angst gewesen wäre. Hoffnungslos verliebt sein, das ist meine Beschäftigungstherapie. (Therapie deshalb, weil ich irgendwann genug davon kriegen werde.) Meine Tränen stehen zurzeit niedrig im Kurs, weil ich in ihnen zu baden pflege, melancholisch und spöttisch zugleich.
08.09.76
Meine türkische Freundin hatte mit ihren Freund Schluss gemacht, weil sie Türkin bleiben wollte. Das gibt mir zu denken. (Was bin ich? Wie habe ich mich verhalten?) Irgendwie ist es doch so, dass wenn man den Eindruck hat, das Leben biete einem nichts, so muss man etwas selbst dem Leben bieten. Der Appetit kommt mit dem Essen. Ich glaube es ist zum Teil auch die deutsche, insbesondere die Ulmer Atmosphäre, die bedrückend ist. Ulm ist eine Möchtegern-Stadt, nämlich ein unzufriedenes Dorf, lauter ängstliche Kleinbürger, lauter Unzufriedenheit und Unbefriedigung. Es gibt keinen Status quo, kein Selbstbekenntnis. Die Deutschen haben es schwer. Immerhin spielt der geschichtliche Aspekt auch eine Rolle. Nach einem verlorenen Krieg berauscht man sich am reibungslosen Funktionieren der Technik. Die neue Generation ist aus dem geschichtlichen Zusammenhang vollkommen herausgerissen und hat quasi das einzige Betätigungsfeld, die Möglichkeit der Revolution, gegen die Eltern, die ihnen alles bieten wollen, was als Fluchtreaktion zu verstehen ist.
Ich habe bereits verschiedene Wege eingeschlagen um dieser Situation zu entgehen, denn ich habe immer die Problemseiten ignoriert. Es ist jetzt eine rein ästhetische Verteilungsfrage, wie ich den Rahmen, die ich habe, mit Problemkonfrontation und Problemignorierung ausfülle. Laci hat gesagt, emotionelle Reife bestünde in der Konfrontation mit den Problemen (also weder ignorieren noch rationalisieren). Habe ich die Fähigkeit über das sogenannte wesentliche zu reden? Ich wage hinzufügen, dass ich wohl, wie Mutter sagt, Angst vor mir selber habe. Insgesamt etwas widersprüchlich.
Das Bodenlose existiert nur in Reflexion.
Meine Person, mein Wesen ist dasselbe geblieben, die Probleme - zumindest die persönlichen - also die Ängste. Eine zum Beispiel lässt sich auch so formulieren, etwas könnte mir entgehen (Meinem Verständnis, meiner Person?). Dabei hat mich gerade das Plakat der Sparkasse, mit dem Abbild eines Vamps von Frau, die in Sprechblase äußert, sie ließe sich nichts entgehen, so ziemlich abgestoßen.
Man könnte sich z.B .auch über Reklamen auslassen, indem ich über sie lache, aber man könnte sie auch ernst nehmen, man könnte sich verlieren in ihre Psychologie. Es gibt genug Leute, die Gewalt über mich ausüben, ich brauche es nicht auch zu tun, also nehme ich die Reklame nicht ernst.