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Von der Demokratisierung der Historienmalerei zur Aristokratisierung des Künstlers
ОглавлениеWer über die Vergangenheit verfügen durfte und wer zu bestimmen hatte, wie historische Ereignisse in der Malerei dargestellt werden durften – diese Fragen beschäftigten spätestens seit den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts Maler und Kunstwissenschaftler in ganz Europa. Denn in Belgien hatte sich bereits kurz nach Erlangung der nationalen Unabhängigkeit ein – wenn auch nicht neues, so doch neu aufgefasstes – Genre in der Malerei herausgebildet: das Historienbild, das die Malerei des gesamten 19. Jahrhunderts entscheidend prägen sollte. Als ein Ergebnis des Wiener Kongresses im Jahr 1815 waren die südlichen und nördlichen
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Niederlande zum Königreich der Vereinigten Niederlande zusammengeschlossen worden. Unüberbrückbare Differenzen zwischen den beiden ganz unterschiedlichen Volksgemeinschaften führten 1830 zur sogenannten Septemberrevolution in den südlichen Niederlanden, in deren Folge Prinz Leopold von Sachsen-Coburg 1831 zum König des neuen Staates Belgien gewählt wurde. Die europäischen Führungsmächte akzeptierten zwar kurz darauf die Neutralität Belgiens, jedoch erst knapp zehn Jahre später rangen sich die Niederlande zu einer Anerkennung der Unabhängigkeit Belgiens durch. Dieser nationale Befreiungsschlag inspirierte die belgischen Maler zu einer wahren Flut von vielfach großformatigen Gemälden, in denen die Geschichte der belgischen Nation zum Thema gemacht wurde. Es war kein Novum, dass bedeutende, meist politische Ereignisse der Vergangenheit zum Sujet in der Malerei gemacht wurden, neu waren die leidenschaftlichen kontroversen Diskussionen, die in Folge der öffentlichen Präsentation dieser Gemälde zwischen den fachkundigen Rezipienten – egal ob Künstler oder Kunstwissenschaftler – entbrannten. Zu grundsätzlichen Fragestellungen, die zu erwarten waren, zum Beispiel, ob es überhaupt möglich sei, einen historischen Sachverhalt in der Gegenwart überzeugend und lebendig auf die Leinwand zu bringen, gesellten sich nun ganz neue gesellschaftspolitische Aspekte, die ins Feld geführt wurden, um das Monopol der Herrschenden auf die Deutungshoheit über die Geschichte überhaupt anzuzweifeln und damit auch das Dargestellte infrage zu stellen. Bereits 1843 hatte man einige der besagten belgischen Monumentalgemälde auf Ausstellungstournee geschickt, unter anderem nach Köln, wo Louis Gallaits „Die Abdankung Karls V.“ aus dem Jahr 1841 zu ganz unterschiedlichen Stellungnahmen provozierte: Während der Maler und Kunstschriftsteller Ernst Förster an Gallaits Gemälde den Mangel an geschichtlicher Durchdringung kritisierte und außerdem monierte, dass sich die Darstellung in der Dokumentation einer Einzelszene erschöpfe und keine überzeitliche Erkenntnis vermittle, waren im Diskussionsbeitrag von Franz Kugler, seines Zeichens Kunstwissenschaftler und Professor an der Berliner Akademie, ganz neue, noch sehr diplomatische Töne zu vernehmen, nämlich als er forderte, man müsse dem „aristokratischen Element“ dieser Kunst – das durchaus unverzichtbar sei –, „als notwendiges Gegengewicht ein demokratisches
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zugesellen“. Nachdrücklich wies Kugler darauf hin, dass es nicht einige wenige gewesen waren, die Geschichte gemacht hatten, sondern dass auch in den Bevölkerungsschichten, die die offizielle Geschichtsschreibung nicht zu erfassen pflegte, ein wesentlicher Beitrag zur Vergangenheit und Entwicklung eines Volkes geleistet worden war (Beyrodt u. a. Bd. 1 1982, Zitat S. 195).
Einen aggressiveren Tenor hatte der Beitrag des Münchner Malers Ludwig Igelsheimer in den Tübinger „Jahrbüchern der Gegenwart“ aus dem Jahr 1844, als er die Münchner Schule der Historienmalerei harsch und sarkastisch anging, indem er den Malern provozierend vorhielt, sie hätten wohl „in die Werkstätte der Schöpfung und Geschichte geschaut.“ Bei Gemälden Münchner Provenienz, so Igelsheimer, sei ein unübersehbarer Überschuss von Wittelsbachern oder Welfen zu verzeichnen, dafür aber ein großer Mangel an Volk: „Da habe ich also einen Kaiser (…) und eine Krone und den Adel und das Volk. (…) Ein Kaiser muß erhaben sein, das ist historisch richtig, (…) und der Adel muß imposant und das Volk langweilig sein, das ist auch historisch richtig.“ (Beyrodt u. a. Bd. 1 1982, Zitat S. 202). Er forderte deshalb nachdrücklich eine verständlichere und demokratischere Kunst, die sich nicht nur in der Darstellung zeremonieller Gespreiztheit auf höchstem gesellschaftlichem Niveau erschöpfte, sondern die realistische historische Teilhabe der großen Masse des Volkes an der Geschichte eines Landes nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ berücksichtigen sollte.
Forderungen wie diese trugen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts reiche Früchte, als sich nach und nach zahlreiche Kunstvereine konstituierten, die von engagierten Bürgern ins Leben gerufen wurden und die sich ausdrücklich und hauptsächlich der Förderung der Historienmalerei verschrieben. Diese Kunstvereine, deren Anfänge bereits im 1792 in Nürnberg gegründeten Dürerverein zu finden sind, wurden nicht nur inhaltlich, sondern auch ökonomisch zu einflussreichen Auftraggebern und Förderern der Kunst, und drangen damit unwiderruflich in die traditionelle Domäne des Adels und der Kirche ein. Die aufmerksame Berichterstattung und Kunstkritik in den Tageszeitungen erzeugte die für die Fortsetzung der Projekte notwendige öffentliche Aufmerksamkeit. Bei der Wahl der Sujets waren die bürgerlichen Auftraggeber anfänglich
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wenig innovativ und tasteten sich nur zögerlich zum Wesentlichen vor: Waren es zuerst unverfängliche antik-mythologische Themen, wurde sehr bald auch auf Motive der europäischen Geschichte zugegriffen, um schließlich die Darstellung aktuellerer Ereignisse zu forcieren. Diese Absage an einen traditionellen Motivkanon war ein Akt der bürgerlichen Emanzipation und erwuchs aus einem Patriotismus, der um die Notwendigkeit wusste, einer breiteren Öffentlichkeit Kenntnisse über die Geschichte des eigenen Volkes zu vermitteln.
Im Fall des Künstlers selbst verhielt sich die Sache gänzlich anders, hier ging in der Person des sogenannten ‚Malerfürsten‘ der Adels‚titel‘ von den ehemaligen Auftraggebern auf den Maler bürgerlicher Herkunft über. Die Zahl der Künstler hatte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgrund des investitionsbereiten Käufermarktes stetig zugenommen, was selbstverständlich nicht bedeutete, dass jeder akademische Maler automatisch sein Auskommen finden konnte. Nur wenige brachten es zu Ruhm und Wohlstand, die große Mittelschicht konnte angenehm von ihrer Profession leben, und dann gab es noch diejenigen Künstler, die in Anonymität und Armut ein wenig erstrebenswertes Dasein fristeten. Den Olymp der Malerei aber bewohnte der Malerfürst, gewissermaßen ein ‚Tableau vivant‘, ein lebendiges Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts. Dieser neue Künstler-Adlige war das Ergebnis einer professionell organisierten, bis ins Detail festgelegten Selbstinszenierung, die von der Erzeugung geschichtlicher Atmosphäre lebte. Selbst sehr oft mit der Schaffung monumentaler Historiengemälde befasst, die den Großteil seines Ruhms ausmachten, erschuf der Malerfürst eine kulissenhafte Atelierwelt voller historischer Anspielungen, in der er Hof hielt und dem Publikum zu festgelegten Zeiten das Theater präsentierte, das von ihm erwartet wurde. Den so gern kultivierten Ruf des verwegenen Bohemiens legte sich der Malerfürst meist nur für sein Publikum zu und führte realiter ein beschauliches, gutbürgerliches Familienleben. Hans Makart (1840 – 84), der wohl bekannteste Historien- und Dekorationsmaler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, empfing täglich nachmittags für eine Stunde Besucher aller Couleur in seinem Atelier in Wien, wurde von der besseren Gesellschaft, vom ‚echten‘ Adel und sogar vom Kaiserhaus umworben und konnte außerdem für sich beanspruchen, mit seinem üppig ausstaffierten Atelier einen ganz speziellen,
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vielfach kopierten Interieurstil geprägt zu haben. In diesem aus plüschigen Fauteuils, schweren Stoffdraperien, Holzvertäfelungen, unzähligen historisierenden Wohnaccessoires und riesigen Buketts aus Trockenblumen bestehenden Ambiente konnte es dann auch vorkommen, dass man von einem Hausmädchen im Rokoko-Kostüm empfangen oder bedient wurde. Makart brachte die Geschichte nicht nur auf die Leinwand, er lebte sie vor und nahm auch seine Bewunderer auf diese Zeitreise mit: Anlässlich der Enthüllung des Gemäldes „Venedig huldigt der Caterina Cornaro“ im Jahr 1873 richtete der Künstler in seinem Atelier ein rauschendes Fest aus, gefeiert wurde in vom Venedig des 16. Jahrhunderts inspirierten Kostümen, die mit dem präsentierten Gemälde korrespondierten – ungeachtet des Umstandes, dass die historische Caterina ins 15. Jahrhundert zu verorten gewesen wäre, spürte Makart seinem bewunderten Vorbild Tizian nach und ließ damit eine präzis recherchierte historische Auffassung vermissen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wurde er mit der Konzeption eines historischen Festzuges zu Ehren der Silberhochzeit des österreichischen Kaiserpaares im Jahr 1879 betraut und stilisierte sich in diesem Zusammenhang, auf einem echten Pferd sitzend, als ritterlicher Edelmann des 17. Jahrhunderts. Immer wieder bezog er sein Publikum im weitesten Sinne in seine Historienmalerei mit ein: Als der „Einzug Karls V. in Antwerpen“ 1878 im Wiener Künstlerhaus präsentiert wurde, strömte innerhalb weniger Tage die halbe Stadt dorthin – nicht nur, um die nahezu unbekleideten Jungfrauen im Zug zu bestaunen, sondern vor allem auch, weil man in den Gesichtern dieser Damen prominente Wienerinnen der Gegenwart zu erkennen glaubte.
Franz von Lenbachs Aufstieg in den Künstleradel und zugleich in die Welt der realen Aristokratie verdankte der Maler seinen ausgezeichneten Verbindungen zu den höchsten Kreisen der Kaiserzeit. Namen wie Wilhelm I. und Bismarck – Letzteren hatte er um das Jahr 1900 bereits weit über sechzig Mal porträtiert – markierten die Stationen seiner Karriere, die sich als paradigmatische Erfolgsgeschichte der Gründerzeit darstellt. Schon bevor er durch seine Heirat mit einer geborenen Gräfin Moltke definitiv in den Dunstkreis des deutschen Hochadels gelangt war, ließ er sich in München nieder und engagierte Gabriel von Seidl für den Bau eines, wie er selbst sagte, „Palastes“ mit einem angeschlossenen Ateliertrakt.
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Abb. 6: Hans Makart, Der Einzug Karls V. in Antwerpen, 1878 (> Abbildungsnachweis)
Diesen weitläufigen renaissancehaften Prachtbau, der vielmehr einer venezianischen Landvilla ähnelt, wollte er am Königsplatz situiert sehen, weil er in dessen edler und musealer Nachbarschaft den idealen Ort für eine Begegnung zwischen Künstler, Kunst und kunstsinnigem Publikum sah (Blochmann 1991, S. 79). Dass der ‚Fürst‘ nicht nur repräsentierte, sondern natürlich auch seiner Profession nachgehen musste, wurde im Atelier sorgsam verschleiert. Farbkleckse auf dem Boden, Pinsel, streng riechende Ölfarben – ein solches Bild sollten die Besucher während der Audienzen niemals geboten bekommen, weil der Anblick des profanen Arbeitsprozesses das Geheimnis um die Entstehung des Kunstwerks und damit das Ambiente der Genialität beschädigt hätte. Nur das fertige Endprodukt, meist Porträts berühmter Persönlichkeiten im sogenannten Rembrandt-Stil, auf den sich Lenbach spezialisiert hatte, wurde in einer als angemessen empfundenen, gedämpften Salon-Atmosphäre präsentiert. Neben der Schar der Adepten, die regelmäßig zu den Residenzen dieser Künstler-Aristokraten pilgerten, gab es noch den sich zu diesem Zeitpunkt erstmals etablierenden Kunstjournalismus, der sich in diesen Fällen zu einer veritablen „Hofberichterstattung“ aus Atelierreportagen und Berichten von Künstlerfesten entwickelte (Blochmann 1991, S. 25).
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