Читать книгу Pax - Eva Roman - Страница 9

Оглавление

WIE LANGE brauchst du denn noch? Leni, längst zufrieden mit ihrer Verkleidung, einer Schweinemaske zur geblümten Kittelschürze, fischte den chinesischen Strohhut aus der Truhe und versuchte, ihn umgedreht auf der Spitze ihres Zeigefingers zu balancieren – das dazugehörige Kostüm, ein hochgeschlossenes gelbes Nachthemd mit schwarzen Fantasiezeichen bestickt, war für Pax an ein bedrückendes Gefühl geknüpft, seit Tante Beatrix ihm erzählt hatte, dass sie es jedes Jahr zum Schulfasching hatte tragen müssen und dass ihre Haut von der selbstgemachten Schminke auch Tage danach noch nach den Zwiebelschalen und dem Schmalz gestunken hatte, aus denen die Großmutter sie hergestellt hatte. Wie sie ausgelacht worden war, gelb im Gesicht, alle Jahre wieder, und was sie gegeben hätte für so ein schönes Kostüm, wie ihr es heute habt, Max, aber immer musste ich als Chinese gehen, weil wir sparen mussten, immerzu sparen. Woraufhin jedes Mal die bittere Pointe der Geschichte folgte, wie sie sich einmal gegen den Spott gewehrt hatte, indem sie Ruß aus dem Kanonenofen im Klassenzimmer einer Mitschülerin im Prinzessinnenkostüm ins Gesicht gerieben hatte und zusätzlich am Kragen ihres Kleides gerissen, so fest, bis der Geruch nach Mottenkugeln den ihrer Zwiebelschalen übertüncht hatte, und wie sich hinterher die Kratzer im Prinzessinnengesicht durch die Kohlepartikel entzündet hatten und wie sie dann verprügelt worden war, von dem zornigen Dorflehrer, der doch nur auf die nächste Gelegenheit gewartet hatte, eines der Kinder entblößt und über den Tisch gebeugt vor sich zu haben, und hinterher zuhause gleich nochmal, Tatzen von der Großmutter mit dem Kochlöffel auf die gestreckten Handflächen und für die Tränen gleich wieder über den Tisch, diesmal mit dem Teppichklopfer. Pax empfand die Scham der kleinen Beatrix, deren viel zu großen Kindermund er nur von einem Foto kannte, und er dachte so lange und so intensiv an ihr Leid hinter den trotzig zusammengepressten Lippen, bis es endlich die Tragik in sein Make-up brachte, die er vorher vergeblich versucht hatte zu erreichen.

Sieht gut aus, Leni reichte ihm den Taschenspiegel, woraufhin sie beide sich noch etwas mehr von dem mintgrünen Lidschatten bis unter die Brauen tupften, Lippenstift fehlt noch, sagte Leni jetzt und hielt Pax den dunkelroten hin.

Jedes Jahr bekam sie zum Fasching von ihren Eltern ein neues, zu enges Ballerinakostüm, los, zieh du es mal an, du bist dünner als ich, sie richtete eine Spielzeugwaffe auf Pax, sicher nicht, sagte er, tippte sich an die Stirn, nahm ihr die Waffe ab und steckte sie in das Halfter seines Patronengürtels, den er jetzt mit dem grauen Plastikbrustpanzer seiner Ritterrüstung und dem von Oma Peschka selbstgenähten glitzernden Zaubermantel kombinierte. Schön, mein Mantel, sagte Leni, während sie das Ballettkostüm zurück in den Schrank hängte und unvermittelt einen Sprung auf Pax zu machte, ihm die Waffe aus dem Halfter riss und ein paarmal hintereinander auf ihn schoss, Mantel her oder den Brustpanzer, du kannst nicht alles haben. Doch nicht drinnen, sagte Pax, während Oma Peschka schon die Wohnzimmertür aufriss, um Leni den Revolver abzunehmen und das Fenster zu öffnen, gegen den Geruch nach verbrannten Plastikpatronen. Und der Schminkkoffer ist auch tabu, sagte sie und sah die beiden kopfschüttelnd an, obwohl weder Pax noch Leni sich daran erinnern konnten, sie jemals auch nur mit einem Hauch Make-up gesehen zu haben.

Dass sie im Keller nachsehen konnten, ob noch Pfandflaschen da waren, um sie im Kaufmarkt gegen Süßes einzutauschen, schlug Leni draußen vor, Taschengeld habe ich auch noch übrig, sie klimperte mit den Münzen in der Hosentasche.

Ihr Anblick ließ Tante Beatrix hinter der Fleischtheke hervorpreschen, wie einen Hund, durch dessen Revier eine Katze schlenderte. Panisch riss sie der erstaunten Leni die Schweinemaske vom Kopf und drückte sie Pax grob über sein geschminktes Gesicht. Im Gummiband hatte sich eine von Lenis Haarnadeln verfangen und ritzte ihn an der Stirn, vor Schmerz schrie er auf, sah Tante Beatrix durch die Schlitze der Maske an, bevor er losrannte, innen sein Atem, warm gegen das weiße Plastik, außen das lachende Schwein zwischen den bunten Regalen, sein wippendes Sichtfeld ohne Himmel ohne Boden, Autolichter, Laternenmasten, der Bordstein, die Aschetonne und endlich das grüne Versteck unter der Tanne, wo Pax die Maske noch immer nicht abnehmen wollte.

Nach einer Weile kam Leni, setzte sich neben ihn auf den weichen Boden, eine Tüte bunter Gummibonbons in der Hand, die sie ihm hinhielt. Nimms nicht so schwer, sagte sie, gegen mein Ballerinakostüm hatte Tante Beatrix letztes Mal auch was, vielleicht ist sie neidisch. Die Augen leicht zusammengekniffen, stellte er sich Leni vor, wie sie im Treppenhaus zu Tante Beatrix getänzelt war, in dem fahlen Licht, das durch die Marmorstufen noch blasser wirkte, sogar das Ticken des Schalters konnte er hören, diese nicht auszulöschenden Sekunden, die Leni neben Tante Beatrix vor dem Fenster gestanden hatte. Sie hatten beide hinausschauen wollen, doch sie sahen nur die eigenen Silhouetten, Leni sich in der unteren Hälfte des Fensters und Tante Beatrix sich in der oberen, und Leni hatte gesagt, schön sehe ich aus, in dem neuen Kleid, oder?

Eine Schönheit bist du gerade nicht, Tante Beatrix hatte mit den Schultern gezuckt, Lenis Spiegelbild entgegen, aber wer ist das schon?

Pax wollte gerne Lenis Hand nehmen, stattdessen griff er in die Bonbontüte und holte eine Colaflasche für sie heraus, um die sie sich sonst gerne zankten, sie meint es nicht so, sagte er, und dass sie eben manchmal einfach das Erste sagte, was ihr in den Sinn kam. Leni griff in die Tüte und nahm eine ganze Handvoll Gummibärchen heraus, die sie sich auf einmal in den Mund schob. Sie meint es genau so, sagte sie undeutlich.

Eine ganze Weile blieben sie dort sitzen, kauend, in der kalten Stille, atmeten den feinen Geruch des Baumharzes ein, bis die Laternen angingen und Leni nach Hause musste.

Nach Feierabend erschien Tante Beatrix vor der Tanne, ich finde einfach, es reicht jetzt mit dem ganzen Verkleiden, sagte sie, du bist doch kein kleines Kind mehr. Pax hielt still, bis sie endlich in die Hocke ging, ihr Gesicht in das Dunkelgrün tauchte, eine Haarsträhne fiel ihr über die Augen, woraufhin sie den Kopf zurückwarf und gleichzeitig Luft in Richtung der Strähne blies. Es roch nach Gebratenem, ihre Hände hingen in den Schlaufen zweier Plastiktüten, darin die Einkäufe und ein Styroporbehälter, ein halbes Hähnchen, sie hielt ihm einen der Beutel unter die Nase, extra für dich. Im Treppenhaus fiel ihm ein neuer, orangefarbener Haarkamm auf, den sie etwas oberhalb des rechten Ohrs in ihr Haar gesteckt hatte. Seine Wut löste sich in dem weichen Kastanienbraun ihres Hinterkopfs auf, lass mich das tragen, sagte er, und er nahm ihr die Beutel ab.

Pax

Подняться наверх