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ZEUS (Der Göttervater) - Krieger des Lichts

Er sitzt neben mir am Tisch im Caféhaus, die Hände bedächtig vor sich gefaltet. Eingefallen sieht er aus, ein wenig erschöpft und doch aufrecht und klar. Sein Blick ist versunken ins Weite gerichtet, als suchte er in der Ferne nach Bildern ehemaliger Tage. Nach Zeichen einer Vergangenheit, die manchmal bedrohlich in ihm erwacht. Erinnerung an unendliches Leid, das Wunden in seine Seele grub und Narben schuf, die nicht verheilen. Sie wurden der Schriftzug seiner Bestimmung und Teil seiner Kraft, die ihn tröstet und trägt. Seine Augen spiegeln die Farben des Schmerzes, doch die Lebendigkeit in ihm ist noch immer die eines jungen Mannes.

Er spricht leise und mit stockender Stimme, doch trotzdem beharrlich, ganz langsam, fast sanft. Als wollte er prüfen, ob ich sie ertrage, all diese Traurigkeit in ihm. Seine Worte forschen nach einer Antwort, nach Sühne für den menschlichen Makel der Grausamkeit und der Zerstörung. Wir haben den Jahren, die er erlebte, viele erschreckende Namen gegeben. Nichts davon lässt uns begreifen, was ihm durch die Herrschaft des Terrors geschah. Dunkle Wahrheit, beklemmendes Zeugnis aus der Geschichte von einem, der standhielt. „Niemand kann es sich vorstellen.“ sagt er. „Keiner, der es nicht selbst erlebt hat.“ Er weiß, wie es ist, in der Menge zu stehen, die dem Tyrannen tatenlos lauschte. Die das Gift willig trank, das sie lähmte und täuschte, ihre Augen verschloss, ihren Geist unterwarf. Ein Wissender war er im Strom der Verblendung und dennoch gefangen im Kreislauf der Zeit. Als einsamer Wolf im Rudel des Volkes sah er den Triumph der Finsternis, deren kalter Atem der Macht die Menschheit entsetzt erstarren ließ. Die Dämonen des Todes stiegen empor und zogen mordend durch das Land.

Mit der "Sturmschar" trat er ihnen entgegen, das Christusbanner hoch erhoben. Sankt Michaels Schwert war ihre Waffe, ihr Glaube der Mut für den Widerstand. Die Staatspolizei nahm ihnen die Freiheit, um sie zu brechen, sie auszulöschen. Er aber war so stark wie Zeus, er beugte sich nicht, verlöschte nicht, das Feuer in ihm brannte weiter. So trotzte der Staatsfeind dem Gefängnis, den Schlägen und der Furcht vor dem Sterben. Sein Glaube war größer als die Gefahr, selbst mächtiger als die Gewalt, die ihn traf. Er wurde kein Diener des Dritten Reichs, des Führers und des Kriegs der Vernichtung. „Es gibt für mich nur einen Gott.“ war seine Antwort und seine Haltung. Glück oder Fügung rettete ihn, denn „kriegswichtig“ sei er, sagten sie. Sie ließen ihn gehen, ungebrochen. Als Pilot der Elite, als Ausbilder, Fluglehrer war er bestimmt für den letzten Einsatz, einen „Endsieg“ des Wahnsinns, den es niemals gab. Er hat seinen Traum vom Fliegen begraben und fühlt doch bis heute die tiefe Sehnsucht, nach dem silbernen Himmel, der Stille der Wolken, der leuchtenden Stille der Ewigkeit.

Obwohl ein Wunder sein Leben verschonte, sah er dem Tod in die leeren Augen. Bei der Rückkehr in die ostpreußische Heimat erwartete ihn der Untergang. Die fremde Kleine, reglos im Gras, sie war nur der Anfang seines Kreuzwegs durch die irdische Hölle aus Hass und Vergeltung. Ganz friedlich lag sie, die Puppe im Arm, zerschmettert der Kopf, fast schien sie zu schlafen - so leise, dort draußen, wie ein Engel, allein. Die heile Welt seiner Kindheit, mit behütenden Eltern und vielen Geschwistern, sie war tot und verloren, war ins Dunkle gestürzt. Auf den Hof hinaus wurden sie alle getrieben, erzählten die Nachbarn, die noch lebten. Ihr Blut, das die Erde der Heimat tränkte, ihr Blut, auf dem Boden, den er betrat, der sich auftat, unter seinen Füßen - und er fiel... und er fiel... in den Schmerz, in die Tiefe. Seine jüngeren Schwestern, drei von vieren, geschändet, geschlachtet von der Roten Armee, die Rache übte, rasend vor Zorn, unaufhaltsam und ohne Gnade. Der Älteste war er von acht Kindern, doch konnte er keines der Mädchen bewahren vor der blinden Wut jener, deren Land zerstört war von der Diktatur, der er selbst widerstand. Seine Mutter hat alles mit angesehen. Verrückt war sie vor Schmerzen geworden, erkannte ihren Sohn nicht wieder. Sie starb an ihrem tiefen Kummer, der auch ihn für immer von innen zerriss.

Zum ersten Mal sehe ich ihn nun weinen, diesen unbeugsamen Mann, der mich aufwachsen sah und mich beschützte, der mein Großvater und mein Vorbild ist. In einer anderen, fernen Stadt hat er eine neue Heimat gesucht. Weit fort von den Trümmern des Elternhauses fand er eine außergewöhnliche Frau, die seine verletzte Seele erwärmte, die ihm mit unbändiger Lebensfreude den Schrecken nahm, der in ihm wohnte. Mit ihr, meiner Großmutter, wurde er alt, blieb an ihrer Seite, bis zu ihrem Tod. Er verstand die Menschen, deren Geist zerbrach, sah ihre Narben, die Zeichen des Schicksals. Den psychisch Kranken schenkte er eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Er legte das Werkzeug in ihre Hände, durch das sich ihre vergessene Kraft in der Schönheit der eigenen Arbeiten zeigte. So wurde der Therapeutenberuf zu seiner Berufung, die ihn erfüllte - in der seine Größe und sein Vertrauen in eine höhere Macht spürbar war.

Mein Großvater hat mich gelehrt, zu kämpfen, weil es sich lohnt, nach dem Guten zu streben. Hinter der hässlichen Maske des Unrechts, jenseits des Grauens, von Menschen gemacht, sah er die Vollkommenheit und den Zauber, den einzigartigen Wert des Lebens. Streng konnte er sein, wenn ich weglaufen wollte vor Schwierigkeiten und Enttäuschung, denn er selbst hat die Drachen des Zweifels besiegt. Er ist aufrecht geblieben, trotz düsterer Träume, die jede Nacht durch sein Zimmer kreisen, er sieht sie an, aber fürchtet sie nicht. Während ich stets eine Nomadin war, auf der rastlosen Suche nach Erkenntnis und Sinn, ist er ein ruhiger Fels in der Brandung, den die Flut nicht verschlingt, der den Sturm übersteht. Die Welt braucht Friedensritter wie ihn, deren Stimmen der Willkür widersprechen und deren Botschaft uns ermutigt. Ich schreibe seine Geschichte auf, ich tue es für ihn, weil er es nicht kann. Es bräche sein Herz ein zweites Mal und öffnete all seine Wunden. Ich trage die Erinnerung für ihn, für meine Kinder, für unsere Ahnen. Er, der das Feuer der Weisheit bewahrte, lebt weiter in mir, der Krieger des Lichts. Mein stiller, mein großer Held.

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