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Die Waffen von morgen
ОглавлениеDer Roman Gas gegen Gas ist seit 1930 mehrfach als Fortsetzungsroman erschienen, zunächst in der Südwestdeutschen Rundfunkzeitung, später – unter anderem Titel – in den Innsbrucker Nachrichten und im Grazer Tagblatt.[229] Aber Dora hatte schon 1925 einen Artikel darüber geschrieben, der lange Zeit als von Walter Benjamin stammend galt, obwohl er mit »dsb« – Dora Sophie Benjamin – unterzeichnet ist: »Die Waffen von morgen. Schlachten mit Chlorazetophenol, Diphenylaminchlorasin und Dichloräthylsulfid«.
Sie erklärt darin, dass sie noch viel Schlimmeres als die Schlachten bei Ypern oder am Isonzo befürchte, nämlich einen »gespenstischen […] Gaskrieg aus den Lüften«, einen »bloßen und radikalen Angriffskrieg«, gegen den es bislang »keine zulängliche Gegenwehr« gebe. Dazu entwirft sie folgende Vision:
In den Straßen Berlins verbreitet sich bei schönem, strahlendem Frühlingswetter ein Geruch wie von Veilchen. Das dauert einige Minuten lang. Danach wird die Luft erstickend. […] Das alles kann eines Tages einsetzen, ohne dass in der Luft irgendein Flugzeug sichtbar, das Surren irgendeines Propellers vernehmbar wäre. Bei unverändert klarem Himmel und blendender Sonne. Aber unsichtbar und unhörbar, 5000 Meter hoch, steht ein Fluggeschwader, das Chlorazetophenol herabtropfen lässt, Tränengas, das »humanste« der neuen Mittel, das, wie bekannt, in den Gasangriffen des letzten Krieges bereits eine Rolle gespielt hat. […] Londons Zentrum mit dem Sitz aller lebenswichtigen Institute des britischen Imperiums bedeckt vier englische Quadratmeilen. Diese erfordern, um auf Monate hinaus unbewohnbar zu werden, 120 Tonnen Dichloräthylsulfid, Senfgas. Da zu gleicher Zeit maximal 250 Flieger […] sich aufhalten können, jeder davon mindestens 500 Pfund mit sich führt und dieses Geschwader eine Tonne pro Minute abwirft, so steht […] das Herz des britischen Weltreichs nach zwei Stunden still. […] Wie sehen jene Giftgase aus, deren Gebrauch die Verabschiedung aller menschlichen Regungen voraussetzt? Bis heute kennen wir siebzehn; unter ihnen sind das Senfgas und das Lewisit die wichtigsten. Gegen beide geben Gasmasken keinen Schutz. Senfgas frisst das Fleisch und führt da, wo es nicht unmittelbar tödlich wirkt, Verbrennungen herbei, deren Heilung drei Monate beansprucht. […] In den Regionen, die unter einem Senfgasangriff jemals gelegen haben, kann noch nach Monaten jeder Schritt auf dem Erdboden, jede Türklinke und jedes Brotmesser den Tod bringen. Senfgas macht wie viele andere giftige Gase alle Lebensmittel ungenießbar und vergiftet das Wasser. […] Es erübrigt sich, zu bemerken, dass die Unterscheidung zwischen ziviler und kampftätiger Bevölkerung im Gaskriege fortfällt, damit aber eines der stärksten Fundamente des Völkerrechts. Das ›Lewisit‹ ist ein Arsengift, dringt sofort ins Blut, tötet unwiderruflich, blitzartig alles Getroffene. Monatelang sind alle von schweren Gasangriffen betroffenen Bezirke durch Leichen verpestet. […] Keller und Unterstände […] bringen bei Gasangriffen den sicheren Tod, weil das schwere Gas in die Tiefe sinkt.[230]