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Outlaws among the nations
ОглавлениеEs verwundert nicht, dass Dora nicht mehr an einem Institut studieren wollte, dessen Leiter als »Vater des Gaskrieges« galt, ja, dass sie vielleicht überhaupt an dem Sinn ihres Faches zu zweifeln begann. Bis zum Sommersemester 1916 ist sie als Studentin der Chemie eingetragen, dann taucht ihr Name in den Personalverzeichnissen der Universität nicht mehr auf. Die handschriftlich geführten Bücher des Rektorats vermerken allerdings, dass sie sich noch einmal für Philosophie einschrieb, bevor sie sich im November 1916 endgültig exmatrikulierte.
Nichts spricht dafür, dass sie in dieser Zeit Kontakt zu ihren Eltern gehabt hätte. Sie werden in keinem ihrer überlieferten Briefe erwähnt. Auch Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) lässt nicht erkennen, dass sie zu dieser Zeit mit Dora kommuniziert hätte. Für diese »Funkstille« könnte es mehrere Gründe gegeben zu haben. Erstens: Sie verzieh ihnen nicht, dass sie sie dazu gedrängt hatten, die vielleicht schönsten Jahre ihres Lebens mit einem Mann zu verbringen, den sie nicht liebte. Zweitens: Sie wollte von KellnersKellner, Leon zionistischem Überschwang nichts mehr hören und ihr Leben ohne einen »Priester« verbringen, der »zwischen Gott und ihr« stand.[231] Drittens: Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass ihr VaterKellner, Leon den Krieg immer mehr verherrlichte und in seinem Patriotismus beinahe rassistisch wurde. Er schimpfte lauthals auf bekannte englische Schriftsteller wie Rudyard KiplingKipling, Rudyard und H.G. WellsWells, H.G., weil sie sich kritisch über Deutschland geäußert hatten. Er bestritt ernsthaft, dass die Deutschen Unrecht getan hatten, als sie das neutrale Belgien überfielen und alte Universitätsstädte wie Leuwen fast völlig zerstörten. An den Leiter eines großen amerikanischen Verlages schrieb er:
Sie wollen wissen, was ich über den Krieg denke? […] Brauche ich Sie an die serbischen Agitationen in Bosnien und Slawonien zu erinnern? Der kaltblütige, von langer Hand vorbereitete Mord an dem österreichischen Thronfolgerpaare ist wohl auch in Amerika noch nicht vergessen. […] Wir waren von Feinden umstellt, man ließ uns durch ein Jahrzehnt nicht zur Ruhe kommen, unsere Bevölkerung wurde systematisch aufgehetzt, unser Außenhandel wurde lahmgelegt. […] Und als wir es nicht länger ertragen konnten und den Serben zuriefen: »Nun ist’s genug!«, da schlossen uns die feindlichen Großmächte ein, wie die Jäger das Wild, zum triumphierenden Todesstoße bereit. Und nun, da wir uns unserer Haut wehren, und zwar mit ruhmreichem Erfolg, nun erklärt die »Times«, die Amerikaner hätten beschlossen, uns für geächtet, für »Outlaws among the nations« zu erklären. Bitte, Mr. Morley, bringen Sie diese […] Worte in die Tagesblätter New Yorks. Die Amerikaner sollen entscheiden, ob Österreich diese »Ächtung« verdient.[232]
Seltsam, dass KellnerKellner, Leon in seinem Enthusiasmus völlig ausblendete, wie es den Juden in der deutschen und österreichischen Armee erging. Es wurden nicht nur die berühmt-berüchtigten »Judenzählungen« angeordnet, es gab auch hasserfüllte Kampagnen gegen jüdische »Drückeberger«, »Schieber« und »Bolschewisten«, obwohl Tausende jüdischer Soldaten im Feld standen, das Eiserne Kreuz trugen oder fürs »Vaterland« fielen. Als Arthur SchnitzlerSchnitzler, Arthur erfuhr, dass der Magistrat der Stadt Wien beschlossen habe, in Typhusspitälern künftig nur noch Juden arbeiten zu lassen, um das christliche Personal vor Infektionen zu schützen, kannte seine Wut keine Grenzen mehr. Seine Frau OlgaSchnitzler, Olga und er dachten an Auswanderung, »sofort!«.[233]