Читать книгу Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman - Ewa A. - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеEr wartete regungslos in seinem Versteck und horchte in die Nacht hinein. Sein schneller Herzschlag übertönte in seinen Ohren beinahe die lauten Männerstimmen, die zu ihm in das Gebüsch hallten. Er spürte, wie einzelne Schweißtropfen aus seinem Nacken den Rücken entlang rannen. Obwohl seine Muskeln und Sehnen langsam gegen die starre, zusammengekauerte Haltung rebellierten, zwang er sich so lange ton- und bewegungslos auszuharren, bis sich die Stimmen und damit die Männer entfernen würden. Da ihr Lärm nicht leiser wurde, vermutete er, dass die Gruppe auf der Wiese, nahe der Gondel, angehalten hatte. Die Angst, dass die Männer womöglich die Frau in dem gestrandeten Boot entdecken könnten, ließ ihn nervös schlucken. Erst nach einer Weile vernahm er, wie die Stimmen in die Ferne wanderten und schließlich nur noch die nächtlichen Geräusche des Waldes zu hören waren, die von den weit entfernten Rufen des Suchtrupps begleitet wurden. Er musste sich sputen, denn bald würden sie auch hier nach der Vermissten suchen.
Schließlich wagte sich der Entführer aus dem Gebüsch und hastete auf Zehenspitzen, vorsichtig um sich schauend, über die Wiese, um an das Ufer des Sees zu gelangen. Doch als er dort ankam, war von einer Gondel nichts mehr zu sehen. Sie war verschwunden, samt seinem Opfer, welches er darin abgelegt hatte. Verwirrt drehte er sich um die eigene Achse.
Er war sich sicher, dass das Boot hier gelegen hatte. Der Fels dort drüben und die Eiche daneben, sagten ihm, dass er sich nicht täuschte. Aber dennoch war weit und breit keine Gondel, keine betäubte Jungfrau auszumachen. Eine ungemütliche Hitze durchfuhr den Entführer, der von Panik erfasst wurde. Währenddessen tauchten immer mehr Fackeln in der Finsternis auf, die sich zügig in seine Richtung bewegten. Die Gefahr, von dem Suchtrupp aufgegriffen und der Entführung verdächtigt zu werden, wuchs mit jeder Sekunde. Eine Befragung oder Untersuchung seiner Person sowie seines Anwesens konnte er sich nicht leisten, denn zu viele Beweise würden zu Tage treten, die ihn mit den Kinder- und Jungfrauenmorden in Verbindung brachten. Das konnte er nicht zulassen, wie er ebenso nicht länger nach dem Mädchen suchen konnte, auch wenn der Meister darüber nicht sehr erfreut sein würde. Samael selbst hatte immer wieder betont, dass die Sicherheit des Zirkels vorginge. Jedes Mitglied, das entlarvt werden würde, könnte den gesamten Zirkel gefährden.
Deshalb kannte keiner von ihnen die Identität des anderen. Sie sprachen sich nur mit ihren Decknamen an und waren von dem Meister angehalten worden, unbedingt bei jedem Treffen ihre Masken und Kutten anzulegen. Obwohl vieles von ihnen verlangt wurde, jeder seinen Beitrag leisten musste, war der rote Zirkel das Beste, was ihm je passiert war. Die Zeremonien und die Ideologie, die dahintersteckte und welche Samael verkündete, war genau das, wonach er schon immer gesucht hatte. Seine sexuelle Vorliebe für Kinder und sein Verlangen, ihnen Qualen zuzufügen, hatte er immer geheim halten müssen. Doch im Zirkel konnte er seine Wünsche ohne Hemmungen ausleben. Denn der Meister predigte, dass sie als Menschen das vollkommene Geschöpf seien und es ihre Pflicht als Stärkere wäre, ihr Begehren auf Kosten der Schwachen auszuleben. Für sie, die auserwählten Starken, die gottgleich wären, gäbe es keine gesellschaftlichen Zwänge und keine Konventionen, an die sie sich halten müssten, absolute Freiheit sei die oberste Maxime. Niemals würde er seine Brüder verraten. Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft.
In Bedrängnis geraten überlegte der Teufelsanbeter nicht länger, sondern stahl sich in der Dunkelheit davon, ohne einen weiteren Gedanken an sein Opfer zu verschwenden.
*
Es war ein herrlicher Morgen. Der Himmel trug sein wolkenfreies azurblaues Sommerkleid, auf dem sich die Sonne in ihrer ganzen Pracht entfaltete. Die Vögel im Beaumont Park zwitscherten vergnügt ihr Morgenlied. Die Tautropfen, die auf den saftig grünen Grashalmen glitzerten, würden bald verdunstet sein, doch noch verliehen sie der Luft die kühle Frische eines neu anbrechenden Tages.
Der Frühstückspavillon im Beaumont Park, der mitten im See lag und über einen langen Steg zu erreichen war, erfreute sich an diesem Morgen besonderer Beliebtheit bei den adligen Herrschaften. Denn es gab, weiß Gott, nach dem gestrigen Ball, den der Marquess Shutterfield veranstaltet hatte, genügend Neuigkeiten, die weitererzählt werden mussten. Die erhitzten Gemüter ließen die Gerüchteküche hochkochen.
Auch Marquess Shutterfield war im Pavillon anwesend und nahm sein karges Frühstück ein, an einem Tisch mit direktem Blick auf den See. Er war noch immer entsetzt über den fürchterlichen Ausklang des Balls. Ihm gegenüber saß die beleibte Matrone Longbottom, die Pearlene am Abend zuvor belauscht hatte und nun voller Appetit ihren Porridge verspeiste.
»Findet Ihr nicht auch, mein lieber Marquess, dass der Onkel der Baroness Clifford völlig die Fassung verloren hat gestern Nacht? Man konnte sein Brüllen bis in das Musikzelt hören. Es war fürchterlich.«
Shutterfield schüttelte unmerklich den Kopf. »Angesichts der Jungfrauenmorde ist es vollkommen verständlich, dass der Bruder des Duke außer sich war und auf eine sofortige Suchaktion in der Nacht bestand. Der arme Mann trug schließlich die Verantwortung für seine Nichte, die ihm abhandengekommen ist. Es bleibt bloß zu hoffen, dass sie dem Jungfrauenmörder nicht zum Opfer fiel.«
Die Matrone Longbottom schnalzte mit der Zunge. »Nun, könnte es nicht sein, dass die Baroness aus ganz anderen Gründen spurlos verschwunden ist? Schließlich hatte der berüchtigte Schwerenöter Duke Bradford Lyndon offenkundig Interesse an der unscheinbaren Baroness Clifford.«
Der Marquess holte entrüstet Luft. »Madame, was Ihr andeutet, sind bloße Vermutungen. Es gab mehrere Zeugen, die bestätigten, dass die Baroness dem jüngeren Lyndon einen Korb gab und dieser letztendlich mit seinen Freunden in die entgegengesetzte Richtung den Ball verließ.«
»Aber nichtsdestotrotz wäre es eine Möglichkeit. Und dazu eine weitaus gesündere für sie als die andere, wo sie als kopflose, geschändete Jungfrau enden würde«, erwiderte die Matrone mit einem einseitigen Schulterzucken.
Ein plötzliches Getuschel an den benachbarten Tischen ließ den Marquess aufmerksam werden. »Was erregt die Leute denn so?«
Neugierig sahen sich Shutterfield und die Matrone um und entdeckten die Ursache: eine einsame Gondel, die auf dem See trieb.
Shutterfields Augen verengten sich. »Sitzt da ein Mann in dem Boot?«
»Ja! Grundgütiger! Und er ist … nackt!«, staunte Lady Longbottom mit großen Augen.
Indessen starrte der Marquess immer noch angestrengt auf den See. »Er ist nicht allein, da ist doch ...« Er verstummte, denn, was er sah, war skandalös.
»Eine Frau!«, schrie Lady Longbottom aufgeregt. »In Unterwäsche?!« Sie stutzte. »Der Mann, die Statur, die Haarfarbe, das ist unverkennbar einer der Lyndon-Zwillinge. Sehr wahrscheinlich dieser Bradford. Aber die Frau? Dieses blonde Haar…?« Die Augen der Matrone weiteten sich noch mehr.»Shutterfield, ist das womöglich die vermisste Baroness Clifford?«
Die beiden tauschten einen Blick miteinander, um im nächsten Moment wieder zur Gondel zurückzuschauen, in der sich die junge Frau endlich zu ihnen herumdrehte und ihr Antlitz offenbarte, welches dasselbe verwunderte Entsetzen zeigte wie ihres.
Wie aus einem Mund entfuhr es dem Marquess und der Matrone: »Sie ist es!«
*
Noch bevor Pearlene richtig wach wurde, bemerkte sie, dass ihr alles wehtat. Jeder einzelne Knochen schmerzte. Angefangen bei der Schädeldecke bis zu ihren Zehenspitzen. Ihr war speiübel. Sie hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Vorsichtig wollte sie sich bewegen, aber es ging nicht. So wie es sich anfühlte, hielt ein schwerer Fels sie an Ort und Stelle fest, erdrückte sie beinahe. Das erklärte auch ihre Schmerzen. Konnte sie ihre Arme heben, um den Stein von sich herunterzurollen? Ja, das ging. Aber … der Fels fühlte sich unter ihren Fingern nicht wie ein Fels an … Er war warm und weich … Warum lag überhaupt ein Fels auf ihr, in ihrem Bett?!
Jäh öffnete Pearlene ihre Lider. Grelles Tageslicht blendete sie, weshalb sie gleich wieder ihre Augen schloss. Aber mit der Erkenntnis, dass sie nicht in ihrem Bett lag, sondern unter freiem Himmel, nahm sie auch das Vogelgezwitscher wahr und das Schwanken der Gondel. Erneut öffnete sie ihre Lider, diesmal jedoch langsamer.
Wo war sie? In einem Boot? Wie war sie hier gelandet?
Sie drehte langsam ihren Kopf und glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Denn der Fels, der sie auf den Boden presste, war ein Mann. Ein Mann aus Fleisch und Blut. Und Pearlene tat das, was jede unerfahrene Jungfrau getan hätte, in so einer Lage: Sie kreischte wie eine Irre und schlug auf den Mann ein, der seelenruhig auf ihrem Busen schlief und dabei leise schnarchte. Panisch schob sie den Fremden an den Schultern von sich und stellte dabei fest, dass er unbekleidet war. Diese Feststellung löste einen erneuten Schreikrampf bei der Baroness aus, der zur Folge hatte, dass der nackte Mann stöhnend zu sich kam.
»Großer Gott! Schrei doch nicht so!« Bradford kniff die Augen zusammen, denn er hatte unsägliche Kopfschmerzen. Benommen richtete er sich auf und hielt sich mit beiden Händen den Kopf, der von einem wummernden Stechen gemartert und demnächst vermutlich zerspringen würde. Er ächzte gepeinigt auf.
Zum Teufel, was war denn los? Der Boden schwankte und wer zur Hölle war die Frau, die wie eine Furie kreischte? Zu allem Übel schrie auch sein Körper vor Schmerzen auf. Er hatte offenbar in einer ziemlich unbequemen Stellung auf der Holden geschlafen, die sich anscheinend nicht mehr an ihn erinnerte. Wobei er sich an sie ebenso wenig erinnern konnte wie an die vergangene Nacht. Da waren nur noch bruchstückhafte Bilder von dem Ball, die durch seinen schweren Kopf schlingerten.
Pearlene war schlagartig die Luft ausgegangen, als sie erkannte, wer der Mann war, der sich allmählich von ihr und auf seine Knie erhob. Fassungslos hechelte sie nach Luft. Es war ein Lyndon-Zwilling und nach allem, was sie von Reeva über die beiden wusste, konnte es nur Bradford sein, der nackt auf ihr gelegen hatte.
Ihr Magen drehte sich und die Übelkeit wurde unerträglich. Sie schaffte es noch gerade rechtzeitig, sich aufzurappeln und den Kopf über Bord zu halten, um sich in den See zu übergeben.
»Oh – nein! Nicht auch das noch!«, jammerte Bradford, als er das Würgen hörte und langsam seine Augen aufschlug. Er sah nur den weißblonden Haarschopf der Frau, die lediglich mit Unterhosen und Mieder bekleidet vor ihm in einer der Gondeln vom Beaumont Park lag und sich in den See erbrach. Doch er wusste sofort, wer die Frau war, denn dieses Blond hatte er bisher nur einmal in seinem Leben gesehen und das war vor ein paar Stunden gewesen. Er hatte die Nacht mit der hübschen Baroness Clifford verbracht und hatte nicht die geringste Ahnung, wie es dazu gekommen war.
Mürrisch hoben sich Bradfords Augenbrauen. »Das ist mir noch nie passiert, dass eine Frau sich übergeben muss, wenn sie mich in ihren Armen vorfindet!«
Schwer atmend wischte sich Pearlene den Mund ab und fragte: »Wer seid Ihr? Der Grand Duke Arden oder sein Bruder Bradford?«
Böse stierte sie zu dem jungen Mann hinüber, um sich eine Sekunde später die Hände vors Gesicht zu schlagen und die Augen zuzukneifen. »Himmel, Ihr tragt ja nicht mal eine Hose! So bedeckt doch endlich Eure Blöße mit irgendetwas!«
Hitze stieg in Pearlenes Wangen, denn noch immer konnte sie den herrlich kräftigen Körper des Duke im Geiste vor sich sehen. Dieser eine Augenblick hatte gereicht, um sich jede Einzelheit seiner bemerkenswerten Erscheinung in ihr Gedächtnis einzubrennen. Seine braune Mähne war noch in einem lockeren Zopf gefangen. Während das Blau seiner Augen mit dem des Himmels um die Wette strahlte, schimmerte seine Haut am gesamten Körper in einem goldenen Braun. Arme, Brust, Bauch und selbst seine Oberschenkel schienen nur aus Muskeln zu bestehen. Sogar sein Geschlecht, das vor einem Nest aus schwarzen Schamhaaren baumelte, kam ihr riesig vor. Sie hatte zwar noch nie einen erwachsenen Mann nackt gesehen, aber sein Glied, das er so offenherzig zur Schau stellte, war erschreckend größer, als sie es jemals bei einem der Jünglinge gesehen hatte, mit denen sie als Kind gebadet hatte.
Bradford schwankte. Obwohl sein Schädel gleich in Einzelteile zerfallen wollte, schmunzelte er über das Gebaren der Baroness. »Wenn Ihr darauf besteht, lege ich mir die Decke über. Und wenn es schon nach Euren Wünschen geht, wer sollte ich denn Eurer Meinung nach sein?«
Pearlene schnaubte zornig in ihre Hände. »Eigentlich wünsche ich mir, dass Ihr Euch in Luft auflöst, aber da das wahrscheinlich nicht passieren wird, bestehe ich unbedingt darauf, dass Ihr Euch bedeckt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihr Bradford seid, denn Euer Bruder Arden würde einer Frau so etwas gewiss nie antun!«
»Ihr könnt jetzt ohne Gefahr wieder zu mir sehen, Baroness. Aber ich muss Euch widersprechen: Was meinen Bruder angeht, habt Ihr keine Ahnung, zu was er fähig ist, und ich habe Euch gar nichts angetan.« Grübelnd zog sich Bradfords Stirn in Falten. »Denke ich zumindest … Andernfalls kann ich mich nicht mehr daran erinnern?«
Pearlene nahm die Hände herunter. Sie wollte ihre Augen in einer missbilligenden Geste über die Gestalt des Dukes wandern lassen, um ihm deutlich vorzuführen, für was für einen verkommenen Schuft sie ihn hielt. Allerdings hatte er die Decke nur um seine Hüften geschlungen und bot ihr noch immer seinen muskulösen Oberkörper dar, der ihr den Atem nahm und sie vergessen ließ, was sie beabsichtigt hatte. Die Baroness schüttelte den Kopf, um ihre Sinne zur Ordnung zu rufen.
»Ich liege also richtig mit meiner Vermutung, dass Ihr Bradford seid. Aber wenn Ihr mir nichts angetan habt, warum liege ich dann mit Euch in dieser Gondel?«, keifte sie ihn an.
Bradfords Züge wurden ernst. »Das Gleiche könnte ich Euch fragen? Ich habe mich nämlich nicht ausgezogen und zu Euch ins Boot gelegt. Vielleicht wart Ihr das?«
Empört riss Pearlene die Augen auf, doch Bradford war nicht zu stoppen.
» Vielleicht wolltet Ihr mich auf diese Weise zu einer Heirat zwingen?«
Die Baroness hievte sich hoch auf die Füße und rang nach Luft. »Das ist ungeheuerlich, was Ihr da behauptet!«
Bradford erhob sich ebenfalls. »Vielleicht ist das alles eine ausgeklügelte Intrige gegen mich? Gebt zu, dass Ihr Euch selbst bis auf die Unterwäsche ausgezogen und Euch zu mir gelegt habt?«
Pearlene blickte überrascht an sich herunter und schnappte wie eine Forelle auf dem Trockenen nach Wasser, als sie sah, dass sie nur noch das Mieder und ihre Unterhose trug. »Wie ist denn das ...? O Gott! Gebt mir die Decke!«
Verzweifelt versuchte sie, Bradford die Decke zu entwenden, doch dieser hielt sie fest.
»Nein, das ist Eure Strafe dafür, dass Ihr mich entführt habt, und außerdem finde ich Euren Anblick so ganz entzückend.«
»Ihr seid vollkommen verrückt. Das ist doch alles völlig absurd.« Außer Puste von dem sinnlosen Unterfangen, die Decke zu ergattern, gab Pearlene schließlich auf und heulte resigniert: »Denkt doch mal nach! Wie sollte ich Euch ausziehen und in das Boot schleppen können? Ihr seid ein Koloss von einem Mann, ich könnte Euch niemals allein …«
»Vielleicht hattet Ihr Gehilfen?«, unterbrach Bradford sie ungestüm.
Pearlene warf fassungslos die Hände in die Luft. »Wer würde mir denn bei so etwas helfen? Das ist ja lächerlich.«
»Aha! Und genauso lächerlich ist auch Eure Behauptung, dass dieses ganze Fiasko in meiner Absicht liegen würde. Glaubt Ihr, ich lege es darauf an, zu einer Ehe mit Euch genötigt zu werden? Bei Gott, wenn ich mich mit einer Jungfrau vergnügen wollte, würde ich das bestimmt nicht im Beaumont Park machen, wo mich halb London dabei ertappen würde. Anscheinend sind wir beide, ohne unser Wissen, betäubt worden und mir fällt dazu nur eine Möglichkeit ein, wie das passieren konnte: Euer Glas mit dem Punsch, aus welchem wir beide getrunken haben!«. Erwartungsvoll schaute Bradford sie an.
Und die Baroness erstarrte. Entgeistert flüsterte sie: »Ihr habt Recht! Das ist die einzige Erklärung dafür, dass wir beide ohnmächtig waren. Aber wer brachte uns gemeinsam in die Gondel?«
Plötzlich wurde Bradford bleich und seine Augen kugelrund. »Verdammte Scheiße!« Zögernd wisperte er: »Dreht Euch jetzt besser nicht um, Baroness, und fangt bitte nicht wieder an, zu kreischen oder in den See zu reihern.«
Doch mit diesem Satz erreichte der Duke so ziemlich genau das Gegenteil und Pearlene wandte sofort ihren Kopf.
Während ihres Gesprächs war die Gondel, von ihnen unbemerkt, weiter über den See vor den Pavillon getrieben, in dem unzählige Leute saßen und interessiert ihren Streit beobachteten. In deren Gesichtern spiegelte sich von Schadenfreude über Missbilligung bis hin zu Überraschung und Schock alles wider.
»Um Gottes willen!«, hauchte die Baroness.
Obwohl sie die Menschen nur verschwommen wahrnahm, hörte sie nun getuschelte Gesprächsfetzen und Wörter, die über das Wasser zu ihnen schallten. Überrumpelt von der Lage, in der sie sich auf einmal wiederfand, stolperte sie neben Bradford, ihren Leidensgenossen, der bitter den Mund verzog.
»Hervorragend gemacht, Baroness, jetzt hat auch wirklich jeder Euer Gesicht gesehen!«
In ihrer Panik versuchte Pearlene, ihm erneut die Decke wegzunehmen. Abermals gab es ein Gerangel um das Stück Stoff zwischen ihnen. Beide zogen und zerrten verbissen an der Decke herum, während sie mit ungläubigen Mienen den Frühstückspavillon nicht aus den Augen verloren.
»Lasst los, ich bin nur in Unterwäsche!«, zischte Pearlene verärgert, woraufhin der Duke leise knurrte.
»Vergesst es! Schließlich bin ich derjenige, der nackt ist.«
»Das war leider nicht zu übersehen, aber ich bin schließlich eine Dame.«
Mit einem beherzten Ruck gelang es Pearlene, Bradford die Decke abzunehmen und sich in diese einzuhüllen. Der verbarg daraufhin sein Geschlecht notdürftig unter der rechten Hand und fügte sich mit einem lauten Seufzer seinem Schicksal.
»Und ich bin anscheinend ein Gentleman!«
Mit dem linken Arm vollführte der Duke eine elegante Bewegung, als grüße er jemanden auf der Straße unter ganz gewöhnlichen Umständen. In einer vornehmen Verbeugung rief er laut und deutlich, in Richtung der gaffenden Menge: »Marquess Shutterfield, seid gegrüßt, was für eine Freude Euch zu sehen! Ein wunderbarer Morgen, nicht wahr? Mein Lieber, wärt Ihr wohl so gut, mir Euer Tischtuch zu reichen?«