Читать книгу Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman - Ewa A. - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеSchnell senkte Pearlene ihre Stielbrille und wandte ihren Blick von Bradford ab, um gebannt auf die Tanzfläche zu starren. Sie zwang sich zur Ruhe, denn gewiss suchte der Bruder des Grand Duke Lyndon nicht sie auf. Warum sollte er? Und selbst wenn, wäre es klüger ihn zu ignorieren. Ihre Chancen, einen Ehemann zu finden, waren sowieso gering. Die würde sie sich bestimmt nicht völlig zunichtemachen, indem sie sich mit einem der berüchtigtsten Weiberhelden Londons abgab.
Obwohl Pearlene versuchte, sich auf die tanzenden Paare zu konzentrieren, die im Takt der Musik über das Parkett schwebten, nahm sie im äußeren Sichtfeld wahr, wie sich Bradford neben ihr aufbaute und eine Verbeugung andeute.
»Mylady, darf ich um diesen Tanz bitten?«
Pearlenes Atmung wurde immer hektischer. Alle Anwesenden schienen auf eine Reaktion ihrerseits zu warten. Eigentlich wollte sie Bradford keine Beachtung schenken, aber wie von selbst huschten ihre Augen zu ihm hinüber. Im selben Moment erhitzten sich abermals Pearlenes Wangen, was an diesem Abend fortwährend geschah. Und immerzu war einer der Lyndon-Brüder dafür verantwortlich. Bradford strahlte sie an, allerdings reichte sein Lächeln nicht bis an seine eisblauen Augen, die sie auf unverschämte Weise traktierten. Jetzt, da er so dicht vor ihr stand und sie sein Gesicht deutlich erkennen konnte, wusste sie, weshalb sie die Gerüchte über seine Affären nicht anzuzweifeln brauchte. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie solch einen attraktiven Mann gesehen. Lag es an seiner hohen Stirn, den markanten Augenbrauen, den ausgeprägten Wangenknochen oder dem kantigen Kiefer, dass sich ihr Magen im Kreis drehte? Bradfords Lippen waren schmal, nicht einmal gleichmäßig, da die Unterlippe einen Hauch voller war. Und dennoch war sein Mund faszinierend, gerade mit diesem Schmunzeln, das offenlegte, dass er sehr genau um seine Ausstrahlung wusste. Auch seine Nase hatte nichts Besonderes, weder war sie lang noch kräftig oder zeigte einen Buckel, was ihm das gewisse Etwas verliehen hätte. Aber trotz dieser an sich gewöhnlichen Züge, hatte die Natur daraus ein perfektes Zusammenspiel an männlicher Schönheit komponiert, deren vorherrschender Ton das kühle Blau seiner tiefliegenden Augen war, die einen fesselten.
Da Pearlene ihm keine Antwort gegeben hatte, sondern noch immer in seinen Anblick versunken war, neigte Bradford erneut sein Haupt und ergriff ihre Hand.
»Ich interpretiere Euer Schweigen als Zustimmung, Mylady, was mich über alle Maßen ehrt.«
Erst als Bradford sie fortführen wollte, erwachte Pearlene aus ihrer Starre. Entrüstet entzog sie ihm ihre Finger und ereiferte sich. »Sir, was fällt Euch ein? Wie könnt Ihr mich in aller Öffentlichkeit brüskieren, indem Ihr mich einfach an der Hand nehmt, als bestünde zwischen uns ein vertrautes Verhältnis? Dabei kennen wir uns nicht mal, geschweige denn, wurden wir uns vorgestellt.«
Bradford enthüllte seine weißen Zähne bei einem leisen, tiefen Lachen, welches Pearlene nur noch nervöser machte.
»Oh, wie ich Eure Hand nehmen kann? Das geht ganz einfach. Ich führe es Euch gerne noch mal vor.«
Ein weiteres Mal machte Bradford Anstalten, nach Pearlene zu greifen. Mit einem laut gezischten »Untersteht Euch!« gebot sie ihm jedoch Einhalt.
Mit einem dreisten Grinsen fügte sich der junge Lord. »Nun gut, da Ihr auf eine Vorführung verzichtet, soll unser Tanz nicht an der fehlenden Vorstellung scheitern. Ihr seid Baroness Pearlene Clifford und meine Wenigkeit ist Duke Bradford Kenneth Lyndon.«
Pearlene reckte ihr Kinn vor und betrachtete ihr Gegenüber mit schmalen Augen. Ihr Busen wogte auf und nieder, was von ihrer Aufregung herrührte. »Woher kennt Ihr meinen Namen?«
Bradfords Mundwinkel zuckten vergnügt. »Das bleibt mein Geheimnis, Baroness. Aber so viel verrate ich Euch, ich kenne ihn, weil Ihr die schönste Dame des Balls seid.«
Hysterisch lachte Pearlene auf. »Haltet Ihr mich wirklich für so naiv, dass ich Euch das glaube?« Voller Unmut erwiderte sie: »Auch Euer Name ist mir bekannt, genauso wie Euer zweifelhafter Ruf, der Euch vorauseilt. Im Grunde dürfte ich gar nicht mit Euch reden.«
Pikiert drehte Pearlene ihm ihre Seite zu und schaute auf die Tanzfläche. Zu ihrem Entsetzen bemerkte sie, dass Bradford noch näher an sie heranrückte und ihr verschwörerisch zuwisperte: »Aber dennoch tut Ihr es. Und obwohl ich es nie leugnen würde, aber um Euch zu beruhigen, Baroness, gebe ich unumwunden zu, dass die Gerüchte jeglicher Wahrheit entbehren.«
Mit einem Räuspern entfernte sich Pearlene von ihm und stieß dabei mit Reeva zusammen, die stumm ihrer Unterhaltung folgte und Bradford dabei ergeben bewunderte.
»Selbst wenn dem so wäre, Mylord, kann ich dennoch nicht mit Euch tanzen.«
»Wie kaltherzig Ihr seid, Baroness. Ihr raubt mir den einzigen Lichtblick dieses Abends, wenn Ihr mir keinen Tanz gewährt. Weshalb überhaupt?«
Empört schaute Pearlene den jungen Duke an, der sich über jeglichen Anstand hinwegsetzte. Schließlich akzeptierte ein Gentleman die Weigerung einer Lady und fragte nicht nach deren Beweggründen.
»Weil, also, ich …« Zu gut erzogen und zu durcheinander, um ihm die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht zu sagen, griff Pearlene nach einer fadenscheinigen Ausrede und ihrem vollen Glas, das sie auf den Tisch abgestellt hatte. »… meinen Punsch noch nicht leer getrunken habe. Und ich den Alkohol nicht hinunterstürzen mag.«
Um ihre Ausrede zu untermauern, nahm sie einen Schluck von ihrem Punsch. Mit dem Glas in der einen und ihrer Stielbrille in der anderen hatte sie beide Hände voll und glaubte sich vor Bradford in Sicherheit. Sollte sich der Duke doch eine andere Jungfer suchen, die er zum Tanzen überreden konnte. Sie hatte ihm ihren Standpunkt deutlich gemacht und könnte immerfort neue Ausreden erfinden, bis er endlich aufgeben würde.
Doch der Duke war nicht so leicht zu vertreiben. Er blieb einfach stehen und fixierte die junge Frau weiterhin mit einem amüsierten Grinsen. Aus den Augenwinkeln beobachtete Pearlene, wie Bradford es genoss, ihre Nervosität durch seine bloße Anwesenheit zu steigern. Ihn keines offenen Blickes würdigend nippte sie an ihrem Getränk, bis Bradford ihr den Punsch aus den Fingern stahl und in einem Zug austrank.
»Aber, aber … was tut Ihr denn da? Ihr könnt doch nicht …?«, haspelte Pearlene, die völlig überrumpelt war.
Bradford stellte das leere Glas wieder auf den Tisch und meinte: »Wie Ihr seht, kann ich sehr wohl. Jetzt habt Ihr keine Ausrede mehr, nun müsst Ihr mit mir tanzen.« Resolut griff er nach ihrer Brille, zog ihr das Retikül vom Handgelenk und drückte beides Reeva in die Hände, die ihn verblüfft anstaunte. »Mylady, Ihr seid gewiss so freundlich, dies für Eure Cousine so lange in Verwahrung zu nehmen.«
Die Baroness an einer Hand haltend schritt Bradford mit ihr zum Parkett. Um kein Aufsehen zu erregen, versuchte Pearlene indessen, ihm heimlich ihre Finger zu entreißen, und keifte ihn leise an: »Wie könnt Ihr es wagen, mich trotz einer Absage zu einem Tanz zu zwingen?«
»Ganz einfach, weil ich Bradford Lyndon bin. Ihr habt doch von meinem Ruf gehört, ich werde ihm lediglich gerecht.«
Abrupt blieb Pearlene stehen, was auch Bradford zum Anhalten zwang, da er sie nicht mit aller Gewalt zur Tanzfläche schleifen wollte. »Und genau deshalb werde ich mich sicher nicht mit Euch, einem Schwerenöter, in aller Öffentlichkeit auf dem Parkett vergnügen!«
Bradfords Brauen hoben sich überrascht. »Eigentlich wollte ich bloß mit Euch tanzen. Denn mit Verlaub, Mylady, ich vergnüge mich nie auf dem Parkett, auch nicht in der Öffentlichkeit, zumindest nicht vor aller Augen. Ich bin überrascht, dass Ihr so etwas direkt ansprecht.«
Pearlene verschlug es den Atem und ihre Lippen formten ein stummes ›Oh‹, was den Duke aber nur noch mehr reizte.
Grinsend fuhr er fort: »Anscheinend habe ich mich von Eurem unschuldigen Gebaren täuschen lassen. Ihr seid wohl gar nicht so unerfahren, wie ich vermutet habe, Baroness?«
Vor Wut öffnete sich Pearlenes Mund noch weiter. Schließlich gewann ihre Empörung Oberhand und sie entriss dem jungen Mann mit einem Ruck ihre Hand. »Ihr seid ein Flegel, Mylord, und ein noch größerer Wüstling, als die Gerüchte über Euch verlauten lassen. Es ziemt sich ganz und gar nicht, eine Debütantin mit solchen …« Pearlenes Kopf zuckte, während sie nach einem passenden Wort suchte, dass er ihr nicht wieder falsch auslegen konnte. Da ihr jedoch kein unverfängliches einfiel und sie glaubte, dass er, egal was sie sagte, sie weiter herausfordern würde, gab sie auf. »… Aussagen zu kompromittieren.« Mit einem Blick, der Bradford zu einem Staubkorn degradieren sollte, herrschte sie ihn von oben herab an: »Ich verbitte mir, von Euch noch mal belästigt zu werden.«
Mit Schwung drehte Pearlene ihm den Rücken zu und schritt mit erhobenem Haupt davon.
Bradford seufzte leise und betrachtete andächtig Pearlenes grazilen Nacken, um den sich blonde Locken schlangen. Der Duke bereute ein wenig seine forsche Vorgehensweise, mit der er die Baroness offensichtlich zu sehr erschreckt hatte. Aber so war nun mal seine Art und daran konnte und wollte er nichts ändern. Zumindest jetzt noch nicht. Schade, dass sie nicht darauf eingegangen war, denn sie war das Bezauberndste, was ihm seit Langem untergekommen war. In jeglicher Hinsicht.
Pearlene betete um Contenance und darum, dass keiner der Anwesenden, die sie sowieso schon neugierig beäugten, ihre Unterhaltung mit dem Duke belauscht hatte. Sie hoffte, ihre Aussicht auf einen Bewerber nicht vollends verspielt zu haben. Die ganzen Aufregungen des Abends setzten ihr mittlerweile stark zu. Jetzt kamen zu ihrer Übelkeit, die von den Erzählungen der Mordfälle ausgelöst worden war, noch Hitzewallungen und Schwindel hinzu. Ihre Beine wurden immer schwerer, wie ihre Lider. Vermutlich hatte sie Luftmangel, denn die ganze Zeit hatte es ihr den Atem verschlagen, seit Arden aufgetaucht war. Bestimmt lag es an ihrem Mieder, das sie zu straff gebunden hatte. Sie sollte es ein bisschen lockern.
Pearlene schleppte sich zu Reeva, die sie sogleich überfiel. »Wieso tanzt du nicht mit Bradford? Mein Gott, er hat dich regelrecht entführt und du lässt ihn einfach stehen?!«
Schweißperlen rollten über Pearlenes Stirn und schwach griff die junge Frau nach dem Arm ihrer Cousine und flüsterte ihr zu: »Reeva, bitte! Mir geht es nicht gut. Ich muss unbedingt irgendwohin, wo ich frische Luft bekomme und mein Mieder lockern kann. Ich glaube, ansonsten falle ich in Ohnmacht.«
Reeva erschrak und nahm zugleich die Blässe um Pearlenes Nase wahr. »Um Himmels willen, natürlich. Komm, wir gehen sofort zu der nächsten Bank, die außerhalb des Zeltes steht.«
Hilfsbereit legte Reeva den Arm um ihre Cousine und geleitete sie zügig durch die Menge. Sie ließen ihre Begleiter mit einer kurzen Entschuldigung hinter sich, da sie keine Zuschauer bei dieser delikaten Angelegenheit brauchten. Unweit des Zeltes fanden sie eine verlassene Bank, die von Gebüschen umsäumt war. Pearlene war froh, sich hinsetzen zu können, denn eine ungeheure Mattheit überrollte sie, welche sie schier ihrer ganzen Kraft beraubte. Sie vermutete, dass sie sich bei ihrem Bruder angesteckt hatte und nun ebenfalls krank wurde.
Während Pearlene sich Luft zu fächelte und damit begann, die Verschnürung ihres Mieders zu lockern, legte Reeva ihr das Retikül auf die Bank. Unglücklich kräuselte sich die Stirn der jüngeren Cousine. Ihr fiel auf, dass Pearlene immer langsamer wurde und schwankte. Sie musste so schnell wie möglich handeln.
»Ich werde Mutter und Vater holen, Pearlene. Warte hier! Ich beeile mich und werde mit ihnen gleich zurückkommen. Dann bringen wir dich nach Hause.«
Unsicher um sich schauend, überlegte Reeva, ob es die richtige Entscheidung war, denn auch ihr waren die Warnungen ihrer Eltern noch gegenwärtig, nicht allein im Park unterwegs zu sein. Da die Parkbank aber durch die Fackeln am Wegesrand gut beleuchtet war, sie zudem in der Nähe des Zeltes stand, ringsum viele Leute zu sehen waren und ihr so oder so keine andere Wahl blieb, beschloss sie, solange Pearlene noch bei Bewusstsein war, ihre Cousine diesen kurzen Moment allein zu lassen.
»Rühre dich nicht vom Fleck, hörst du?!«
Pearlene brachte nur noch ein Nicken zustande. Kaum hatte Reeva ihren letzten Satz ausgesprochen, setzte sie sich in Bewegung und schaute immer wieder über die Schulter, um zu überprüfen, ob Pearlene noch aufrecht saß. Sie hatte gerade das Zelt betreten, als ihre Eltern ihr entgegenkamen.
Ihr Vater stellte sie sogleich zur Rede. »Reeva, du bist allein? Wo ist Pearlene?«
»Schnell, Vater, ihr geht es gar nicht gut. Ich glaube, sie verliert jeden Moment das Bewusstsein.«
»Was?«, rief ihre Mutter und fasste sich an die Brust. »Wo ist sie? Bring uns sofort zu Pearlene.«
Zu dritt stürzten sie zu der Parkbank, wo Reeva Pearlene zurückgelassen hatte. Doch die Baroness Clifford war nicht mehr da.
»Sie ist weg!«, keuchte Reeva aufgelöst. »Aber … gerade eben war sie doch noch da. Es war nur ein Augenblick.«
»Bist du sicher, dass es diese Bank war, Reeva?«, fragte die Mutter besorgt.
Reevas Vater hob etwas vom Boden auf. »Es ist die richtige Bank, denn das hier ist Pearlenes Retikül, ihre Stielbrille ist darin.«
Reeva fing an zu jammern. »Wo kann sie nur sein, Vater? Sie muss doch hier irgendwo sein?«
Das Gesicht der Mutter verzerrte sich vor Kummer und sie tauschte einen Blick mit ihrem Gatten. Sie hielten stille Zwiesprache und es war unverkennbar, dass jeder der beiden das Gleiche befürchtete.
»Deana, gehe mit Reeva zu Marquess Shutterfield, sage ihm, wir vermissen die Tochter des Duke Clifford. Er soll sofort einen Suchtrupp zusammenstellen. Wir müssen so schnell wie möglich den Park durchkämmen. Jede Sekunde zählt. Ich werde gleich hier mit der Suche beginnen.«
»Stuart?!«, hauchte Reevas Mutter ängstlich.
»Geht! Jetzt! Vielleicht wollte Pearlene bloß zum See und ist unterwegs ohnmächtig geworden. Ich suche zuerst die nähere Umgebung ab.«
Während sich Deana in heller Aufregung und mit einer weinenden Reeva auf die Suche nach ihrem Gastgeber machte, schlug sich Stuart ins Gebüsch.