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Kapitel 7

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Londoner Stadthaus der Familie Stuart Clifford

»Ich wünschte, ich hätte deinen Punsch getrunken.« Reeva ließ sich mit unverhohlener Enttäuschung über diesen Umstand auf Pearlenes Bett fallen, sodass ihre Locken wippten. Traurig beobachtete sie ihre Cousine dabei, wie diese ihre Kleider und übrigen Utensilien wieder in Koffer und Truhen verstaute, die sie erst gestern ausgepackt hatte.

Pearlene schüttelte aufgebracht den Kopf. »O nein, glaub mir, wenn du so wie ich heute Morgen nur in Unterwäsche, vor den Augen des gesamten Hochadels, im Park aufgewacht wärst, würdest du dir das nicht wünschen.«

»Aber Bradford war bei dir, die ganze Nacht. Und …« Reeva zögerte einen Moment, bevor sie im Flüsterton weiterredete. »… ich habe genau gehört, wie Mama deine Sätze vor lauter Schreck wiederholte und sagte, dass er unbekleidet war.«

Mit einem Seufzer warf Reeva ihren Kopf in den Nacken, schloss kurz die Augen und stand stürmisch auf, um sich Pearlene in den Weg zu stellen. Sie packte die Hände ihrer blonden Cousine und drückte diese sacht. »Mein Gott, Pearlene, vielleicht wird er dich heiraten müssen, nach diesem Skandal. Einer der begehrtesten Junggesellen Londons wird dich möglicherweise zu seiner Ehefrau machen.«

Pearlene schoss das Blut in die Wangen, weil Reeva das aussprach, was sowohl ihre Tante als auch ihr Onkel schon angedeutet hatten. Und dieser Gedanke, Bradford Lyndon heiraten zu müssen, stürzte sie in nervenaufreibende Verwirrung. Einerseits fand sie den Duke anziehend, er war zugegebenermaßen ein blendend aussehender Mann, aber andererseits … war er der schlimmste Weiberheld, den sie kannte, und ein unmöglicher Flegel. Würde sie ihn wirklich heiraten müssen? Ihr Herz raste bei der Vorstellung, dass sie mit dem groß gewachsenen Duke womöglich bald das Ehebett teilen würde und indirekt vermutlich mit hundert anderen Frauen, mit denen er sie betrogen hatte und noch betrügen würde. Wollte sie das?

Pearlene war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Morgens in der Gegenwart des nackten Bradford in Unterwäsche vor lauter Fremden aufzuwachen und dann auch noch von ihm und Marquess Shutterfield in dessen Kutsche nach Hause gefahren zu werden, war einfach zu viel für sie. Eine unfassbare Peinlichkeit hatte die nächste gejagt. Es war schrecklich gewesen, dem Duke, der lediglich in seinem Tischtuch dagesessen hatte, in solch engem Raum ausgeliefert zu sein. Seine Augen hatten sie bedrängt. So sehr sie auch versucht hatte, sich in der Decke zu verstecken und seine Anwesenheit zu ignorieren, hatte sie stets dieses Prickeln auf ihrer Haut verspürt. Ein Prickeln, das einem sagte, dass man mit Blicken förmlich verschlungen wurde.

Unwillkürlich schüttelte die Baroness den Kopf und entzog Reeva ihre Finger, um weiter ihre Truhe zu packen. »Ich will darüber gar nicht nachdenken, Reeva. Ich fahre mit Kolton jetzt erst einmal wieder zurück zu unseren Eltern aufs Land. Ich danke Gott, dass Dr Vance kam und es meinem Bruder wieder besser geht, sodass wir uns noch heute Mittag auf den Nachhauseweg machen können. Vater wird wissen, was in dieser prekären Situation zu tun ist.«

Reeva folgte ihrer Cousine auf den Fersen und fragte leise: »Wie sah Bradford aus, Pearlene?«

Fassungslos drehte sich Pearlene zu ihr um, sagte jedoch kein Wort.

Ein verschmitztes Grinsen erschien auf Reevas Zügen. »Du weißt schon, so ohne Kleider, ist er wirklich so gut gebaut, wie es den Anschein hat?«

Verlegen strich sich Pearlene die Haare aus dem Gesicht und wandte sich wieder ihren Koffern zu.

»Ich … denke schon«, nuschelte die Baroness kurz angebunden und hoffte, damit Reevas Neugier endgültig gestillt zu haben. Munter plapperte sie daraufhin weiter, um schnell das Thema zu wechseln. »Vielleicht gehe ich zu meinen Verwandten ins Ausland für eine Weile. Ja, das sollte ich wirklich tun. Vielleicht finde ich dort einen Ehemann und komme gar nicht mehr zurück.«

Reeva verzog abweisend den Mund. »Wie kannst du jetzt nur daran denken, England zu verlassen? Ich hoffe, dass Onkel Wilburn seine Vaterpflichten wahrnimmt und darauf besteht, dass Bradford deine Ehre rettet und dich heiratet. Sicherlich wird er sich mit dem Grand Duke in Verbindung setzen.«

Pearlene verharrte in ihrer Bewegung und erbleichte. Allmächtiger, was würde Arden bloß von ihr denken? Sie schloss voller Ingrimm die Lider, da sie sich nicht erklären konnte, weshalb sie nun an Bradfords Zwillingsbruder dachte und warum es ihr so wichtig war, was dieser über sie denken würde. Dabei sollte sie sich lieber Sorgen machen, was ihre Eltern zu dem irreparablen Fauxpas sagen würden, der ihr unterlaufen war. Sie war wahrscheinlich kurz davor, verrückt zu werden, was kein Wunder war.

Mutlos öffnete Pearlene wieder die Augen und schritt niedergeschlagen zum Fenster. Sie schob gerade die Gardinen zur Seite, als unten auf der Straße, direkt vor ihrem Haus, eine Kutsche anhielt. Ein großes Wappen war an der Kutschentür angebracht, in dessen Mittelpunkt ein goldener Lindenbaum prangte. Verwundert beobachtete Pearlene, wie sich die Tür öffnete und ein großer braunhaariger Mann in dunklen Kleidern ausstieg. Er blieb auf den Pflastersteinen vor der Eingangstreppe stehen, hob den Kopf und schaute zu ihrem Fenster hinauf, direkt in ihr Gesicht. Atemlos ließ Pearlene sogleich die Vorhänge zurückfallen und machte einen Schritt nach hinten.

Sie hatte die Züge des Besuchers nicht deutlich erkennen können, aber die blauen Augen gehörten eindeutig einem Lyndon-Zwilling. War das etwa Arden, der Grand Duke? Vermutlich, nach der Wahl seiner Kleider zu urteilen schon. Herr im Himmel, was hatte das zu bedeuten?

*

In grimmiger Entschlossenheit stieg Arden aus der Kutsche. Immer wieder sagte der Grand Duke sich, dass es das einzig Richtige war, dies zu tun, auch wenn ihn das schlechte Gewissen plagte. Aber letztendlich war es die beste Entscheidung, sowohl für die Baroness und deren Familie als auch für seine. Selbst wenn es Bradford nicht gefallen würde, er konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Es stand für beide Parteien weitaus mehr als nur ihre Familienehre auf dem Spiel. Bei Gott, es war wahrlich kein Spiel, schon lange nicht mehr!

Sein Blick wanderte betrübt über die Fassade des Gebäudes, in dem die Baroness zurzeit wohnte. Es war das Stadthaus ihres Onkels, dem ebenso sein Besuch galt. Für einen kurzen Moment sah er das zarte Gesicht der Baroness hinter einem der oberen Fenster. Der Grand Duke hatte keine Zweifel daran, dass sie es war, denn ihr auffällig verlockender Mund war unverwechselbar. Leider verschwand die junge Frau jedoch aus seinem Sichtfeld. Arden schmunzelte, denn der kleine unerwartete Stich in seiner Brust, den ihr Anblick ausgelöst hatte, bestärkte ihn umso mehr in seinem Entschluss.

Beschwingt erklomm er die Stufen und benutzte den bronzenen Türklopfer, dessen tiefes Dröhnen unüberhörbar durch das Haus hallte. Ein Diener öffnete schließlich die Tür und Arden stellte sich vor.

»Ich bin Grand Duke Lyndon und habe ein dringendes Anliegen, das ich mit Lord Clifford persönlich zu klären habe.«

Der Diener verbeugte sich. »Willkommen, Grand Duke. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet. Ich unterrichte meine Lordschaft über Euren Besuch.«

Arden nickte und betrat das Haus. Der Bedienstete brachte ihn in ein Schreibzimmer, das dem Anschein nach bloß dem Herrn des Hauses vorbehalten war, und ließ ihn allein. Der Grand Duke sah sich interessiert um. Das Zimmer war mit einem massiven Schreibtisch und mehreren Regalen bestückt, in denen Bücher und Schriftrollen fein säuberlich verwahrt ruhten. Neugierig ging Arden auf die Schriftstücke zu, als sein Fuß plötzlich gegen etwas stieß, das lautlos über den Teppich rollte. Der Grand Duke bückte sich nach dem Gegenstand, der sich als Siegelring herausstellte. Er betrachtete das Schmuckstück, welches er zwar für wertvoll, aber auch für hässlich befand, und legte es auf den Schreibtisch, von dem es offensichtlich heruntergefallen war.

Alles in dem Zimmer wie auch die Vorhalle des Hauses, die Möbel und das überaus gepflegte Personal deuteten darauf hin, dass die Familie Clifford sehr wohlhabend war. Nach den Informationen, die er über sie in Erfahrung gebracht hatte, war das keine Überraschung. Pearlene war eine wohlerzogene Lady und ihr Ruf, wie der ihrer Sippe, war bis heute Morgen untadelig gewesen. Daher stand einer Verbindung ihrer zwei Familien nichts im Wege. Nein, im Grunde war sie sogar wünschenswert. Sehr sogar, wenn er genauer darüber nachdachte.

Die Tür öffnete sich und Pearlenes Onkel trat ein. Lord Clifford ging mit forschem Schritt auf Arden zu und reichte ihm die Hand.

»Grand Duke Lyndon, es ist mir eine Ehre, Euch in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Nichtsdestotrotz bin ich mir darüber im Klaren, dass Euer Erscheinen lediglich mit den unglaublichen Geschehnissen der vergangenen Nacht zusammenhängt.«

» Ich danke Euch für die freundliche Begrüßung. Ja, die Umstände zwingen uns alle, nun schnell zu handeln, um größeren Schaden abzuwehren.«

Der Lord nickte und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Setzen wir uns.«

Arden nahm Platz und beobachtete, wie der rothaarige Mann sich hinter den Schreibtisch setzte. Während der Lord begann, Ordnung auf dem Pult zu schaffen, und verschiedene Dinge in die Schubladen verstaute, trug der Grand Duke sein Anliegen vor.

»Wir beide wissen, dass die kompromittierende Situation im Beaumont Park, in der sich mein Bruder und Eure Nichte heute Morgen wiederfanden, uns nur einen Ausweg lässt. Die beiden müssen heiraten. Mit anderen Worten: Ich bitte im Namen meines Bruders, Bradford, um die Hand Eurer Nichte, der Baroness Pearlene Clifford.«

»Natürlich und ich denke, ich spreche für meinen Bruder Wilburn, wenn ich sage, dass wir Euer Eingreifen und Euren Antrag sehr zu schätzen wissen. Selbstverständlich werde ich Pearlene und ihrem Vater den Antrag Eures Bruders zukommen lassen. Ohne Euch Hoffnungen machen zu wollen, denke ich jedoch, dass beide zustimmen und den Antrag annehmen werden. Zugegebenermaßen ist dies die beste Alternative für meine Nichte, sie kann sich glücklich über diese Lösung ihrer misslichen Lage schätzen. Vermutlich werdet Ihr ebenso froh darüber sein, dass Euer Bruder in den Stand der Ehe eintreten wird.«

Arden holte tief Luft und lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Wohl wahr, Mylord, auch wenn mein Bruder dies anders sehen wird. Aber er wird den gestellten Erwartungen nachkommen, dafür werde ich persönlich sorgen.«

Kritisch sah der Lord auf. »Wie mir scheint, können wir uns beide nicht vollkommen sicher sein, dass die zwei Betroffenen ihr Einverständnis zu einer Ehe geben werden?«

Die Augenbrauen des Grand Duke zogen sich zusammen. »Ihr solltet Eurer Nichte deutlich machen, dass sie sehr wahrscheinlich nur knapp dem Jungfrauenmörder entgangen ist. Denn sie wurde von einem Unbekannten verschleppt und nicht wie Bradford von seinen übermütigen Freunden entkleidet und in jener Gondel abgelegt. Diese wussten nicht, wie sie mir vor wenigen Stunden versicherten, dass die Baroness ebenfalls in dem Boot lag. So gern man diese jungen Männer deswegen zur Verantwortung ziehen möchte, muss man ihnen jedoch vielmehr dankbar sein, da durch ihr Auftauchen und ihr tolldreistes Handeln der Baroness das Leben gerettet wurde. Was aber auch bedeuten könnte, dass sie noch immer in Gefahr schwebt – wenn sie noch Jungfrau ist, nach gestern Nacht. Was uns zum nächsten Argument für diese Ehe führt: Was, wenn sie keine Jungfrau mehr ist und letzte Nacht möglicherweise ein Kind gezeugt wurde? Auch wenn dies nicht den Tatsachen entsprechen sollte, sich die Beteiligten an nichts dergleichen mehr erinnern, können wir es nicht ausschließen. Abgesehen davon glaubt die Öffentlichkeit bereits jetzt schon, dass der Akt vollzogen wurde.«

Lord Clifford hob sein Kinn, an dem er sich gemächlich kratzte. »Ihr habt Recht, das alles sollte man bedenken.«

» Wir können den Eklat nur aufhalten, indem die beiden auf der Stelle eine Verlobung eingehen und in drei Wochen die Hochzeit stattfindet. Wundersamer Weise wird einem verheirateten Paar jeder vorangegangene Fehltritt alsbald verziehen, aber Ledigen werden sie zum Verhängnis. Keiner von uns wünscht sich die Ächtung der Gesellschaft und die damit verbundenen Einbußen.«

Die Augen des Lords wanderten aufmerksam über die Gestalt des Grand Duke. »Nein, das liegt weder in Eurem noch in unserem Interesse. Auch darin sind wir uns einig. So wie es aussieht, müssen wir beide zum Wohle unserer Familien Überzeugungsarbeit leisten. Ihr bei Eurem Bruder und ich bei meiner Nichte.«

Arden nickte.

*

Ihre Hände aneinanderreibend wanderte Pearlene in ihrem Zimmer auf und ab. Wie lange würde das Gespräch zwischen ihrem Onkel und dem Grand Duke noch dauern? Würde man sie denn nicht dazu rufen?

Reeva stand am Fenster und lag auf der Lauer, um Ardens Fortgehen zu überwachen. Schließlich begann sie, begeistert zu kommentieren: »O mein Gott, er hat gerade das Haus verlassen und steigt jetzt in die Kutsche ein.« Mit strahlendem Gesicht drehte sie sich zu ihrer Cousine um, deren Nervosität von Minute zu Minute stieg. »Gleich werden sie dich hinunter bitten. Oh, Pearlene, das ist so aufregend!«

Pearlene spürte ihr eigenes Herzklopfen bis in den Hals hinauf. Es gab nur zwei mögliche Nachrichten, die der Grand Duke ihrem Onkel hatte überbringen können: Die eine war ein Antrag, in Bradfords Namen, und die andere eine Klarstellung, dass es zu keiner Verbindung zwischen ihren Familien kommen würde. Beide waren schwer verdaulich, egal mit welcher von ihnen sie in wenigen Augenblicken konfrontiert werden würde.

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es war eine der Zofen. »Baroness Clifford, die Lordschaften erwarten Euch im Salon.«

Mit einem letzten Blick auf Reeva, die breit grinste, machte Pearlene sich auf den Weg, zu dem unausweichlichen Gespräch mit ihrem Onkel. Im Gegensatz zu ihr zog ihre Cousine anscheinend nicht mal in Betracht, dass Bradford einer Heirat abgeneigt sein könnte. Nach den Gerüchten und seinem Ruf zu urteilen, war sie höchstwahrscheinlich nicht die erste beziehungsweise einzige Jungfrau, die er in solch eine oder noch schlimmere Lage gebracht hatte. Und da er nach wie vor ledig war, musste er sich also schon mehr als einmal geweigert haben, die kompromittierte Dame zu heiraten. Ihre Chancen, als ehrbare Frau aus der Angelegenheit herauszukommen, standen demnach eher schlecht.

Mit einem zittrigen Seufzer öffnete sie die Tür zum Salon, in dem ihre Tante und ihr Onkel auf sie warteten.

Die Miene des Lords drückte muntere Besorgnis aus, was Pearlene eigentlich hoffnungsvoll stimmen sollte, doch das tat es nicht. Schon ihre Ankunft und ihre Erklärung heute Morgen, als Marquess Shutterfield sie ins Haus gebracht hatte, war ihr überaus peinlich gewesen. Und dieses Gespräch würde mindestens genauso unangenehm werden.

»Setz dich, Pearlene!«, empfing sie Onkel Stuart und ihre Tante klopfte neben sich auf die Sitzfläche des Sofas.

»Komm zu mir, mein Kind.«

Pearlene nickte und ließ sich gehorsam neben ihrer Tante Deana nieder. Sogleich ergriff der Lord das Wort.

»Der Grand Duke Lyndon war soeben hier und zu unserer Freude hat er im Namen seines Bruders um deine Hand angehalten.«

Deana griff nach den Händen ihrer Nichte, die diese sittsam in ihrem Schoß abgelegt hatte. »Was sagst du dazu, Liebes?«

Unschlüssig schaute die Baroness zwischen Onkel und Tante hin und her. Schlagartig schien Pearlene die Luft im Raum dünner geworden zu sein. Oder lag es daran, dass gerade alles Blut in ihren Magen gesackt war?

Zaghaft kam es über Pearlenes Lippen: »Ich weiß es nicht genau.«

Ein mitfühlendes Grinsen hielt auf dem Gesicht ihres Onkels Einzug, indessen ihre Tante ihre Finger zärtlich drückte. »Auch wenn die Umstände nicht die besten sind, bedenke: Kamst du nicht mit uns nach London, um nach einem Ehemann Ausschau zu halten? Bradford Lyndon ist ein angesehener Mann und entstammt einer einflussreichen Familie. Er ist gewiss nicht der schlechteste Fang.«

»Aber auch nicht der beste«, rutschte es Pearlene heraus, deren Wangen sich prompt rot färbten, über die Unfreundlichkeit, die ihren Mund verlassen hatte. »Verzeiht, aber … Tante, du hast selbst zu Reeva gesagt, dass keine anständige Jungfer sich mit diesem Mann abgeben würde, weil er ein Schürzenjäger ist. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass aus ihm ein treuer Ehemann wird.«

Ihr Onkel schnaufte laut und Deana lächelte gütig. »Niemand kann einem eine Garantie geben, dass der Ehepartner treu bleibt, Pearlene. Vielleicht hält Bradford dir aber gerade deswegen die Treue, weil er sich bereits die Hörner abgestoßen hat, während ein solider Bräutigam möglicherweise erst in der Ehe auf die Idee kommt, die verpassten Gelegenheiten nachzuholen. Oder ist dir Bradford zuwider? Gefällt er dir nicht? Liegt es daran?«

Pearlene wurde ungemütlich warm, denn es fiel ihr schwer, laut auszusprechen, was ihr Körper ihr jedes Mal unmissverständlich in Bradfords Anwesenheit signalisierte. »Nein, Tante, daran liegt es nicht.«

Amüsiert spitzte Deana ihren Mund und betrachtete ihre Nichte, die ihren Blick mied. »Du fühlst dich also zu ihm hingezogen? Das ist doch wunderbar.«

Stuart räusperte sich und starrte Pearlene eindringlich an.

»Da du ohnmächtig warst, solltest du auch bedenken, dass wir nicht genau wissen, was in dieser Nacht passierte. Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt, der … die Vermutung einer Schwangerschaft zulassen könnte?«

»Stuart!«, rief Deana entsetzt und auch Pearlene erschrak über die Andeutung ihres Onkels.

Dieser verteidigte sich mit einem Kopfschütteln. »Auch wenn es nicht feinfühlig erscheint, können wir nicht darauf verzichten, es anzusprechen. Es muss sein!«

Pearlene straffte ihre Schultern und setzte sich kerzengerade auf. »Nein!«, sagte sie pikiert. »Es gab keinerlei … Hinweise, dass ich meine Unschuld eingebüßt habe. Ich … fühle mich so wie immer, abgesehen davon, dass mir die ganze Angelegenheit auf den Magen schlägt und an meinen Nerven zerrt.«

Unerbittlich blieben Stuarts Augen auf ihr liegen. »Kannst du dir absolut – vollkommen sicher sein, dass du in neun Monaten kein Kind zur Welt bringen wirst, Pearlene?«

Unruhig rutschte die Baroness auf ihrem Sitzplatz herum. Angesichts Bradfords nacktem Zustand und seinem Ruf war wohl keine Frau vor ihm und seiner Wollust absolut sicher. Aber dennoch, alles deutete daraufhin, dass es keinen Zeugungsakt gegeben haben konnte: Staub und Dreck hatten zwar ihre Unterwäsche verunziert, aber weder auf ihrem Körper noch auf der unbeschädigten Wäsche war ein Blutfleck vorhanden gewesen. Auch fühlte sie sich nicht wund zwischen den Beinen, womit sie doch bestimmt nach dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit rechnen müsste. Und trotz all dieser Beweise für ihre Unschuld blieben Zweifel.

Mit unglücklicher Miene sah sie zu ihrem Onkel. »So gut wie.«

Der ältere Mann schüttelte den Kopf. »Das wird deinem Vater nicht ausreichen, Pearlene, das weißt du.«

Betreten nickte sie. »Ja. Vermutlich.«

Mit einem Seufzer meinte Deana: »Das Einzige, was gegen Bradford Lyndon spräche, sind seine Gedächtnislücken, die er seit seinem Unfall hat. Angeblich scheint er sich an manche Dinge nicht mehr zu erinnern. Das behaupten zumindest Leute, die ihn näher kennen.«

Verwundert sah Pearlene ihre Tante an. Das hörte sie zum ersten Mal! Hatte Bradford Schäden bei dem Kutschenunfall davongetragen? Dabei machte er den Eindruck, als erfreue er sich bester Gesundheit. Aber sah man einem Menschen an, wenn er geistig nicht ganz bei sich war? Nein, sie würde sich jetzt nicht weiter Gedanken darüber machen, sondern sich ganz auf den Rat ihres Vaters verlassen. Denn wie Kolton, ihr Bruder, immer sagte, die Clifford Dukes waren weise.


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