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3. Tiefgekühlte Gefühle

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»Wie ich sehe, bist du genauso geschockt von meinem Anblick, wie ich von deinem. Allerdings hatte ich einen Schlaganfall und was ist deine Ausrede?« Die spröde Stimme meiner Mutter zerschnitt die Stille.

Altbekannter Hass sprühte mir aus ihren Augen entgegen, die trotz der Falten, die sie umsäumten, nichts von ihrer Lebhaftigkeit eingebüßt hatten. Ihr linkes Lid schien mir ein wenig schlaffer als das rechte, wie auch der Mundwinkel auf dieser Seite. Die einst vollen Lippen hatten ihre Fülle verloren und ließen ihren Mund verbissen wirken. Vermutlich kniff sie in diesem Moment ihre Lippen wirklich zusammen. Denn ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Das war keine scherzende Bemerkung gewesen, um das Eis zu brechen, wie es vielleicht andere Eltern getan hätten. Nein, meine Mutter verfügte über keinerlei Arten von Humor.

Hatte ich soeben noch gedacht, sie sei gebrechlich und zahm geworden, wurde ich nun eines Besseren belehrt. Die rüde Begrüßung - wenn man sie so nennen wollte - traf mich unerwartet hart. Wie eh und je wusste meine Mutter genau mit ihrer spitzen Zunge zu verletzen. Die Beleidigung hätte mir vielleicht weniger zugesetzt, wenn der Fremde und meine Tochter nicht Zeugen gewesen wären.

Zitternd sog ich die Luft ein und schimpfte mich im Stillen ein dummes Huhn. Wieso hatte ich erwartet, dass sie mich mit offenen Armen oder einem freundlichen Satz empfangen würde? Unser letztes Telefonat, in dem ich sie um Hilfe gebeten, vielmehr angebettelt hatte, hätte mir doch eine Warnung sein müssen.

Ich ging auf sie zu und versuchte mich an einem Lächeln, das mir nicht ganz glücken wollte. »Hallo, Mutter.«

Unentschlossen blieb ich vor ihr stehen. Ihr zur Begrüßung lediglich die Hand zu reichen, erschien mir in diesem Moment unangebracht. Denn trotz ihres kaltherzigen Empfangs war sie noch immer meine Mutter, die ich nach siebzehn Jahren zum ersten Mal wiedersah. Einem Impuls folgend, beugte ich mich zu ihr hinab, umarmte und küsste sie geschwind auf die Wange. Ich hatte Angst, sie würde sich dagegen wehren, da sie noch nie ein Freund von körperlicher Nähe oder Zuneigungsbezeugungen gewesen war.

»Schön, dich wiederzusehen«, murmelte ich.

Es war ein Schock, festzustellen, dass ihre Schultern und ihr Gesicht sich wirklich so mager und zerbrechlich anfühlten, wie sie aussahen.

Ich ging vor ihr in die Hocke und betrachtete sie wehmütig. »Warum hast du nie etwas gesagt? Hätte ich gewusst, dass du ...«

»Hätte ich auch nicht gewollt, dass du zurückkommst«, fiel mir meine Mutter ins Wort.

Der Unbekannte trat neben ihren Sessel. »Vielleicht hätten Sie sich bei Sophie öfter melden sollen, als einmal in zehn Jahren?! Dann hätten Sie schon vor fünf Jahren erfahren, dass Ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hat.«

Ungläubig starrte ich den bärtigen Mann an. Natürlich könnte ich ihm erklären, dass ich mehr als einmal bei meiner Mutter angerufen hatte. Immer wieder hatte ich den Kontakt zu ihr gesucht und genauso oft einen Korb von ihr bekommen. Aber auf keinen Fall wollte ich mich vor diesem ungehobelten Flegel rechtfertigen. Deswegen schnauzte ich ihn mit verhaltener Wut an: »Wer sind Sie eigentlich? Und woher nehmen Sie sich das Recht, sich einzumischen? Und was treiben Sie überhaupt im Haus meiner Mutter?«

Es war jedoch nicht der Fremde, der mir antwortete, sondern meine Mutter. Ihr Kopf wurde krebsrot und ein Beben erfasste ihren schmächtigen Körper. »Was fällt dir ein?! Du kommst in mein Haus und beschimpfst meine Freunde? Du wirst dich auf der Stelle bei Lenn entschuldigen. Er ist ein gern gesehener Gast hier und im Gegensatz zu dir war er mir die letzten Jahre eine wertvolle Stütze. Was ich von dir noch nie behaupten konnte!«

Meine Mutter explodierte regelrecht und ich zog befangen den Kopf ein.

»Sophie, bitte reg dich nicht auf. Du weißt, es tut dir nicht gut.« Der gute Lenn legte seine Hand tröstend auf ihre Schulter und warf mir anklagende Blicke zu, während er weitersprach. »Sieh es als Fortschritt an. Immerhin beginnt deine Tochter, sich endlich Sorgen um dich zu machen.«

Als ich dann noch mitansehen musste, wie meine Mutter seine Finger liebevoll drückte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, verschlug es mir vollends die Sprache. Was hatte diese vertrauliche Geste zwischen den beiden zu bedeuten? War dieser Mann-aus-den-Bergen-Verschnitt womöglich ihr Liebhaber? Diese Vorstellung war mir jedoch so zuwider, dass ich sie sofort abschüttelte. Dennoch blieb der Hauch eines Verdachtes zurück, der leise Erbschleicher flüsterte.

Pikiert erhob ich mich aus der Hocke und besann mich darauf, sowohl Haltung als auch einen bestimmenden Ton zu wahren.

»Ich werde mich bei ihm nicht entschuldigen, Mutter. Denn er besaß weder Anstand noch Höflichkeit, meine Frage zu beantworten und mir seinen Namen zu nennen. Im Übrigen bin ich kein Teenager mehr, den du zurechtweisen musst.«

Grimmig schüttelte meine Mutter den Kopf. »Herrgott, Vivien, dann benimm dich auch so. Glaubst du, ich lass Wildfremde in meinem Haus herumschleichen? Also wirklich, ich dachte, du wärst klüger.«

Der Freund oder Liebhaber meiner Mutter, was immer er auch war, hob seine buschigen Augenbrauen an. Die Situation amüsierte ihn wohl. »Für meine Freunde bin ich Lenn. Also können Sie mich Lennhart nennen.« Sein Timbre wurde noch einen Tick rauer, als er sich nun an mich wandte.

Dieser erneuten Unhöflichkeit begegnete ich mit einem falschen Grinsen. »Nett, aber nein, danke. Ich bevorzuge es, Ihren Nachnamen zu benutzen. Und Sie dürfen mich mit Frau Vanderblant ansprechen, Herr ...?« Ich kräuselte die Stirn, während ich auf die Entgegnung seines Familiennamens wartete.

»Karlson«, kam es nach einem Zögern von ihm.

Meine Mutter musterte mich indessen aufmerksam. »Du hast wieder deinen Mädchennamen angenommen?«

»Ja«, bestätigt ich wortkarg ihre Frage. Denn sicherlich würde ich ihr vor diesem Lennhart nicht offenbaren, dass dies durch Pauls verfluchten Ehevertrag, im Falle einer Scheidung, geregelt worden war. Wie vieles andere auch, was mich letztlich nahezu komplett mittellos aus unserer Ehe entlassen hatte. Als ich ihn vor sieben Jahren kennengelernt hatte, war ich nicht gerade vermögend gewesen. Ich hatte mich einfach nur glücklich geschätzt, dass ein vornehmer Anwalt mich, eine mittellose Kellnerin mit Kind, genug liebte, um mich zu heiraten und mit Joan und mir eine Familie zu gründen. Ich hatte damals nicht eine Sekunde gezögert, den Vertrag zu unterschreiben. Blind hatte ich Paul und auf die Liebe vertraut. Wieder einmal. Und genau das war mein Fehler, den meine Mutter mir noch früh genug vorwerfen würde. Ja, sie würde es genießen, mir breit und lang zu predigen, dass sie von jeher im Recht gewesen sei. Zu allem Übel würde dies sie in ihrer Überzeugung bestärken, dass ihre damaligen Handlungen legitim waren. Doch das waren sie nicht. Keine Einzige davon. Niemals würde ich meinen vermeintlich größten Fehler bereuen, dessen Resultat schweigend hinter mir stand und den ich über alles liebte.

Mit einem stolzen Lächeln griff ich nach der Hand meiner Tochter, zwinkerte ihr aufmunternd zu und zog sie an meine Seite.

»Mutter, darf ich dir deine Enkeltochter vorstellen: Joan.«

Während Joan schüchtern dem Blick meiner Mutter begegnete, konnte man auf deren Gesicht Neugier entdecken, was mich überraschte.

Vorsichtig näherte sich Joan der Frau, die ihre Existenz bis zu diesem Zeitpunkt immer ignoriert hatte.

Zaghaft streckte Joan ihr die Hand entgegen. »Hallo, Großmutter.«

Der Kopf meiner Mutter wankte einen Moment unentschlossen zwischen einem Nicken und Verneinen. Ich hielt den Atem an, aber zu meiner Erleichterung erwiderte sie die Geste und hielt Joans Hand länger als nötig.

»Hm, da scheint mal jemand nicht den Vanderblants ähnlichzusehen.«

Es war nur ein Satz, der dennoch einen Widerstreit an Emotionen in mir auslöste. Denn indirekt eröffnete meine Mutter wieder einmal, dass ich mit meinem Vater mehr Ähnlichkeiten teilte als mit ihr. Obwohl ich dies immer als Kompliment gewertet hatte, weil ich meinen Vater liebte und er ein wundervoller Mensch gewesen war, flößte es mir ein bedrückendes Gefühl ein. Möglicherweise hing es damit zusammen, dass sie es nie ertragen hatte, an ihren geliebten Gatten erinnert zu werden. Stets hatte sie mich gemahnt, meinen Vater oder auch nur irgendetwas, was mit ihm in Verbindung stand, in ihrer Gegenwart zu erwähnen. Seinen Tod hatte sie nie verkraftet, geschweige denn verarbeitet. Vermutlich würde sie selbst jetzt noch nicht, nach all den Jahren, seine Räumlichkeiten betreten. Bestimmt ruhten sie verschlossen, wie eh und je in diesem Haus. Jäh wurde mir klar, dass sie dieses Haus in einen Schrein umfunktioniert hatte.

»Aber was ist denn um Himmels willen das für ein Name? Joan? Wie kommt man denn auf so eine Idee?« Meine Mutter riss mich aus den trüben Gedanken. Abwertend schüttelte sie den Kopf.

Doch ehe ich reagieren konnte, kam aus einer Ecke Beistand, woher ich ihn nicht erwartet hatte.

»Also ich finde Joan ganz cool«, meldete sich Lennhart Karlson zu Wort.

Dies zauberte Joan ein Lächeln aufs Gesicht. Mit einem Anflug von Stolz reckte sie ihr Kinn. »Den hat Mama ausgewählt, weil er einer berühmten Sängerin gehört. Ihre Lieder sind nicht nur schön, sondern fordern zu Gleichberechtigung und Frieden auf.«

Während meine Mutter genervt aufstöhnte und die Augen verdrehte, zog ein Schmunzeln über das Gesicht des Mannes, den ich vielleicht doch noch eines Tages mit Vornamen ansprechen würde.

»Ach, wirklich?«, fragte er spöttisch. »Nach der Folksängerin Joan Baez?« Erneut wanderte sein Blick über mich hinweg, doch diesmal lag nicht nur Ablehnung darin, sondern auch etwas, das wie Verwunderung erahnen ließ.

»Ja!«, sagte Joan.

Meine Mutter brummte argwöhnisch vor sich hin. »Oh, ja, bestimmt, das passt. Vivien war nämlich schon immer eins dieser schamlosen, Sex-besessenen ...«

»Mutter«, unterbrach ich sie empört.

»Was?«, ereiferte sie sich unschuldig. »Joan ist doch der beste Beweis für dein lasterhaftes Leben.«

Während mir die Augen aus den Höhlen quollen, warf Lennhart Karlson den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Deutlich und schnell verlor er wieder an Sympathie.

»Oh, Sophie, du bist dein Gewicht in Gold wert. Aber ehrlich gesagt, kann ich das wirklich nicht glauben. Schau dir deine Tochter mal an.«

»Glaub es, glaub es ruhig, mein Junge. Es ist die Wahrheit. Lass dich von ihrer feinen Aufmachung bloß nicht täuschen«, beharrte meine Mutter energisch auf ihre Bloßstellungen.

Kopfschüttelnd holte ich tief Luft und zog Joan mit mir in den Flur. »Wenn du nichts dagegen hast, Mutter, bringen Joan und ich unser Gepäck in mein altes Zimmer.«

Hastig, um ihr nicht die Gelegenheit eines Neins zu geben, ließ ich das Paar stehen und hoffte, das Peinlichste überstanden zu haben.

Zimt und Sandelholz

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