Читать книгу Schicksalsnetz - Ein romantischer Episodenroman - Ewa A. - Страница 13
Kapitel 9
ОглавлениеManchmal ist ein Stern einfach nur ein Stern
Es war schon ziemlich spät oder extrem früh, je nachdem, wie man es nennen wollte, wenn man nach ein Uhr nachts noch unterwegs war. Wo er genau war, wusste Tim nicht, nur dass er über eine Brücke fuhr. Er saß in seinem silbernen Sportwagen und fuhr mit offenem Verdeck ziellos in der warmen Sommernacht umher. Zwischendurch hatte er einige Male angehalten um sich die Füße zu vertreten und um seinen Gedanken, die ihn beschäftigten, neue Impulse zu geben. Aber nichts brachte ihn einem Entschluss näher. Tim hatte Jordan bald nach dem Essen verlassen.
Er war wütend, entnervt und was noch schlimmer war, er hatte keine wirkliche Strategie über sein weiteres Vorgehen parat. So wie es aussah, gab es drei Möglichkeiten an Jordans Firma zu gelangen. Die erste war Jordan zu ertragen und zu bearbeiten, was bedeutete, dass er solange warten musste bis Jordan dazu bereit war, zu verkaufen. Er würde ausharren wie ein Hündchen an der Leine, was er jetzt schon hasste. Sehr wahrscheinlich würde Jordan zu allem hin noch eine horrende Geldsumme verlangen. Die zweite Möglichkeit war, die er nur mit pharmazeutischer Hilfe oder einem Sack, bewältigen konnte, falls er sich jemals dazu durchringen sollte, mit der älteren Elizabeth zu schlafen. Sie könnte ihren Mann von einem baldigen und günstigen Verkauf überzeugen. Eventuell. Bestenfalls täte sie das, aber was ... wenn nicht?? Womöglich käme sie auf die Idee ihn mit der Affäre zu erpressen. Nein, die zweite Möglichkeit war wohl eher ein Super-GAU als eine Option. Was ihn letztendlich zu der Lüge von der Verlobten getrieben hatte, die ein zusätzliches Problem darstellte. Mit einem teuren Escort-Service könnte er dieses vielleicht lösen. Die dritte Alternative wäre Grace, Jordans Tochter, zu heiraten. Sie beide würden daraus ihre Vorteile ziehen. Wenn er die Karten offen auf den Tisch legen würde, bräuchte Grace nicht mal schwanger werden. Er bekäme sein Mitsprache-Recht und sie das Geld. Sollte er wirklich diese geldgierige Lolita heiraten?
Zu seiner eigenen Überraschung entdeckte Tim, dass er sich an das letzte Stroh-Hälmchen Romantik klammerte, das in seiner Brust übrig geblieben war, wo sonst nur noch die Kargheit einer Eiswüste herrschte. Er strich sich übers Gesicht, versuchte die Erschöpfung und Ratlosigkeit zu vertreiben, als weit vor ihm, im Scheinwerferlicht, am Straßenrand eine Gestalt auftauchte. Eine kleine, schmächtige Person beugte sich über das Geländer der Brücke, die er gerade passierte. Tim ereilte bei dem Anblick eine böse Vorahnung und er verringerte das Tempo. Doch ehe die Person über das Geländer klettern konnte, wie er befürchtet hatte, brach sie wie eine fragile Figur aus Sand in sich zusammen und blieb bewegungslos am Boden liegen. Bis zum Anschlag trat Tim die Bremse durch und der Wagen kam ruckartig zum Stehen.
„Scheiße!“, fluchte er und stieg eilig aus dem Wagen, um zu der Person zu laufen und neben ihr nieder zu knien.
Es war eine junge Frau die ihn mit rollenden Augen ansah und undeutlich wimmerte „Bitte nicht mehr wehtun! Bitte nicht …“, bevor sie die Augen schloss und das Bewusstsein verlor.
Trotz des Schreckens, der Tim hellwach gerüttelt und ihn in Aufregung versetzt hatte, berührten ihn die geflehten Worte zutiefst. Wer könnte einer so zierlichen und hübschen Frau absichtlich Leid zufügen?
Er fühlte ihren Puls, der schwach, aber vorhanden war. Ihr kleines herzförmiges Gesicht war kreidebleich. Sie hatte einen makellosen Teint, wie weißes, feinstes Porzellan. Ihre dichten Wimpern warfen, unter dem matten Licht der Straßenlampen, lange Schatten auf ihre Wangen. Oder waren es dunkle Augenränder? Vielleicht beides?, überlegte Tim. Braune Locken ruhten, wie ein ausgebreiteter Mantel, unter ihrem Kopf. Es sah aus als würde sie schlafen.
„Hey, hören Sie mich? Können Sie mich anschauen?“ Sanft sprach Tim auf die Frau ein und rüttelte sie sacht an den Schultern, doch sie reagierte nicht.
Ihr Kopf wies keinerlei Verletzungen auf, auch ihr Körper war äußerlich unversehrt. Sie sah nicht wie eine Gewohnheits-Trinkerin aus und dennoch nahm er den Geruch von Alkohol wahr. Hatte sie womöglich eine Alkoholvergiftung und war deshalb ohnmächtig geworden?
Tim wollte kein Risiko eingehen, egal ob sie vom Sturz verletzt war oder zu viel Alkohol hatte, er würde sie in ein Krankenhaus bringen. Vorsichtig bettete er sie auf den Beifahrersitz seines Autos, packte die Reisetasche, die neben dem Brückengeländer lag, in den Kofferraum und suchte im Navigationssystem das nächstgelegene Krankenhaus.
Nach und nach schalteten sich Dianas Sinne wieder ein. War sie tot? Nein, denn der Wind auf der Haut tat gut, dieses sanfte Vibrieren, welches durch ihren Körper floss, war angenehm. Das gleichmäßige Motorengeräusch, was damit einherging, war beruhigend und brachte sie zur Vermutung, in einem Auto zu sitzen. Oder war es ein Boot? War sie schon von der Brücke gesprungen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Nein, sie war nicht nass. Demnach war sie nicht über das Geländer geklettert. Stimmt, sie wollte, aber … Ihre Augenlider waren so verdammt schwer. Eigentlich mochte sie sie gar nicht öffnen. Sie wollte nicht aufwachen. Am liebsten würde sie für immer schlafen. Nie mehr Aufwachen. Alles, alles hinter sich lassen, auch diesen Schmerz, der wieder da war, in ihrer Brust. Mit ihm kam auch die Übelkeit, die sie bereits nach dem Verlassen der Bar überfallen hatte. Selbst nach mehrmaligem Übergeben war es ihr nicht besser gegangen. Herrgott, sie schaffte es nicht mal sich anständig zu betrinken. Geschweige denn von einer Brücke zu springen, oder nur über ein Geländer zu klettern. Versagt. Versagt. Versagt. Auf ganzer Linie.
Schließlich brachte Diana es fertig ihre Augen zu öffnen. Ein schwarzer Nachthimmel war über ihr, auf dem die Sterne wie Zahnpasta-Sprenkel auf einem Badezimmerspiegel wirkten. Von wegen Diamanten!, dachte sie zynisch, so etwas gab es in ihrer Welt nicht.
Unter Anstrengung wendete die junge Frau den Kopf und schaute neben sich. Sie bemerkte, dass sie in einem Auto saß. Entkräftet betrachtete sie den Fahrer des Wagens. Ein blonder, gepflegter Mann lenkte das Steuer. Diana schluckte um die ansteigende Übelkeit zu überwinden. „Wo bringen Sie mich hin?“
Erstaunt, als hätte der Mann ihre Anwesenheit vollkommen vergessen, sah er sie an. „Gott sei Dank! Ich dachte schon … Ich fahre Sie in ein Krankenhaus.“
Ermattet fielen Diana die Augen wieder zu. Es war ihr egal, wohin er sie brachte. Es war ihr egal, was er mit ihr tat, oder was nicht. Sie hatte weder Kraft noch den Willen dazu dem, was ihr widerfuhr, etwas entgegenzusetzen. Übermächtige Müdigkeit und Sehnsucht nach einer betäubenden Leere, in der es keinerlei Emotionen gab, überrollten Diana und spülten sie in ein schwereloses Nichts.
*
„Ich würde Ihnen wirklich gerne mehr sagen, aber da Sie kein Angehöriger der Dame sind, darf ich das nicht. Warten Sie bitte bis der untersuchende Arzt kommt.“ Freundlich, aber bestimmend, weigerte sich die Krankenschwester Tim eine Auskunft zu geben.
Auf Händen hatte er die junge Frau zur Notambulanz getragen. Tim wusste zwar, dass er nun nichts mehr ausrichten konnte, aber er wollte wenigstens hören, dass es der Frau gut ging, deren Gesicht er immer noch vor sich sah, deren Flehen, ihr nicht wehzutun, sein Beschützerinstinkt geweckt hatte.
Es schien ihm, als wären Stunden vergangen, als der Arzt ihm endlich gegenüber stand. „Sie haben Diana Clarkson hergebracht?“, fragte ihn dieser mit besorgter Miene.
„Ich weiß nicht, wie sie heißt, aber wenn Sie die zierliche, braunhaarige, Frau meinen, dann: Ja, das war ich. Wie geht es ihr?“
„Die Schwester sagte mir, dass sie kein Angehöriger sind, sondern dass Sie die Frau nur hergebracht hätten.“ Der Arzt blickte ihn durchdringend an und blätterte dann in den Patientenunterlagen auf seinem Klemmbrett.
Verlegen begann Tim zu stammeln. „Ja, ich wollte nur … Ich…“
Verwirrt rieb er sich über das Gesicht. Wie sollte er erklären, dass diese Frau, die er nicht kannte, ihm wichtig war. Er konnte es sich ja selbst nicht mal erklären. Er wusste nur, dass sie an seinem Herz gerührt hatte. Vielleicht war es nur Mitgefühl, das er empfand, was durch ihre Hilflosigkeit hervorgerufen wurde.
Mit gerunzelter Stirn wartete der Arzt nicht mehr länger auf seine Antwort, sondern schmunzelte leicht. „Momentan schläft sie und es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Wo fanden Sie Mrs. Clarkson genau?“
„Auf einer Brücke. Ich glaube, es war auf der Watson-Brücke. Sie stand da am Geländer und ich dachte schon, dass sie … springen würde, aber dann klappte sie zusammen.“ Tim verstummte, weil das Gesicht des Arztes zunehmend ernster wurde, bei jedem Wort das er aussprach.
„Sie wurde heute …. Nein, es ist ja bereits nach Mitternacht … gestern Morgen von uns entlassen.“
„Sie - kam gerade erst aus dem Krankenhaus?“, fragte Tim perplex.
Der Arzt nickte mit sorgenvollem Blick, was Tim alles und doch nichts sagte.