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Einleitung

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Die Frage »Was ist chinesische Philosophie?« führt in Europa nach wie vor häufig zu der Gegenfrage: Ist chinesische Philosophie denn überhaupt Philosophie? Dieser Zweifel erinnert an die Frage, die dem Komponisten John Cage in den 1950er Jahren einmal nach einem Konzert gestellt worden ist: Ist das denn überhaupt noch Musik? Cage gab darauf die legendäre Antwort: »you must not call it music, if this expression hurts you« (Riehn 1990: 97); »Sie brauchen es nicht für Musik zu halten, wenn dieser Ausdruck Sie choquiert.« (Metzger 1969: 142) Es ist an der Zeit, mit ähnlich gelassener Ironie auf die sich hartnäckig haltende Behauptung zu antworten, dass »chinesische Philosophie« doch gar keine »Philosophie« sei: »Du brauchst es nicht Philosophie zu nennen, wenn dich dieser Ausdruck schmerzt.«

Oder ist es besser, der Frage »Was ist chinesische Philosophie?« aus dem Weg zu gehen? Ist φιλοσοφία (philosophia) nicht griechisch? Warum nicht einfach von Denken sprechen? Aber denkt »China« denn überhaupt? (Cheng 2009) Ist das Chinesische eine »Sprache«, in der philosophisch gedacht werden kann? Diese Fragen mögen absurd klingen. Sie werden jedoch in Europa seit Jahrhunderten ernsthaft diskutiert. Die Antwort auf die Frage »Was ist chinesische Philosophie?« muss deshalb immer auch mit diesen alten Gespenstern kämpfen. Dieses Buch kreist um widerstreitende Perspektiven, aus denen es möglich ist, sich chinesischer Philosophie anzunähern. Kritische Perspektiven werden sichtbar, indem diese verschiedenen Denkwege sich wiederholt be-gegnen. In dieser Bewegung taucht etwas auf, was ich frei-gelassene Philosophie nennen möchte. Damit scheint es indes zunehmend unwichtig zu werden, ob die Sache, um die es geht, den Namen »Philosophie« erhält – oder »Denken« oder sonst einen anderen. Wenn dieses Buch es verdient, eine Übung in kritischem Denken genannt zu werden, dann ist es auch eine Übung darin, sich von vorgefertigten Meinungen darüber zu lösen, was als »chinesisch« und was als »Philosophie« gilt.

Dieses Buch geht davon aus, dass die Beantwortung der Frage »Was ist chinesische Philosophie?«, heute jedenfalls, notwendig politisch ist. Die »kritischen Perspektiven« im Untertitel führen deshalb auch immer wieder in Erörterungen, die in den Umkreis politischer Philosophie gehören. Von diesem ausgehend nähert sich der Denkweg dieses Buches sodann ästhetischen, ethischen und (nach-)metaphysischen Fragen. Der Grund für dieses Vorgehen ist die veränderte Stellung Chinas in der Welt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben Generationen von chinesischen Gelehrten und Intellektuellen nach Wegen gesucht, um auf die Aggressivität des westlichen Imperialismus zu antworten. Das Studium europäischer Philosophie vom Altertum bis in die Gegenwart war Teil von langwierigen Bemühungen, diese Geschichte zu verstehen und aus ihr zu lernen. Etwa seit dem Jahr 2000 äußert sich das wachsende »Selbstvertrauen« (zìxìn 自信) in den gewundenen Weg chinesischer Modernisierung zunehmend als geophilosophische »Selbstbesinnung« (zìjué 自覺) auf die Notwendigkeit, »chinesische Philosophie« als Weltphilosophie zu verstehen: demnach ist chinesische Philosophie als »chinesische«, also als regionale, nationale oder bloß kulturspezifisch begrenzte, überhaupt keine »Philosophie«, weil sie unfähig ist, über Chinas Verhältnis zur »Welt« im Ganzen nachzudenken. Die Entwicklung einer weltphilosophischen Perspektive verlangt allerdings, das Potenzial jener transkulturellen Dynamik von Altem und Neuem, Östlichem und Westlichem ernst zu nehmen, die China seit dem 19. Jahrhundert tiefgreifend verändert hat. Diese durch den Westen erzwungene Veränderung wirkt nun zunehmend auf den Westen zurück und untergräbt die von westlichen Staaten dominierte Weltordnung.

Was ist chinesische Philosophie?

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